SMV-Press - Publikationsorgan der Schülermitverwaltung in Nordrhein-Westfalen, Jg. 2, Nr. 4, Juni 1972

Juni 1972:
In NRW gibt die Landes-SMV an allgemeinbildenden Schulen ihre 'SMV-Press' Nr. 4 (vgl. Dez. 1971, Sept. 1972) mit 4 Seiten DIN A 4 heraus. Herausgeber ist Martin Büse, neben dem verantwortlichen Redakteur Werner Pohlmann gehören auch Jörg Volmar und Achim Tobias der Redaktion an.
Zur Zusammensetzung der Redaktion heißt es:"
Redaktion intern:

Nach dem Ausscheiden von Gert Wittfeld trat Achim Tobias seine Nachfolge als Redakteur an. Achim Tobias - wohnhaft in Bonn - sieht sein Hauptbeobachtungsfeld in der Bildungspolitik auf Bundesebene. Er ist gleichzeitig auch Öffentlichkeitsreferrent des Landesvorstandes der SMV-NRW und wird somit auch versuchen, die Arbeit zwischen der Redaktion der SMV-Press und dem Landesvorstand zu koordinieren und abzustimmen.

Im Leitartikel heißt es:"
NACH VORLAGE DES RICHTLINIENENTWURFES DER SMV-FINANZEN:

NEUER RICHTLINIENENTWURF GEFÄHRDET UNABHÄNGIGE ARBEIT DER SMV IN NRW

ZEHN-PROZENT-KLAUSEL SOLL DURCH 'ANGEMESSENEN BETRAG' ERSETZT WERDEN

Der Schülermitverwaltung in Nordrhein-Westfalen stehen - laut Haushaltsplan des Landes NRW 1972 - 550 000 DM zur Verfügung. Diese Summe teilen sich der SMV-Verband der allgemeinbildenden Schulen und der berufsbildenden Schulen, so daß jeder Verband 275 000 DM zur Finanzierung der überörtlichen Arbeit verwenden kann. Zur überörtlichen Arbeit gehört sowohl die Arbeit in den SMV-Bezirken wie auch die der Landes-SMV; somit wird also auch die Herausgabe der SMV-Press im Wesentlichen durch diese öffentlichen Gelder ermöglicht. Wie diese Gelder verteilt, bewirtschaftet und abgerechnet werden sollen, das regeln verbindliche Richtlinien, die Anfang 1973 in Kraft treten."

Berichtet wird von der Erarbeitung des Entwurfes (vgl. 11.4.1972, 9.5.1972) und fortgefahren:"
Soweit also die Berichterstattung über diese wie wir meinen skandalösen Vorgänge im Kultusministerium. Denn es ist klar, daß durch das Fehlen der konkreten Zehn-Prozent-Klausel das Kultusministerium zu jeder Zeit die Finanzen 'für sich' beanspruchen kann und sie somit der SMV entzieht. Gründe gegenüber der Öffentlichkeit lassen sich sicherlich in dieser gerüchtefruchtbaren Atmosphäre schnell finden."

Mit dem selben Thema befaßt sich auch "Der aktuelle Kommentar" von Martin Büse:"
DIE HOFFNUNG WAR TRÜGERISCH

Nachdem man sich über sechs Monate mit den neuen Richtlinien in oft harten Verhandlungen auseinandergesetzt hatte, teilten alle an den Verhandlungen beteiligten Gruppen zum Schluß die - wie wir meinten - berechtigte Hoffnung, eine praktikable Lösung gefunden zu haben. Doch diese Hoffnung erwies sich in der letzten Woche als trügerisch. Denn nachdem die schriftliche Vorlage des Entwurfs seitens des Kultusministeriums allen Beteiligten zugegangen ist, mußte uns klar werden, daß alle Mühen umsonst gewesen sind.

Ein Entwurf, der durch das Fehlen der konkreten 10%-Klausel jederzeit die Sperrung oder Streichung der Gesamtmittel der Landes-SMV ermöglicht, ist für die SMV ebenso unannehmbar, wie der damit entstehende Verlust der Unabhängigkeit. Durch den Umweg über die Finanzen versucht man nun, nach progressiven Lehrern eine weitere progressive Gruppe, diesmal uns, die Schüler, politisch zu disziplinieren.

Es müßte jeden kritischen Beobachter beunruhigen, daß eine Landesregierung, die angibt, progressive Bildungspolitik betreiben zu wollen, dieses nur durch eine Entmündigung progressiver Gruppen erreichen kann.

Diese Entwicklung zeigt auch immer deutlicher, wie illusionär es ist, einerseits auf Mitbestimmung zu bauen und sie den Schülern als DEN großen Fortschritt bei der 'Demokratisierung der Schule' zu verkaufen, während andererseits die Kultusbürokratie darangeht, die Interessenvertretung der Schüler über die Hintertreppen der Finanzen politisch in den Griff zu bekommen.

