Robert Schlosser:
"Arbeit, Automation und soziale Emanzipation. Einwände gegen die Kritik am 'Industriesystem'" (1984)

Materialien zur Analyse von Opposition

Von Dietmar Kesten, Gelsenkirchen, 12.6.2022

Von Robert Schlosser erscheint 1984 in der Reihe "Materialien" des VTK-Verlages die Schrift "Arbeit, Automation und soziale Emanzipation - Einwände gegen die Kritik am Industriesystem". Die Reihe "Materialien" "soll der Selbstverständigung der Kommunisten untereinander dienen". Neben einem kurzen geschichtlichen Abriss über die industrielle Revolution im 19. Jahrhundert, der Produktivkraftentwicklung mit seiner Mikroelektronik und der Verflechtung der Technologien, wobei sich der Verfasser u. a. an Dieter Balkhausen orientiert, beschäftigt sich der Autor mit der Bedeutung der damaligen Bewegungen und kritisiert ihre "linken Allgemeinplätze". Meist seien "ihre Hinweise auf die "positiven Möglichkeiten der Produktivkraftentwicklung hilflos". (Schlosser, S. 5f.)

Wir danken Robert Schlosser für die freundliche Unterstützung.

Auszug aus der Datenbank "Materialien zur Analyse von Opposition" (MAO)

1984:
Von Robert Schlosser erscheint die Schrift: "Arbeit, Automation und soziale Emanzipation, Einwände gegen die Kritik am Industriesystem". Sie setzt sich mit den Fragen: "Arbeit, Automation und soziale Emanzipation" auseinander und verbindet sich mit einer "Kritik am Industriesystem", wobei die Schrift auch dem "Selbstverständnis der Kommunisten untereinander beitragen soll".

In der Einleitung wird zur Schrift ausgeführt: "Als die industrielle Revolution des vorigen Jahrhunderts die handwerklichen Kleinproduzenten in vielen Bereichen ruinierte, kam es immer wieder zu Kampfaktionen, deren Ziel es war, die Maschinen, auf denen die industrielle Produktionsweise beruhte, zu zerstören. Die maschinelle Industrieproduktion entwertete die Produkte handwerklicher Arbeit, indem sie die zur Herstellung von Waren benötigte Arbeitszeit radikal verkürzte. Das Fabriksystem dehnte sich aus und immer mehr arbeitende Menschen wurden immer unmittelbarer der Herrschaft des Kapitals unterworfen. Die Entwicklung der Mikroelektronik und ihre Anwendung im heutigen Produktionsprozess führt bereits heute zu sozialen Folgen so großen Ausmaßes, dass sich die gegenwärtige Situation durchaus mit der des vorigen Jahrhunderts vergleichen 'ist. Was jetzt jedoch ins Auge sticht, ist nicht nur die Betroffenheit der 'Handarbeiter', sondern im großen Maße die Betroffenheit der 'Kopfarbeiter'. 'Die Mikroelektronik bringt zweifellos die vorläufige Inkarnation eines technologischen Geniestreichs in dieser so höhepunktreichen Epoche. Denn ihr wesentliches Merkmal ist, dass sie die organische Intelligenz zu einem großen Teil durch apparative 'Intelligenz' substituieren kann.' (Die dritte industrielle Revolution, Dieter Balkhausen, Goldmann Taschenbuch, 1978, S. 39)

