Sowjetunion: Der Breschnew-Besuch in Bonn vom 18. bis 22. Mai 1973

Materialien zur Analyse von Opposition

Von Jürgen Schröder, Berlin, 1.2.2020


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Während die Kämpfe in Dortmund anläßlich des Breschnew-Besuchs die Aufmerksamkeit der Linken auf sich zogen, bot der Besuch in Bonn auch Anlaß zur genaueren Auseinandersetzung mit der Politik der und den Verhältnissen in der Sowjetunion.

Auszug aus der Datenbank "Materialien zur Analyse von Opposition" (MAO)

18.05.1973:
Heute beginnt das Treffen zwischen Breschnew und Brandt, welches bis zum 22.5.1973 dauern soll.

Die DKP Hochschulgruppen Hamburg berichten:"
Vom 18. - 22. Mai 1973 hält sich der Generalsekretär der KPdSU zu Besuch in der BRD auf. Diesen Besuch betrachtet die DKP als wichtigen Meilenstein auf dem weiteren Weg zu wirklichem Frieden und einer dauerhaften Freundschaft mit dem sowjetischen Volk.

Die arbeitende Bevölkerung der BRD wünscht diesen Frieden und vor allem diese Freundschaft, denn sie hat in der Vergangenheit immer am härtesten erfahren, daß Antisowjetismus und Antikommunismus einmünden in Terror, Krieg und Vernichtung. Nichts hat das deutsche Volk so teuer bezahlen müssen wie den Antisowjetismus, in den es durch die herrschende Klasse getrieben wurde.

Der Aufbau der BRD unter Adenauer und den USA war gekennzeichnet durch eben diesen Antisowjetismus und durch die Aggression gegen die sozialistischen Staaten. Die Restauration des Kapitalismus in der BRD drohte die Arbeiterklasse in einen neuen Krieg gegen ihre Klassenbrüder, die Arbeiterklasse der sozialistischen Staaten, zu führen.

Doch das ständig stärker werdende sozialistische Weltsystem auf wirtschaftlichem Gebiet und der zielstrebige Kampf der demokratischen Kräfte der BRD zwangen ihr und den anderen kapitalistischen Staaten die Bedingungen der friedlichen Koexistenz auf:
Anerkennung der bestehenden Grenzen, Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des anderen Staates, Handelsaustausch, Zusammenarbeit auf wissenschaftlichem und technischem Gebiet.

Wofür in den fünfziger und Anfang der sechziger Jahre noch Kommunisten, Sozialisten und andere engagierte Demokraten in Gefängnisse gehen mußten, ist jetzt normaler politischer Alltag.

Die Verträge von Moskau und Warschau, für die Zehntausende der arbeitenden Bevölkerung auf die Straßen gingen, sind verabschiedet, der Grundlagenvertrag mit der DDR liegt dem Bundestag zur Verabschiedung vor.

Die defensive Stellung des Imperialismus zeigt sich ganz klar in Westeuropa und in Indochina.

Doch seien wir wachsam. Auch wenn den kapitalistischen Staaten Zugeständnisse abgenommen werden konnten, heißt das noch lange nicht, daß der Imperialismus seine grundsätzlich aggressive Stoßrichtung aufgegeben hat. Die jüngsten Ereignisse in Indochina beweisen es: In Südvietnam foltert Thieu Zehntausende von oppositionellen Kräften, die er 'Kommunisten und andere Kriminelle' nennt. Die USA weigert sich, die Minenräumungen vor Nordvietnam fortzusetzen. DREI GANZE Minen haben sie bisher geräumt.

Kambodscha und Laos werden von US-Bombern mit einem todbringenden Bombenregen überschüttet, der die Bombardements im Dezember 1972 auf Vietnam übersteigt. Amerikanische Militärberater leiten die Aktionen in Laos und Kambodscha und Thieus Truppen operieren in Kambodscha.

Das sind Zahlen und Fakten, die dem sich bieder und friedlich gebenden US-Imperialismus die Maske vom Gesicht reißen.

