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Die Organisation der Autonomen Zellen

Materialien zur Analyse von Opposition

Von Jürgen Schröder, Berlin, 26.07.2007


Hier werden nicht etwa Dokumente der Gruppierung namens 'Autonome Zellen' vorgestellt, der wir evtl. später noch einmal einen Beitrag widmen werden, sondern es wird vielmehr ein Dokument veröffentlicht, welches ich dahingehend für bedeutend halte, dass seine organisatorischen Maßgaben sich nicht etwa allein aus dem Größenwahn oder den Gewaltphantasien der den Text formulierenden GenossInnen speisen, die vermutlich aus Dortmund stammten und von denen bisher keine weiteren Äußerungen aufgefunden werden konnten, sondern in dem neben der Rezeption damals handelsüblicher Guerrillakriegsanleitungen auch eine Einbeziehung neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse versucht wird, wobei neben der Biologie vor allem auch die Kybernetik Beachtung findet. Das gefällt mir persönlich an diesem Dokument.


Auszug aus der Datenbank „Materialien zur Analyse von Opposition“ (MAO)

August 1970:  In Dortmund wird frühestens im August aber noch in diesem Jahr der folgende Text verfaßt, der uns als Veröffentlichung der Projektgruppe autonomes Jugendzentrum Osnabrück vorliegt:"

DIE ORGANISATION DER AUTONOMEN ZELLEN

Die Organisationsfrage ist eines unserer wichtigsten Probleme. Ausgehend von dem gestellten Ziel ergibt sich sofort die Frage nach den Hilfsmitteln, mit denen die Aufgabe gelöst werden sollte. Das bedeutet, an 2. Stelle nach der Frage 'Was soll erreicht werden?' steht notwendigerweise die Frage 'Wie kann das Ziel erreicht werden?' Konkret ist das die Frage nach dem Zusammenwirken von Menschen und Mitteln - Das ist die Frage nach der Organisation.

Die beiden Grundprinzipien ideologisch begründeter Organisationsformen 1. zentralistisch 2. dezentralistisch

Zur Organisationsfrage sind heute Massen von Schriften im Umlauf und es scheint so, als wäre die Unklarheit noch kein bißchen behoben worden. Unserer Meinung nach liegt der Fehler aller Argumente für diese oder jene Organisationsform darin, daß man mehr emotional oder aus willkürlich zitierten Erfahrungen Schlüsse zog, statt die Frage rational zu bearbeiten.

Untersucht man die bekannten Schriften zur Organisationsfrage, so stellt man zwei grundsätzlich verschiedene Tendenzen fest:
1. das zentralistische Organisationsprinzip 2. das dezentralistische Organisationsprinzip.

Bisher waren alle wichtigen gesellschaftlichen Systeme zentralistisch organisiert. Auch viele Revolutionäre haben sich für das erstgenannte Organisationsprinzip entschieden. Grob gesagt vertritt das orthodoxe Lager das zentralistische Organisationsprinzip, während die 'Ultralinken', die 'Anarchisten', die 'Antiautoritären' mehr zu einem dezentralistischen Organisationsprinzip tendieren.

Wir wollen in diesem Aufsatz herleiten, daß eine dezentralistische Organisation der autonomen Zellen das zweckmäßigste ist, wenn es darum geht jegliche Aufgabe zu erledigen.

Leider waren alle uns bekannten Aufsätze über dieses Organisationsprinzip nicht auf den Erkenntnissen der Kybernetik begründet. Zum Beispiel tendiert Emma Goldmann in ihrem Aufsatz 'Anarchismus und Organisation' (in 'Direkte Aktion' Frankfurt, August 1970) zu einer Organisationsform, wie wir sie herleiten wollen. Doch schon indem sie Untersysteme des kapitalistischen Staates Institutionen statt Organisationen nennt und dadurch zu einer echten anarchistischen Organisation kommen will, stiftet sie eher Verwirrung durch ihre private Definition, als der Lösung näher zu kommen. In ihrem Aufsatz sind wie in vielen anderen emotionale Wertungen und nicht repräsentative Erfahrungswerte die ausschlaggebenden Argumente. Hier bietet die wissenschaftliche Arbeit, frei von Emotionen und mit repräsentativen Erfahrungen den Ausweg.

