Arbeiterkampf, Jg. 3, Nr. 25, Januar 1973

Januar 1973:
Der KB gibt seinen "Arbeiterkampf" (AK) Nr. 25 für Januar/Februar (vgl. Dez. 1972, März 1973) heraus.
Enthalten ist der zweite Teil des Artikels "Wie sich das Zirkelwesen am eigenen Schopf aus dem Sumpf zieht" (vgl. Dez. 1972):"
ZUR AUSEINANDERSETZUNG MIT KBB/NRF (TEIL 2)

Im ARBEITERKAMPF 24 bericheten wir von der Absicht einiger Gruppen - KB Bremen, KB Göttingen, NRF Heidelberg u.a. - eine einheitliche Organisation zu bilden.

Auf einer Konferenz am 16./17. September 1972 bildeten diese Gruppen eine fünfköpfige 'Programmkommission', die den Auftrag erhielt, 'in etwa drei Monaten einen ausformulierten Programmentwurf vorzulegen. Schon vorher sollen vorbereitende Untersuchungen der Kommission veröffentlicht werden.'

Die Programmkommission konnte offensichtlich ihren Auftrag innerhalb der vorgesehenen Zeit von drei Monaten nicht durchführen, die Veröffentlichung von 'vorbereitenden Untersuchungen' unterblieb; stattdessen legte die Kommission Anfang Dezember bloß einen Arbeitsplan vor, der den Aufbau des Programms skizziert.

Diesen Arbeitsplan überschrieben NRF/KBB tollkühn mit dem Titel 'Das Programm der westdeutschen Kommunisten'. Damit soll gesagt sein, daß NRF/KBB den westdeutschen Kommunisten vorschlagen, sich auf dem Boden dieses Programms (zu dem freilich bisher nur der Arbeitsplan vorliegt) zur Neugründung der KPD zusammenzuschließen.

Dieser Arbeitsplan beseitigt immerhin einige maßlos überbetriebene Vorstellungen, die nicht nur wir, sondern auch einige Sympathisanten von NRF/KBB sich über das zu erwartende Programm gemacht hatten. So hatten wir z.B. noch vor kurzem geschrieben:

'…wir zweifeln nicht, daß die Genossen nunmehr ein Programm zustande bringen werden, das ausführlicher und exakter ist als die bisher vorliegenden Programme…' (ARBEITERKAMPF 24)

Und die mit NRF/KBB sympathisierende KG Köln hatte von dem Programm u.a. 'sorgfältige und konkrete Untersuchungen über Lage und Struktur der Arbeiterklasse', 'Aufarbeitung und Anwendung der Erfahrungen der kommunistischen Weltbewegung' und 'Anwendung der marxistisch-leninistischen Methode auf die Entwicklungstendenzen des westdeutschen Imperialismus' erwartet. ('tup' der KG Köln, September 1972)

Aus dem nunmehr vorgelegten Arbeitsplan geht jedoch hervor, daß das Programm von NRF/KBB zwar länger, aber keineswegs inhaltsreicher ausfallen dürfte als das halbe Dutzend von Programmen und Programmatischen Erklärungen, die schon von anderen Organisationen vorliegen.

Mit seiner Parole gegen die 'Verwechselung von programmatischen und taktischen Fragen' hatte das NRF schon vor einiger zeit das rechte Stichwort gegeben. Der Arbeitsplan zeigt, daß unter dieser Parole anscheinend die Beschränkung des Programms auf 'ewige Wahrheiten' (vom Typ 'Westdeutschland ist ein imperialistisches Land' oder 'Der endgültige Sieg des Proletariats ist unausbleiblich') gemeint ist, während konkrete Untersuchungsarbeiten und die Frage der Massenlinie aus dem 'Programm' hinaus in das Ressort der 'Taktik' verwiesen wurden. Dabei wurden auch einige Punkte der 'Taktik' zugeschlagen, die bis vor kurzem von NRF/KBB als Kern und Voraussetzung des Programms bestimmt worden waren.

So hatte z.B. die Bremer 'Wahrheit' den 'KPD's und 'KPD/ML's vorgeworfen, sie seien nicht in der Lage, in ihren programmatischen Erklärungen die 'Entwicklungsperspektiven des westdeutschen Imperialismus darzulegen' ('Wahrheit' Juni/Juli 1972 (vgl. 1.7.1972, d.Vf.)). Das war damals überhaupt die entscheidende Kritik des KBB an den 'Parteien', womit begründet werden sollte, warum das zukünftige Programm von NRF/KBB gaaaaanz anders aussehen müßte als die programmatischen Erklärungen der 'Parteien'. Im Arbeitsplan heißt es nunmehr:

'…unseres Wissens gibt es keinen Artikel, der sich mit Programmfragen beschäftigt und dabei nicht die Entwicklung des westdeutschen Imperialismus als DIE zentrale Aufgabe theoretischer Arbeit aufstellt. Nun wollen wir die Bedeutung dieser Aufgabe keineswegs abstreiten, aber von Bedeutung ist sie gerade in Hinblick auf die Ausarbeitung einer korrekten Taktik (!), nicht in Hinblick auf das Programm.' (Arbeitsplan, S. 10)

Auf einaml also soll die ehemals als Prüfstein und Fundament angegebene Untersuchung über die Entwicklung des BRD-Imperialismus fürs Programm gar nicht mehr so wichtig und bloß Gegenstand der 'Taktik' sein. ? Der Arbeitsplan beschränkt sich daher hinsichtlich der Entwicklung des BRD-Imperialismus auf allgemeinste Aussagen, die schon in der Programmatischen Erklärung des NRF von 1971 enthalten waren (verstärkter Kapitalexport, Konzentrationsprozeß etc.).

Ein zweites Beispiel: im 'Gemeinsamen Kommunique' der beteiligten Gruppen vom 28. Mai 1972 sind mehrere Punkte angegeben worden, und es heißt dazu: 'Die Klärung (!) dieser Frage ist die entscheidende (!) Voraussetzung (!) für die Erarbeitung des Programms'. Einer der dort angegebenen Punkte war die Faschismus-Frage. Wie aber wird die Faschismus-Frage nunmehr im Programm behandelt? Da heißt es, das Programm sollte auch einen 'Hinweis' auf Rückschläge der Arbeiterbewegung enthalten. Unter diesem Punkt sollen außer der 'Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion' (SU, d.Vf.) auch der historische Faschismus in Deutschland und Italien 'angeführt' werden, weil er 'eine stark demoralisierende Wirkung' hatte (S.26).

