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Frankreich:
Gauche Prolétarienne

Materialien zur Analyse von Opposition

Von Jürgen Schröder, Berlin, 9.11.2007

Die Gauche Prolétarienne (GP) ist sicherlich die berühmteste Gruppe des französischen 'Maoismus', auch wenn sie hier nur arg verkürzt dargestellt werden kann. In der Bundesrepublik und Westberlin scheinen die Freunde der GP vor allem in der Westberliner PL/PI organisiert gewesen zu sein, die mangelnde Kenntnis der französischen Sprache bildete ja für viele ein Hindernis die 'la cause du peuple' (CdP) zu rezipieren, so sie denn überhaupt irgendwo in den linken Buchläden erhältlich war, was ich jetzt aus den mir einsichtig gewesenen Sammlungen des APO-Archivs und den von mir besuchten Buchläden eher verneinen möchte.

So tritt die Gauche Prolétarienne hier nur als das linksradikale Spaltprodukt der UJC/ML auf (vgl. Juni 1968), welches auch in Belgien alte Freunde hat (vgl. 20.4.1970), daheim aber dem Verbot unterworfen wird (vgl. 27.5.1970).

Gauche proplétarienne demonstriert am 1. Mai 1969 im Pariser Stadtteil BellevilleAn der Bochumer Ruhruni wird die GP zwar vom KSB/ML der KPD/ML-ZK als durchaus grundsätzlich revolutionär erachtet, aber doch ob ihrer falschen Anschauungen arg gegeißelt (vgl. Juni 1970). Die konkurrierende KPD/ML-ZB beschreibt dagegen die Sommerspiele der GP (vgl. 8.6.1970), die polizeilicherseits eher unerwünscht scheinen (vgl. 26.6.1970). Die KPD/ML-ZK beschreibt abschließend für diese dürftige Dokumentenschau die historischen Vorbildern zu folgen scheinende Praxis der GP (vgl. Aug. 1970).


Auszug aus der Datenbank „Materialien zur Analyse von Opposition“ (MAO)

Juni 1968:
Von der französischen UJC/ML (vgl. Mai 1968) berichtet die KPD/ML-ZK:"
Nach dem Ende des Streiks und den Wahlen geriet die UJC/ML in eine schwere innere Krise. ... Es kam zu einer Kampf-Kritik-Umgestaltungs-Bewegung, die den ganzen Sommer 1968 über dauerte und mit der Spaltung der Organisation endete. Auf der einen Seite bildete sich eine Gruppe heraus, die aus der richtigen Linie der KPF/ML während der revolutionären Phase die Konsequenzen zog und sich ihr anschloß. Die Mehrheit dagegen schwenkte erneut um 180 Grad um und ging vom rechten zum linken Opportunismus über. ... Die Rest-UJC/ML, die sich nun 'Proletarische Linke' (Gauche Proletarienne) nannte, predigte nun den individuellen Terror. ... In der Organisationsfrage vertritt die 'Proletarische Linke' die Ansicht, die revolutionäre Partei des Proletariats bilde sich in den Massenkämpfen heraus."
=Roter Morgen Nr.7,Hamburg Aug. 1970

20.04.1970:
Das ZK der PCMLB Belgien (vgl. 29.6.1970), berichtet u.a. aus dieser Woche von der Universitäten-Fabriken-Union (UUU):"
Im Verlauf der letzten zehn Tage des Monats April haben die Studentendemonstrationen gegen das faschistische Regime Griechenlands die UUU ermuntert, die eine Zeitung herausgegeben hat, 'L'Insurge', von der bis jetzt eine einzige Nummer erschienen ist. Die Autoren dieses Artikels schrieben in einem 'ultra-linken' Stil, in einem 'Guerrilla'ton, der dem des 'Cause du Peuple' (der französischen Gauche Proletarienne - GP,d.Vf.) ähnlich ist."
=KSB/ML Freiburg:Zur Einheit aller Revolutionäre, besonders der Marxisten-Leninisten,Freiburg o.J. (1970),S.11

27.05.1970:
In Frankreich wird die maoistische Organisation 'Gauche Proletarienne' (GP) verboten. Von der KPD/ML-ZB heißt es dazu, daß es sich bei der GP (Proletarische Linke) um eine anarchistische Gruppe handele, die es offensichtlich seit dem Mai 1968 nicht vermocht habe Vertrauen unter der Arbeiterschaft Frankreichs zu gewinnen. Auch die, laut KPD/ML-ZB, sich in den folgenden Tagen entwickelnden harten Straßenkämpfe hätten nur noch wenig mit der Organisation selbst zu tun gehabt.
"Da die GP bisher keine organisierende Arbeit unter den Massen geleistet hat, sondern höchstens hier und da mal eine 'Aktion' gemacht hat, war sie auch jetzt nicht fähig, die Führung der Demonstrationen zu übernehmen".