Mit der Entwicklung dieser apparativen 'Intelligenz' widerfährt den Kopfarbeitern wohl nun ähnliches wie damals und heute den Handarbeitern. Ausgehend von einer veränderten Stellung im Produktionsprozess, wird ihre ganze soziale Stellung erschüttert. So muss es nicht verwundern, wenn sich heute auch in Kreisen der kritischen Intelligenz der Widerstand gegen diese Entwicklungen als eine Art 'intellektueller Maschinenstürmerei' äußert. Der heutigen 'intellektuellen Maschinenstürmerei' ist eines mit der damaligen sehr handgreiflichen Maschinenstürmerei gemein: in beiden Fällen wurde und wird eine bestimmte Art der Produktivkraftentwicklung für die soziale und heute auch ökologische Misere verantwortlich gemacht. Die Reizworte, an denen sich diese Kritik entwickelt, sind Maschine, Maschinerie, Großtechnologie, große Industrie. In seinem Büchlein 'Weltniveau' betont Otto Ullrich in seiner Kritik der Marxisten, dass es nicht nur ein 'Sozialverhältnis' Kapitalismus gibt, sondern auch ein Sozialverhältnis Großtechnologie: 'Ab einer bestimmten arbeitsteiligen Verflechtung, Komplexität und Größe verliert eine Technologie ihren überschaubaren, 'handhabbaren' Werkzeugcharakter und wird zu einem Mensch-Maschine-System, in denen Menschen zu abhängigen Bestandteilen dieses Systems degenerieren. Dieses Technologie-Sozialsystem kann eine Eigendynamik mit nicht voraussehbaren und mit ungewollten Folgewirkungen entwickeln, und es erzeugt Zwangsmechanismen, die einen großen Teil der Individuen in nicht gewünschte Handlungsbahnen zwingen. Die große arbeitsteilige Verflechtung, die durch die moderne verwissenschaftlichte Produktion von der Sache her gegeben ist, ist eine denkbar schlechte Grundlage für eine selbstbestimmte, durch das Bewusstsein der handelnden Individuen getragene Assoziationsvergesellschaftung.' (S. 101/102)

Die Kritik an ökologischen und sozialen Folgen der kapitalistischen Produktivkraftentwicklung hat in den letzten Jahren immer mehr Menschen überzeugen können. Die geläufigen linken Gemeinplätze von der positiven Bedeutung der Produktivkraftentwicklung, die die Grundlage bilde für Aufhebung der bestehenden Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse, konnten sich nicht behaupten. Sie werden heute eher belächelt. Meist sind die Hinweise auf die positiven Möglichkeiten der Produktivkraftentwicklung hilflos. Wo sie das nicht sind, kommen sie aus einer Ecke, der es ausschließlich um die Apologie der bestehenden Verhältnisse geht. Ich möchte mich mit der folgenden Streitschrift kritisch mit den mittlerweile ebenfalls zu grünen Gemeinplätzen avancierten Kritiken am 'Industriesystem' auseinandersetzen. Dass dies in der gegenwärtigen Situation kaum auf Resonanz stoßen wird, ist mir klar. (…) Die mittlerweile recht ansehnliche Massenbewegung für Umweltschutz und Demokratie hat der dogmatischen kommunistischen Bewegung der 70ger Jahre mit Leichtigkeit ihr Ende bereitet. Sie hat sie auf das zurückgeführt, was sie waren: unbedeutende Sekten. Dabei konnten die positiven Momente dieser kommunistischen Bewegung übernommen werden. Die gesellschaftspolitischen Streitfragen, die seit dem Ende der 60ger Jahre wieder breit diskutiert werden, konnten bisher jedoch auch innerhalb der Bewegung für Umweltschutz und Demokratie nicht gelöst werden. Was ins Auge sticht, ist die offene Auseinandersetzung und nicht die klare Antwort. Innerhalb der grünen 'Bewegungspartei' spiegelt sich das am deutlichsten wieder. Die hier zutage tretenden Gegensätze sind so erheblich, dass sie auf Dauer keine Einheit ermöglichen. Die jetzigen Erfolge bereiten die Niederlagen von morgen vor. Diese Niederlagen werden nicht zum geringsten auf jene Positionen zurückgehen, die sich mit der 'Fundamentalopposition' am 'Industriesystem' verbinden. Meiner Meinung nach handelt es sich hierbei um Dogmen, wie sie Sekten gut zu Gesichte stehen, aber in einer wirklichen sich entwickelnden Massenbewegung nichts zu suchen haben. Eine bloß theoretische Kritik dieser Dogmen hat wenig Aussichten auf Erfolg. Sie werden aber sehr rasch in Vergessenheit geraten, wenn das eintritt, worauf die kommunistische Bewegung jahrelang wartete, ein Aufbegehren der heutigen Industriearbeiterschaft. Deren Passivität ist ein Eckpfeiler für die Erfolge bestimmter Modetheorien. Deren Passivität ist aber auch ein Eckpfeiler ihrer Begrenztheit. An der Industriearbeiterschaft führt kein Weg der Gesellschaftsveränderung von unten vorbei. Ihre gesellschaftliche Stellung ist so bedeutend und ihre Zähl so groß, dass jede Volksbewegung mehr oder weniger rasch an ihre Grenze stößt, in der die Industriearbeiterschaft nicht aktiv vertreten ist.