Ist der Faschismus aber nur ein HISTORISCHES Problem, auf das ein 'Hinweis' am Rande ausreichend ist…? - Der Arbeitsplan erkennt zwar die Möglichkeiteiner 'aktuell drohenden faschistischen Gefahr' auch für die Zukunft an, jedoch sei das 'eine andere Frage, die nicht Bestandteil des Programms (!), sondern Gegenstand taktischer Erörterungen und Resolutionen ist' (S.30).

Erst wurde also die Klärung der Faschismus-Frage als 'entscheidende Voraussetzung' für die Erarbeitung des Programms definiert. Nun aber heißt es, diese Frage sei gar nicht Gegenstand des Programms, sondern der 'Taktik'. In der Tat widmet der Arbeitsplan der Faschismus-Frage alles in allem noch nicht einmal 10 Zeilen!

Gegen die 'KPD' haben NRF/KBB den Vorwurf der 'programmatischen Beliebigkeit' (Arbeitsplan, S. 8) erhoben. Aber was könnte 'beliebiger' sein als der Arbeitsplan von NRF/KBB, worin ehemals für unentbehrlich erklärte Bestandteile des Programms einfach fallen gelassen sind, worin über zentrale Fragen der Arbeiterbewegung (Faschismus, Opportunismus) oberflächlich hinweggehuscht wird, während Nebenfragen (z.B. Rolle der 'neuen Mittelklasse') genüßlich ausgewalzt werden?

Zumindest die Führer des KBB wissen genau, was sie da veranstaltet haben. Denn in der 'Wahrheit' schrieben sie schon vor fast einem Jahr völlig richtig:

'Wir gehen also davon aus, daß es noch keine politische Plattform gibt, welche die Basis bilden könnte für eine dauerhafte Einheit der Arbeiterklasse und frei von Opportunismus und Gründungsfieber (!). Wir gehen weiter davon aus, daß diese Basis auch nicht in wenigen Monaten (!) geschaffen werden kann, zumal in der westdeutschen kommunistischen Bewegung mit der umfassenden wissenschaftlichen Untersuchung unserer Wirklichkeit kaum begonnen worden ist.' ('Wahrheit' Feb. 1972 (vgl. 1.2.1972, d.Vf.))

Der Arbeitsplan ist der zwangsläufige Ausdruck des Versuchs, wider besseres Wissen nun DOCH 'in wenigen Monaten' und ohne umfassende wissenschaftliche Untersuchungen so etwas wie ein Programm zusammen zu bringen. Dieses Programm hat keine Funktion für den Kampf der Arbeiterklasse, sondern es dient der bornierten Gruppenlogik der NRF/KBB-Führer: sie haben nun etwas zum Vorzeigen, mit dem sie in der Bewegung den großen Fischzug zu machen hoffen.

SALTO MORTALE

Immer und immer wieder haben NRF/KBB in ihren Publikationen die brennende Notwendigkeit des Programms eindringlich beschworen: das Programm schaffe überhaupt erst den einheitlichen Willen in der kommunistischen Bewegung und 'damit die Basis für ihren Zusammenschluß in der Partei' - ohne Programm sei die Bewegung zur 'taktischen Defensive' gegenüber der Bourgeoisie verdammt - ohne Programm könnten innerorganisatorische Widersprüche nicht offen ausgetragen werden usw. usf.

Aber der nun folgende 'Salto mortale' der NRF/KBB-Führer endet prompt auf dem Arsch! In ihrem Programm/Arbeitsplan lassen sie den Leser teilnehmen an ihrer Suche nach 'Vorbildern' für ihr Programm und das Ergebnis ihrer Suche fassen sie so zusammen:

'Seit dem Erfurter Programm von 1891 (!) ist von der revolutionären Arbeiterbewegung Deutschlands kein (!) systematisches Programm mehr ausgearbeitet worden, auf das wir uns stützen könnten.' (S.14/15)

Die verschiedenen Programm der KPD seien - so führt der Arbeitsplan weiter aus - alles gar keine richtigen Programme gewesen, sondern bloß 'Erklärungen mit Aufrufcharakter' oder 'taktische Feststellungen, die auf eine bestimmte Klasenkampfsituation bezogen waren'. Diese Programme der KPD seien zwar nicht völlig bedeutungslos, aber als 'Vorbild' fürs Programm von NRF/KBB seien sie untauglich. Ihr 'Vorbild' sehen die Genossen stattdessen in den programmatischen Diskussionen zum SPD-Programm von 1891 und zum Programm der russischen Partei von 1903 (zuzüglich dessen Erweiterungen 1918).

Die Genossen scheinen sich noch nicht einmal über die unglaubliche Arroganz im Klaren zu sein, SIE würden seit 1891, seit 80 Jahren (!) endlich wieder ein 'systematisches Programm' für die Arbeiterbewegung schreiben, wozu die KPD anscheinend nicht in der Lage war.

Wenn überhaupt erst das Programm die Basis für den parteimäßigen Zusammenschluß schafft - was war dann die KPD, die ja angeblich niemals ein 'richtiges' Programm gehabt hat? War die KPD seit ihrer Gründung 1918 nur ein gigantisch aufgeblähter ZIRKEL, der sich 'unrechtmäßig' als Partei bezeichnete? Man muß dies freilich glauben, da ja NRF/KBB das Fehlen eines Programms als wesentliches Merkmal des Zirkelwesens bezeichnen.

Zuerst haben die NRF/KBB-Führer die unheimliche Bedeutung und unbedingte Notwendigkeit des Programms betont. Nun ja, jede Henne gackert zum Eierlegen. - Aber dann tischen sie plötzlich die Behauptung auf, die KPD hätte während ihrer ganzen Existenz niemals ein Programm gehabt und sie müßten ihr Vorbild im Jahre 1891 suchen. Totale Konfusion!

Woran liegt es, daß die Genossen bis aufs sozialdemokratische Erfurter Programm von 1891 und aufs Programm der russischen Sozialdemokratie von 1903 zurückgreifen müssen, während sie in der nachfolgenden Zeit bis heute nichts 'Gescheites' im Sinne ihrer 'programmatischen' Pläne gefunden haben? Den Genossen scheint nicht einmal aufgefallen zu sein, daß hier eine Frage liegt.

WIE MÜSSTE DER FASCHISMUS IM PROGRAMM BERÜCKSICHTIGT WERDEN?

Wie wir sehen, geht der Arbeitsplan von NRF/KBB zum Programm mit kaum 10 Zeilen auf die Fragen ein, die sich aus der Erfahrung des Faschismus für die Arbeiterklasse ergeben.