Auch die Bemühung seitens des Kultusministeriums, die Publikation der Landes-SMV zu bremsen, paßt nicht recht in die offizielle politische Konzeption der SPD/FDP-Landesregierung. Ganz abgesehen von dem politischen 'Kuhhandel', den Vertreter des Kultusministeriums auf einer Kommissionssitzung in diesem Zusammenhang anboten (Anmerk. der Redaktion: Die Vertreter des KM schlugen vor, die Ausgaben des Publikationssektors der SMV gleichwertig mit den Mitteln für die KM-Eigenveranstaltungen anzuheben).

Es wird von Maßnahme zu Maßnahme schwerer, den politischen Konzeptionen der Parteien Glauben zu schenken, da die Praxis nur die Widersprüche und leider nur selten die Erfüllung der Pläne aufzeigt."

Ebenfalls zu diesem Thema erscheint folgende:"
LETZTE MELDUNG
MÜNSTER PLANT AKTIONEN

Wie wir kurz vor Drucklegung dieser Ausgabe noch erfahren haben, beabsichtigt der SMV-Bezirk Münster gegen den Richtlinienentwurf Maßnahmen zu ergreifen. Von einigen Schülersprechern war zu hören, daß ein befristeter Warnstreik noch vor den Sommerferien nicht ausgeschlossen werden kann. Zuvor fordern die Schülersprecher aber noch sachliche und umfassende Informationen über die Vorgänge in Düsseldorf seitens des Landesvorstandes.

Diese Maßnahmen laufen parallel zu Überlegungen, die auch in anderen Bezirken NRW's zur Zeit getroffen werden. Unter anderem werden aus dem Ruhrgebiet und aus Teilen des Rheinlandes 'Mißfallensäußerungen' zu dem Richtlinienentwurf registriert."

In einem weiteren Artikel, der vom bayrischen Rundfunkgesetz (vgl. 1.3.1972) berichtet, heißt es einleitend:"
'Billigt die Landesregierung eine Kampagne in der Nr. 2 der SMV-Press, mit dem Ziel, mehr linksradikale Lehrer in die Schulen zu bringen?' so lautete Punkt 3 der kleinen Anfrage 525 (vgl. S.2.*.1972, d.Vf.) dreier CDU-Abgeordnete im nordrhein-westfälischen Landtag. Die Herren störten sich an dem Artikel 'Einstellung nach Einstellung?' von Knut Hüller, in dem zwei Beispiele für die Diskriminierung angeblich 'linksradikaler' Lehramtsanwärter geschildert wurden, womit freilich zugleich indirekt die Ansicht des CDU/CSU-Kanzlerkandidaten und Fraktionsvorsitzenden Rainer Barzel kritisiert wurde, das Grundgesetz nach seinen Vorstellungen beliebig zu ändern: 'Wenn die bestehenden Rechtsgrundlagen nicht ausreichen sollten, die DKP-Mitglieder aus dem öffentlichen Dienst auszuschließen, ist die CDU/CSU bereit, gemeinsam mit anderen demokratischen Parteien diese Rechtsgrundlagen zu schaffen; hierbei muß auch eine Änderung des Grundgesetzes in Betracht gezogen werden.'"

Eingegangen wird bei diesem Themenkomplex auch auf die 'Spiegel-Affäre' (vgl. 10.10.1962, Mai 1965).

Abgedruckt werden Teile der Versetzungsordnung und der Richtlinien für die Prüfung von Nichtversetzten. Berichtet wird von den bildungspolitischen Vorstellungen des DGB (vgl. 7.3.1972), dem Deutschen Lehrerverband NRW (DLV - vgl. Mai 1972), dem Bildungsetat 1975 und der Haltung der ASJ NRW der SPD zu den Berufsverboten (BV - vgl. Mai 1972) sowie der eigenen Landesversammlung (vgl. 30.4.1972).

Es erscheint auch ein:"
BERICHT DER REDAKTION

Von 'Girgensohn-Exklusiv-Nummer' bis zu 'Girgensohnkult' reichten die Kommentare zur letzten Ausgabe der SMV-Press. Inoffizielle Stimmen des Schulkollegiums in Münster sprachen von einer harten Enttäuschung der wenigen progressiven Schüler im Lande, die diese Ausgabe hervorgerufen habe.

Nun, wie kam es zu dieser Ausgabe? Nachdem zur SMV-Press wiederholt in der letzten Zeit Anfragen im Landtag gestellt worden waren, sollte der Kultusminister dieses Landes nach unserer Meinung Gelegenheit bekommen, zu Artikeln der letzten Ausgaben Stellung zu nehmen.