Zu den politischen Inhalten dieser Gruppe, dem Konzept von der 'Nouvelle Resistance', dem Widerstand gegen die Besatzer, die nun nicht mehr die deutschen Nazis sondern die Kapitalisten sind, äußert sich die KPD/ML-ZB wie folgt:"
Daß bei dieser Pseudoanalyse jeder Funke von Analyse verloren geht, ist klar; ... . .... Eine strategische Linie läßt sich in den theoretischen Schriften der GP nicht finden. Auf allen 'Praxisbereichen' machen sie kurze Attacken, hier mal für die Gastarbeiter, da für die kleinen Händler, gegen die Klassenjustiz, gegen Pressemanipulation usw., aber nirgends arbeiten sie kontinuierlich unter den Arbeitermassen."

Kopf der Zeitung „la cause du peuple“ (1971)
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Mit dem Verbot der GP befaßt sich, laut KSB/ML der KPD/ML-ZK, auch die KPF/ML (vgl. Juni 1970).
=Kommunistischer Nachrichtendienst Nr.4 und 10,Bochum 8.6.1970 bzw. 29.6.1970,S.* bzw. S.*

Juni 1970:
Frühestens im Juni gibt in Frankreich die KPF/ML ihre 'L' Humanite Nouvelle' Nr.8 (vgl. **.*.1970, **.*.1970) heraus, in der u.a., laut KSB/ML der KPD/ML-ZK an der Ruhruniversität Bochum (RUB) in NRW, auch folgender Artikel erscheint:"
ZUR GAUCHE PROLETARIENNE - REVOLTE ODER REVOLUTION?

Unsere Partei muß gegenüber der Gauche Proletarienne (GP) eine ernsthafte Haltung einnehmen und ein für allemal mit der prinzipienlosen Verdammung Schluß machen, die nur Maske theoretischer Ohnmacht ist. Unsere Haltung muß klar und kritisch sein.

Sie muß klar sein: denn die GP steht, was auch geschehen mag, im Lager der Revolution. 'Alles was der Feind bekämpft, unterstützen wir.' (Mao) Die GP wurde willkürlich vom bürgerlichen Staat, der sich auf dem Wege zum Faschismus befindet, am 27. Mai 1970 aufgelöst, man verstieß gegen ihre Pressefreiheit und verfolgte sie durch Verhaftung ihrer Mitglieder: im Kampf gegen diese politische Unterdrückung muß die GP unsere Unterstützung finden. Unsere Haltung muß jedoch auch kritisch sein: denn die Unterstützung gegenüber der Repression darf uns nicht daran hindern, das Konzept der GP von der Revolution in Frankreich einer revolutionären Kritik zu unterziehen. Damit wollen wir hier beginnen.

EINE PHANTASIEVOLLE ANALYSE DER LAGE

Umsonst wird man in der 'Cause du Peuple' (CdP) nach einer ernsthaften Analyse der nationalen und internationale Lage suchen. Stattdessen begnügt man sich mit der Wiederholung grundsätzlicher Wahrheiten von der Art 'Der Imperialismus geht seinem vollständigen Zusammenbruch entgegen.' Und wenn die von den chinesischen Genossen gewonnenen Grundsätze und Analysen nicht mit den Wünschen der GP übereinstimmen, dann werden sie eben 'zurechtgemacht'. So findet man die jüngste Erklärung des Vorsitzenden Mao vom 20.5.1970 leicht 'verbessert' in Nr.24 der CdP (vgl. **.*.1970,d.Vf.) wieder. Die glänzende
Feststellung des Vorsitzenden Mao 'Die VORHERRSCHENDE Tendenz ist die Revolution', worin die ungleiche Entwicklung der revolutionären Bewegung in der Welt sowie ihr Auf und Ab berücksichtigt sind, wird in der CdP zu: 'Die ALLGEMEINE Tendenz ist die Revolution', was eine wissenschaftliche Analyse der wirklichen Entwicklung der revolutionären Bewegung in der Welt mit ihren objektiven und subjektiven Faktoren einspart.

