Die Antikriegstagsprozesse 1972 - 1980

Der Prozess gegen Klaus Singer

Materialien zur Analyse von Opposition

Von Dietmar Kesten, Gelsenkirchen

1974

Gegen einen Verteidiger der „Antikriegstagsprozesse 1972“, Jörg Lang, der auch Klaus Singer verteidigte, ergeht wegen „Beleidigung“ ein „Strafbefehl von über 1.000 DM“. Singer erhält vor Gericht ebenfalls einen „Strafbefehl von 1.000 DM ersatzweise 50 Tage Freiheitsstrafe.“ Der Grund dafür ist laut „Roter Morgen“: in Zweifel ziehen der „Anschuldigungen der Polizeizeugen“ (vgl. 23. März 1974; 6. Juli 1974).

Die „Berufungsverhandlung“ gegen Klaus Singer beginnt am 26.8., nachdem er in der ersten Instanz (vermutlich März 1974) zu 1 Jahr Gefängnis auf Bewährung verurteilt worden war. Gegen dieses Urteil legte Singer Berufung ein. Die KPD/ML fordert „Freispruch für Klaus Singer“ (vgl. 24. August 1974; September 1974).

Gegen Jörg Lang u. a. Verteidiger von Klaus Singer im „Antikriegstagsprozess 1972” soll am 16.9. in Ludwigsburg ein Prozess wegen „Unterstützung einer kriminellen Vereinigung“ stattfinden. Der Prozess gegen Singer wird am ersten Verhandlungstag abgebrochen (vgl. 7. September 1974).

1976

Die „Berufungsverhandlung“ gegen Klaus Singer beginnt im März 1976. Wegen „Beleidigung eines Polizeibeamten” wird Klaus Singer erneut angeklagt (vgl. 30. März 1976; 10. April 1976; 22. April 1976).

Im Mai 1976 wird das Urteil der Staatsanwaltschaft gegen Klaus Singer bestätigt: Wegen „Widerstands gegen die Staatsgewalt“ „1 Jahr Gefängnis auf Bewährung“ und „1.000 DM Geldstrafe“ (vgl. 8. Mai 1976).

1977

In Rüsselsheim findet eine „Solidaritätsveranstaltung“ der KPD/ML für Klaus Singer statt (vgl. 1. Juli 1977).

Eine weitere Veranstaltung der KPD/ML mit Klaus Singer findet im September in Wiesbaden-Biebrich statt (vgl. 3. September 1977).

Im Oktober des Jahres wird das Strafmaß vom Bayrischen Landgericht in München gegen Singer umgewandelt. Er erhält nun „1 Jahr Gefängnis ohne Bewährung“. In Rüsselsheim findet eine „Solidaritätsveranstaltung“ der KPD/ML für Klaus Singer statt (vgl. 14. Oktober 1977).

1978

Die „Revision gegen dieses Urteil wird abgelehnt“ (vgl. 5. Mai 1978).

Klaus Singer erhält im Juni „seine Ladung zum Strafantritt in der JVA Darmstadt“. 6 Jahre nach dem „RAKT 1972“ soll er nun seine Strafe absitzen (vgl. 30. Juni 1978).

Ab Dezember 1978 muss Singer für 1 Jahr ins Gefängnis. Die Staatsanwaltschaft wiederholt die Anklage gegen ihn: „Besonders schwerer Landfriedensbruch“, „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ und „Körperverletzung“ (vgl. 1. Dezember 1978).

1979

Die Rote Hilfe berichtet von der JVA Darmstadt, in der Klaus Singer seit 5 Monaten einsitzt, und fordert dazu auf, ihm „Solidaritätsgrüße“ zu senden (vgl. Mai 1979).

Auszug aus der Datenbank „Materialien zur Analyse von Opposition“ (MAO)

23.03.1974:
Im „Roten Morgen“, Nr. 12/1974, erscheint der Artikel: „Wer sich als Kommunist verteidigt, wird als Krimineller bestraft.“ Ausgeführt wird:

„Ende Februar wurde Klaus S. (Klaus Singer, d. Vf.) zu 1.000 DM Geldstrafe, ersatzweise 50 Tage Haft verurteilt, weil er ‘erfahrene Polizisten verleumdet und beleidigt‘ habe. Ort dieser ‘Polizistenbeleidigung‘: Ein Prozess im Sommer 1973, in dem Genosse Klaus S. wegen seiner Teilnahme an der Roten Antikriegstagsdemonstration 1972 zu mehreren Monaten Gefängnis verurteilt worden war.

In diesem, wie in allen anderen Antikriegstagsprozessen, waren Polizisten die einzigen Zeugen, die die Bourgeoisie für ihre zusammengezimmerten Anklagen auffahren konnte. Und allesamt wurden sie von den Genossen als Lügner entlarvt, wurde gegen sie und das bürgerliche Klassengericht die Wahrheit vertreten, für die am Roten Antikriegstag demonstriert worden war: Der reaktionären Gewalt der Bourgeoisie muss die revolutionäre Gewalt der Massen entgegengesetzt werden: Nur der Griff der Massen zum Gewehr schaff den Sozialismus her.