Die Wissenschaft die die Gesetzmäßigkeit aller Systeme untersucht und durch Vergleich zu mathematisch beschreibenden Gesetzen gelangen will, nennt sich Kybernetik. Ursprünglich war der Sinn der Kybernetikforschung der, von der Natur und Biologie die Kenntnis zu sammeln, und dann auf technisches Gebiet zu übertragen. Mittlerweile ist man weit darüber hinausgegangen und ahmt die Natur nicht nur in der Technik nach, sondern wendet die dort gewonnenen Erkenntnisse und mathematischen Zusammenhänge wieder praktisch an den biologischen Systemen selbst an. Die moderne Regelungstheorie ist z.B. ein wertvolles Hilfsmittel der Medizin zur Erforschung und Therapie von Geisteskrankheiten.

Die Organisationsfrage ist zweitrangig. Sie ist der Frage nach der Funktion unterzuordnen.

Anfangs haben wir schon gesagt, daß es bei jedem Arbeitsvorgang zwei Grundfragen gibt. Das gilt notwendigerweise auch für jeden politischen Arbeitsvorgang:

1. Die Frage 'Was soll erreicht werden?' - das ist die Frage nach dem Ziel der Arbeit - Die Kybernetik hat dafür den Begriff FUNKTION eingeführt.

2. Die Frage 'Wie kann das Ziel erreicht werden?' - das ist die Frage nach dem Zusammenwirken von Menschen und Mitteln - dafür hat die Kybernetik den Begriff STRUKTUR, und im besonderen Fall der soziologischen Systeme den gleichbedeutenden Begriff ORGANISATION eingeführt.

Erst wenn ich die Funktion definiert habe, darf ich mir Gedanken über die Organisation machen. Im umgekehrten Falle werde ich zum Dogmatiker, der z.B. eine 50 Jahre alte Organisationsphilosophie verabsolutiert.

Das Funktionsdenken, d.h. also Verwerfen starrer Strukturen, ist ja auch im wesentlichen bereits von Lenin bei der langfristigen strategischen Planung der Oktoberrevolution praktiziert worden. Noch deutlicher ist in dem perversen Hitler-Stalin-Pakt das Funktionsdenken zu erkennen. Die Funktion - Schaffung einer ruhigen Aufbauphase - war Stalins Ziel, der er sogar die Organisation eines Paktes mit den Nationalsozialisten unterordnete.

Das Funktionsdenken wird heute in der Volksrepublik China, man möchte beinahe sagen, total durchgeführt, da sämtliche Strukturen in einem ständigen Prozeß umgeformt werden, um eine bestimmte Gesamtfunktion des Systems China durchzuführen. Insofern besteht also kein Zweifel daran, daß die Volksrepublik China in ihrer Verwerfung starrer Strukturen ein soziologisches Modell geschaffen hat, das allen kybernetischen Modellen am nächsten kommt.

Um es noch einmal zu sagen, es ist im Prinzip völlig egal, welche Organisation aufgebaut wird, sie muß nur die gestellten Aufgaben lösen, d.h. ihre Funktion erfüllen können. So entspricht jeder Funktion, die sich aus Teilfunktionen (z.B. die Jahresziele eines Fünfjahrplans) zusammensetzt, eine Gesamtorganisation, die sich aus 'untergeordneten' Organisationen aufbaut.

Die Organisation hat die Funktion so effektiv wie möglich zu erfüllen. Die vier Kriterien der Effektivität:
1. Schnelligkeit
2. Sicherheit
3. Steuerbarkeit
4. Flexibilität

Die Organisation dient immer ihrer Funktion und muß sie so effektiv wie möglich erfüllen. Das gute Funktionieren einer Organisation läuft immer darauf hinaus, daß alle Probleme, alle Anstöße die von der Umwelt kommen, sinnvoll verarbeitet werden. So können wir die Grundforderung aufstellen, daß auf alle Informationen von innen (StellEMPFEHLUNGEN) und von außen (Störungen) sinnvoll reagiert werden muß.