Wie er aber nun diese Gelegenheit nutzte, das konnte und sollte keinem SMV-Press-Leser vorenthalten werden, so daß wir die Stellungnahmen ungekürzt veröffentlicht haben.

Wer aber dann erklärt, daß es ihm 'schwerfällt, die Verfasser in dieser Frage (Anm. d. Red: gemeint ist die Berichterstattung über den Beschluß der Ministerpräsidenten zur Frage der Beschäftigung verfassungsfeindlicher Kräfte im öffentlichen Dienst (BV, d.Vf.)) noch als ernstzunehmende Partner zu akzeptieren', d.h. also, wem es schwerfällt, Andersdenkende ernstzunehmen und zu akzeptieren, der disqualifiziert sich in Bezug auf sein Demokratieverständnis unserer Meinung nach selber. Auch andere Bemerkungen Girgensohns müssen als 'Schutzbehauptungen' angesehen werden. Vergleicht man sie mit der Kontroverse des Kultusministers mit dem Innenministerium, so stellt man fest, daß der Kultusminister dieses Landes sehr wohl die Gefahren sieht, die der Beschluß der Ministerpräsidenten vom 28.1.1972 zur Frage der Einstellung 'verfassungsfeindlicher Kräfte' in den öffentlichen Dienst mit sich bringt. Warum aber wird Girgensohn dann nicht auch in der Öffentlichkeit genauso deutlich, wie sein hessischer und niedersächsischer Kollege?

Wir haben die Gelegenheit zu klaren Stellungnahmen gegeben; daß diese Möglichkeiten nicht voll genutzt worden sind, bedauern wir sehr."

Es werden zwei Leserbriefe veröffentlicht. Im ersten, von dessen Autor(in) Name und Anschrift nur der Redaktion bekannt sind, heißt es:"
ANTWORT AN HERRN WILHELM MEIER

Zu der Empörung des Herrn Wilhelm Meier in der letzten Ausgabe der SMV-Press, daß 'in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt werde, als sei die ganze Schülerschaft' der Meinung der SMV-Press-Redaktion, meine ich, daß dieser 'Eindruck' gar nicht mal so schlecht ist, denn wessen Niveau und Gesprächstheme etwas über Bundesliga und über den üblichen Schulärger hinausgeht, der sich überdies auch nur kurz mit den herrschenden Kräften in der 'sozialen Marktwirtschaft' und somit auch den herrschenden Kräften in der 'freien Welt' beschäftigt hat, kommt zwangsläufig zur Meinung, daß diese herrschenden Kräfte eine herrschende KLASSE, nämlich die der Produktionsmittelbesitzer, sind und kommt also auch zur Meinung der SMV-Press-Redaktion. Daher ist auch Herrn Wilhelm Meiers Frage leicht zu beantworten: Die SMV-Press möchte gern die KRITISCHEN Schüler an unseren Pennen ansprechen und vertreten. Außerdem: der Grund dafür, daß die ganze Schülerschaft noch nicht dieser Meinung ist, liegt wohl an den Bildungsinhalten des heutigen Bildungssystems, das an fachlich gut ausgebildeten Schülern als Nachwuchs für die Industrie (nicht etwa, um jedem eine gute Allgemeinbildung zu gewähren) interessiert ist, nicht aber an solchen, die ihre Umwelt richtig erkennen, deuten und kritisieren können."

Der Leserbrief von Joachim Ibes aus Kerken lautet:"
EINE KLARE ANTWORT

Die Stellungnahme des Kultusministers Girgensohn beginnt wie mit einem Paukenschlag. Weil der Herr Kultusminister das Urteil der Kritiker des Ministerpräsidenten-Beschlusses nicht für richtig hält, sind sie für ihn keine 'ernst zu nehmenden Diskussionspartner'. Der Herr Kultusminister pocht auf den Wortlaut des Ministerpräsidenten-Beschlusses und meint damit wäre alles in Ordnung. Es geht nicht so sehr um den Wortlaut, sondern um seine Folgen. Den Schluß, daß dieser Beschluß faschistische Tendenzen enthalte, gewinnt man aus den Folgen, denn für wen diese Beschlüsse gemacht sind, erkennt man daran, daß der Anteil der Betroffenen, die unser System nicht verteidigen wollen, nämlich der Kommunisten und Sozialisten, sehr hoch ist.

Eine dem Kultusminister wohl unangenehme EINDEUTIGE Trennung zwischen Demokraten und Faschisten kann der Demokratie nur dienlich sein.

Auch unser so hoch geschätztes Wort 'radikal' darf nicht fehlen. Der Kultusminister soll froh sein, daß es überhaupt noch Leute gibt, die Probleme nicht durch Reformen verwaschen und verschleiern, sondern lösen wollen.

