Neues Beginnen, Jg. 1, Nr. 1, Hamburg, April/Mai 1969

April 1969:
In Hamburg erscheint die Nr. 1 der Zeitschrift "Neues Beginnen".

Einleitend heißt es unter "An die Leser": "Der gegenwärtige Kampf der studierenden Jugend gegen das, was man mit dem englischen Wort Establishment bezeichnet, ein Kampf, den man gut deutsch Empörung gegen veraltete Einrichtungen und festgesetzte Autoritäten nennen sollte, wird oft genug in so unzivilisierten Formen geführt, dass nicht nur politisch Indifferente sowie ignorante Zeitschriftsschreiber, sondern auch bekannte Politiker und Staatsmänner von Anarchismus sprechen, womit sie jegliche Art von Gewaltanwendung, soziale Unordnung, Organisationslosigkeit und antisoziale Aktionen schlechthin meinen. Eine solche oberflächliche Interpretation der anarchistischen Philosophie und Bewegung hat mit den klassischen Lehren von William Godwin, Joseph P. Proudhon, John Henry Mackay, Max Stirner, Peter Kropotkin und auch mit den sozialen Theorien Michael Bakunins, die keineswegs Unordnung, sondern eine föderalistische Ordnung von unten nach oben erstreben, nichts gemeinsam.

Wir freiheitliche Sozialisten und Anarchisten halten es angesichts der ideologischen Verwirrung im sozialistischen Lager für notwendig, die heutigen Zeitgeschehnisse in wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Erscheinungsformen und auch die modernen Entwicklungstendenzen im In- und Ausland, die die sozialen Probleme in neuem Licht zeigen, von einer freiheitlich-sozialistischen Warte zu beleuchten.

Im Geiste unserer früheren antiautoritären Zeitschriften 'Der Zeitgeist', 'Die freie Gesellschaft', 'Information' und 'neues beginnen' glauben wir genügend Resonanz zu finden, dass die erneute Herausgabe von 'neues beginnen' zu rechtfertigen ist".

Wir hoffen zugleich, den jungen Rebellen, die sich gegen das Bestehende, gegen das dringend notwendig Reformbedürftige auflehnen, zur geistigen Erkenntnis zu verhelfen, dass heute nicht unbedingt 'die zerstörende Lust zugleich eine schaffende Lust' darstellt und dass die so notwendige Umformung veralterter Institutionen die Sympathie von breiten Massen des Volkes zur Voraussetzung haben muss.

Es ist geradezu eine Irreführung der jungen Rebellen und Studenten, eine Verkennung der geschichtlich gegebenen Tatsachen, wenn Cohn-Bendit sagt: 'Anarchismus ist Aktion, sonst nichts, und aus dieser Aktion ergeben sich die neuen Aspekte für weitere Aktionen'.

Der Anarchismus strebt nicht nach Macht, sondern ist eine sozial-humanistische Bewegung.

Nichts wäre gewönnen, wenn bestehendes Unrecht beseitigt und gleichzeitig der Weg geebnet-wird für neues Unrecht, für drückendere Gewalt von unkontrollierten Minderheiten eines sogenannten Rätesystems, in welchem selbst ernannte Räte von gutgläubigen Studenten und machtlüsternen Demagogen die Diktatur ausüben würden. Darin würde letzten Endes die heutige Bewegung gegen das "Establishment" ausmünden, wenn es ihr gelänge, die alten Autoritäten zu stürzen. Das russische Beispiel der letzten fünfzig Jahre ist hierfür eine abschreckende Lehre. Es begann mit einer befreienden Revolution und endete mit einem der schlimmsten Unterdrückungssysteme der Weltgeschichte. In den Blättern "Neues Beginnen" werden wir den Standpunkt des freiheitlichen und humanitären Sozialismus und Anarchismus verteidigen".

Artikel der Ausgabe sind:
- "Solneman: Zeitgeist"
- "Über die Revolution"
- "RoSt: Der Staat
- "Augustin Souchy: Der freiheitliche Sozialismus der modernen Entwicklung"

Zudem werden auf der S. 1 biographische Daten zu: Gustav Landauer, John Henry Mackay und Rudolf Rocker veröffentlicht.
Quelle: Neues Beginnen, Jg. 1, Nr. 1, Hamburg, April/Mai 1969.

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