Sie zeigen uns, daß Verträge mit den Imperialisten nichts als ein Fetzen Papier sind, wenn wir, d.h. die demokratische Bewegung, die herrschende Klasse nicht zum Einhalten der Abkommen zwingen.

Wir müssen, um die Verträge von Moskau und Warschau, und den Grundlagenvertrag mit Leben zu erfüllen, alle demokratischen Kräfte auffordern, für eine Weiterentwicklung der Entspannung mit den sozialistischen Staaten einzutreten.

Durch diese Abkommen sind Voraussetzungen geschaffen worden für eine wirksame Abrüstung in Westeuropa und auch in den USA.

Doch stattdessen steigert die BRD die Ausgaben für den Rüstungshaushalt noch mehr. Alle anderen gesellschaftlichen Bereiche sind unterentwickelt: die Gesundheitsfürsorge ist mangelhaft, Anzahl und Ausstattung der Kindergärten ist mangelhaft und sie stehen auf Grund ihres hohen Tagessatzes in erster Linie den Kindern gutsituierter Eltern zur Verfügung, in den Schulklassen drängen sich 40 bis 50 Kinder, die Studenten werden durch den NC vom Hochschulstudium ausgeschlossen, der zweite Bildungsweg (ZBW, d. Vf.) wird langsam aber sicher eingefroren.

FÜR DIE SENKUNG DES RÜSTUNGSHAUSHALTES

Die DKP fordert von der Bundesregierung, den Rüstungsetat abzubauen zu Gunsten anderer gesellschaftlicher Bereiche. Sie kann die Arbeiterklasse der BRD nicht mehr mit dem Argument des kalten Krieges, der 'Weltkommunismus' bedrohe die Sicherheit der BRD, verschaukeln.

Seit der Existenz des ersten sozialistischen Staates, der UdSSR, haben seine Vertreter, angefangen bei Lenin, die Politik der friedlichen Koexistenz propagiert und unter Beweis gestellt, daß nicht Krieg, sondern Frieden im Lebensinteresse des Sozialismus liegt.

Jetzt sind den imperialistischen Mächten die Bedingungen der friedlichen Koexistenz aufgezwungen, und sie können nicht länger verhehlen, daß der gesamte militärisch-industrielle Rüstungskomplex nur dem Profitinteresse der Monopole dient, und sie im geheimen noch immer die Aggression gegen den realen Sozialismus planen.

Doch dem steht die gesamte demokratische Bewegung der BRD entgegen. Sie fordert schrittweise Abrüstung, einen wirksamen Beitrag zur europäischen Sicherheitskonferenz und Freundschaft, nicht nur formale Beziehungen, mit dem sowjetischen Volke.

Der Betriebsratsvorsitzende von Siemens Werk München (IGM-Bereich - dort existieren allerdings eine ganze Reihe von Siemens-Werken, d. Vf.), Walter Weber, sagte: 'Ich denke, daß durch den Besuch Breshnews die europäische Sicherheitskonferenz vorangetrieben wird, mit dem Ergebnis, den Frieden in Europa zu sichern und die Rüstung zu reduzieren.' Mit ihm begrüßten viele Gewerkschaften und Persönlichkeiten der demokratischen Öffentlichkeit den Besuch Leonid Breshnews als einen weiteren Beitrag der Sowjetunion zum Frieden.

Doch die Demokraten unseres Staates fordern nicht nur die konsequente Fortführung der Entspannung nach außen, sondern auch die Entspannung im Innern.

GEGEN ANTIKOMMUNISMUS UND BERUFSVERBOTE (BV, d. Vf.)

Nachdem die Verträge geschlossen waren, lief eine unglaubliche Kampagne gegen alle Demokraten, um jede Forderung nach konsequenter Verwirklichung der Verträge und Demokratie im Innern zu unterdrücken.

Berufsverbote bedrohen Kommunisten, Sozialdemokraten, engagierte Christen und andere Demokraten, Arbeitervertreter werden aus Betrieben gefeuert, der Antikommunismus blüht in der bürgerlichen Presse mehr denn je, Springers Welt und Bild hetzen gegen Arbeiter und Studenten, berichten in Lügen und Diffamierungen über die sozialistischen Staaten.