Das entspricht zwar nicht den früheren Ankündigungen von NRF/KBB, daß die 'Klärung der Faschismusfrage' eine 'entscheidende Voraussetzung' (!) für die Erarbeitung des Programms sei. Jedoch liegt es ganz auf der Linie ihrer sonstigen Politik, die Faschismusfrage durch Schweigen zu 'lösen'

Daß sich im Programm überhaupt ein 'Hinweis' auf den Faschismus (der Vergangenheit) finden soll, begründet der Arbeitsplan ausschließlich mit der 'stark demoralisierenden Wirkung;, die der deutsche und italienische Faschismus auf die Arbeiter gehabt habe.

Schon diese Begründung offenbart den falschen Ansatz bei NRF/KBB, die von einer WIRKUNG der Erfahrung des Faschismus ausgehen, statt von der Erfahrung selbst: der Faschismus hat den grauenvollsten Krieg der Menschheit herbeigeführt, mit Millionen Arbeitern vieler Nationen als Opfer. Der Faschismus hat tausende klassenbewußter Arbeiter abgeschlachtet oder zerbrochen, er hat die Ergebnisse von Arbeitskämpfen vieler Jahre zunichte gemacht. DESHALB - und nicht in erster Linie der 'demoralisierenden Wirkung' wegen, die sich als Folge im Bewußtsein der Arbeiter zeigt - muß im Programm vom Faschismus geredet werden. Wenn wir über Niederlagen reden, dann deshalb, um aus ihnen zu lernen - und nicht deshalb, weil Niederlagen nebenbei auch eine demoralisierende Wirkung haben. Der Aspekt, aus der Niederlage des Faschismus zu LERNEN, scheint aber in den programmatischen Vorstellungen von NRF/KBB zu fehlen.

Der Arbeitsplan stellt den Faschismus lediglich als Gegenstand 'taktischer Erörterungen' - nicht aber als Gegenstand des Programms - dar: Es sei ja möglich, daß 'unter bestimmten Umständen' die Kapitalisten nochmals zu faschistischen Lösungversuchen greifen könnten; aber was die Kommunisten (und die Arbeiter) dann zu tun hätten, das sei halt bloß Gegenstand 'taktischer Erörterungen und Resolutionen' (Arbeitsplan, S. 30). Weiter unten führen sie dann noch eine Resolution an, die einzige, die sich auf den Faschismus zu beziehen scheint: diese Resolution soll eine Auffassung zurückweisen, der demokratische Kampf müsse heute wesentlich als antifaschistischer Kampf geführt werden. Die einzige 'taktische Resolution', die ihnen zum Faschismus einfällt: eine negative Abgrenzung von bestimmten Kampfformen, statt einer positiven Bestimmung der Aufgaben der Kommunisten (Arbeitsplan, S. 39).

NRF/KBB haben offenbar noch nicht einmal begriffen, daß der Faschismus und andere Formen der Konterrevolution TYPISCH sind für die ETAPPE des untergehenden Kapitalismus und proletarischen Revolution. Demnach geht es hier nicht um die TAKTISCHE Antwort, die auf eine bestimmte eventuelle Wendung des Klassenkampfes zu geben ist, sondern es geht um eine STRATEGISCHE Antwort auf die grundsätzliche und fürs Proletariat wesentliche Frage nach dem Weg der Revolution in dieser Etappe. Mit einem unnachahmlichen Sinn für Banalitäten haben NRF/KBB sogar die 'Unausbleiblichkeit' des proletarischen Sieges als Programmpunkt angegeben. Aber auf die Frage nach dem WEG dorthin haben sie nur eine Antwort: darüber zerbrechen wir uns jetzt noch nicht den Kopf. Das gehört in die Taktik und wenn es soweit ist, werden wir schon eine Resolution dazu machen…

Immerhin ist sogar die revisionistische DKP in diesem Punkt richtiger verfahren als NRF/KBB im Arbeitsplan. Im ursprünglichen Programm der DKP (gleich Grundsatzerklärung) hieß es nämlich:

'Die DKP erstrebt den für das arbeitende Volk der Bundesrepublik günstigsten Weg zum Sozialismus, einen Weg ohne Bürgerkrieg. Es waren immer die herrschenden reaktionären Klassen, die zur Rettung ihrer Macht und ihrer Vorrechte blutige Gewalt gegen das Volk anwandten…'

In den späteren 'Thesen' der DKP (1971) findet sich kein entsprechender Hinweis mehr. Bei einer revisionistischen Partei wie der DKP ist das nicht weiter verwunderlich.

Aber auch NRF/KBB haben in ihrem Arbeitsplan zum Programm die Frage des Bürgerkriegs und des bewaffneten Kampfes schlichtweg 'vergessen'. Und eine solche 'Vergeßlichkeit' ist einigermaßen erstaunlich bei Leuten, die sonst sogar der 'KPD/ML' schon Konkurrenz an Wortradikalismus zu machen beginnen.

Die Geschichte der Klassenkämpfe zeigt, daß die Revolution in den imperialistischen Ländern ihren Weg wahrscheinlich über den Bürgerkrieg nehmen wird, der vom unbedingten Festhalten der herrschenden Klasse an den bestehenden Besitz- und Machtverhältnissen hervorgerufen wird. Die Vorbereitung der Arbeiterklasse gerade auf diesen Weg der Entwicklung ist demnach eine zentrale Aufgabe der Kommunisten - unabhängig von taktischen Wendungen, die der Klassenkampf erfordert und auf die das Programm nicht im Einzelnen eingehen kann.

Das Programm der Kommunisten wird diese Schlußfolgerung aus der Geschichte der Klassenkämpfe festzuhalten haben. In diesem Zusammenhang ist der Faschismus als eine besonders brutale Form der Konterrevolution nach innen und außen anzusprechen. (Wir auf die inhaltlichen Vorstellungen von NRF/KBB zur Faschismusfrage demnächst nochmals ausführlicher eingehen - vgl. hierzu auch ARBEITERKAMPF 16, 17 und 18).

WIE MÜSSTE DER OPPORTUNISMUS IM PROGRAMM BERÜCKSICHTIGT WERDEN

In der Frage des Kampfes gegen den Opportunismus tritt die chaotische Fehl-Proportionierung des Programms, das Verwechseln von Wesentlichem und Unwesentlichem durch NRF/KBB besonders krass zutage: da widmet der Arbeitsplan zum Programm mehr als 200 (!) Zeilen der aufregenden Frage 'Wie wird die neue Mittelklasse im Programm berücksichtigt?', während ganze 9 (neun) Zeilen auf den Abschnitt 'Der Kampf gegen den Opportunismus' entfallen. Das widerspiegelt das Bewußtsein von Kleinbürgern, denen die genaue Bestimmung ihrer Klassenlage schon seit Jahren im Kopf herumspukt, und denen sich die Frage nach der 'neuen Mittelklasse' ohne weiteres als DAS zentrale Problem der Programmatik darstellt (kein anderer Punkt ist im Arbeitsplan so ausführlich und geradezu liebevoll abgehandelt wie dieser!).