Die Kybernetik hat die folgenden vier Hauptkriterien zur objektiven Bewertung der Effektivität einer Organisation aufgestellt:
1. Ausreichende Schnelligkeit, um auf Anstöße der Umwelt reagieren zu können, ganz egal mit welcher Geschwindigkeit von außen Störungen aufgeschaltet werden. Das System muß in der Lage sein, die Störungen aufzufangen und auszuregeln.
2. Höchste Sicherheit des Systems. Es braucht nicht näher erläutert zu werden, daß diese Forderung genau so wichtig ist wie die erste.
3. Leichte Steuerbarkeit des Systems, d.h. das System muß auf jede StellEMPFEHLUNG schnellstmöglich reagieren.
4. Minimale Aufbauzeit und flexible Ausbaufähigkeit auf beliebige Größenordnungen.

Vergleichbare Organisationen aus Soziologie, Biologie und Ökonomie.

Die Antwort auf alle diese Forderungen liefert uns die Natur. Es gibt ein Naturgesetz, das sagt nichts anderes als die Binsenwahrheit, daß der Stärkere den Schwächeren vernichtet. Der Stärkere ist nun keinesfalls der körperlich Stärkere, sonst würden die Dinosaurier heute den Erdball beherrschen, sondern der Stärkere ist derjenige, der in der Lage war, in sich und um sich eine Struktur aufzubauen, welche diesen Anforderungen der Umwelt am besten genügt.

Die Beispiele zeigen: Systeme mit autonomen Untersystemen, d.h. eine Organisation der autonomen Zellen sind in der Lage mit größter Effektivität Funktionen zu erfüllen.

Als erstes wollen wir uns die Strukturen des menschlichen Körpers anschauen. der menschliche Körper besteht aus einer ganzen Reihe von völlig autonomen Untersystemen, welche durch einen relativ lockeren, d.h. minimalen Informationsaustausch in Verbindung stehen. Z.B. gibt es das völlig autonome Untersystem 'Herz'. das Herz arbeitet, ohne daß irgendein Anschluß aus der Denkzentrale ständig dieses System überwacht oder gar anstößt. Es kann herausoperiert werden und es lebt in der Hand des Arztes eine gewisse Zeit weiter. Genauso wie der menschliche Körper eine gewisse Zeit ohne Herz, mit Hilfe einiger technischer Manipulationen, leben kann. Die anderen autonomen Gebilde wie z.B. Lunge, Magen, Gehirn usw. bleiben erhalten und nehmen während der Operation das Fehlen eines Untersystems nicht zur Kenntnis, d.h. das Hauptsystem Mensch bleibt erhalten. Insgesamt gesehen, damit das Gesamtsystem Mensch funktionieren kann, hat sich im Laufe von Jahrmillionen aus den einzelligen Lebewesen, wo Verdauungstrakt und Gehirn noch eins waren, ein sehr kompliziertes System Mensch entwickelt, bei dem einzelne Aufgaben vollständig delegiert wurden. Es gibt auch andere Untersysteme im menschlichen Körper, wie z.B. das Untersystem Hand, das genauso autonom wie das Untersystem Fuß ist. Von der Zentrale kommt lediglich die Information 'greif in die linke Lade des Schrankes', und sämtliche Sehnen und Muskeln in der Hand werden autonom gesteuert, ohne daß das Gehirn jede einzelne Fingerkrümmung direkt regelt. So besteht unser ganzer Körper nur aus autonomen Zellen, die über einen MIMIMALEN INFORMATIONSAUSTAUSCH miteinander in Verbindung stehen.

Untersuchen wir einmal, ob dieses System auch nach dem 1. Kriterium das schnellste ist. Ein Fußballtormann wird bei einem scharf geschossenen Ball mit einem Reflex reagieren. Dieser Reflex wird niemals über einen Steuerbefehl vom Gehirn ausgelöst, sondern läuft autonom von den Augen über das Rückenmark in die einzelnen Untersysteme. Wenn der menschliche Computer, das Gehirn, hier erst einzelne Entscheidungen fällen müßte, wäre das ganze Gebilde Fußballtormann viel zu langsam. Ein Maximum an Schnelligkeit ist also dann gegeben, wenn autonome Untersysteme vorhanden sind, die für sich allein reagieren können. Der Torwart reagiert wie die für ihre Reaktionsschnelligkeit bekannten Fische über die Kurzschlußleitung Rückgrat.

Das 2. Kriterium - Sicherheit des Systems - ist auch nur bei einem derartigen System maximal. Verliert der Mensch das Untersystem Hand, so wird er trotzdem weiterleben können. Ein Gegenargument mit Hinweis auf das Gehirn ist nicht stichhaltig, da es nur noch eine Frage der Zeit ist bis man ganze Gehirne austauschen wird.