Ich hoffe, daß diese Antwort die Stellungnahme des Kultusministers verdeutlicht."

Ein letzter Artikel, der zu Auseinandersetzungen führen wird, befaßt sich mit der KDV:"
KRIEGSDIENSTVERWEIGERUNG

Die Zahl der Kriegsdienstverweigerer steigt in den letzten Jahren enorm an. Überall haben sich Gruppen gebildet, deren Ziel es ist, eine größtmögliche Anzahl von Jugendlichen zur Kriegsdienstverweigerung zu bewegen. Sie organisieren Diskussionsrunden, Anti-Kriegsfilmvorführungen, Kabarettveranstaltungen, Flugblattaktionen und bereiten Kriegsdienstverweigerer systematisch auf ihre Verfahren vor.

Sowohl die Aktivisten in diesen Gruppen als auch die Kriegsdienstverweigerer sind zum übergroßen Teil Gymnasiasten und Studenten.

Die Kriegsdienstverweigerer gehen davon aus, daß durch die Kriegsdienstverweigerung der Jugendliche 'bewußt' gemacht werden könne und so eine Massenbewegung von Kriegsdienstverweigerern entstehe, die auf friedlichem Wege gesellschaftliche veränderungen herbeiführen würden.

Die Kriegsdienstverweigerer sprechen sich gegen jede Art von Krieg und Gewalt aus. Ihr Hauptangriffspunkt ist der Militarismus, der in der BRD überall wieder aufkeimt (Einführung des Faches Wehrkunde (WKE, d.Vf.), Ausbau des Bundesgrenzschutzes (BGS, d.Vf.), Militarisierung der Polizei usw.).

Die Politik der Kriegsdienstverweigererorganisationen, an der Spitze der 'Verband der Kriegsdienstverweigerer' (VK, d.Vf.), hat auf der einen Seite Erfolg - die Zahl der Kriegsdienstverweigerer steigt - auf der anderen Seite ist ihre Politik eindeutig gescheitert, die Kriegsdienstverweigerer sind in ihrer großen Mehrheit in der Regel nur so lange bereit organisiert mitzuarbeiten, bis ihnen die Organisation geholfen hat, das Anerkennungsverfahren durchzustehen und den lästigen Wehrdienst zu umgehen.

Die meisten Kriegsdienstverweigerer haben den Kampf für eine Veränderung der Gesellschaft, gegen Militarismus, gegen Krieg und Gewalt auf ihre Fahnen geschrieben.

Diese Ziele sind sicher anerkennenswert; doch wie sollen gesellschaftliche Veränderungen herbeigeführt werden? Wie sollen diese Veränderungen aussehen? Wie ist der Krieg und die Gewalt endgültig zu beseitigen?

Die Kriegsdienstverweigerer sagen durch Kriegsdienstverweigerung, durch 'zivilen Ungehorsam', 'passiven Widerstand' und verweisen dabei auf Gandhi und Martin Luther King.

Doch was sagen sie zu Vietnam? Was raten sie dem vietnamesischen Volk? Sollen sie ihre Waffen wegwerfen? Sollen sie weiter das korrupte Thieu-Regime walten lassen? Soll den USA weiter ermöglicht werden, Vietnam und sein Volk auszubeuten?

Die Kriegsdienstverweigerer verfolgen eine Politik, die in höchstem Maße idealistisch ist und mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun hat. Wer gesellschaftliche Veränderungen will, muß bemüht sein, sie ohne Gewalt und Opfer herbeizuführen, aber es ist in höchstem Maße borniert, von vornherein den Gebrauch von Gewalt auszuschließen.

Im Kampf gegen den Militarismus ist die Kriegsdienstverweigerung nur eine Flucht.

Ein konsequenter antimilitaristischer Kampf hat dort anzusetzen, wo der militärische Staatsapparat die Jugendlichen zusammenfaßt und sie militärisch erzieht und ausbildet.

Er muß beginnen mit dem Kampf gegen den Wehrkundeunterricht und muß IN der Bundeswehr weitergeführt werden, um in der Bundeswehr eine breite antimilitaristische Front zu organisieren. Spätestens dann, wenn die Pläne für eine Berufsarmee verwirklicht werden - und alles deutet darauf hin - werden die Kriegsdienstverweigerer den endgültigen Bankrott ihrer idealistischen Politik erleben.

In der Bundeswehr, im Bundesgrenzschutz, in der Polizei muß die Arbeit ansetzen, um 'die Zermürbung und Zersetzung des militärischen Geistes zur Beschleunigung der organischen Zersetzung des Militarismus' (Karl Liebknecht)
organisiert voranzutreiben."
Quelle: SMV-Press Nr. 4, Münster Juni 1972

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