Kommunistischer Bund Westdeutschland - Rundbrief des Zentralkomitees, Jg. 1, 16. Okt. 1973

16.10.1973:
Der Ständige Ausschuß (StA) des ZK des KBW gibt einen Rundbrief (vgl. 8.10.1973, 18.10.1973) heraus:"
An die KBW-Genossen und die KBW-Zellen in der Gesellschaft zur Unterstützung der Volkskämpfe

Liebe Genossen,
aufgrund leichter Veränderungen innerhalb der Arbeitsteilung des Ständigen Ausschusses habe ich zumindest vorübergehend die Verantwortung für die GUV wie auch für ähnliche oder entsprechende Massenorganisationen in anderen Städten und bei anderen Ortsgruppen übernommen. Für mich stellt sich die Lage gegenwärtig etwas unübersichtlich dar, da ich mich nicht auf Dokumente und Auswertungen der bisherigen Arbeit stützen kann, sondern auf vereinzelte Schriftstücke, die mir bei dieser oder jener Gelegenheit in die Hände gefallen sind, oder auf Gespräche, die ich mit mir persönlich bekannten Genossen geführt habe.

Aus dem wenigen, was ich weiß, schließe ich zunächst, daß die GUV MA-HD (Mannheim-Heidelberg, d. Vf.) in ihre lokalen Bestandteile aufgelöst werden sollte, die als örtliche Massenorganisation arbeiten sollten. Die Arbeit hat im wesentlichen, soweit sie praktisch ist, örtlichen Charakter, soweit sie überörtlichen Charakter hat, kann sie z.B. jederzeit durch die Zusammenarbeit unserer Zellen und durch Beratungen der Leitungsorgane vereinheitlicht werden. Was aber auf keinen fall geht, ist, daß aufgrund der überörtlichen Organisationsform der GUV ein Wasserkopf ausgebildet wurde, der sich Zentralausschuß (ZA, d. Vf.) nennt, aber die Tätigkeit keineswegs zentralisiert und anleitet, sondern oberhalb jeder praktischen, und das heißt im gegenwärtigen Stadium im wesentlichen örtlichen Arbeit steht. Meines Wissens sind die ZA-Mitglieder nicht nur aus der Sektionsarbeit herausgenommen, sondern auch aus der örtlichen, ja sogar aus der örtlichen Leitungsarbeit. Das führt auf der Ebene der Orte und der Sektionen zu einem ungeheuren Schwund an Kadern, weil gleichzeitig auch die Mitglieder der kommissarischen Ortsleitungen m.W. aus der Sektionsarbeit herausgenommen sind. Wahrscheinlich habt ihr euch mit dieser Organisationsstruktur an diejenige der alten KG(NRF) MA-HD anlehnen wollen. Da muß ich euch aber darauf aufmerksam machen, daß 1. die KG(NRF) ganz anders organisiert gewesen ist, denn alle Mitglieder des ZA mit Ausnahme des Sekretärs arbeiteten in den kommissarischen Ortsleitungen und der größte Teil sogar noch in den Zellen, 2. die KG(NRF) notwendig überörtlich organisiert sein mußte, wenn sie ihre Aufgaben als Kaderorganisation erfüllen wollte. Ich meine: die GUV sollte schleunigst in örtliche Massenorganisationen aufgelöst werden; der ZA sollte abgeschafft werden und die Mitglieder der dann gewählten Ortsleitungen sollten weitgehend weiter in den Sektionen arbeiten und zwar im Rahmen der mehrköpfigen Sektionsleitungen. Eines der Hauptprobleme der GUV scheint mir nämlich gegenwärtig die Herausnahme der Kader aus der praktischen Tätigkeit der Sektionen zu sein. Das ist zwar durch die falsche Organisationsstruktur bedingt. das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Kaderfrage nicht einfach eine Organisationsfrage ist. In eurem Fall aber muß die falsche Organisationsstruktur zuerst einmal beseitigt werden, bevor das Kaderproblem in befriedigender Weise gelöst und damit die Arbeit der GUV verbessert werden kann. Ich fordere euch auf, diese Frage schnell zu diskutieren, mir bald Mitteilung zu machen, zu welchem Ergebnis ihr gekommen seid, und falls ihr zum selben Ergebnis kommt wie ich, schleunigst die Debatte in der GUV einzuleiten, mit dem Ziel die GUV als überörtliche Organisation aufzulösen, den ZA abzuschaffen und durch Verbindung der Ortleitungen mit den Sektionsleitungen die Sektionen zu stärken. Das wäre schon mal ein gut Stück Weg bei der Überwindung der 'Krise' in der, wie man allenthalben hört und aus einem Rundbrief des Sekretärs der komm. OL HD hervorgeht, die GUV steckt. Ich habe übrigens den Eindruck, daß es mehr eine Heidelberger Krise ist, denn eine GUV-Krise.