Die anderen Forderungen sind an anderen Beispielen etwas klarer herzuleiten.

Hier wollen wir eine straff organisierte wirtschaftliche Einheit einem System mit maximal autonomen Untersystemen gegenüberstellen. Als in den 50iger Jahren in Österreich das sogenannte Sauerstoffaufblasverfahren erfunden wurde, war die gesamte Stahlindustrie der Welt überzeugt davon, daß dies mit weitem Abstand die wirtschaftlichste Methode sei, Stahl zu erzeugen. Die autonomen Untersysteme der kapitalistischen Welt stellten ihre Produktionseinheiten in kürzester Zeit auf das neue Verfahren weitgehend um. Anders in der Sowjetunion (SU,d.Vf.), wo in dem Siebenjahrplan der Ausbau der Stahlproduktion mit der vergleichbar höchst unwirtschaftlichen Siemens-Martin-Methode verplant war. Dieses starre System war nicht in der Lage, schnell genug auf die Information zu reagieren, weil sonst der gesamte Plan der Grundstoffindustrie hätte umgebaut werden müssen. Auf diese Weise erlitt die Sowjetunion nicht schätzbare Nachteile. Bei dem was die Sowjetunion auf ökonomischem Gebiet also nach wie vor praktiziert, handelt es sich sicherlich nur um eine Übergangslösung, denn sie hat auf militärischem Gebiet schon längst eine andere Organisationsform verwirklicht.

Über das gesamte Gebiet der Sowjetunion verstreut bestehen eine Reihe von autonomen Regionen. Diese Regionen sind sowohl von der Energieversorgung als auch von der Rohstoffversorgung her absolut selbständige Einheiten. Sie sind in der Lage jedes militärische Werkzeug - angefangen vom Offizier bis zum Flugzeug - selbst herzustellen. Es besteht kein Zweifel, daß nach einiger Zeit auch die Produktion für kleine und mittlere Raketen in mehrere Regionen verteilt wird.

Was bedeutet das?

Solange noch ein einziges dieser Zentren funktionstüchtig bleibt, kann das Gesamtsystem Sowjetunion sich weiterverteidigen.

Im Gegensatz dazu stellen wir uns vor, wenn z.B. die gesamte sowjetische Flugzeugproduktion an einem Punkt konzentriert wäre. Ein einziger atomarer Schlag könnte diesen Riesen völlig hilflos machen. Oder man brauchte sich nur vorzustellen, wenn es nur einen einzigen Generalstab gäbe, der befehlsmäßig Zugriff bis zum Kompaniechef hätte. Mit einem Attentäter ließe sich bereits für jeden Gegner das Problem lösen.

Noch konsequenter ist die strategische Struktur der Volksrepublik China, wo die einzelnen Armeen maximale Autonomie innehaben. In dieser Armee geht es mit der Autonomie so weit, daß auch die Gruppenführer noch weitgehend autonom entscheiden können.

Es ist dabei ganz klar herauszustellen, daß die Strategie der chinesischen Volksarmee eine rein defensive ist. Sie geht davon aus, daß Bevölkerung und bewaffneter Widerstand praktisch nicht zu unterscheiden sind. Der Widerstand gegen jeden Aggressor wird in autonomen Gruppen durchgeführt, welche durch ein Informationssystem koordiniert werden. Dadurch wird es erst möglich beliebige Widerstandskräfte zu lockern oder zu massieren. Das entscheidende ist, daß der Feind ständig beunruhigt wird eben durch kleinere Widerstandsgruppen in der Bevölkerung und nie richtig Handlungsfreiheit erlangen kann. Gibt sich der Angreifer eine Blöße, so kann durch Zusammenziehung der autonomen Gruppen sofort eine überlegene Armee gebildet werden, die in der Lage ist den Feind zu vernichten.

Das Wesentliche sei nochmal herausgestellt: Die Gruppen arbeiten autonom. Sie ernähren sich selbst, sie besorgen sich ihre Waffen usw. selbst, abgesehen von einer Grundausrüstung, und bekommen lediglich sogenannte Rahmenbefehle, d.h. sie arbeiten im Rahmen eines größeren strategischen Planes, der ihnen keine taktischen Details vorschreibt. Lediglich in außerordentlichen Fällen (Möglichkeit durch überlegene Kräfte einen sicheren Sieg zu erringen) ordnen sie sich straff zusammen.