Die Aussage des Arbeitsplans zum Punkt 'Kampf gegen den Opportunismus' beschränkt sich im Wesentlichen auf einen einzigen mageren Satz, nämlich daß 'jeder bürgerliche sozialdemokratische Einfluß auf die Arbeiterbewegung bekämpft werden muß, ebenso wie die revisionistische Entstellung des Marxismus durch diejenigen Parteien, die im Fahrwasser des russischen Sozialimperialismus schwimmen' (S.27).

Der Opportunismus als Form bürgerlicher Politik in der Arbeiterbewegung ist sozusagen das 'friedliche' Gegenstück zur Gewaltpolitik der Bourgeoisie. In seinem Kampf um den Sozialismus muß das Proletariat mit seinen Feinden fertig werden: mit dem Einfluß der bürgerlichen Ideologie ebenso wie mit dem bürgerlichen Terror. Daher muß der Kampf gegen den Opportunismus im Programm ebenso wie der Bürgerkrieg breiteren Raum einnehmen. Und es ist eben typisch für das 'programmatische' Bewußtsein der Führer von NRF/KBB, daß sie von diesen zwei zentralen Fragen der Arbeiterbewegung die eine glattweg 'vergessen' haben, während sie an der anderen vorbeihuschen.

Ein wirkliches Programm der Kommunisten müßte zunächst auf die historische Entwicklung der Spaltung der Arbeiterbewegung eingehen. Hierbei kann auf die Ausführungen Lenins Bezug genommen werden, ergänzt durch eine Konkretisierung auf der Basis (noch fehlender) aktueller Untersuchungen über die Struktur der Arbeiterklasse. Es muß daran verdeutlicht werden, daß der Opportunismus seine materielle Basis im Imperialismus hat (z.B. Frage der 'Arbeiteraristokratie', Stellung der Angestellten und Beamten, Verbindung von sozialdemokratischer Bürokratie und Staatsapparat, Imperialismus und 'Dritte Welt').

In Deutschland ist der bedeutendste organisatorische Träger des Opportunismus die SPD. Das Programm der Kommunisten muß entscheidende, für die Arbeiterbewegung verhängnisvolle Stationen der SPD ansprechen: die Haltung zum imperialistischen Krieg 1914, die Irreleitung und Unterdrückung der revolutionären Arbeiterkämpfe 1918-1923, die Verhinderung der antifaschistischen Aktionseinheit der Arbeiterklasse 1929-1933, die Hilfestellung bei der bürgerlichen Restauration nach 1945 und die Regierungsführung seit Ende der 60er Jahre. Dieser Abschnitt müßte dazu dienen, außen den 'Schrecken des Imperialismus' (Arbeitsplan, S. 26) sozusagen auch die Schrecken des Sozialdemokratismus deutlich zu machen.

An dieser Stelle hätte eine allgemeine Ausführung zum Vorgehen im Kampf gegen den Opportunismus zu folgen: daß die Kommunisten den Sozialdemokratismus als Agenten der Bourgeoisie auf keinen Fall verwechseln mit ihren sozialdemokratischen Klassenbrüdern, also unser Ringen um die Aktionseinheit der Arbeiterklasse bei gleichzeitigem unversöhnlichen Kampf gegen die sozialdemokratische Politik und Ideologie.

Hier wäre dann auch der Platz, auf den modernen Revisionismus einzugehen - zum einen als 'linke' Variante des Sozialdemokratismus in den kapitalistischen Ländern, und zum zweiten als Wegbereiter der bürgerlichen Restauration in jenen Ländern, wo das Proletariat schon die Macht erkämpft hat. Diese Entwicklung müßte vom Programm erläutert werden.

WIE MUSS DIE AUSEINANDERSETZUNG GEFÜHRT WERDEN?

Bekenntnisse zur Notwendigkeit der Auseinandersetzung um eine kommunistische Strategie und Taktik sind heute allgemein üblich. Würde der Fülle der bekenntnisse die Breite und Tiefe der Auseinandersetzung annähernd entsprechen, so stünde es glänzend um die Zukunft der kommunistischen und Arbeiterbewegung in unserem Land. Leider ist das aber durchaus nicht so, und zwar im Wesentlichen als eine Folge der Zersplitterung der kommunistischen Bewegung.

Die einfachste Voraussetzung einer Auseinandersetzung zwischen Kommunisten ist die Existenz einer kommunistischen Presse. Diese muß die Gegenstände der Auseinandersetzung behandeln und diese Auseinandersetzung muß von den Kommunisten verfolgt werden.

Wie sieht es mit dieser einfachsten Voraussetzung aus?

In der BRD gibt es vier Organisationen, die sich den Namen einer 'Kommunistischen Partei' zugelegt haben: die revisionistische DKP, ferner zwei 'KPD/ML's und die 'KPD'. Alle vier Organisationen geben eigene Zeitungen heraus, davon zwei (DKP und 'KPD') wöchentlich und eine ('Roter Morgen') vierzehntägig.

Weiter gibt es mehrere andere kommunistische Organisationen. Von diesen haben u.a. die 'Arbeiterzeitung' des Heidelberger NRF, die 'Kommunistische Arbeiterzeitung' der ABG München und der Freiburger 'Klassenkampf' vorwiegend den Charakter örtlich begrenzter Agitationszeitungen. Überörtliche Bedeutung haben gegenwärtig insbesondere der Hamburger ARBEITERKAMPF, die Bremer 'Wahrheit', das Heidelberger 'Neue Rote Forum' (das sich freilich als theoretische Zeitschrift in erster Linie an fortschrittliche Intellektuelle und organisierte Kommunisten wendet) und die 'Rote Fahne' des schwäbischen KABD.

Diese Zeitungen erreichen insgesamt immer noch nur einen sehr kleinen Kreis, verglichen mit der bürgerlichen Presse - zusammengenommen hat die kommunistische Presse noch nicht einmal die Auflage einer faschistischen Wochenzeitung wie etwa der 'National- und Soldatenzeitung'.

Die meisten Organisationen scheuen sich, die Auflagenhöhen ihrer Zeitungen zu 'verraten'. Die Gründe dafür sind nicht einleuchtend, da jedenfalls der Staatsapparat diese Zahlen wohl recht gut kennt (zumal viele dieser Zeitungen noch im bürgerlichen Lohndruck hergestellt werden).

Die höchste Auflage aller Zeitungen mit kommunistischem Anspruch hat zweifellos die 'UZ' der DKP, wahrscheinlich 60 - 90 000, wovon allerdings regelmäßig mehr als ein Drittel kostenlos verteilt wird.