Nun zu einigen grundsätzlicheren Fragen und zu den Lösungsvorschlägen, die ich aus einem mir durch X.X. übergebenen Papier von Y.Y. (vgl. S2f.1*.1973, d. Vf.) entnehme. Offensichtlich entbrennt aufs Neue die Diskussion über das sog. 'GUV-Konzept', dem ein Konzept von kommunistischen Berufsverbänden entgegengestellt wird. Die Probleme der theoretischen und praktischen Arbeit der GUV werden in dem Papier von Y.Y. auf das 'GUV-Konzept' zurückgeführt, das als Produkt des Zirkelwesens erklärt wird und dem das Konzept der kommunistischen Berufsverbände als Lösung der Probleme der theoretischen und praktischen Arbeit gegenübergestellt und als quasi parteimäßige Konzeption bevorzugt wird. Genossen, ich halte es für höchst gefährlich und völlig falsch jetzt wieder eine GUV-Debatte auf der Ebene organisatorischer Konzepte aufzunehmen, statt die praktische Arbeit auf klarer ideologischer Position und klarer politischer Linie zu entfalten. Die Probleme der GUV sind keine Probleme dieses oder jenes organisatorischen Konzepts, sondern Probleme der Weltanschauung und der Politik. Wenn Y.Y. zum Beispiel den akademischen Charakter der Debatten beklagt, dann handelt es sich dabei offensichtlich um ein ideologisches und politisches Problem, daß sich aus bürgerlichen Relikten bei den Mitgliedern der GUV erklärt, nicht aber aus irgendeiner GUV-Konzeption. Diese ideologischen und politischen Probleme müssen wir anpacken und wenn wir diese Probleme lösen, dann wird die GUV eine arbeitende kommunistische Organisation werden. Worin bestehen diese ideologischen und politischen Probleme? darin, daß ständig von einem Extrem ins andere verfallen wird, weil in der sog. GUV-Debatte nicht die Aufgaben des Klassenkampfes und der besondere Beitrag den die Mitglieder der GUV zur Lösung dieser Aufgaben beitragen können ausgegangen wird, sondern von den Problemen der GUV-Mitglieder, die mal auf diese oder jene Weise organisatorisch gelöst werden sollen. Das ist die alte Tradition der Organisationsdebatten der Studentenbewegung in neuem Gewand. Wenn wir die bisherige Auseinadersetzung in der GUV und um die GUV untersuchen, dann lassen sich sehr leicht die beiden Extreme ausmachen, die zu verschiedenen Zeiten vorherrschten: zuerst herrschte das eine Extrem vor, nur am Arbeitsplatz die berufsmäßigen Kollegen und die Angehörigen der neuen Mittelklasse gewinnen zu wollen. Dann wurde durch Eingriff der KG(NRF) diese einseitige Tendenz korrigiert, aber die Korrektur führte nun offensichtlich zum anderen Extrem: Vernachlässigung der Arbeit am Arbeitsplatz und Verzicht auf die SPEZIFISCHE Unterstützungsarbeit, die spezialisierte Intellektuelle der Arbeiterklasse und den Volksmassen bieten können, zugunsten allgemeiner Aufklärungsarbeit. Die verschiedenen Perioden, in denen diese Extreme vorherrschten, bzw. noch vorherrschen, haben eines gemeinsam: eine ziemlich introvertierte und reichlich kleinkarierte Debatte um die GUV. In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, daß seit Beginn der GUV-Debatte als ein Beispiel für die Arbeit der GUV der wichtige Beitrag genannt wurde, den diese Organisation zur Durchführung einer Paragraph 218-Kampagne leisten könnte. Meines Wissens ist nicht einmal eine einzige Veranstaltung zu diesem Thema durchgeführt worden. Nach wie vor läßt sich an diesem Beispiel hervorragend zeigen, welch hervorragende Rolle eine Organisation wie die GUV mit den in ihr organisierten Fähigkeiten und Kenntnissen für die Volkskämpfe spielen könnte und wie