Zum KBW in Gelsenkirchen

Materialien zur Analyse von Opposition

Von Dietmar Kesten, Gelsenkirchen

Die Materiallage zum KBW in Gelsenkirchen beschränkt sich hier auf das Jahr 1976. Im Wesentlichen geht es um die Entlassung der Pädagogin Barbara Mels aus dem Schuldienst. Nach den bisherigen Erkenntnissen unterrichtete sie an der Hans-Böckler Schule in Gelsenkirchen-Feldmark. Vermutlich stand sie dem KBW nahe.

Frau Mels war anscheinend bereits im Juni/Juli 1976 vom Verfassungsschutz beobachtet worden, was aus einer „Persönlichen Erklärung“ hervor geht. Danach arbeitete sie wohl 1974/75 enger mit dem KBW zusammen. Der Regierungspräsident in Münster lud sie zu einer „Anhörung“. Zudem machte Frau Mels deutlich, dass sie für eine „Einheitsschule unter Volkskontrolle“ eintrete (vgl. 12. Juli 1976).

Gegen die angedrohte Entlassung aus dem Schuldienst entfaltete der KBW, wahrscheinlich über seinen Bezirksverband Essen, eine Initiative, die sich für den Verbleib der Lehrerin an der Schule stark machte. Er lud Anfang September zu einer öffentlichen Versammlung im Gelsenkirchener Revierpark Nienhausen ein. Dort sollte über die angedrohte Entlassung debattiert werden (vgl. 1. September 1976).

Ein Flugblatt des KBW erklärte, dass Frau Mels vom Schuldienst „mit sofortiger Wirkung suspendiert“ worden sei (vgl. 4. September 1976).

Vermutlich fand in Gelsenkirchen eine vom KBW organisierte Demonstration statt, bei der es um die Entlassung von Barbara Mels aus dem Schuldienst ging. Der KBW erklärte u. a., dass die „Suspendierung zurückgenommen werden muss“, das „Anhörungsverfahren muss eingestellt werden“, „Frau Mels muss Lehrerin bleiben“ (vgl. 14. September 1976).

Laut eines Flugblatts des KBW sollte eine „disziplinäre Vorermittlung“ vom Regierungspräsidenten Münster gegen Frau Mels eingeleitet worden sein. Der KBW rief dazu auf, Frau Mels zu einem weiteren „Anhörungsverfahren“, das am 25. Oktober stattfinden sollte, nach Münster zu begleiten (vgl. 12. Oktober 1976; 21. Oktober 1976).

Siehe auch: Zelle Gelsenkirchen des KBW: "Kommunistische Volkszeitung für die Beschäftigten der Stadtverwaltung Gelsenkirchen" (1979/80) / Zelle Gelsenkirchen des KBW: "Kommunistische Volkszeitung für die Beschäftigten des Marien-Hospitals Gelsenkirchen-Buer" (1980)

Auszug aus der Datenbank „Materialien zur Analyse von Opposition“ (MAO)

12.07.1976:
Vermutlich erscheint nach dem 12.7. eine „Persönliche Erklärung von Frau Mels gegen ihr Anhörungsverfahren. An alle Eltern, Schüler und Kollegen der Hans-Böckler-Hauptschule“ in Gelsenkirchen.

Ausgeführt wird darin u. a.: „Der Regierungspräsident in Münster hatte mich am 12. Juli zu einer Anhörung zitiert. Er hat ‘Zweifel‘, ob ich ‘jederzeit der Pflicht nachkomme, für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten‘. Begründet werden diese Zweifel mit Spitzelberichten des Verfassungsschutzes. Darin heißt es: ‘Frau Mels hat in den Jahren 1974 und 1975 an zahlreichen Werbe- und Verkaufsaktionen des Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW) teilgenommen.‘ Es wird mir also vorgeworfen, den Kommunismus unterstützt und eine kommunistische Zeitung verkauft zu haben. Im September soll eine weitere Anhörung stattfinden. Der Staat verfolgt dabei das Ziel, mich aus dem Schuldienst zu entlassen. Warum will er das? Welche Ziele verfolgt er damit?