Die Bourgeoisie hatte gehofft, mit dem Terror ihres Justizapparates, die Niederlage, die sie am Roten Antikriegstag einstecken musste, wettmachen zu können. Aber die Kommunisten kamen nicht reumütig zu Kreuze gekrochen, sie machten die Antikriegstagsprozesse zu einer Tribüne für den Kampf gegen den Imperialismus. Und unfreiwillig gesteht die Klassenjustiz heute ein, dass ihre Niederlage auf den Straßen Münchens auch ihre Niederlage im Gerichtssaal folgte. Der Richter in seiner Urteilsbegründung gegen Klaus S. ‘… Der Angeklagte hat die ihm zur Last gelegten Äußerungen nicht zu seiner Verteidigung gemacht, sondern nur dazu, die Polizeizeugen zu Angeklagten und sich zum Ankläger zu machen …‘

Deshalb soll jetzt den Angeklagten, die sie nicht einschüchtern kann, mit terroristischen Mitteln der Mund verboten werden. So wurde zum Beispiel Gisela Herzog im Haus Voss Prozess jedes Mal Anzeigen angedroht, wenn sie im Gerichtssaal von der bewaffneten Revolution und der Diktatur des Proletariats sprach. Im Kieler Gewerkschaftsprozess waren die drei Angeklagten die ersten, die von der ‘räumenden‘ Polizei verprügelt wurden. Genosse Oßwald sollte mit einem Haftbefehl eingeschüchtert werden. In den RAF-Prozessen sind Genossen wiederholt gefoltert worden, weil sie dem Gericht die revolutionäre Wahrheit ins Gesicht geschleudert haben.

Die Bourgeoisie will mit diesem Justizterror erreichen, dass die Wahrheit des Marxismus-Leninismus unterdrückt wird, die sagt, dass dieser Staat mitsamt seiner Justiz ein Unterdrückungsinstrument in der Hand der Kapitalistenklasse ist. Sie erreicht das Gegenteil. Mancher, der vielleicht noch im Prozess selber der Meinung war, er könne das Gericht durch seine besseren Argumente überzeugen, wird spätestens bei der Strafanzeige, die ihm für seine Argumente ins Haus flattert, merken, dass gegen diese Justiz tatsächlich nichts als der revolutionäre Klassenkampf hilft.“
Quelle: Roter Morgen Nr. 12/1974, Dortmund, S. 7.

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06.07.1974:
Im „Roten Morgen“, Nr. 27/1974, erscheint der Artikel: „Prozess gegen Rechtsanwalt Lang. Fortschrittliche Rechtsanwälte sollen mundtot gemacht werden.“ Ausgeführt wird:

„Am 25.6.1974 begann vor dem Amtsgericht München ein Strafverfahren gegen Rechtsanwalt Lang wegen ‘Beleidigung‘ eines Münchener Staatsanwalts. Vorausgegangen war ein Strafbefehl über 1.000 DM, gegen den Rechtsanwalt Lang Einspruch eingelegt hatte.

Zum Prozesstermin waren rund 30 Zuschauer erschienen, 8 Rechtsanwälte verteidigten ihren Kollegen Lang. Nachdem ein Befangenheitsantrag gegen das Gericht gestellt worden war, wurden in der Beratungspause die Zuschauer aus dem Flur vertrieben, der Flur abgeschlossen. Der Prozess wurde vertagt.

Rechtsanwalt Lang selbst sagt in einer offiziellen Erklärung zu dem Prozess: ‘… Die unverschämte Anklage gegen mich hat das vordergründig folgenden Anlass: Am 11.10.1973 verteidigte ich vor Gericht einen der Demonstranten, die in zahlreichen Einzelverfahren wegen angeblichen Landesfriedensbruch angeklagt und brutal verurteilt werden. Diese Demonstranten hatten zum Roten Antikriegstag am 2.9.1973 in der Münchener Innenstadt gegen das Verschwendungs- und Notstandsspektakel der damaligen Olympiade im Besonderen und gegen den deutschen Militarismus und Imperialismus im Allgemeinen protestiert und sich dabei nicht an eine rechtswidrige Polizeiabsperrung gehalten.

In der Hauptverhandlung vom 11.10.1973 gegen meinen Mandanten Holger Hobrecker, trat der Pflichteifer des Staatsanwalts, um jeden Preis einen Kommunisten als Landesfriedensbrecher in die Strafanstalt zu schicken, besonders abstoßend zu Tage. Nicht einmal die als Zeugen gehörten Polizeibeamten hatten die Version der Anklage bestätigen können. Der von der Verteidigung benannte Zeuge Rosstäuscher hat darüber hinaus im Gegenteil unmissverständlich ausgeführt, dass am Ort des angeblichen Tatgeschehens lediglich die Polizei zur Säuberung der Fußgängerzone auf fliehende Demonstranten bzw. Passanten mit Gummiknüppeln eingeschlagen habe. Er habe noch hinter sich das typische Prasseln und Klatschen der Knüppel gehört.

Der Vertreter der Staatsanwaltschaft jedoch beantragte nach Schluss der Beweisaufnahme trotzdem die Verurteilung des Angeklagten wegen Landfriedensbruch. In seinen zynischen Ausführungen scheute er sich nicht, vor aller Öffentlichkeit die Dinge auf den Kopf zu stellen. Aus der Aussage des Entlastungszeugen Rosstäuscher ergebe sich nämlich, dass planmäßig geschlagen worden sei. Dies könnten jedoch nur die Demonstranten gewesen sein. Also beantragte er, den Angeklagten zu der Freiheitsstrafe von 10 Monaten ohne Bewährung zu verurteilen.

Diese unglaubliche Verdrehung griff die Verteidigung in ihrem Schlussplädoyer an das Gericht an. Wenn man die Aussagen des Zeugen Rosstäuscher wie der Staatsanwalt auf den Kopf stelle, um damit zu einer Verurteilung des Angeklagten zu kommen, so sei dies Beweis- und Rechtsbeugung. Diese Formulierung war eher zu mild, um die vom Staatsanwalt versuchte Verdrehung des Sachverhalts zurückzuweisen und um der Empörung des Angeklagten und auch der Öffentlichkeit Ausdruck zu verleihen.