Der 'Arbeiterkampf' hat seine Auflage seit Beginn seines Erscheinens vor einem Jahr erheblich steigern können, von 5 000 auf gegenwärtig 16 - 18 000.

An dritter Stelle folgt das 'Neue Rote Forum', das ebenfalls regelmäßig die Höhe seiner Auflage angibt und zuletzt (Oktober 1972) bei 12 000 stand.

Andere Auflagen sind nur zu schätzen. So dürften die 'Rote Fahne' der 'KPD' und die 'Wahrheit' des KBB knapp über 10 000 liegen, während wahrscheinlich von den übrigen Zeitungen keine mehr als 5 000 Stück Auflage hat.

Es liegt auf der Hand, daß die überwiegende Mehrheit der Kommunisten weder Zeit noch Interesse hat, die gesamte kommunistische Presse ? zwei Wochenzeitungen und ein halbes Dutzend Monatszeitungen - regelmäßig zu kaufen und durchzulesen. Erst recht ist klar, daß dies der unorganisierte, aber am Marxismus-Leninismus interessierte Arbeiter kaum tun wird.

Prüfen wir im Licht dieser Situation zwei häufig zu hörende Parolen von NRF/KBB: die Auseinandersetzung zwischen den Kommunisten müßte 'offen vor der Arbeiterklasse' geführt werden und sie müßte 'quer durch die Zirkel hindurch geführt' werden.

Zur ersten Parole: wir haben festgestellt, daß die kommunistische Presse immer noch nur einen sehr kleinen Teil der Arbeiterklasse erreicht und also im besten Fall nur dieser kleine Teil der Arbeiterklasse überhaupt Zeuge der Auseinandersetzung um eine kommunistische Strategie und Taktik wird. Ferner kriegt selbst dieser kleine Teil in der Regel nicht die ganze Breite der Auseinandersetzung mit, sondern im Wesentlichen nur den Standpunkt einer Organisation, deren Zeitung er regelmäßig liest.

Das liegt sozusagen 'in der Natur der Sache'. Bemerkenswert ist aber, daß NRF/KBB anscheinend ausdrücklichen Wert auf die Aufrechterhaltung dieses Zustands legen! In einem bösen Brief beschwerte sich nämlich vor einiger Zeit das NRF bei uns, weil am 1. Mai 1972 einige Genossen den ARBEITERKAMPF in Mannheim (das vom NRF als sein 'Jagdrevier' angesehen wird) verkauft hatten.

Dies - so das NRF - sei 'spalterisch' und 'verwirrend'. Den vollständigen Wortlaut des Heidelberger Briefes haben wir in UNSER WEG 16/17 (vgl. **.*.1972, d.Vf.) wiedergegeben. Dies zeigt klar, daß NRF/KBB zwar von 'offener Auseinandersetzung vor der Arbeiterklasse' gerne schwätzen, aber sehr erschrocken sind, wenn man sie beim Wort nimmt.

Zur zweiten Parole: eine Auseinandersetzung 'quer durch die Zirkel hindurch' erfordert, daß die Kommunisten auch die Zeitungen anderer Organisationen (zwar nicht alle, aber doch die bedeutendsten) regelmäßig zur Kenntnis nehmen und daß zwischen den Oranisationen in der Presse überhaupt erst ein Austausch und Kampf der Standpunkte organisiert wird. Damit liegt es jedoch sehr im Argen.

Hierzu nochmals Zahlen. In der Buchhandlung 'Arbeiterbuch' in Hamburg, die dem Kommunistischen Bund nahesteht, werden jeweils 7 - 800 Stück des Heidelberger 'Neuen Roten Forums' und 5 - 600 Stück der Bremer 'Wahrheit' verkauft.

Umgekehrt verkaufen das NRF in seinem Heidelberger Buchladen und der KB Bremen in seinem Buchladen nur je etwa 150 Stück vom ARBEITERKAMPF. Diese Zahl wurde vom KBB kürzlich gar auf 80 gesenkt. In einem ironischen Begleitbrief dazu hieß es: 'Das Interesse ist zurückgegangen'. (Warum wohl?)

Die Führer des KBB geben sich hier die biedermännische Maske des kleinen Krämers an der Ecke, der die 'sinkende Nachfrage' nach einem bestimmten Produkt achselzuckend zur Kenntnis nimmt. So möchten sie verdecken - was sie in Wahrheit wohl recht gut wissen - daß der überörtliche Verkauf der verschiedenen Richtungen der kommunistischen Presse eine politische Frage ist und die 'Nachfrage' nach Zeitungen anderer Richtungen von der Haltung der Führer und vom 'Klima' in den jeweiligen Organisationen bestimmt wird und daß sie geradezu ein Gradmesser für die politische Reife einer Organisation ist.

In einer Organisation wie dem schwäbischen KABD z.B. kann man von den Mitgliedern offen hören, daß sie nur das lesen, was ihre Führer ihnen verordnen. Der dem KABD nahestehende Buchladen in Stuttgart weigert sich in diesem Sinn auch, den ARBEITERKAMPF überhaupt zum Verkauf anzubieten. Ebenso wiegert sich der Buchladen der ABG in München, den 'Arbeiterkampf, dieses Trotzkistenblatt', zu verkaufen. (Der erste 'Boykott' gegen unsere Zeitungen wurde übrigens schon 1971 von einer Frankfurter Buchhandlung ausgesprochen, die damals der 'KPD/ML' - 'Roter Morgen' (KPD/ML-ZK, d.Vf.) gehörte).

In diesem Zusammenhang sind auch die KBB-Führer zu erwähnen. Als vor einigen Wochen in Bremen von unseren Genossen der ARBEITERKAMPF verkauft wurde, tauchte plötzlich Claus von Eitzen, Mitglied des ZK des KBB, auf und verkündete: wir sollten 'auf Beschluß des ZK des KBB' den Verkauf sofort einstellen. Als unsere Genossen natürlich weiter verkauften, wurde ein Mitglied des KBB hin dirigiert, der regelmäßig zu schreien hatte 'Die Zeitung der neuen Sozialdemokratie'. Interessant wäre zu wissen, ob die KBB-Führer auch den Verkauf anderer Zeitungen (z.B. der revisionistischen 'UZ' oder der super-'linken' 'Roten Fahne') in Bremen in ähnlicher Weise zu stören versuchen, oder ob nur der ARBEITERKAMPF sie zu solch schwachsinnigen Reaktionen reizt.

Es liegt bei der Führung, in 'ihren' Organisationen ein Klima zu schaffen, wo das Lesen kommunistischer Zeitungen (außer der eigenen) entweder direkt als ketzerisch verboten ist oder zumindest für Zeitverschwendung gehalten wird. Im einen wie dem anderen Fall ist das Kennenlernen und Vergleichen verschiedener Auffassungen über kommunistische Strategie und Taktik, d.h. die wortreich geforderte 'Auseinandersetzung quer durch die Zirkel', unmöglich.