eng sich hier die Arbeit in der Stadt, in der Arbeiterklasse und im Volk mit der Arbeit am Arbeitsplatz verbinden ließe. Nach wie vor aber läßt sich an diesem Beispiel aber auch zeigen, wie wenig innerhalb der GUV praktisch und auf die Massen bezogen gearbeitet wird und wie wenig Eigeninitiative diese Organisation entwickelt. Hat das irgendetwas mit der Organisationsform der GUV zu tun? Nein, ganz bestimmt nicht. Das hat etwas mit der fehlenden ideologischen und politischen Klarheit zu tun. Oder wenn die Sektion Schulkampf bisher sehr wenig getan hat, um die Arbeiterklasse und das Volk über die bestehende Schulsituation zu informieren, Daten zu liefern, Fälle zu schildern etc. und auf der anderen Seite auch an den Schulen noch fast nichts zustandegebracht hat - was hat das mit der Organisationsform zu tun und inwiefern stehen diese beiden Aufgaben miteinander im Widerspruch? Was hindert einen zum Beispiel daran, gleichzeitig GEW-Schulgruppen aufzubauen und diese Arbeit, die Erfahrungen und Kenntnisse die dabei erworben werden, der Arbeiterklasse und dem Volk oder wenigstens der KVZ zur Verfügung zu stellen? Hindert einen das Organisationskonzept der GUV daran? Ich kann zumindest vorläufig nicht erkennen, inwiefern das der Fall sein sollte. All diese Mängel der Arbeit der GUV haben mit der Organisationsform der GUV herzlich wenig zu tun. Was soll man also vom dem Papier halten, das Y.Y. verfaßt hat und gerade in der Organisationsform der GUV die Ursache für die ideologischen und politischen Mängel der Arbeit sucht und in den kommunistischen Berufsverbänden das Allheilmittel sucht und damit in die Einseitigkeiten der ersten Periode zurückfällt? Was steckt denn da in Wirklichkeit dahinter? Steckt nicht vielleicht das folgende dahinter: bei zunehmender Repression als Antwort auf den Vormarsch der kommunistischen Bewegung, wollen sich die Genossen in eine Arbeit unter ihren Berufskollegen zurückziehen, weil sie sich scheuen auf den Markt und in die Stadt, in die Öffentlichkeit und unter die Massen zu gehen. Hängen damit nicht auch die verschiedenen Austritte zusammen? Ist das ganze nicht ein ökonomistischer Rückzug in die engen Winkel berufsmäßiger Arbeit, die man nicht unter dem Licht der Öffentlichkeit vollziehen muß? Genossen prüft das mal nach, und wenn sich herausstellen sollte, daß so etwas dahintersteckt, dann versucht dieses Problem nur ja nicht mit Organisationsdebatten zu lösen. Genossen, nicht der Vorschlag, kommunistische Berufsverbände zu bilden, ist zu bekämpfen, sondern der Versuch in der gegenwärtigen Situation aufs Neue eine 'GUV-Debatte' einzuleiten und noch einmal alle brachliegenden Initiative und Kräfte auf diesem Feld verpuffen zu lassen. Was wir brauchen, sind Intellektuelle, die auch an ihrem Arbeitsplatz als Kommunisten arbeiten, jede Gelegenheit zur Gewinnung und Organisierung von Menschen wahrnehmen; Intellektuelle, die die berufsmäßigen Grenzen zwischen den einzelnen Wissenschaften niederreißen und als Fachleute verschiedener Berufe und Wissenschaften zusammenarbeiten und ihr ganzes Wissen, ihre ganzen Kenntnisse und all ihre Arbeit in den Dienst der Arbeiterklasse und des Volkes stellen. Wenn darüber Klarheit herrscht und wenn das praktiziert wird, dann wird auch dei organisatorische Hülle der GUV mit wirklichem Leben erfüllt werden. Wenn darüber keine Klarheit herrscht und wenn das nicht praktiziert wird, dann dienen alle GUV-Debatten nur dazu über die bürgerlichen Relikte in der Organisation hinwegzutäuschen.