In den Volksschulen werden vor allem die Kinder der Arbeiter und Angestellten ausgebildet. Wie ihre Eltern sollen sie später in den Betrieben, Kaufhäusern und Büros arbeiten. Für Lohn sollen sie den Reichtum der Kapitalisten vermehren. Sie sollen in der Schule gerade das Notwendigste lernen, um diese Tätigkeiten ausführen zu können. Sie werden nicht darauf vorbereitet, die Produktion zu beherrschen. Ihr Schicksal im Kapitalismus ist es, Anhängsel der Maschine zu sein, Akkord-, Schicht- und Schreibarbeit für die Kapitalisten zu verrichten. So werden sie auch ausgebildet. Ihre Fähigkeiten werden nicht entwickelt, sondern zurechtgestutzt und verkümmern. Gleichzeitig sollen sie noch lernen, dass diese Gesellschaft die beste aller Gesellschaften ist, dass der Staat die Interessen aller, sowohl der Kapitalisten als auch der Arbeiter, vertritt. Sie sollen lernen, dass es ganz naturgegeben ist, wenn die große Mehrheit der Bevölkerung arbeitet, während die Kapitalisten ‘die Verantwortung tragen‘ und sich immer größere Teile des von den Werktätigen geschaffenen Reichtums aneignen.

Diese Ziele verfolgt der Staat in den Volksschulen. Dazu braucht er Lehrer, die bereit sind, diese Ziele gegenüber der Jugend zu vertreten. Sie sollen das Volk für dumm, die Staatsmacht als Macht des Volkes und den Kapitalismus für gut und ewig verkaufen… Solche Lehrer will der Staat. Kommunisten und andere Lehrer, die dies nicht mitmachen, will er nicht. Die werden aus dem Dienst entlassen oder mit dem Beamtenrecht schikaniert.

Der Staatsapparat schützt die Ziele der Imperialisten. Er verteidigt das Privateigentum an den Fabriken und unterdrückt die Arbeiterbewegung. Diese Erfahrung machen die Arbeiter bei jedem größeren Streik. Als die Eltern meiner Klasse sich vor den Ferien versammelten, schickte die Schulaufsicht die Rektorin. Sie sollte für den Schulrat protokollieren, was auf der Versammlung gesagt wurde. Dieser Staatsapparat muss vom Volk bekämpft werden. Für die Errichtung der Macht der Arbeiterklasse ist er untauglich und muss zerschlagen werden. Das Volk braucht wirkliche Demokratie und nicht die Demokratie der Reichen, die sich nach dem Inhalt des Geldbeutels bemisst.

Daher trete ich gegen jeden Einfluss des Staatsapparates auf die Angelegenheiten des Volkes ein. In den Schulen unterdrückt der Staat die Jugend. Er kann ihre Fähigkeiten nicht entwickeln. Die Jugend ist die Zukunft der Gesellschaft. Deswegen muss man dem Staat jeden Einfluss auf die Ausbildung der Jugend streitig machen. Ich trete ein für eine einheitliche Ausbildung der Jugend, für die Einheitsschule unter Volkskontrolle. Ich bin gegen das dreigliedrige Schulsystem und für die Wahl der Lehrer durch das Volk. Unliebsame Lehrer muss man abberufen können. Der. Staat unterdrückt die Jugend. Dazu braucht er die passenden Lehrer. Daher Radikalenerlass und Beamtenrecht, daher das wachsende Heer von Schul- und Oberschulräten. Das Beamtenrecht verpflichtet die Lehrer auf die ‘freiheitlich-demokratische Grundordnung‘, zur Treuepflicht gegenüber dem Staat und zur Schweigepflicht gegenüber den Eltern.

Das KPD-Verbotsurteil legt fest, was darunter zu verstehen ist. Es verbietet jeden selbständigen Kampf des Volkes für seine Rechte und Interessen. Verboten ist es, ‘die Lohnarbeit als Ausbeutung zu bezeichnen‘ , Druck auf die Justiz und die Regierung auszuüben und den Klassenkampf zu führen. Der Stellvertreter der SPD-Vorsitzende Koschnik sagte sehr deutlich, welche Art von Beamten der Staat sich wünscht: ‘Wir brauchen Beamte, die in Zeiten der Not nicht in das Rathaus hineinschießen, sondern aus dem Rathaus heraus.‘ Ich bin nicht bereit, diese Knechtsdienst gegen das Volk zu leisten. Das Volk hat an Beamten im Sinne des Herrn Koschnik auch gar kein Interesse. Im Kampf um die Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung braucht es Lehrer, die auf seiner Seite stehen.