Sofort wendet man das auf Frankreich an: seit Oktober 1969 sind wir angeblich Zeugen einer 'ALLGEMEINEN Offensive des Industrieproletariats.' (Cahiers de la GP, S.12) (vgl. **.*.19**,d.Vf.). Aber nichts könnte falscher sein: denn wenn es auch eine Zunahme der Kämpfe gibt, so bleiben diese Kämpfe doch ISOLIERT. Sie drehen sich um Löhne und Arbeitstempo und widersetzen sich den Angriffen der Bourgeoisie, aber sie versammeln keinesfalls die ganze Klasse im Kampf, um die Zitadelle des Kapitalismus zu stürmen.

Über die Krise des Imperialismus lernen wir von der GP, 'daß man nicht glauben darf, daß das Wesen der Sache ökonomischer Natur ist' (Cahiers, S.20). Man darf nicht annehmen, eines Tages werde 'die große Wirtschaftskrise, in der der Kapitalismus sich selbst zerstört' eintreten. Ins Museum der Altertümer mit solch 'Verknöchertem Leninismus' (wörtlich!) wie wirtschaftliche Widersprüche des Kapitalismus, Marktprobleme, Überproduktionskrisen!

Nein! Das Wesen der Sache ist nach Meinung der GP nicht ökonomischer Natur, es liegt darin, daß 'die herrschende Klasse ihr POLITISCHES PRESTIGE verloren hat' (Cahiers, S.20). Zusammengefaßt:
'Das Wesen der Sache ist eben die ideologische Revolution' (S.21). Unsere Periode wird also folgendermaßen definiert: die Revolution ist allgemein, das Proletariat führt eine allgemeine Offensive durch, die Bourgeoisie sitzt in der Krise, weil sie ihr Prestige verloren hat, wir befinden uns in der Etappe der ideologischen Revolution, d.h. in der Etappe, in der die Idee der Revolution sich auf alle Volksschichten ausdehnt. Daher die Tagesaufgaben:
'den antidespotischen Kampf in den Fabriken führen und ihn mittels der Guerrilla bis zur Volkserhebung ausweiten.'

EINE KONFUSE STRATEGIE UND EINE OPPORTUNISTISCHE TAKTIK

Kopf der Zeitung „la cause du peuple“ (1971)
Bild vergrößern la parole au peuble - journal maoiste

Die bürgerlichen Ideen der Klassenkollaboration und des sozialen Friedens, die hauptsächlich von den Revisionisten verbreitet werden, treten immer mehr in Widerspruch zu der immer elenderen Lage der Arbeiter im Leben und in der Fabrik. Zahlreiche Arbeiter kommen soweit, daß sie den Revisionismus in der Praxis ablehnen und harte Kampfformen gegen die Unternehmer wählen, wobei sie an eine sehr gute Tradition der französischen Arbeiterbewegung anknüpfen und sie verallgemeinern: die Revolte gegen die Vorarbeiter, der Boykott des Bandtempos oder die Sabotage. Die Revolutionäre können es nur begrüßen, wenn die Arbeiter die Bullen in ihrem Büro einschließen. Aber was soll man daraus für Aufgaben unsererseits ableiten?

Verschiedene Antworten sind gegeben worden:
- die der Marxisten-Leninisten, unserer Partei, der KPF/ML: daran arbeiten, daß die spontane Arbeiterbewegung mit dem Marxismus, dem Leninismus und den Maotsetungideen verschmilzt; die Arbeiterklasse dem Revisionismus entreißen, indem man ihre fortschrittlichsten Elemente in der Partei organisiert und indem man unter den Massen die Wahl- und Legalitätsillusionen bekämpft. Der Arbeiterklasse von neuem das Instrument ihrer Befreiung, die politische Partei des Proletariats geben, das heißt: der Klasse von neuem das klare Bewußtsein ihrer historischen Mission zu geben, die sozialistische Revolution zu führen. Das ist die augenblickliche Aufagbe. Ebenso, ihr das Kampfinstrument für die Tageskämpfe und die Verbindung aller Schichten der Klasse geben, die Rote Gewerkschaft, die einheitliche Gewerkschaftszentrale des Klassenkampfes (centrale syndicale unique de lutte de classe) dadurch, daß der Weg zur Entwicklung der Betriebs-Basisgruppen (comitees de base d'usine) und ihrer Vereinigung in Arbeiterräten (conseils ouvriers) gewiesen wird.

- Anders die Antwort der kleinbürgerlichen Intellektuellen, die mit dem Wunsch, die Revolution zu machen, die Erscheinungen des täglichen Klassenkampfes in den Betrieben entdecken und darüber zunächst in Staunen geraten ('die Idee der revolte ist neu in Europa', Cahiers, S.21) - die sich dann einbilden, sie hätten das entscheidende Kettenglied zum Zerbrechen der kapitalistischen Kette gefunden. Ihre Aufgabe besteht dann darin, die spontanen Kämpfe der Arbeiter zu preisen und zu beschreiben. Das ist im Grunde die Haltung der GP.