Das Münchener Amtsgericht hatte es damals nicht gewagt, den Angeklagten wie vom Staatsanwalt beantragt, zu verurteilen. Jetzt aber wirkt es offenbar nur zu bereitwillig mit bei dem Versuch, den Angeklagten und seine Verteidigung vor Gericht überhaupt mundtot zu machen.

In den Verfahren wegen des Roten Antikriegstags wird ein Angeklagter vom Münchener Amtsgericht schon dann verurteilt, wenn er sich überhaupt verteidigt. So erhielt der Angeklagte Klaus Singer ebenfalls einen Strafbefehl über 1. 000 DM bzw. 50 Tage Freiheitsstrafe, weil er es wagte, die Anschuldigungen der Polizeizeugen als gezielte Unwahrheit zu bezeichnen und die Brutalitäten der Polizei, denen er selbst und seine Genossen ausgesetzt waren, vor Gericht anzuprangern.

Die Angeklagten des Roten Antikriegstags werden mit Haftbefehlen schikaniert. So musste der Angeklagte Kercher anderthalb Jahre lang sich jedes Wochenende dreimal bei der Polizei melden. Nachdem ich am 30.4. 1974 einen schweren Verkehrsunfall hatte und deshalb als Verteidiger meinem Mandanten Kercher mitteilte, der anstehende Termin vom 3.5.1974 werde nunmehr mit Sicherheit aufgehoben und er sollte sich die Fahrt nach München sparen, erließ das Amtsgericht wegen schuldhaften Ausbleibens des Angeklagten im Termin einen neuen Haftbefehl gegen ihn. Das ist nicht Rechtsstaat, das ist Terror.

Die Verteidigung wird in jeder Weise behindert. Einsicht in das vollständige Ermittlungs- und Beweismaterial wird mir bis heute verweigert, insbesondere in die angefertigten Filme, obwohl die Staatsanwaltschaft diese selbst in einen Teil der den selben Komplex betreffenden Verfahren einführt. Die einzelnen Akten sind nach Gutdünken der Staatsanwaltschaft zusammengestellt. Das Amtsgericht München deckt dieses Verfahren. Termine werden grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Verteidigung angesetzt.

Laufend wird die Öffentlichkeit im Verfahren ausgeschaltet. Im Verfahren gegen Klaus Kercher sangen in einer Verhandlungspause etwa 15 Zuschauer ein Solidaritätslied. Darauf wurden sie des Hauses verwiesen und als eine Gruppe erheblich später wieder zurücktrat, nach etwa einer Stunde ohne einen konkreten Grund von einem großen Polizeiaufgebot unter Anleitung der Staatsanwälte Emrich und Wahl willkürlich festgenommen und sämtlich erkennungsdienstlich behandelt.

Weil ich diese Maßnahme als völlig unverhältnismäßig ‘offen rechtswidrig‘ und als ‘Terror‘ bezeichnet habe, wurde vom Staatsanwalt Emrich meine vorläufige Festnahme wegen angeblicher Störung einer Amtshandlung veranlasst.

Im Übrigen ist es die Verteidigung, die vor dem Amtsgericht München laufend beschimpft wird. Im Verfahren gegen Lutz Henkel und Wolfgang Herzog, erklärte der Staatsanwalt Emrich gegenüber den Verteidigern Lang und Becker, die Verteidigung sei ‘impertinent‘, ihre Ausführungen seien ‘Schnick-Schnack‘. Er erhebe gegen Rechtsanwalt Lang ausdrücklich den Vorwurf der ‘bewussten Lüge‘.

Im Verfahren gegen Klaus Kercher erklärte Staatsanwalt Bomba ausdrücklich und ohne dass der vorsitzende Richter Berndel einschritt, für ihn sei der Verteidiger Lang im Hinblick auf das gegen ihn schwebende Verfahren nach § 129 StGB sowie darauf, dass er bereits in Untersuchungshaft gewesen sei, ‘kein gleichberechtigtes Organ der Rechtspflege‘.

Das bisherige Ergebnis dieser Prozesse: In 11 Verfahren wurden Freiheitsstrafen von 11 Jahren größtenteils ohne Bewährung ausgesprochen. Die politische Gezinktheit ihrer heutigen Anklage wird glasklar durchleuchtet, wenn man ein anderes Verfahren bei der Staatsanwaltschaft, beim Landgericht Karlsruhe mit heranzieht. Dort stellte mein Kollege, Rechtsanwalt Croissant am 25.7.1973 Strafantrag gegen Herrn Staatsanwalt Frank wegen Beleidigung, weil dieser ihn in seinem Plädoyer vom 17.7.1973 im Strafverfahren gegen Carmen roll als ‘Scharlatan des Rechts‘ bezeichnet hatte. Obwohl es sich dort in der Tat um eine gezielte Herabsetzung gerade der persönlichen Ehre meines Kollegen gehandelt hatte, wurde das Verfahren bereits mit Verfügung des zuständigen Oberstaatsanwalts vom 13.8.1973 mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt, da keine Beleidigung vorliege. Jedes weitere Wort hierzu erübrigt sich.

Alle diese Vorgänge sind nur beispielhaft für ei ne verschärfte politische Klassenjustiz, in der Bundesrepublik Deutschland, die den Rechtsstaat über Bord wirft. Die Polizei wird zunehmend bei ihren Knüppeleinsätzen gegen protestierende und demonstrierende Teile der Bevölkerung freie Hand gelassen. Ich gedenke hier in Solidarität des als Zielscheibe eines solchen Einsatzes erschlagenen kommunistischen Arbeiters Günter Routhier.

