Karl Schlögel, Willi Jaspers, Bernd Ziesemer:
"Partei kaputt. Das Scheitern der KPD und die Krise der Linken" (1981)

Materialien zur Analyse von Opposition

Von Dietmar Kesten, Gelsenkirchen, 3.1.2022

Ungefähr ein Jahr nach der Auflösung der KPD auf ihrem III. Parteitag im März 1980 erscheint im Verlag Olle und Wolter ein Buch, in dem drei ehemalige Aktivisten ihre Einschätzung der Parteigeschichte präsentieren. Wir dokumentieren es in Ausschnitten und danken Bernd Ziesemer für die Genehmigung zur Veröffentlichung seines Beitrages.

Auszug aus der Datenbank "Materialien zur Analyse von Opposition" (MAO)

März 1981:
Im Verlag Olle und Wolter (Berlin) erscheint das Buch "Partei kaputt. Das Scheitern der KPD und die Krise der Linken" mit Beiträgen von Karl Schlögel, Willi Jaspers, Bernd Ziesemer.

Im Vorwort von Ulf Wolter heißt es dazu u. a.: "Die KPD der 70er Jahre war ein Gebilde, das zur Polarisierung der Meinungen herausforderte. So ist es auch nicht verwunderlich, dass es bei der Verlagsankündigung für dieses Buch Widerspruch gab. Warum ein Buch über die KPD, nachdem sie endlich aufgelöst ist? (…)

Wenn nun ehemalige Verantwortliche für eine Politik, die viele als anti-emanzipatorisch bezeichnet haben, zum Zerfall ihrer Partei Stellung beziehen, so deutet das auf einen Lernprozess bei den Beteiligten. Wir hoffen, mit dieser Veröffentlichung einen Beitrag zur Aufarbeitung eines recht prekären Kapitels der kurzen Geschichte der Neuen Linken zu leisten.

Eine Aufwertung oder positive Würdigung der KPD ist dabei nicht unser Anliegen. Es fällt tatsächlich schwer, eine positive Hinterlassenschaft dieser und anderer vergleichbarer Organisationen auszumachen. Damit, so könnte man meinen, sei das Problem erledigt. Vielleicht fängt es da aber erst an? Man kann sich bestimmt darüber streiten, ob 'links' ist, was sich 'links' nennt. Es lässt sich jedoch nicht leugnen, dass auch die KPD ein Produkt der APO war.

Der aus den 60er Jahren vertraute Gedanke, daß die gesellschaftlichen Randgruppen in den hochentwickelten Industriegesellschaften das revolutionäre Subjekt seien, ist nur auf den ersten Blick vom Selbstverständnis der Marxisten-Leninisten der 70er Jahre weit entfernt. Zwar hatten sie die Arbeiter als revolutionäres Subjekt wiederentdeckt, nachdem die Randgruppenrevolution ausgeblieben war - die alten Elitevorstellungen jedoch erschienen im neuen Gewand. Die Arbeiterklasse hatte in den Augen der Avantgardisten neben vielen anderen Vorzügen - sie war die Mehrheit der Bevölkerung, ihre Stellung im Produktionsprozess stattete sie potentiell mit Macht aus - vor allem einen: sie schien zur Selbstbefreiung unfähig. Das ergab einen formidablen Grund für den Aufbau der Partei.

Deutlicher als die Kontinuität repräsentierte die KPD aber den Bruch mit der APO. An die Stelle von Selbstorganisation und Aufklärung traten Disziplin und Schulung. Die KPD rief zur Ordnung: und viele folgten, die sich noch kurz zuvor gerne antiautoritär genannt hatten. Es versammelten sich nicht nur etliche Sprecher der APO in ihren Reihen, sondern auch Tausende Schüler, Studenten und Jungarbeiter in den Großstädten und der Provinz. In ihren besten Zeiten beeinflusste die KPD über 15.000 Mitglieder und Sympathisanten. Sie hatte eine breit gefächerte Parteipresse und diverse Unterorganisationen. Ihre Politik basierte auf Spaltung, die Organisation auf Unterordnung und die Theorie hatte die bescheidene Funktion, darzulegen, warum beides seine Richtigkeit hatte.

Jetzt ist die Partei kaputt. Wer vermisst sie heute noch? Etwa die ihrer Führung beraubten Arbeiter? Oder ein paar von denjenigen, denen der soziale Zusammenhang flöten gegangen ist, den diese Organisationen auch dargestellt haben? Sie mag einigen phantasielosen politischen Kommentatoren fehlen, denen die todernsten Clownerien der diversen Führungen der Arbeiterklasse immer einen prima Stoff für Glossen über die Linke frei Haus geliefert haben. Oder auch einigen der konkurrierenden Gruppen, denen das identitätsstiftende Feindbild abhanden gekommen ist, das die KPD so vorzüglich darstellen konnte.