Ihre enorme gesellschaftliche Bedeutung wird spürbar nicht nur in ihrer Aktivität, sondern auch in ihrer Passivität. Die westdeutsche Industriearbeiterschaft ist reformistisch bis konservativ eingestellt; nur ganz geringe Teile stellen heute das bestehende Gesellschaftssystem in Frage. Doch was wesentlich das bürgerliche Denken in der Arbeiterklasse so begünstigt, ihre passable Lage in einem rasch wachsenden Kapitalismus, die errungenen sozialen Reformen, das gerät mit der Entwicklung der Widersprüche der kapitalistischen Wirtschaft unter den Hammer. Vieles, was als gesichert und selbstverständlich erschien, wird verbal und praktisch spürbar in Frage gestellt. Der Wahnsinn, dass der gesellschaftliche Reichtum in immer kürzerer Zeit mit immer weniger unmittelbar menschlicher Arbeit erwirtschaftet, während die soziale Stellung von Millionen von Menschen existenziell bedroht wird, treibt die wunderbarsten Blüten. Damit entsteht der Nährboden, auf dem allein eine nennenswerte revolutionäre Arbeiterbewegung entstehen wird. Ob sich tatsächlich eine solche Arbeiterbewegung entwickeln wird, 'in diesem unserem Lande', das hängt jedoch ganz wesentlich von der ideologischen und politischen Entwicklung der bestehenden linken Bewegung ab.

Nicht zuletzt die Beurteilung der durch den Kapitalismus erzeugten Produktivkräfte bestimmt wesentlich die Vorstellungen von sozialer Revolution und Befreiung. Es handelt sich um eine der Kernfragen für die weitere Entwicklung der linken Bewegung." (S. 5ff.)

Inhalt:
1. Einleitung
2. Produktivitätsfortschritt und Kapitalverwertung
3. Zeitgewinn und "grenzenlose Güterproduktion
4. Freiheit von Arbeit - Freiheit in der Arbeit
5. Die Lust an der Arbeit und die Resultate der Arbeit
6. Über Megamaschine und Megatechnik
7. Die Abschaffung der Arbeit und die emanzipierten Massen
8. Gedanken zur Unüberschaubarkeit moderner Technik
9. Freistellung von unmittelbar produktiver Arbeit und die
10. Universalität" des Menschen
11. Was macht die Wissenschaftler so Erfolgs süchtig?
12. Handwerk, Kapital und die Leute mit den 2 linken Händen
13. Über die Vereinigung von Kopfarbeit und Sinnen
14. Das Handwerk als Produzent der großen Industrie
15. Der Taylorismus als Bewahrer der technologischen
16. Erbmasse des Handwerks
17. Die Bewahrung der 'technologischen Erbmasse' als - Enteignung der Produzenten von ihren Kenntnissen
18. Die Automation marschiert
19. Die Vollendung der Vollendung
20. Automation als Grundlage für die Überwindung der auf dem Wert beruhenden Produktionsweise
21. Konsum und Klassenbewusstsein
22. Über die 'Arbeit am Menschen'
23. Abschließende Bemerkungen über Ökologie und Ökonomie, Produktivkräfte und
24. Produktionsverhältnisse

Geworben wird für die "Aufsätze zur Diskussion" (AzD).
Quelle: Robert Schlosser: Arbeit, Automation und soziale Emanzipation - Einwände gegen die Kritik am Industriesystem, (Reihe Materialien, Bd. I, Hrsg.: Alfred Schröder/Heiner Karuscheit/Manfred Weiß, Frankfurt/M. 1984.

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Letzte Änderung: 12.06.2022