WIE DIE NRF/KBB-FÜHRER DEN KB BEKÄMPFEN

Die Führer von NRF/KBB, die die Verbreitung des 'Arbeiterkampf' unter den Arbeitern ihres 'Reviers' verhindern wollen, setzen diese Art der 'Auseinandersetzung' in ihrer Presse konsequent fort.

Bevor wir die äußeren Erscheinungsformen dieser 'Auseinandersetzung' darstellen, muß etwas über die dahinter stehenden grundsätzlichen Vorstellungen von NRF/KBB und deren materielle Basis gesagt werden.

Im Arbeitsplan zum Programm heißt es: '…wir fordern nicht die organisatorische Unterordnung und Auflösung der bestehenden Organisationen (d.h. der 'Partein und der Zirkel - Anm. des AK) in die unsere, sondern wir kämpfen um die politische Anerkennung unseres Programms und unserer Taktik…' (S.40).

Wir wollen hier nicht auf die Frage eingehen, daß NRF/KBB zum Programm nur einen oberflächlich zusammengebastleten, unvollständigen Arbeitsplan haben und daß ihre Taktik überhaupt noch nicht fixiert ist, sondern bisher nur aus ihrer Politik zu rekonstruieren ist.

Uns geht es vielmehr um den Begriff der 'politischen Anerkennung' einer bestimmten Linie von Programm und Taktik. Dieser Begriff setzt voraus, daß MEHRERE Linien existieren, und daß eine von diesen die RICHTIGE ist. Welche das ist, muß sich dann nur noch im 'Kampf um die politische Anerkennung' herausstellen.

Diese Vorstellung verkennt aber den aktuellen Stand der kommunistischen Bewegung, wie er von den Bremer Führern selbst in besseren Zeiten einmal richtig beschrieben worden ist: aus dem Fehlen umfassender revolutionärer Erfahrung und gründlicher Kenntnis des wissenschaftlichen Sozialismus ergeben sich für die Kommunisten heute große Schwieirgkeiten, eine klare (korrekte) Linie herauszubilden ('Wahrheit' Juni/Juli 1972).

Wir gehen davon aus, daß es 'die korrekte Linie' - verkörpert durch eine 'Partei' oder einen der Zirkel - heute noch nicht gibt. Deshalb haben wir gesagt, daß diese Linie in der Dialektik der Auseinandersetzung und Zusammenarbeit zwischen den kommunistischen Organisationen zu erarbeiten ist.

Die Parole vom 'Kampf um die politische Anerkennung' hat ihre Basis in der Zersplitterung des Zirkelwesens und in seiner Isoliertheit von der Arbeiterklasse. Sie bedeutet eine Übertragung der Formen kapitalistischer Konkurrenz auf die kommunistische Bewegung. Der 'politische' Selbsterhaltungstrieb einiger Führer der Bewegung bildet die 'Hauptseite' bei der Durchsetzung dieser Parole.

Die Führer von NRF/KBB reden wie Kommunisten, aber sie handeln wie Kapitalisten, die eifersüchtig ihren 'Markt' verteidigen und 'Konkurrenten' auszuschalten trachten.

Die Führer von NRF/KBB schwätzen von 'offener Auseinandersetzung vor der Arbeiterklasse'. Aber die bekanntmachung der Arbeiter ihres 'Reviers' mit den Zeitungen anderen kommunistischer Gruppen würden sie gern verhindern, wenn sie könnten.

Auch in ihren Zeitungen setzen sie sich mit dem Kommunistischen Bund gar nicht ernsthaft auseinander. So ist es typisch, daß die Bremer 'Wahrheit' es bis heute nicht geschafft hat, auch nur eine einzige Zeile aus dem 'Arbeiterkampf' vollständig wiederzugeben. Stattdessen erfährt der Leser bloß in indirekter Rede, was angeblich im ARBEITERKAMPF gestanden haben soll.

Meist wird dabei der wirkliche Standpunkt des Kommunistischen Bundes bis zur Unkenntlichkeit verdreht. Im Vergleich dazu zitiert der ARBEITERKAMPF ständig längere Passagen aus der 'Wahrheit' usw., um mit den Vorstellungen anderer Gruppen bekannt zu machen. Wir halten uns dabei an Lenin, der in seinen Artikeln immer wieder ausführlich in Zitat-Form die Auffassungen seiner Gegner wiedergab, bevor er sie widerlegte. Es ist ohne weiteres einsichtig, daß nur auf dieser Grundlage überhaupt eine ehrliche Auseinandersetzung möglich ist. Lenin schrieb:

'Die Polemik wird nur dann Nutzen bringen, wenn sie klarstellt, worin eigentlich die Meinungsverschiedenheiten in Teilfragen handelt, ob diese Meinungsverschiedenheiten ein Hindernis für die gemeinsame Arbeit in den Reihen ein und derselben Partei sind oder nicht…'

Für die aktuelle Polemik zwischen den Kommunisten ist dagegen bezeichnend, daß gerade diese Klarstellung über das Wesen und die Tiefe der Differenzen kaum vorgenommen wird. Und besonders die Führer von NRF/KBB sind traurige Meister in der Kunst, einen Streit um Formulierungen oder Nebensächlichkeiten als Wesen der Meinungsverschiedenheiten auszugeben. Ohnehin macht sich der größte Teil ihrer Polemik gegen den Kommunistischen Bund an Fälschungen und Verdrehungen fest.

Wo NRF/KBB nicht direkt zum Mittel der Fälschung greifen, da bringen sie den Standpunkt des Kommunistischen Bundes doch zumindest in einer diffamierenden Form ein.

Indem sie z.B. schreiben: 'Die Genossen (gemeint ist der Kommunistische Bund - Anm. des AK) jammern über die Stärke der Bourgeoisie', drücken sie sich zugleich um eine ernsthafte Diskussion dieser für die Arbeiterbewegung wichtigen Frage (NRF 4/5, 1972 (vgl. Okt. 1972, d.Vf.), S. 9). Aus einer Auseinandersetzung über das aktuelle Kräfteverhältnis im Klassenkampf machen sie eine moralische Frage. Dabei ist die Sache sehr einfach: der Kommunistische Bund jammert nicht über die relative Stärke der Bourgeoisie, aber er stellt sie fest. Da NRF/KBB diese Feststellung durch Tatsachen nicht widerlegen können, sticheln sie in der Manier von kleinen Kindern: 'Ihr seid ja bloß zu feige und traut euch nicht!'