Und sonst? Das Ganze hat sich in Nichts aufgelöst. Nicht einmal ein Loch ist entstanden. Dabei hatte im Februar 1970 alles so gut angefangen, als die Aufbauorganisation der Kommunistischen Partei Deutschlands gegründet wurde, im linken Kürzeljargon 'KPD-AO' genannt, von Spöttern als 'A-Null' bezeichnet. Der Aufbau konnte innerhalb kürzester Zeit erfolgreich absolviert werden. Aus einem Haufen 'kleinbürgerlicher Studenten' wurde in anderthalbjähriger Tätigkeit ein harter Vortrupp der Revolution geschmiedet, sodass im Sommer 1971 das 'AO' hinter 'KPD' ersatzlos gestrichen werden konnte. Die Partei war jedenfalls da, der vakante Führungsposten der deutschen Arbeiterklasse erst einmal besetzt, und zwar - das war schließlich wichtig - von den richtigen Leuten. (…)

Die Partei bot aber nicht nur einen Ausweg aus der individuellen Misere an, sie lieferte gleichzeitig mit ihrer Generallinie den Schlüssel zum Verständnis der Weltlage. Die Welt wurde in Freund, Feind und Manipulierte aufgeteilt. Da sich die Freunde ausschließlich im fernen China befanden, wurde eine extreme Abgrenzung nach allen Seiten notwendig. Alle linken Konkurrenten um die Gunst der Arbeiterklasse wurden für besonders gefährlich gehalten. Die kompromisslose Ablehnung der bürgerlichen Gesellschaft führte dazu, dass auch die bürgerliche Demokratie als Betrugsmanöver an den Unterdrückten begriffen werden mußte. In dem Maße, wie Menschenrechte relativ wurden, wuchs die Möglichkeit, ihr Nichtvorhandensein zu rechtfertigen, der Stalinismus verlor so seine Schrecken. Der von der KPD auch propagierte 'Kampf gegen den Abbau demokratischer Rechte' musste so zur taktischen Variante gerinnen.

Wenn dieses theoretische Konzept auch die Einschränkung von persönlichen Freiheiten der KPD-Mitglieder begründete, so bleibt doch erstaunlich, mit welcher Bereitwilligkeit dies lange Zeit in Kauf genommen wurde. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob sich die Neue Linke in ihren Avantgarde-Organisationen bis zur Unkenntlichkeit oder bis zur Kenntlichkeit verwandelt hat".

Inhalt:
- "Ulf Wolter: Vorwort"
- "Karl Schlögel: Was ich einem Linken über die Auflösung der KPD sagen würde"
- "Willi Jasper: Nicht nur der Maoismus verlässt seine Kinder. Die Linke hilflos zwischen den Blöcken"
- "Bernd Ziesemer: Fraktionsmentalität und soziale Bewegungen. Zu einigen Aspekten des Scheiterns der KPD"
- "… da sind Dinge geschehen, die einem im nachhinein ganz phantastisch Vorkommen. Eine Diskussion zwischen Willi Jasper, Karl Schlögel, Bernd Ziesemer und Ulf Wolter"
- "Chronologie: 1970-1980: 10 Jahre KPD"
Quelle: Karl Schlögel/Willi Jaspers/Bernd Ziesemer: Partei kaputt. Das Scheitern der KPD und die Krise der Linken, West-Berlin, 1981.

KPDAO_1981_Partei_kaputt_001

KPDAO_1981_Partei_kaputt_002

KPDAO_1981_Partei_kaputt_003

KPDAO_1981_Partei_kaputt_004

KPDAO_1981_Partei_kaputt_005

KPDAO_1981_Partei_kaputt_006

KPDAO_1981_Partei_kaputt_007

KPDAO_1981_Partei_kaputt_008

KPDAO_1981_Partei_kaputt_009

KPDAO_1981_Partei_kaputt_010

KPDAO_1981_Partei_kaputt_011

KPDAO_1981_Partei_kaputt_012

KPDAO_1981_Partei_kaputt_013

KPDAO_1981_Partei_kaputt_014

KPDAO_1981_Partei_kaputt_015

KPDAO_1981_Partei_kaputt_016

KPDAO_1981_Partei_kaputt_017

KPDAO_1981_Partei_kaputt_018

KPDAO_1981_Partei_kaputt_019

KPDAO_1981_Partei_kaputt_020

KPDAO_1981_Partei_kaputt_021

KPDAO_1981_Partei_kaputt_022

KPDAO_1981_Partei_kaputt_023

KPDAO_1981_Partei_kaputt_024

KPDAO_1981_Partei_kaputt_025


Letzte Änderung: 03.01.2022