An diesem Beispiel läßt sich am besten demonstrieren, daß die Forderung nach minimaler Aufbauzeit und flexibler Ausbaufähigkeit auf beliebige Größen (Kriterium 4) nur durch ein System mit maximal autonomen Untersystemen erfüllt werden kann. Angenommen eine neue Region wird in die Gesamtorganisation einbezogen, so müßte bei einer straffen zentralistischen Organisationsform bis in die Spitze hinauf umorganisiert werden. Bei den Systemen mit maximaler Autonomie werden eine oder mehrere autonome Untergruppen geschaffen, die lediglich informativ zunächst mit den anderen Gruppen zusammenhängen. Je nach Notwendigkeit kann man Gruppen abbauen und aufbauen, so daß immer die Gewähr gegeben ist, daß genauso viel Organisation und Bürokratie einzieht, wie unbedingt notwendig ist.

Der Aufbau einer politischen Organisation zur Erfüllung einer revolutionären Aufgabe

Die im folgenden beschriebene Organisationsform ist geeignet eine politisch revolutionäre Funktion zu erfüllen. Die Qualität der Organisation kann anhand der aufgeführten Kriterien geprüft werden.

Grundeinheit der Organisation sind die Menschen. Die Menschen schließen sich in Zellen zusammen. Die Zellen stehen miteinander in Verbindung über Verbindungsmänner, Kommunikationsmittel und Massenkommunikationsmittel. Die Verbindungen zwischen den Organisationseinheiten haben wir in folgender Skizze auf DREI INFORMATIONSEBENEN dargestellt".

Diese erste Skizze besteht aus vier mit jeweils Pfeilen in beide Richtungen verbundenen Ebenen: Umwelt, Ebene der autonomen Zellen, Ebene der Verbindungsleute und Ebene der Massenkommunikation.

Eine zweite Skizze charakterisiert die Zelle als Kreis, von dem Blitze ausstrahlen. Sie besteht aus:
- Akademiker mit Verbindung zu Akademischen Kreisen;
- Künstler mit Verbindung zu Künstlerkreisen;
- Journalist, Redakteur mit Verbindung zur Presse;
- Arbeiterfunktionär mit Verbindung zur Arbeiterschaft und zu gewerkschaftlichen Organisationen;
- Lehrer mit Verbindung zu Schulkreisen;
- Pfarrer mit Verbindung zu kirchlichen Kreisen;
- Polizist mit Verbindung zur Polizei;
und Offizier mit Verbindung zu Armeekreisen.

Diese recht elitäre Zelle (einfache ArbeiterInnen, SoldatInnen, SchülerInnen oder StudentInnen sind scheinbar als Revolutionäre nicht vorgesehen - was evt. der Übernahme der Graphik vermutlich aus einem Lehrbuch geschuldet ist) ist durch die Verbindungsleute mit anderen verbunden, wobei die Verbindung nicht zwischen allen Zellen zugleich besteht und jeweils ein Zellenmitglied die Verbindung zu einer anderen Zelle hält.

Im Text heißt es weiter:"

ZU 1. DIE EBENE DER AUTONOMEN ZELLEN

Eine Zelle setzt sich aus mehreren Menschen zusammen, von denen jeder (oder fast jeder) gleichzeitig auch in anderen Kreisen und Zellen verkehrt. Das wird auch anschaulich gemacht in der Zeichnung zu Ebene 2, wo die Personen a, b und c gleichzeitig Mitglieder in den Zellen 1, 2 und 7 sind.

Kommunikation gibt es in dieser Ebene zwischen den Zellenmitgliedern und bei Kontakten mit der Umwelt. Kommunikationsträger sind in dieser Ebene einmal die Sprache, zum andern technische Hilfsmittel: Zeitungen, Radio, Fernsehen, aber auch Abhörgeräte und anderes stellen den Kontakt zur Umwelt her.

Stellt die Umwelt die Zellenmitglieder vor Probleme, die diese nicht allein bewältigen können, so geben sie die Information über Verbindungsmänner der 2. Ebene an andere Zellen weiter.