Einen Höhepunkt hat diese Alberei in einem Beitrag des ZK des KBB erreicht, wo die ganze Politik des Kommunistischen Bundes auf die 'Kleinmütigkeit' seiner Führer zurückgeführt wird (NRF 6/1972 (vgl. Dez. 1972, d.Vf.), S. 10ff).

Die prinzipienlose Polemik von NRF/KBB gegen den Kommunistischen Bund hat Tradition. Sie ist überhaupt eines der wichtigsten Bänder, das diesen Zirkelblock zusammenhält. Im Arbeitsplan zum Programm vertseckt sich dieser Tatbestand hinter folgendem Satz:

'Seit dem gemeinsamen Auftreten der kommunistischen Zirkel in der Metalltarifrunde (MTR, d.Vf.) 1971 haben wir in den Auseinandersetzungen mit einem allmählich sich herausbildenden System rechtsopportunistischer Politik die Gemeinsamkeit unserer Organisationen herausgearbeitet' (S.13). Oder in klarem Deutsch: die Führer von NRF/KBB haben ihre 'Gemeinsamkeit' im Kampf gegen den 'rechtsopportunistischen' Kommunistischen Bund 'herausgearbeitet'.

Sie behaupten, wir hätten unsere 'rechtsopportunistische' Politik erst almmählich herausgebildet. Mit dieser Lüge wollen vor allem die Führer des KBB ihre eigenen Schwankungen bemänteln. Nicht wir, sondern sie haben ihre Politik geändert, vor allem in der Faschismus-Frage ('unvorstellbar', daß die KBB-Führer im Herbst 1971 die SPD zum … (Zeile unlesbar, d.Vf*) Strauß aufforderten. Eine Begründung, eine Selbstkritik für ihr politisches Zick-Zack haben sie bis heute nicht geliefert.

Die Führer des KBB schreiben, sie hätten zunächst 'in einer gemeinsamen Front mit denjenigen Genossen' gestanden, 'die später den KB-Nord (den Kommunistischen Bund - Anm. des AK) gründeten… Die Widersprüche zu diesen Genossen, die heute in aller Schärfe hervortreten, waren damals noch völlig unentwickelt' (Arbeitsplan, S. 12). Erst durch die Gründung des Kommunistischen Bundes sei es zum Bruch zwischen uns und den KBB-Führern gekommen (Arbeitsplan, S. 13).

Wieder eine Lüge. In Hamburg entstand die Gruppe des Kommunistischen Bundes durch einen Zusammenschluß des SALZ und des KAB. Hiervon war das SALZ eine relativ stark in den Betrieben verankerte Organisation, während der KAB eine kleine Gruppe war, die sich in erster Linie mit der Herausgabe einer politisch-theoretischen Zeitung befaßt (KAB-AZ).

Zum SALZ standen die Führer des KBB längst in alter Feindschaft, die ihren Ursprung offenbar in früheren Auseinandersetzungen um die 'Vormacht' in Norddeutschland hatte. Dagegen biederten sich die KBB-Führer beim KAB an, zogen die KAB-AZ zur Schulung im KBB heran und forderten den KAB auf, in Hamburg eine Konkurrenzorganisation zum SALZ zu schaffen.

Während der Aktionseinheit zahlreicher Zirkel zur Metall-Tarifrunde 1971 gingen dann die KBB-Führer zum offenen Angriff gegen das SALZ vor. Der Gegenstand ihrer Polemik verrät die Prinzipienlosigkeit der KBB-Führer. Griffen sie doch damals das SALZ von rechts (!) an, warfen ihm 'Links'-Sektierertum (!) vor, weil es die Lohnforderungen der IGM-Spitze als zu niedrig kritisiert hatte. Damit sei das SALZ 'aus dem Kampf der Arbeiterklasse ausgestiegen', behaupteten die KBB-Führer. Das SALZ wolle so - man höre und staune! - 'die Gewerkschaft spalten'.

An diese Polemik hängten die KBB-Führer zugleich eine wilde Schimpfkanonade gegen das SALZ, in der 'Agentur der Bourgeoisie' und 'konterrevolutionären Machenschaften' des SALZ die Rede war.

Schließlich wurde noch zur Zerschlagung des SALZ aufgerufen.

Als diese Attacke in der gesamten Bewegung auf Ablehnung stieß, machten die KBB-Führer einen taktischen Rückzug und verfaßten eine heuchlerische 'Selbstkritik': sie hätten ein 'falsches Verhältnis zum SALZ' gehabt, die 'Diskussion vergiftet', eine 'kleinbürgerliche Linie' vertreten, die Prinzipien der kommunistischen Aktionseinheit verletzt, eine 'offene Provokation gegen das SALZ' begangen, eine 'sektiererische Haltung' eingenommen usw. usf.

In einer gemeinsamen Stellungnahme von SALZ und KAB zu dieser 'Selbstkritik' wurde richtig eingeschätzt: 'Die Wortführer des KB Bremen und des KB Göttingen sind diesmal völlig auf den Arsch gefallen, weil sie das Kräfteverhältnis falsch eingeschätzt hatten… Das hat sie offenbar veranlaßt, ihren Angriff vorerst abzublasen und den Rückzug anzutreten. Sie scheinen die Hoffnung zu hegen, durch eine heuchlerische 'Selbstkritik', scheinheilige Bekenntnisse zur Aktionseinheit und gespielt 'reumütige' Vorsprache bei … (Zeile unlesbar, d.Vf*) ein besuch der Führer des KB Göttingen bei den ABG München - Anm. des AK) sich erneut in die Aktionseinheit einschleichen zu können, um bei günstiger Gelegenheit erneut vorzupreschen.' (21. september 1971, zit. nach KAB-AZ 11/12 (vgl. S9.*.1971, d.Vf.).

Inzwischen haben die KBB-Führer - mit stärkeren Verbündeten und besser vorbereitet als 1971 - zur alten Form der 'Auseinandersetzung' zurückgefunden.

Im Artikel des ZK des KBB zum Faschismus (NRF 6/72) wird nicht nur behauptet, der Kommunistische Bund hätte 'den Boden des Marxismus verlassen', sondern es ist gleich noch hinzugefügt, 'falls sie ihn je betreten haben'.

WARUM MUSS DIE AUSEINANDERSETZUNG VOR DER ARBEITERKLASSE GEFÜHRT WERDEN?

Die Führer des KBB haben vor längerer Zeit die gute Parole ausgegeben, die Auseinandersetzung zwischen den Kommunisten müßte 'offen vor der Arbeiterklasse' geführt werden. Sie warnten damals vor der Gefahr, 'daß der Kampf der Zirkel um die richtige Linie zum endlosen Sektengezänk entartet.'