Erschießungen wie die von Thomas Weißbecker, von Mc Leod, von Richard Epple werden dadurch gedeckt, dass die Ermittlungsverfahren zu den schwurgerichtlichen Verfahren abgewürgt werden.

Dieselbe Staatsanwaltschaft, die mich wegen Beleidigung anklagen will, hatte einen Vertreter in der Nähe des Kommandos, das Günter Jendrian in München erschossen hat und versucht schon am Tag darauf, den Vorgang durch nachweislich falsche Darstellungen zu verschleiern.

Revolutionäre der RAF werden seit Jahren durch Isolationshaft gefoltert. Des Hungerstreik der Gefangenen erwehrt man sich in den Strafanstalten, indem man sie durch Wasserentzug verdursten lässt.

Es ist nur konsequent, wenn Verteidiger, die die Justiz der Bundesrepublik Deutschland bei ihrem Marsch in den Faschismus behindern, eingeschüchtert, von ihren Mandanten getrennt und ausgeschaltet werden soll. Mein Kollege Rechtsanwalt Dr. Croissant ist jetzt von der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Augsburg wegen falscher Anschuldigung und Verleumdung angeklagt worden, weil er seinerzeit gegen die Zwangsnarkose von Carmen Roll zum Zwecke der Abnahme von Fingerabdrücken zu Recht Strafanzeige wegen Mordes gestellt hat.

Wenn Verteidiger Folter Folter nennen, werden sie straf- und ehrengerichtlich verfolgt. Wenn sie ihre Mandanten besuchen wollen, müssen sie sich beispielsweise nackt ausziehen oder aber wird der Besuch dadurch ganz verhindert, indem man ihn in getrennten Räumen mit lediglich einer Sichtverbindung durch eine kleine Glasscheibe durchführen lassen will. Die Post der Verteidiger wird geöffnet. Die darin enthaltene Kommunikation mit den Mandanten wird neuerdings als Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung zu kriminalisieren versucht. Das beabsichtigte Gesetz zum Ausschluss der Verteidigung ist allgemein bekannt.

Das Verfahren gegen mich liegt auf der faschistischen Linie des von München aus im Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zum angeblichen ‘Schutz der Rechtspflege‘ bzw. jetzt zum ‘Schutz des Gemeinschaftsfriedens‘. Ebenso wenig wie es dort um den Schutz der Rechtspflege geht, geht es hier etwa um die Ehre. Ginge es um die Ehre, so müsste ich dieses Verfahren wegen angeblicher Beleidigung geradezu als Auszeichnung empfinden. Aber es geht um etwas anderes. Es geht letztlich darum, dass hier in der BRD die Stabilität der kapitalistischen und imperialistischen Herrschaft brüchig geworden ist. Es ist unverkennbar, dass auch hierzulande der Kampf gegen eine unsinnige und die ganze Menschheit bedrohende Herrschaftsordnung zunimmt und mit ihr der Hass gegen seine willfährige und blinde Justiz, welche sich mit allen Mitteln der Aufrechterhaltung dieses Systems verschreibt.

Der Kampf gegen eine solche Justiz wird zunehmen. Die Verhältnisse in der Welt sind so, dass ihr auch ein neuer Faschismus auf Dauer nicht helfen kann.‘

Es muss im Interesse aller klassenkämpferischen Menschen, aller Kommunisten liegen, diesen Angriff auf einen fortschrittlichen Rechtsanwalt mit einer breiten Solidarität zu beantworten.“
Q: Roter Morgen Nr. 27/1974, Dortmund, S. 7.

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24.08.1974:
Im „Roten Morgen“, Nr. 34/1974, erscheint der Artikel: „Freispruch für Klaus Singer.“ Ausgeführt wird;

„Am 26.8.1974 beginnt vor dem Münchener Landgericht die Berufungsverhandlung gegen Genossen Klaus Singer, der bei der Demonstration zum Roten Antikriegstag 1972 in München teilgenommen hatte. In der ersten Instanz war Genosse Klaus zu einem Jahr Gefängnis, 1.000 DM Geldstrafe und 900 DM Ordnungsstrafe verurteilt worden.

Genosse Klaus war bei dieser Demonstration von einem als Demonstranten verkleideten zivilen Polizisten überfallen, von ihm und zwei anderen Zivilen brutal zusammengeschlagen worden. Unter anderem wurde ihm die Nasenscheidewand gebrochen. Er erlitt eine Gehirnerschütterung. Im Polizeiwagen drohte ein Polizist: ‘… Wenn du fliehen willst, schieße ich. Aber nicht auf die Beine, sondern auf den Kopf …‘ Dann heißt es später: ‘Auf der Flucht erschossen‘.

Vier Wochen lang wurde Genosse Klaus nach seiner Festnahme zusammen mit anderen Demonstranten in Haft gehalten. Nach seiner Freilassung musste er sich monatelang 3 Mal wöchentlich bei der Polizei melden.