Die Rechten, angefangen bei Strauß bis zu den Neofaschisten, formieren sich wieder, um Sturm zu laufen gegen die berechtigten Forderungen der arbeitenden Bevölkerung.

Die Angriffe auf die materielle Existenz der arbeitenden und lernenden Bevölkerung werden schärfer: steigende Preise, Mieterhöhungen, Bodenspekulation, Steuererhöhungen und Maßhalteappelle der Bundesregierung bei Lohnforderungen.

Die DKP und mit ihr die demokratischen Kräfte fordern, die antikommunistische Hetze einzustellen und den Ministerpräsidentenerlaß aufzuheben. In Bonn den höchsten Repräsentanten der kommunistischen Partei der Sowjetunion zu empfangen und in Hamburg Kommunisten verfolgen zu lassen: das paßt nicht zueinander.

Die DKP fordert von der Bundesregierung unverzüglich Kontrolle der Miet- und Bodenpreise, Preisstopp in allen Bereichen, wirksame Kontrolle der Monopole, Beschneidung der Profite der Großkonzerne - Nur so werden Inflation und andere Angriffe auf die Lebensinteressen der Arbeiterklasse unterbunden."

Die IGBE kündigte am 15.5.1973 an:"
WENN LEONID BRESCHNEW KOMMT

ANMERKUNGEN ZUM BESUCH DES SOWJETISCHEN PARTEICHEFS IN BONN

Ein großes Ereignis wirft seine Schatten voraus. Alle Welt spricht über den bevorstehenden Besuch Leonid Breschnews in Bonn. Nun steht endgültig fest, daß der sowjetische Parteichef vom 18. bis 22.Mai in der Bundesrepublik sein wird.

Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Aber nicht weniger hohe Wellen schlugen die Mutmaßungen über die voraussichtlichen oder erwünschten Ergebnisse dieses Besuches.

Die Bundesregierung spricht davon, daß diese erste Reise einen sowjetischen Parteichef nach Bonn den Beginn einer neuer Phase in der Beziehung zwischen beiden Ländern markieren werde.

Das sowjetische Regierungsblatt 'Iswestija' läßt Arbeiter aus dem Ruhrgebiet zu Wort kommen, die versichern, daß der Besuch für die Bundesrepublik wie für die Sowjetunion von Nutzen sein werde.

Die Regierung wie die Arbeiter haben recht: Es kann nicht viele Deutsche geben, die nicht Freude darüber empfinden, daß die schlimmsten Zeiten des kalten Krieges endlich vorüber sind und damit auch die Haßgesänge, die das Klima in Europa so unheilvoll vergifteten.

Wenn eine Organisation, die sich den Namen KPD angeeignet hat, mit Gegendemonstratioen droht, so ist das wohl eher als eine kabarettistische Beigabe zum Besuchsprogramm zu verstehen.

In vier Tagen bleibt für den sowjetischen Parteichef nicht viel Zeit, Land und Leute kennenzulernen.

Dennoch wäre zu hoffen, daß Breschnew ein realistisches Bild der Bundesrepublik mit nach Hause nehmen könnte - eines Landes, das sich in seinen Vorzügen und Schwächen einem anderen Gesellschaftssystem verpflichtet weiß, das aber in der Sache des Friedens eine Sprache spricht, die überall verstanden werden kann.

Es hat lange gedauert, bis die Signale der Verständigung zu handfesten Ergebnissen geführt haben. Auf beiden Seiten war der Weg zu den Verträgen nicht einfach. Daß auch Breschnew mit Schwierigkeiten und Widerständen zu kämpfen hatte, wird an den personellen Veränderungen im Politbüro der KPdSU erneut deutlich.

Sie haben interessanterweise gerade jetzt zur Entmachtung der Entspannungsgegner geführt.

Beide Seiten haben erkannt, daß es zur Politik der Friedenssicherung keine Alternative geben kann. Jetzt geht es darum, aus dieser Tatsache die logischen Schlußfolgerungen zu ziehen. Die ersten Schritte zur Überwindung des Mißtrauens sind getan; weitere müssen folgen.