Und weiter: '…diese Gefahr wird nur vermieden, wenn die Auseinandersetzung um die Strategie der westdeutschen Arbeiterbewegung offen vor der Arbeiterklasse geführt wird, und die Arbeiter lernen, daß es sich bei diesen Auseinandersetzungen um die Frage ihres Kampfes handelt, die nur entschieden werden können durch ihr eigenes revolutionäres Handeln.' (Wahrheit, Februar 1972, S. 6).

Von dieser Parole sind die Führer von NRF/KBB in der Praxis offen abgerückt. Im NRF ist das auch 'begründet' worden.

Im NRF 2/72 (Mai) ist der Vorschlag für ein 'gemeinsames theoretisches Organ verschiedener Gruppen' (des Zirkelblocks) gemacht worden. Die Genossen schreiben dort über ihre 'Arbeiterzeitung' (eine Zeitung, die sie vor Betrieben im Raum Mannheim/Heidelberg verkaufen):

'… es ist klar, daß wir in diesem Organ die Auseinandersetzung mit anderen Organisationen und Gruppen nur bgrenzt führen können, wenn die Auffassungen dieser Gruppen den Lesern in den fabriken nicht bekannt sind.' (S.17)

Diese Begründung ist nicht aufrichtig. Die NRF-Führer setzen sich ja gerade dafür ein, daß die Auffassungen anderer Gruppen den 'Lesern in den Fabriken' (d.h. den Arbeitern) nicht bekannt werden sollen (s.o. 'Verkaufsverbot' für den ARBEITERKAMPF). Ehrlicherweise müßten die NRF-Führer schreiben: 'Wir wollen in der 'Arbeiterzeitung' die Auseinandersetzung mit anderen Gruppen nur begrenzt führen, und deshalb wäre es uns am liebsten, wenn die Auffassungen anderer Gruppen 'unseren Lesern' gar nicht erst bekannt würden.

Daß sie dies meinen, wird außer … (Zeile unlesbar, d.Vf*) schlag deutlich: die Auseinandersetzung nicht 'wahllos in die Arbeiterklasse hineinzutragen' (!), sondern sie in einem 'gemeinsamen theoretischen Organ' erst zu 'sichten'. Als ob ein theoretisches Organ nicht ebenso gut wie eine 'Arbeiterzeitung' Plattform für demagogisches Gezänk sein kann.

Die Konsequenz dieses Vorschlages müßte tatsächlich sein: 'Reviere' abzustecken, wo nur jeweils eine lokale Gruppe ihre Zeitung verbreitet. Daneben ein 'gemeinsames theoretisches Organ', in dem sich die Auseinandersetzungen abspielen.

Eine Kommission hätte dann zu entscheiden, welche Bestandteile der Auseinandersetzung den 'Massen' bekannt gemacht werden dürfen, ohne daß sie vielleicht 'verwirrt' werden.

Dabei stellen die NRF-Führer die Dinge auf den Kopf. Was von den kommunistischen Organisationen tatsächlich 'wahllos in die Arbeiterklasse hinein' getragen wird, sind die massenhaften Flugblätter von zig Zirkeln, die 'wahllos' jedem vorbeigehenden Kollegen in die Hand gedrückt werden. Das schafft wirklich Verwirrung, das schadet den Kommunisten - ohne daß wir freilich einen Patent-Vorschlag angeben könnten, wie diese Lage zu ändern ist (Einführung einer 'Obersten Zensurbehörde', die darüber entscheidet, welche Flugblätter verteilt werden dürfen?).

Wenn dagegen ein Arbeiter eine kommunistische Zeitung KAUFT, so offenbar deshalb, weil er wissen will, welche Auffassung die Kommunisten zu bestimmten Fagen haben, welche speziellen Vorstellungen dieser oder jener Zirkel zu ieser oder jener Frage vertritt usw.

Die kommunistischen Zeitungen werden also nicht 'wahllos in die Arbeiterklasse hinein' getragen, sondern sie wenden sich an einen bestimmten Kreis von Arbeitern, der etwas über kommunistische Politik wissen will. Diese eile der Arbeiterklasse, die mit den Lesern einer theoretischen Zeitschrift icht gleichzusetzen sind, erwarten, daß in den kommunistischen Zeitungen uch die Auseinandersetzungen ehrlich dargestellt werden.

Zu diesen Gesichtspunkten bemerken die NRF-Führer: 'Es hat wenig Sinn, gegen den Vorschlag eines gemeinsamen theoretischen rgans… einzuwenden, die Auseinandersetzung finde hier nicht vor der rbeiterklasse statt. Gegenwärtig findet die Auseinandersetzung so statt, daß elbst unter den Kommunisten nur Spezialisten einen Überblick haben…' (NRF 2/1972, S. 17)

Wir haben oben gezeigt, welche Einschränkungen heute gegen die Parole der 'offenen Auseinandersetzung vor der Arbeiterklasse' zu machen sind: nur ein kleiner Teil der Arbeiter liest kommunistische Zeitungen und kriegt außerdem nur einen kleinen Aspekt der Auseinandersetzung mit. Die ganze Breite der Auseinandersetzung ist tatsächlich nur von 'Spezialisten' noch zu erfassen.

Nehmen wir aber aus der Fülle den 'relevanten' (für die Arbeiterbewegung bedeutsamen) Teil der Auseinandersetzung, so verkleinert sich das Feld merklich. Die zwei wichtigsten politischen Zeitungen - den ARBEITERKAMPF und die Bremer 'Wahrheit' - einmal im Monat zu lesen ist ohne weiteres möglich.

Hierzu kommen die gelegentlichen Artikel der 'Roten Fahne' ('KPD') zu ideologischen Fragen, ferner einige Artikel des NRF, eventuell die Kölner 'tup'. Es braucht jedenfalls keine 'Spezialisten', um das Wesen der Auseinandersetzung zu begreifen und die Standpunkt der 'relevanten' Gruppen zu vergleichen.

… (Zeile unlesbar, d.Vf*) NRF/KBB-Führer das Märchen von den 'Spezialisten' brauchen, um ihre eigene Existenz abzusichern. Sie wollen ja gerade verhindern, daß sich möglichst VIELE Mitglieder 'ihrer' Organisationen und möglichst VIELE Arbeiter zu solchen 'Spezialisten' entwickeln, die selbständig verschiedene Standpunkte innerhalb der kommunistischen Bewegung kennenlernen, miteinander vergleichen und auf dieser Grundlage politisch tätig werden."

Dieser Artikel wird u.a. diskutiert in:
- NRW in Dortmund im Projektbereich Gesamthochschule (PGH - vgl. März 1973).
Quelle: Arbeiterkampf, Jg. 3, Nr. 25, Hamburg, Jan. 1973

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