Im Prozess selber verwickeln sich die Polizeizeugen, die ‘besonders schwere Körperverletzungen‘ und ‘besonders schweren Widerstand gegen die Staatsgewalt‘ durch Genossen Klaus nachweisen sollen, heillos in Widersprüche. Einem Zeugen der Verteidigung wird vom Gericht das Wort im Mund umgedreht. Schließlich lassen Richter und Staatsanwalt eine große Kiste in den Gerichtssaal bringen, die bis obenhin mit angeblichem Beweismaterial für die ‘Bewaffnung‘ der Demonstranten gefüllt ist. Es ist offensichtlich, dass diese Kiste allein der Stimmungsmache dient - nicht einmal der Staatsanwalt wirft dem Angeklagten vor, er selber sei bewaffnet gewesen. Als Genosse Klaus das entlarvt, verkündet das Gericht: 900 DM Ordnungsstrafe, ‘weil der Angeklagte das ‘Gericht auf das Schwerste beleidigt hat.‘ Nach fünf Tagen schließlich das Urteil: 1 Jahr Gefängnis, 1.000 DM Geldstrafe. Sofort nach der Urteilsverkündung springt der Staatsanwalt auf und entreißt dem Angeklagten seine Prozessunterlagen - beschlagnahmt. Wozu, erfährt Genosse Klaus später. Im Dezember 73 erhält Genosse Klaus einen Strafbefehl über 1.000 DM, weil er angeblich einen Polizeizeugen beleidigt haben soll und wegen der Darstellung seiner Festnahme vor Gericht. Bei dieser Strafe bleibt es auch im nachfolgenden Prozess. Auch der Verteidiger des Genossen, Rechtsanwalt Lang, erhielt wegen angeblicher Beleidigung des Staatsanwalts einen Strafbefehl über 1.000 DM.

Die ‘Rote Hilfe Mainz‘ hat zum anstehenden Berufungsprozess den Kampf aufgenommen unter den Parolen:

FREISPRUCH FÜR KLAUS SINGER! FREISPRUCH FÜR ALLE ANGEKLAGTEN DES ROTEN ANTIKRIEGSTAGES! FREIHEIT FÜR ALLE POLITISCHEN GEFANENEN! KEINE BEHINDERUNG DER VERTEIDIGUNG IN POLITISCHEN PROZESSEN! KAMPF DER BÜRGERLICHEN KLASSENJUSTIZ! SOFORTIGE EINBÜRGERUNG DES GENOSSEN SASCHA!“
Q: Roter Morgen Nr. 34/1974, Dortmund, S. 7.

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26.08.1974:
In München soll der Berufungsprozeß von Klaus Singer wegen dem RAKT 1972 beginnen.
Q: Roter Morgen Nr. 34, Dortmund 24.8.1974, S. 7

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September 1974:
Laut „Rote Hilfe“ Nr. 26/1974, beginnt der Berufungsprozess gegen Klaus Singer wegen seiner Teilnahme am „Roten Antikriegstag 1972“ am 26.8.1974.
Q: Rote Hilfe Nr. 26, Dortmund o. J. (September 1974), S. 9.

07.09.1974:
Laut „Roter Morgen“, Nr. 36/1974, soll 16.9.1974 vor „der großen Staatsschutzkammer Stuttgart im Amtsgerichtsgebäude Ludwigsburg ein Prozess gegen Jörg Lang, einen fortschrittlichen Rechtsanwalt, der unter anderem als Verteidiger von Genossen der RAF, als Verteidiger von Ulrich Luther oder als Verteidiger in Prozessen wegen des Roten Antikriegstages bekannt ist. Die Anklage lautet auf Unterstützung einer kriminellen Vereinigung“.

In Tübingen habe sich ein „Solidaritätskomitee zur Unterstützung von Rechtsanwalt Lang gebildet. Der Kampf um seinen Freispruch und die sofortige Aufhebung des Haftbefehls gegen ihn muss das Anliegen sein“.

In der Rubrik „Kampf der bürgerlichen Klassenjustiz“, heißt es unter München:

„Bereits am ersten Verhandlungstag musste der Prozess gegen Genossen Klaus Singer in München abgebrochen werden. Wahl, Staatsanwalt in dieser Berufungsverhandlung gegen einen Teilnehmer an der Roten Antikriegstagsdemonstration in München 1972, beschimpfte Rechtsanwalt Lang, den Verteidiger des Genossen in übelster Weise. Wörtlich sagte er: ‘… Es ist bedauerlich, dass es der Landesjustizverwaltung bisher immer noch nicht gelungen ist, einen Mann wie Lang, der sich Rechtsanwalt nennt, endgültig aus dem Gerichtssaal zu entfernen …‘

Rechtsanwalt Lang verlangte daraufhin die Absetzung dieses Staatsanwalts für die weitere Verhandlung. Der Richter musste diesem Antrag stattgeben.

Das ist nicht der erste Angriff auf Rechtsanwalt Lang. Bereits seit mehr als 2½ Jahren versucht die bürgerliche Klassenjustiz, diesen fortschrittlichen Rechtsanwalt, Verteidiger einer Reihe von angeklagten RAF-Genossen, und anderen politisch Verfolgten, mürbe zu machen.“
Q: Roter Morgen Nr. 36/1974, Dortmund, S. 6f.

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04.09.1974:
Zur heutigen Nr. 18 der 'Kommunistischen Volkszeitung' (KVZ - vgl. 21.8.1974, 18.9.1974) gibt die KBW-Sympathisantengruppe Mainz eine Ortsbeilage (vgl. 18.9.1974) heraus mit dem Artikel "Politischer Prozeß geplatzt" zum RAKT-Prozeß gegen K. Singer am 26.8.1974.
Q: Kommunistische Volkszeitung - Ortsbeilage Mainz Nr. 1, Mainz o. J. (1974), S. 2

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30.03.1976:
Laut „Roter Morgen“, Nr. 15/1976, findet an diesem Tag der „Antikriegstagsprozess“ gegen Klaus Singer statt, der in erster Instanz zu einer Gefängnisstrafe von „einem Jahr“ verurteilt worden war, gegen die er Berufung einlegte.
Q: Roter Morgen, Nr. 15/1976, Dortmund, S. 7.