Genossen, ich meine, daß die Probleme der Arbeit der GUV theoretisch nicht allzu schwer sind und weitgehend gelöst sind, daß aber in der GUV teilweise ein ideologischer und politischer Zustand herrscht, der die Erfüllung der anstehenden Aufgaben erschwert und auf die Dauer unmöglich machen wird, wenn die GUV-Debatte ewig in der bisherigen Form fortgesetzt wird. Von der SKJ (Sektion Klassenjustiz, d. Vf.) zum Beispiel haben wir noch nie einen Artikel für die KVZ bekommen oder auch nur eine Korrespondenz. Aber sitzen die Genossen denn icht Tag für Tag in den Gerichtssälen und bekommen allerlei Scheußlichkeiten mit. Würde sie eine solche Korrespondenz von der Aufgabe der Gewinnung ihrer Berufskollegen abhalten?

All das ist Schmarrn und ich denke, wenn ihr diesen Schmarrn auf der ideologischen und politischen Ebene bekämpft, statt ihm auf das weite Feld der Organisationsdebatte zu folgen, dann wird gerade das eine gute Voraussetzung ein, um das kommunistische Bewußtsein in der GUV zu heben und zu einer guten Arbeit zu kommen. Aus der akademischen Debatte kommt man nicht heraus indem man eine alte akademische Debatte aufs Neue einleitet, sondern durch Entfaltung der Praxis auf der richtigen Linie.

Wenn jetzt die Debatte auf bundesrepublikanischer Ebene zu der Frage der Organisierung kommunistischer Intellektueller eingeleitet wird, wird es ebenfalls darauf ankommen, nicht irgendwelche Konzepte einander gegenüberzustellen, sondern die Aufgaben zu bestimmen und eine ideologische und politische Ausrichtung einzuleiten und durchzuführen.

Genossen, ich hoffe, daß ihr mit meinem Brief etwas anfangen könnt und daß ihr endlich der revolutionären Linie in der GUV zum Durchbruch verhelft. Prüft unter diesem Gesichtspunkt noch einmal nach, ob es nicht sinnvoll ist, die KBW-Zelle ebenfalls in Sektionszellen zu gliedern um die Verbindung zu den Sektionen zu verbessern. Und denkt daran, wenn die besten Genossen aus den Sektionen herausgehen und in in der Luft schwebenden Leitungsorganen sitzen, dann muß es mit den Sektionen bergab gehen.

Ich hoffe in Zukunft umfassendes Material von euch zu erhalten."
Q: KBW-ZK-StA: Rundbrief, Mannheim 16.10.1973

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