Die Lehrer selber brauchen alle gewerkschaftlichen und politischen Freiheiten, um sich an diesem Kampf auf der Seite des Volkes beteiligen zu können. Die Knebelung durch Beamtenrecht und KPD-Verbot muss beseitigt werden. Dies ist im Interesse alle Arbeitenden. Der Staat will solche Lehrer wie mich nicht Das ist verständlich. Ich meine aber, nicht der Staat, sondern die Eltern sollen darüber entscheiden, ob ich Lehrerin an dieser Schule bleibe.“
Quelle: Persönliche Erklärung von Frau Mels, o. O., o. J. (1976).

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01.09.1976:
Der KBW lädt zu einer öffentlichen Versammlung im Gelsenkirchener Revierpark Nienhausen ein. Thema: Die angedrohte Entlassung von Frau Mels aus dem Schuldienst. Dazu hat die „Klassenpflegschaftsversammlung der Klasse 7a der Hauptschule Hans-Böckler-Allee in Gelsenkirchen eine Protesterklärung an den Regierungspräsidenten in Münster geschrieben“, aus der hervorgeht, dass das Verfahren „das die Behörde gegen sie eingeleitet hat“, nicht akzeptiert wird.

Weiter heißt es: „Wir Eltern meinen, dass auch die Beschäftigten im öffentlichen Dienst politische und gewerkschaftliche Freiheiten haben müssen. Wir fordern Sie auf, das Verfahren gegen Frau Mels einzustellen und auf einer Elternversammlung uns gegenüber Rechenschaft abzulegen. Falls Sie das Verfahren nicht einstellen, dann schicken wir unsere Kinder nicht mehr zur Schule. Frau Mels muss Lehrerin an unserer Schule bleiben.“
Q: KBW: Einladung zur öffentlichen Versammlung, o. O., o. J. (1976).

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04.09.1976:
Es erscheint ein Flugblatt des KBW: „An alle Eltern, Schüler und Kollegen!“

Bekanntgegeben wird, dass der Regierungspräsident Münster Frau Mels durch einen Schulrat mitgeteilt habe, dass sie „ab sofort vom Dienst suspendiert sei und Hausverbot hätte“.
Der Schulrat würde sich weigern, „vor der Klasse 7a meine Suspendierung zu begründen“. Der Stadtrat Rose „erteilt den Kindern ebenfalls eine Abfuhr“.

Nach dem vorliegenden Flugblatt, das vermutlich am 4.9. erscheint, lässt die Behörde in Sachen Frau Mels „Polizei auffahren … 2 Beamte mit Funksprechgeräten im Rektorzimmer und etliche Zivilstreifen vor der Schule stehen bereit, den ‘Schulfrieden‘ zu sichern. Mir wird eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch angekündigt …“

Massiv seien „Eltern und Schüler eingeschüchtert worden“. U. a. ließ die Schulbehörde einen Zettel verteilen, in dem es u. a. heißt: „Eltern, die ihre Kinder nicht zur Schule schicken, um damit die persönliche Angelegenheit einer Lehrerin zu unterstützen, verstoßen gegen den § 16, Abs. 2 des Schulpflichtgesetzes … Das unberechtigte Betreten des Schulgeländes kann als Hausfriedensbruch nach § 123 StGB verfolgt werden …“

Weiter heißt es: „Gegen den bürgerlichen Staat, der das gesamte Schulwesen seiner Kontrolle unterworfen hat, machen allerorts Eltern und Schüler ihre Rechte geltend, sich in die Schulangelegenheiten einzumischen und sie ihrer eigenen Kontrolle zu unterwerfen. Immer mehr gewinnt die Einsicht an Boden, dass die Alternative zu dem dreigliedrigen Schulsystem unter der Kontrolle des bürgerlichen Staates nur in der Einheitsschule für alle bis zum 18. Lebensjahr unter Volkskontrolle sein kann.“

Weiter wird gegen den „Radikalenerlass“ Front gemacht und die Aufhebung der Suspendierung von Frau Mels gefordert.
Q: KBW: Flugblatt , o. O., o. J (1976).