10.04.1976:
Im „Roten Morgen“, Nr. 15/1976, heißt es in der Rubrik „Kampf der bürgerlichen Klassenjustiz“ unter Münster:

„Weil er am Roten Antikriegstag 1972 teilgenommen hatte, wurde Genosse Klaus Singer in erster Instanz zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr verurteilt, gegen die er Berufung eingelegt hat. Die mutige Verteidigung des Genossen vor Gericht, der die Polizisten entlarvte, die ihn während der Demonstration zusammengeschlagen hatten, brachten ihm eine zweite Anklage vom Staatsanwalt wegen ‘Beleidigung‘ ein, der auch gegen einen ersten Freispruch in dieser Sache Revision einlegte.

Am 30. März war der Prozess in München. Genosse Klaus entlarvte die Methoden der Polizei und der Justiz und zeigte ihre Zusammenarbeit auf. So zitierte er z. B. einen Staatsanwalt, der im Zusammenhang mit dem Problem von Polizeizeugen 1975 vor Rechtsreferendaren erklärt hatte: ‘… Demonstranten beschuldigten Polizeibeamte immer wieder verschiedene Übergriffe. Ich bin überzeugt, dass ein Großteil der Beschuldigungen zutritt. Aber nachweisbar sind solche Übergriffe so gut wie nie, weil Polizeibeamte sich durch entlastende Aussagen gegenseitig deckten… Und das ist gut so… diese gegenseitige Deckung von Polizeibeamten ist unabdingbare Voraussetzung für das Funktionieren einer Polizei, wie wir sie brauchen …‘

Mehrmals stellte der Staatsanwalt während der Verteidigungsrede des Genossen Klaus Antrag auf Mitprotokollierung und sagte auch offen, warum: Er wolle daraus eine neue Anzeige wegen ‘Verächtlichmachung der Bundesrepublik‘ machen. Doch der Kampf des Genossen im Gericht hatte Erfolg: Der Richter setzte den Prozess aus, bis zu einem rechtskräftigen Abschluss des RAKT - Prozesses gegen Klaus Singer.“
Q: Roter Morgen Nr. 15/1976, Dortmund, S. 7.

22.04.1976:
Laut „Rote Hilfe - Zeitung der Roten Hilfe Deutschland“, Nr. 4/1976, soll am 22.4.1976 im Landgericht München das Berufungsverfahren gegen Genossen Klaus S. „wegen Landfriedensbruch, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Körperverletzung und Beleidigung“ stattfinden. Er ist angeklagt „wegen seiner Teilnahme am Roten Antikriegstag 72“.
Q: Rote Hilfe Nr. 4/1976, Dortmund, S. 2.

08.05.1976:
Im „Roten Morgen“, Nr. 19/1976, heißt es in „Kampf der bürgerlichen Klassenjustiz“ unter München:

„Mit einem Terrorurteil schloss die Klassenjustiz den Prozess gegen Klaus Singer. Weil er am Roten Antikriegstag 1972 gegen den imperialistischen Krieg gekämpft hatte, verurteilte ihn das Gericht wegen ‘Widerstands gegen die Staatsgewalt‘ zu einem Jahr Gefängnis auf Bewährung und 1.000 DM Geldstrafe. Stützen konnte der Richter sein Urteil ausschließlich auf die Aussagen zweier Polizeizeugen, die sich inhaltlich ständig widersprachen. Das Gerichtsgebäude glich einer Festung. Mit der fadenscheinigen Begründung, dafür gebe es keine ‘Rechtsgrundlage‘, weigerte sich der Richter, die angefahrenen Polizisten zu entfernen.“
Q: Roter Morgen Nr. 19/1976, Dortmund, S. 7.

01.07.1977:
Laut „Roter Morgen“, Nr. 41/1977, findet in Rüsselsheim eine Solidaritätsveranstaltung“ für den Verurteilten im „Antikriegstagsprozess 1972“, Klaus Singer, statt.
Q: Roter Morgen Nr. 41/1977, Dortmund, S. 5.

03.09.1977:
In Wiesbaden-Biebrich führt die KPD/ML eine Veranstaltung zum Antikriegstag (RAKT) mit, nach eigenen Angaben, über 50 Personen (u. a. ausländische Arbeiter und Studenten sowie Klaus Singer) durch.
Q: Roter Morgen Nr. 35 und 37,Dortmund 2.9.1977 bzw. 16.9.1977.

14.10.1977:
In der Rubrik „Kampf der bürgerlichen Klassenjustiz“, heißt es „Roten Morgen“, Nr. 41/1977, zum Prozess gegen Klaus Singer, Verurteilter im „Antikriegstagsprozess 1972“ unter München:

„Am 3.10.77 verurteilte das Oberste Bayrische Landgericht in München Klaus Singer zu einem Jahr Gefängnis ohne Bewährung. Es entsprach damit dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die das alte Urteil - ein Jahr Gefängnis mit Bewährung - angefochten hatte. In ihrem Plädoyer in diesem Prozess ging die Staatsanwaltschaft sogar so weit, gleich zu fordern, dass Genosse Klaus seine gesamte Haftzeit im Gefängnis verbringen müsse, ihm die sonst übliche Aussetzung des letzten Drittels der Strafe nicht gewährt werden dürfe.

