Express international, Jg. 7, Nr. 81, 19. Sept. 1969

19.09.1969:
Es erscheint der 'Express international' (Exi) Nr. 81 (vgl. 5.9.1969, 3.10.1969) mit folgendem Leitartikel:"
STREIKS - STREIKS

Die Stahlarbeiter an Rhein und Ruhr, im Saarland und in der Oberpfalz, in Osnabrück und in Bremen griffen zur Selbsthilfe. Die Bergarbeiter schlossen sich an. In anderen Industriezweigen gärt es. Was niemand in der streikarmen Bundesrepublik für möglich gehalten hatte, war eingetreten: Zehntausende von Arbeitern, in der Mehrzahl auch die Angestellten, traten in den Ausstand. Ausgelöst durch innerbetriebliche Lohnprobleme in einem Konzern, der Hoesch-AG (in Dortmund, d.Vf.), sprang der Funke über und wurde zum Flächenbrand im Land der Sozialpartnerschaft.

Die Gewerkschaften waren überrascht und hilflos. Gebunden an die selbstverschuldet überlangen Tarifverträge, die die Ruhe vor den Bundestagswahlen (BTW - vgl. 28.9.1969, d.Vf.) bewahren sollten, nutzten ihnen auch ihre behutsamen Mahnungen an die Stahlindustriellen wenig.

Sicherlich waren die Streiks nicht von einem genau artikulierten politischen Willen zur Veränderung getragen. Die Zahl politisch bewußter Kader ist wohl noch zu klein, um mehr als eine Verstärkerfunktion ausüben zu können. Wo der Versuch unternommen wurde, den Streik umzufunktionieren und über unmittelbare materielle Forderungen hinauszutreiben, stieß er auf Ablehnung bei der großen Masse der Arbeiter. Die jahrelange von oben verordnete und konsequent betriebene Entpolitisierung machte sich bemerkbar. Dennoch: der Streik brachte ein Unbehagen ans Tageslicht, das tiefer als die bloßen Geldforderungen reicht. Die an den Galgen gehängte Puppe - Hoesch Generaldirektor Harders - deutet ebenso daraufhin wie der hartnäckige Widerstand gegen die Einmischung durch die Gewerkschaften in der Bremer Klöckner-Hütte.

Die Arbeiter und Angestellten haben ihre Gewerkschaft und die Konzernherren an den Verhandlungstisch gezwungen. Aber sie haben mehr erreicht als 11% Lohn- und Gehaltserhöhung. Sie haben an Selbstbewußtsein gewonnen und ihre eigene Kraft gespürt. 'Alle Räder stehen still, wenn der Arbeiter es will' stand auf vielen Plakaten. Die Gewerkschaften sollten daraus umgehend ihre Lehren ziehen. Sie können nicht Disziplinierungsorgane der Lohnabhängigen im Sinne eines zweifelhaften Gemeinwohls sein, sie müssen sich vielmehr als unabhängige und selbstbewußte Interessenvertretung der Arbeiter und Angestellten begreifen. Nur so können sie wieder den Boden unter die Füße bekommen, der ihnen wegzurutschen droht."

Mit den Streiks befaßt sich auch noch Jens Huhn, der u.a. von Hoesch Dortmund (IGM-Bereich - vgl. 2.9.1969) berichtet.
Q: Express international Nr. 81, Frankfurt 19.9.1969

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