Noch immr steht die Sowjetunion wie ein waffenstarrender Koloß vor den Augen der Europäer. Sie hat ihre Panzerverbände in den letzten Jahren gewaltig verstärkt.

Auf östlicher Seite stehen heute rund 24 000 Panzer.

Die Zahl der Panzer, die seit 1967 neu in Mitteleuropa stationiert wurden, entspricht nach Berechnungen von Experten dem gesamten NATO-Bestand an Panzern. Das Verhälnis der Panzer auf beiden Seiten beläuft sich auf eins zu drei zugunsten des Warschauer Paktes (WP, d. Vf.).

Dieser beängstigende militärische Aufmarsch im Osten veranlaßt den Bundeskanzler zu der Feststellung, 'daß man sich dort in der falschen Richtung bewegt'.

Im Schatten dieses Übergewichts kann es eine dauerhafte Verständigung nicht geben.

Rüstungsbegrenzung und Truppenverminderung stehen daher obenan auf der Tagesordnung der Friedenspolitik. Ein klares Wort in dieser Richtung wäre Breschnews bestes Geschenk."

Die anarchistische 'Befreiung' (vgl. Juni 1973) veröffentlicht dazu ein Plakat "höre, Breschnew: der Sozialismus wird frei sein oder er wird nicht sein!" , mit einem Auszug aus "Das Manifest des Menschen" von Jurij Galanskov und auf der Rückseite dem Bericht "Breschnew in Bonn".

In Bayern meint der AStA der LMU München (vgl. 25.5.1973) in einem Artikel 'Zur Kritik der politischen Ökonomie der Sowjetunion' u.a.:"
Gegen das Aufzeigen des Scheiterns der KPDSU, den Kapitalismus zu überwinden, ist nichts einzuwenden".

Berichtet wird auch in:
- Baden-Württemberg durch die KG (NRF) Mannheim / Heidelberg (vgl. 17.5.1973).
- durch die KG Hamburg (vgl. 24.5.1973).
- in Hessen durch die KSO Giessen (vgl. Mai 1973).
- in Niedersachsen durch den KSB Göttingen (vgl. 3.5.1973), den KB Hildesheim (vgl. 21.5.1973) und die KSG Oldenburg (vgl. 18.6.1973).
- in Nordrhein-Westfalen durch die Kommunistische Hochschulinitiative (KHI) Bochum (vgl. 25.5.1973) und die Kommunistische Gruppe Köln (KGK - vgl. Mai 1973).
- Schleswig-Holstein durch den Mensafunk Kiel (vgl. 17.5.1973).
Quellen: Arbeiterpresse Nr. 5, Köln Mai 1973, S. 1ff; Arbeiterzeitung Nr. 4, Hildesheim Mai 1973, S. 5;Arbeiter-Zeitung Extra Breiter Kampf für sofortige Lohnerhöhung!, Mannheim 17.5.1973, S. 2;Befreiung, Mülheim Juni 1973, Beilage;Einheit Nr. 10, Bochum 15.5.1973, S. 3;Hamburger Arbeiterzeitung Nr. 2, Hamburg 24.5.1973, S. 7f;Kommunist Extra Leonid I. Breshnew bei uns ein gerngesehener Gast, Hamburg O. J. (1973), S. 1ff;Kommunistische Arbeiterpresse KWU Nr. 25, Berlin 15.5.1973;Kommunistische Hochschulzeitung Nr. 1, Bochum Mai 1973, S. 11f;Kommunistische Hochschulzeitung Nr. 2/3, Giessen 1973, S. 17ff;Kommunistische Studentenzeitung Nr. 15, München Juni 1973, S. 18;Mensafunk Sendemanuskript, O. O. (Kiel) 17.5.1973, S. 4ff;Münchner Studentenzeitung Nr. 4, München 25.5.1973, S. 3ff;Roter Kurs Nr. 40, Göttingen 3.5.1973, S. 1ff;Schulkampf Nr. 4, Oldenburg Juni 1973, S. 1f und 17ff

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Letzte Änderung: 01.02.2020