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14.09.1976:
In Gelsenkirchen findet am 14.9.76 eine Demonstration statt, die möglicherweise vom KBW organisiert wird. Es geht um die Entlassung der Lehrerin Mels von der Hauptschule Hans-Böckler-Allee. Dazu schreibt der KBW in einem Flugblatt u. a.:

„Die Demonstration am 14.9. gegen die Entlassung der Lehrerin Mels von der Hauptschule Hans-Böckler-Allee war für die Reaktion ein Alarmsignal. Trotz der schriftlichen Drohung an die Eltern, sie müssten 1000,- DM zahlen, wenn ihr Kind mitdemonstriert, trotz allerhand Drohungen von reaktionären Lehrern mit schlechten Noten, zogen über 30 Schüler zum Schulamt in Gelsenkirchen. ‘Wir kneifen nicht vor Staat und Gesetz’, ‘Gewerkschaftliche und politische Freiheiten auch für Lehrer‘, hatten die Schüler auf Papp-Schilder gemalt. Hatte bis dahin die Schulleitung jegliche öffentliche Rechtfertigung der geplanten Entlassung von Barbara Mels gescheut, so begann sie jetzt die Flucht nach vorn. ‘Man distanziere sich von den Aktionen der Lehrerin Mels, die trotz Hausverbots wieder in die Schule gegangen war, um - wie Eltern und Schüler es forderten - ihren Unterricht in dar Klasse 7a abzuhalten.

Das konnte die Reaktion zwei Tage später als Meinung der Schulpflegschaft in der örtlichen Presse berichten. Der Beschluss war zustande gekommen, indem ca. 30 Eltern, Schüler und die betroffene Lehrerin von der entsprechenden Versammlung der Schulpflegschaft mit Polizeigewalt ferngehalten wurden. Die Familien der Arbeiter und Angestellten der Feldmark, wo die Schule liegt, distanzieren sich nicht. Es werden im Stadtteil Unterschriften gesammelt unter die folgende Erklärung, die als Plakat im Stadtteil verbreitet wird. Der Beschluss zu dieser Plakat-Erklärung wurde auf einer Veranstaltung des KBW von den Anwesenden gefasst. Innerhalb von drei Tagen hatten rund 130 Arbeiter, Angestellte, Hausfrauen und Schüler mit Berufsangabe unterzeichnet.“

In einer im Flugblatt abgedruckten „Erklärung“ heißt es:

„Die Schulbehörde will die Lehrerin Frau Mels entlassen, weil sie Kommunistin ist. Die Behörde hat sie bereits vom Dienst suspendiert und mit Polizei aus der Schule abgeführt. Sie hat wohl geglaubt, wenn sie der Frau Mels vorwirft, Kommunisten zu unterstützen, dann könnte man sie leicht ohne Aufsehen aus der Schule entfernen.

Die hohen Herren von der Behörde in Münster und vom Schulamt in Gelsenkirchen haben sich getäuscht. Sie haben nicht mit uns, mit den Eltern und Schülern gerechnet, die Frau Mels behalten wollen, weil wir am besten beurteilen können, wer als Lehrer für unsere Kinder taugt und wer nicht.

Frau Mels hat uns gegenüber erklärt, dass sie sich den Eltern mehr verpflichtet fühlt als der Schulbehörde. Damit hat sie gegen das Beamtengesetz verstoßen und ist für die Schulbehörde nicht mehr tauglich.

Unsere Kinder leiden unter dem Druck der Zensuren und der Angst vorm Sitzenbleiben. Wer nicht reich ist, kann mit der Ausbildung nicht zufrieden sein. Deshalb brauchen wir gerade solche Lehrer, die auf unserer Seite stehen, Lehrer, die unsere Unzufriedenheit mit den Schulverhältnissen nicht mit schönen Worten totreden, sondern die dafür eintreten, dass Eltern und Schüler selbst bestimmen, was an der Schulen passiert und was nicht.

Die hohen Herren von der Behörde, in Sesseln hockend, die von unseren Steuergeldern gepolstert sind, haben sich nicht getraut, uns in der Öffentlichkeit Rede und Antwort zu stehen.