DAS STRATEGISCHE ZIEL DER GP IST KONFUS

Den Sozialismus als das große Glück, als 'Brot und Rosen' (Leitartikel CdP Nr.18) (vgl. **.*.1970,d.Vf.) zu betrachten, gehört zur vereinfachenden Tradition des Anarchismus und des utopischen Sozialismus: man hängt alle Unternehmer einfach auf und ist dann glücklich. Diese Tradition drückt zwar die tiefe Sehnsucht der Massen nach einer radikalen Änderung aus, bleibt aber im Schlepptau der Bewegung der Revolte. Das Scheitern der Kommune sollte genügen, um uns ins Gedächtnis zurückzurufen: um den Sieg zu erringen, ist ein gnadenloser Krieg Klasse gegen Klasse notwendig, der von einer kommunistischen Partei als Instrument der Diktatur des Proletariats geführt werden muß.

Aber vergeblich sucht man in der CdP nach Artikeln über unser strategisches Ziel, über die proletarische Revolution und die Errichtung des Sozialismus in Frankreich. Selten findet man darin Artikel über China und Albanien. Wie soll man dieses Schweigen über die Diktatur des Proletariats erklären? Gilt auch für die GP, daß 'die Bewegung alles bedeutet, das Endziel nichts'? Was bedeutet dieses 'Vergessen'? Solches Vergessen hat in der Politik immer eine Bedeutung.

'Jegliche Aktivität einer revolutionären Partei ist die Durchführung ihrer Politik. Führt sie keine richtige Politik durch, dann betreibt sie eben eine falsche; FÜHRT SIE EINE BESTIMMTE POLITIK NICHT BEWUSST DURCH, DANN TUT SIE DAS BLINDLINGS.' (Mao)

Dieses Vergessen bedeutet, daß die GP in Wahrheit die Diktatur des Proletariats ablehnt:
- was in der Praxis zu einer Manipulation der Massen führt, denen man das strategische Ziel nicht erklärt;
- was das Zurückprallen vor dieser scharfen Form des Klassenkampfes bedeutet (aus kleinbürgerlicher Angst), der von der Arbeiterklasse, der einzigen bis zum Ende revolutionären Klasse, geführt werden muß;
- was aus Demagogie geschieht, um nicht die möglichen Bündnispartner abzuschrecken, die mithelfen sollen, 'Volksfrankreich aufzubauen';
- was nichts als die Fortsetzung der Thesen der ehemaligen UJC/ML gegenüber der politischen Partei des Proletariats bedeutet, die ja gerade das Instrument dieser Diktatur darstellt;
- was nur die Anmaßung einer besonderen Fraktion revolutionärer Intellektueller darstellt, die revolutionäre Bewegung anzuführen."
=Rote Zelle Nr.1,Bochum Nov. 1970,S.12ff

08.06.1970:
In Paris kündigt Alain Geismar auf einer Massenversammlung der am 27.5.1970 verbotenen Gauche Proletarienne (GP), laut KPD/ML-ZB, eine 'Sommer-Großaktion gegen die Ferien der Bourgeoisie' an, die Kommandounternehmen gegen Spielkasinos, Banken, Hotels und 'Blitzbesetzungen' exklusiver Strände beinhalten soll.
=Kommunistischer Nachrichtendienst Nr.10,Bochum 29.6.1970,S.*

26.06.1970:
In Frankreich wird Alain Geismar, der Führer der verbotenen 'Gauche Proletarienne' (GP), laut KPD/ML-ZB, von der Polizei verhaftet.
=Kommunistischer Nachrichtendienst Nr.10,Bochum 29.6.1970,S.*

August 1970:
Die KPD/ML-ZK gibt die Nr.7 ihres 'Roten Morgens' (vgl. Juni 1970, Sept. 1970) heraus.
Im Artikel "Die 2. Juni-Bewegung" wird auch auf Frankreich eingegangen. Die KPF/ML trete für die Gründung von Basisgruppen als Keimzellen einer roten Gewerkschaft ein, während GP die sozialistische Revolution als umfassende Kulturrevolution verstehe. GP begreife sich als 'neue Resistance' (Widerstandsbewegung gegen die Nazibesatzung,d.Vf.) und organisiere Überfälle auf Unis, Rathäuser und zusammen mit algerischen Arbeitern auch auf Wohnbaracken.
=Roter Morgen Nr.7,Hamburg Aug. 1970


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