DIESE EBENE ist wie wir aus der Zeichnung sehen EIN NETZWERK VON PERSÖNLICHEN KONTAKTEN. Die Träger dieser persönlichen Kontakte sind Verbindungsleute. Die Verbindungsleute haben wir uns nicht vorzustellen als gewählte Gruppensprecher, Delegierte oder Räte, sondern - da es sich bei den Zellen um eine Vielfalt von verschiedenen Projektgruppen handelt, ergibt es sich, daß jedes Zellenmitglied für andere Teilbereiche Verbindungsmann ist. Man kann sich diese Organisation vielleicht vorstellen als eine Vielfalt von ineinander verquickten Räteorganisationen.

Diese Ebene ist ein Filter und begrenzter Koordinator. Hier werden Absprachen getroffen, die aber erst in der 1. Ebene realisiert werden und auf die Umwelt treffen.

Kommunikationsmittel ist einmal die Sprache selbst, zum andern werden technische Hilfsmittel benötigt: Schreibmaschine, Auto, Telefon, Tonbandgerät, Rundfunksender und anderes.

Hier stellen wir auch einen Unterschied zu allen anderen bekannten Organisationen fest, die nur ein Projekt, eine Funktion zu erfüllen hatten. Aber anders als z.B. ein Herzmuskel, der nur in der Zelle Herz funktionieren kann, ist der Mensch in der Lage verschiedene Funktionen zu erfüllen. Daraus ergibt sich die Sonderstellung dieser Organisationsform in der Kybernetik.

ZU 3. DIE EBENE DER MASSENKOMMUNIKATION

Probleme die weder in der 1. noch in der 2. Ebene zu lösen waren, werden über diese Ebene einem Kreis bekannt gemacht, der nicht mehr über persönliche Kontakte zu erreichen wäre.

Hier kommen wir nicht mehr ohne technische Massenkommunikationsmittel aus: Druckmaschinen, Megaphone, Filmgeräte, Radiosender und anderes.

Jede Gruppe muß direkt oder über einen Verbindungsmann über diese Geräte verfügen können, um so die Massenkommunikationsebene benutzen zu können.

Konfidentenproblem

Wie überlegen eine derartige Organisation ist, wird an dem in letzter Zeit besonders aktuellen Problem der Konfidenten (Kriterium 2) ausgeführt. Die Sicherheit des Systems hat sich bei allen revolutionären Organisation als ein schwieriges Problem herausgestellt. Immer wieder finden sich undichte Stellen, Verräter die absichtlich oder unabsichtlich aus reiner Prahlsucht die Organisation gefährden. So verlangt Carlos Marighela folgerichtig: die Organisation muß so aufgebaut sein, daß keiner mehr weiß als mit seiner Arbeit zu tun hat; niemand darf alle Kameraden und alle Pläne kennen.

Und das ist in der Organisation der autonomen Zellen gewährleistet. Niemand wird Leuten die er nicht oder nur wenig kennt wichtiges erzählen weil nur reine persönliche Kontakte ein entsprechendes Vertrauensverhältnis begründen - es sei denn er ist ein Schwätzer. Hier ist die Sicherheit viel größer als bei einer autoritären Organisation, wo Papiere, Ausweise und ähnliches das Vertrauensverhältnis ersetzen.

Die Konsequenz die wir nun ziehen können ist, daß wir jede Arbeit abbrechen, die anders organisiert ist als hier hergeleitet, es sei denn wir ordnen die Arbeit in den Institutionen und Parteien nach dem Funktionsdenken einer autonom organisierten Gesamtstrategie unter.

Wir dürfen unser Ziel nicht mehr in der Parteiarbeit sehen sondern müssen an der Basis (Ebene 1) arbeiten. Jeder Formalismus und Bürokratie müssen abgeschafft werden. Wir müssen uns das undogmatische Funktionsdenken konsequent angewöhnen.

Schließlich ist es sehr wichtig, daß wir die materiellen Voraussetzungen für unsere Arbeit schaffen: das von Marighela verlangte Auto genügt nicht, wir benötigen Schreibmaschine, Telefon, Radio, Fernsehen, Zeitungen, Tonbandgerät, Druckmaschine (es gibt preiswerte Umdrucker die schon gute Dienste leisten), Megaphon, Filmgerät und Fotoapparat, Radiosender und mehr."
=N.N.:Die Organisation der autonomen Zellen,Dortmund 1970 in: Ebd.,Osnabrück o.J.

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