Statt dessen sind sie so dreist, uns zu Unruhestiftern zu erklären, die den ‘Schulfrieden‘ stören. Einen ‘Schulfrieden‘, der uns aus allen Schulangelegenheiten raushalten will, wollen wir nicht. Die Schulpflegschaft spricht deshalb auch nicht in unserem Namen, wenn sie sich hinter die Schulbehörde stellt. Wir fordern:

DIE SUSPENDIERUNG MUSS ZURÜCKGENOMMEN WERDEN!
DAS ANHÖRUNGSVERFAHREN MUSS EINGESTELLT WERDEN!

Weil die Schulverhältnisse und die Entlassung einer Lehrerin alle Menschen im Stadtteil etwa angeht, können sie die Maßnahmen der Behörde nicht dulden. Wir müssen eine Versammlung für alle Bewohner des Stadtteils durchführen, um zu beraten, wie wir unsere Forderungen durchsetzen.

FRAU MELS MUSS LEHRERIN BLEIBEN.“

Ferner erklärt der KBW, dass bereits Unterschriften für den Verbleib der Lehrerin an der Schule vor Grillo-Funke und Küppersbusch gesammelt worden seien. Vor dem Tor 5 von Küppersbusch sei auch ein Plakat-Aufruf gestartet worden. Bis jetzt hätten über 250 Menschen die Resolution der Eltern der Klasse 7a unterschrieben. „130 Bewohner aus dem Stadtteil“ hätten die Erklärung unterzeichnet.

Angekündigt wird in dem FB eine Veranstaltung zur Entlassung der Lehrerin Barbara Mels von der Hauptschule Hans-Böckler-Allee am 24.9., 19:30 Uhr im Küppersbuscher Hof, Küppersbuschstraße 22. Auf der Veranstaltung wolle man „die nächsten Kampfschritte beschließen für die Weidereinstellung von Frau Mels in den Schuldienst“.
Q: KBW: Flugblatt: Frau Mels muss Lehrerin bleiben, o. O., o. J (1976)

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14.09.1976:
Vermutlich erscheint um den 14.9.1976 ein Flugblatt des KBW zur Entlassung von Frau Mels, Lehrerein an der Hans-Böckler-Hauptschule in Gelsenkirchen.

Ausgeführt wird u. a. „Wir kneifen nicht vor Staat und Gesetz“, „Politische und gewerkschaftliche Freiheiten auch für Lehrer“ - das forderten letzten Dienstag die Schüler der Klasse 7a und andere Schüler und Eltern, die in einer Demonstration zum Schulamt zogen, um gegen die geplante Entlassung zu protestieren. Dieselben Forderungen haben bereits 130 Schüler und Eltern der Hans-Böckler-Schule erhoben. Die Schulbehörde versucht, den Kampf durch Androhung von 1.000 DM Geldstrafe und mit Polizei zu unterdrücken. Währenddessen beginnen Arbeiter, die wollen, dass ihre Kinder weiter von Frau Mels unterrichtet werden, unter ihren Kollegen die Forderungen zu verbreiten. Mit Strafandrohungen und Polizei soll der Kampf der Eltern zur Ruhe gebracht werden.

Sie würden den ‘Schulfrieden‘ stören, haben sich die Eltern und Schüler der Hans-Böckler-Schule in der letzten Tagen von den hochbezahlten Beamten im Schulamt Gelsenkirchen und Münster sagen lassen müssen: Sie haben sich dagegen zusammengeschlossen, dass ihnen die Schulbehörde eine Lehrerin nehmen will, mit deren Arbeit sie sehr zufrieden sind. Frau Mels hat, im Gegensatz zu den Vorschriften, die das Beamtengesetz den Lehrern macht, nicht versucht, die Eltern von der Kontrolle und Entscheidung über die Ausbildung ihrer eigenen Kinder auszuschließen, sondern ist dafür eingetreten, dass sie selber sich in die Schulangelegenheiten einmischen… Weil die Eltern der Hans-Böckler-Schule in ihrem Widerstand gegen diese Verhältnisse in Frau Mels eine Stütze haben, deshalb will sie die Schulbehörde entlassen.