Die Partei hatte in Rüsselsheim, dem Heimatort des Genossen Klaus, vor dem Prozess den Kampf gegen dieses zu erwartende Terrorurteil geführt. 3. 000 persönliche Erklärungen von Klaus wurden verteilt, Parolen gemalt, mit einem Flugblatt zu einer Solidaritätsveranstaltung ‘Freiheit für Klaus Singer‘ aufgerufen. Zu dieser Veranstaltung kamen am 1.7.77, zwei Tage vor dem Prozess, ca. 50 Freunde und Genossen. 653 DM wurden zur Unterstützung von Klaus gesammelt.“
Q: Roter Morgen Nr. 41/1977, Dortmund, S. 5.

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05.05.1978:
Laut „Roter Morgen“, Nr. 18/1978, ist „im Fall von Klaus Singer, der in der Berufungsverhandlung im Zusammenhang mit dem Roten Antikriegstag 1972 zu einem Jahr Gefängnis ohne Bewährung verurteilt worden war, ist jetzt die Revision gegen dieses Urteil abgelehnt worden. Er wird also in nächster Zeit in den Knast gehen müssen.“
Q: Roter Morgen Nr. 18/1978, Dortmund, S. 7.

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30.06.1978:
Laut „Roter Morgen“, Nr. 26/1978, muss „Klaus Singer ins Gefängnis“. „Der Genosse Klaus Singer hat seine Ladung zum Strafantritt in der JVA Darmstadt erhalten. Er schreibt:

‘… Nachdem das bayrische Oberste Landesgericht im April meine Revision auf mein Urteil im Roten - Antikriegstagsprozess 1972 als ‘offensichtlich unbegründet‘, das heißt ohne Begründung verworfen hat, soll ich nun, sechs Jahre danach, für ein Jahr ins Gefängnis. Schon vor einiger Zeit hatte ich einen Antrag auf ‘Verschiebung des Strafantritts bzw. Aussetzung‘ gestellt, weil ich im Sommer mein Examen machen will und dafür mitten in der Vorbereitung stehe. Ich werde deswegen noch mal Dampf machen. Allerdings einen Anspruch auf Verschiebung habe ich nicht in diesem ‘Rechtsstaat‘. Ihr werdet auf jedenfall auf dem Laufenden gehalten …‘

Nieder mit der bürgerlichen Klassenjustiz.“
Q: Roter Morgen Nr. 26/1978, Dortmund, S. 7.

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01.12.1978:
Im „Roten Morgen“, Nr. 48/1878, erscheint der Artikel: „Nach 6 Jahren Prozessterror - Klaus Singer muss Haftstrafe antreten.“ Ausgeführt wird:

„Am 1. Dezember 1978 muss Klaus Singer in Darmstadt eine einjährige Haftstrafe antreten. Sein ‘Verbrechen‘: Er hatte zusammen mit Tausenden anderen Demonstranten am 1. September 1972 in München gegen den imperialistischen Krieg demonstriert. Klaus Singer ist bereits der neunte Demonstrant, der wegen des Roten Antikriegstags 72 eingekerkert wird.

Selbst bei den Ereignissen von München durch getarnte Polizisten in Zivil von hinten anfallend und brutal zusammengeschlagen, wurde Klaus Singer später vorgeworfen, er habe zwei Polizeibeamte ‘verletzt‘. Die widersprüchlichen Zeugenaussagen dieser Polizisten demonstrierten eigentlich die Unhaltbarkeit dieser Vorwürfe. Das war natürlich kein Grund für das Gericht, Klaus freizusprechen. Gerade weil Klaus das Recht auf die Münchner Demonstration mutig verteidigte, sollte er demonstrativ wegen seiner kommunistischen Gesinnung verurteilt werden.

Mit einem beispiellosen Prozessterror wollte man ihn beugen: 1973 - Hauptverhandlung, in deren Verlauf ihm eine hohe Ordnungsstrafe auferlegt wurde, weil er sich berechtigterweise gegen den Vorwurf des ‘Waffenbesitzes‘ gewehrt hatte. 1. Urteil: 1 Jahr Gefängnis mit Bewährung. Noch im Gerichtssaal werden sämtliche Verteidigungsunterlagen beschlagnahmt, aus denen daraufhin eine Anklage gegen Klaus wegen Beleidigung und Verleumdung zusammengezimmert wird. Gegen einen Strafbefehl über 1. 000 DM legt Klaus Berufung ein. Dieses Nebenverfahren geht durch alle Instanzen. Klaus wird zwischendurch freigesprochen, die Staatsanwaltschaft legt Revision ein. Erst 1977 wird dieses Nebenverfahren vorläufig eingestellt.

Dazu schreibt Klaus Singer in einer Presseerklärung:

‘… Mit diesem Verfahren im Hintergrund, das eine ganz massive Behinderung meiner Verteidigung darstellte, bedrohte es doch meine Verteidigung mit Strafe, wurde das Hauptverfahren fortgesetzt. In der Berufungsinstanz wurde das erste Urteil bestätigt: Ein Jahr Haft mit Bewährung wegen besonders schwerem Landfriedensbruch, Widerstand gegen die Staatsgewalt und Körperverletzung …‘

Daraufhin Revisionsantrag der Staatsanwaltschaft gegen die Bewährung. Das Bayrische Oberste Landgericht hebt das Urteil mit der Begründung auf, dass es Bewährung für Extremisten nicht geben dürfe. Am 3.10.77 fällt das letztinstanzliche Urteil: 1 Jahr Gefängnis ohne Bewährung. Im April 78 wird die von Klaus eingelegte Revision abgewiesen. Ohne Begründung. Dazu Klaus in seiner Presseerklärung:

‘… Das Verfahren ist von Anfang an nur aus politischen Gründen zustande gekommen und diente nur dem einen Zweck, fortschrittliche und kommunistische Bestrebungen zu kriminalisieren …‘

Wenn Klaus Singer jetzt seine Haftstrafe anritt, ist ihm die Solidarität aller fortschrittlichen Menschen in unserem Land gewiss. Bevor er ins Gefängnis ging, sandte der Genosse Klaus dem Roten Morgen den folgenden Brief …

Brief des Genossen Klaus Singer:

‘… Liebe Genossen! Wie ihr wisst, soll ich am 1.12.78 für ein Jahr ins Gefängnis, weil ich am Roten Antikriegstag 1972 in München teilgenommen habe. Es bleiben mit somit nur noch wenige Tage in (der relativen) Freiheit hier. Ich möchte mich von Euch und den Lesern des Roten Morgen, von den Sympathisanten und Genossen der Partei auf diesem Wege verabschieden. Ich trete dieses Jahr an in dem festen Bewusstsein, für eine gerechte und richtige Sache, den Kampf gegen den imperialistischen Krieg, eingetreten und verurteilt worden zu sein. Entgegen allen Versuchen der Bourgeoisie, die Sache so hinzustellen, als sei ich, als seien die anderen Kämpfer des Roten Antikriegstages 1972 Kriminelle, erkläre ich: Dieses Urteil ist ein reines Gesinnungsurteil, es ist aus politischen Gründen, aus Gründen der Unterdrückung des Volkes gefällt worden.

Genossen! Auch wenn ich aus bestimmten Gründen nicht warte, bis mich die Polizei abholt, sondern selbst ins Gefängnis gehe, so ist das kein Zeichen eines Funkens von Zustimmung von mir zu diesem Urteil.

Hier in Rüsselsheim und Umgebung, besonders in Darmstadt, wo ich ins Gefängnis komme, wird noch einiges unternommen, um die Sache bekanntzumachen. So hat die RHD Plakate, Aufkleber, Solidaritätspostkarten und Flugblätter erstellt. Am kommenden Samstag wird eine kleine Veranstaltung durchgeführt, auf der besonders die Frage geklärt werden soll, wie die Solidarität am wirkungsvollsten werden kann.

Verschiedene Freunde und Bekannte haben sich schon spontan bereit erklärt, Abonnements zu übernehmen bzw. mir laufend ihre abonnierten Zeitungen/Zeitschriften weiterzuleiten. Wenn alle, die versprochen haben, mich zu besuchen, auch tatsächlich kommen, reicht das eine Jahr nicht aus, um allen Besuch zu empfangen. Wiederholte Male haben mir Leute, die ich nur vom Verkauf des Roten Morgen kenne, ihre Solidarität versichert. Diese Begebenheiten - und seine sie noch so (scheinbar) klein und unbedeutend - sind besonders für mich als dem Betroffenen ungeheuer wichtig und helfen einem sehr. Denn sie zeigen, dass man nicht abgeschrieben ist, dass man nicht als Krimineller angesehen wird, wie das die Bourgeoisie gerne hätte. Die hauptsächliche Reaktion der meisten Leute ist jedoch, wenn man sie auf das Urteil anspricht, Erstaunen und Zweifel. Und das in der Regel nicht, weil sie uns für Lügner halten. Es ist eher die Haltung: ‘Das darf doch nicht wahr sein!‘

Wobei die Älteren gleich Parallelen zum Hitler-Regime ziehen. Viele wollen einfach nicht wahrhaben, wie weit die Faschisierung hier vorangeschritten ist. Der Bourgeoisie gelingt es eben noch in bestimmtem Umfang, ihr System als freiheitlich zu verkaufen. Aber wie gering das Vertrauen in diese ‘Demokratie‘ dennoch ist, wenn ich dann auch immer wieder höre: ‘Ja ja, die da oben machen ja doch, was sie wollen. Der kleine Mann hat nichts zu lachen.‘

Ingesamt gesehen - das ist das Ergebnis der bisherigen Erfahrungen - hält die überwiegende Mehrheit der Leute, die von dem Urteil gegen mich erfahren, dieses für ungerecht und ist damit nicht einverstanden. Das sind gute Voraussetzungen dafür, dass meine Inhaftierung zu einem Bumerang für die Bourgeoisie werden kann; auch mit dieser Überzeugung trete ich dieses Jahr Gefängnis an.“
Q: Roter Morgen Nr. 48/1978, Dortmund, S. 7.

RM_1978_48_07


Mai 1979:
Laut „Rote Hilfe - Mitteilungen der Roten Hilfe Deutschlands“, Nr. 4/1979, ist „Klaus Singer einer von denen, die wegen ihrer Beteiligung an der Antikriegstagsdemonstration 1972 in München mit Gefängnis bestraft wurden“.

„Seit fünf Monaten sitzt er nun in de JVA Darmstadt, hat es aber erreicht, dass er den Status eines Freigängers erhielt. Das heißt, dass er tagsüber normal zur Arbeit geht und nur abends um 22 Uhr zurück ins Gefängnis muss. Wenn er dadurch sicherlich weniger Zeit hat, auf jeden Brief zu antworten, freut er sich sicherlich doch sehr über jeden Solidaritätsgruß und jeden Brief, der ihn erreicht. Hier seine Adresse: JVA Darmstadt-Eberstadt …“
Q: Rote Hilfe - Mitteilungen der Roten Hilfe Deutschlands, Nr. 4/1979, Dortmund, S. 2.



Letzte Änderungen: 16.10.2018

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