Die Sesselhocker aus Münster haben geglaubt, wenn sie die Lehrerin Mels der Unterstützung der Kommunisten beschuldigen, könnten sie sie leicht aus der Schule entfernen. Sie haben nicht mit den Eltern und Schülern gerechnet, die Frau Mels behalten wollen, um ihre Interessen an der Schulausbildung durchsetzen zu können. Jetzt wollen die reaktionären Schulräte mit Strafandrohungen und Polizei den ‘Schulfrieden‘ wiederherstellen. Wie soll es aber Frieden an Schulen gegen, in denen die Jugend unterdrückt und für lebenslange Lohnarbeit für die Kapitalisten abgerichtet werden? Diesen Frieden wird die Schulleitung nicht kriegen. Die Forderungen stehen:

- Zurücknahme der Suspendierung von Frau Mels!
- Zurücknahme der Strafandrohungen!
- Sofortige Einstellung des Anhörungsverfahrens gegen Frau Mels
- Frau Mels muss bleiben!

Auf der Rückseite des Flugblatts ist eine persönliche Erklärung von Frau Mels abgedruckt, in der es u. a. heißt: „Erst letzten Donnerstag rannten an dieser Schule einige Dutzend Schüler verzweifelt von einem Raum zum anderen, weil sie keinen Platz in einem Wahlpflichtkurs gefunden hatten. Beim Sport mussten sie abgewiesen werden, und so rannten sie los, um irgendwo unterzukommen. An der Schule fehlen mindestens 2 zusätzliche Kurse für fehlten diese Stunden wiederum für den Förderunterricht der Legastheniker.

Die Presse beklagt den ‘besorgniserregenden‘ Gesundheitszustand der Schüler‘. ‘Jedes dritte Kind leidet an Kopfweh.‘ Dies hängt eng zusammen mit dem Druck, dem die Schüler ausgesetzt sind, der solidarisches Handeln verhindern und die Konkurrent untereinander schüren soll. Gegen diesen Druck, der vermittels des Notensystems auf sie ausgeübt wird, rebellieren die Schüler. Durch genau abgestufte Strafmaßnahmen soll diese Rebellion verhindert werden. Die Lehrer sind gehalten, über ‘aufsässige‘ Schüler Akten zu führen und sie zu bestrafen durch Benachrichtigung der Eltern, Tadel ins Klassenbuch bis hin zum Verweis von der Schule …

Für die Ausbildung unserer Kinder tun diese Leute rein gar nichts. Sie werden hochbezahlt vorn Staat allein dafür, dass sie über den ‘Schulfrieden‘ wachen und aufpassen, dass weder Eltern noch Schüler ihre Interessen an einer einheitlichen, unentgeltlichen Ausbildung geltend machen, mit der man die Produktion leiten kann. Welcher Arbeiter- oder .AngestelIte denkt nicht, wenn er sich an seine Schulzeit erinnert, gleich an die Striezerei der Lehrer, die sinnlose Paukerei von Formeln und Gedichten, die man hinterher sowieso wieder vergessen hat und mit der im Beruf überhaupt nichts anzufangen ist? An diesen Verhältnissen hat sich heute überhaupt nichts verändert, auch wenn mit viel neuen Methoden und pädagogischem Klimbim so getan wird, als würde die Ausbildung reformiert. Wenn die Schulbehörde mich jetzt entlassen will, dann allein deshalb, weil ich die Unzufriedenheit und den Widerstand der Eltern und Schüler mit einer solchen Ausbildung nicht mit schönen Worten tot geredet habe, sondern dafür eingetreten bin, dass die Eltern und Schüler selber bestimmen, was an den Schulen passiert und was nicht. Der Versuch, mich zu entlassen, hat bisher genau das Gegenteil bewirkt: Die Zahl der- Eltern und Schüler nimmt zu, die sich gegen Schulbehörde und Staat zur Wehr setzen und ihre Interessen in die eigene Hand nehmen …“

Aufgerufen wird zu einer Veranstaltung im Gelsenkirchener Küppershof am 17.9.1976. Sprechen sollen: Volker Wild, Bundestagskandidat des KBW in Essen-Nord, Barbara Mels, Hauptschullehrerin an der Hans-Böckler-Schule.

Auf der Veranstaltung soll weiter „über die neuesten Ereignisse im Kampf gegen die Entlassung von Frau Mels berichtet werden, sowie über die nächsten Schritte beraten werden, die dagegen unternommen werden müssen.“ Verantwortlich für das Flugblatt zeichnet der KBW-Bezirksverband Essen.
Q: KBW: Flugblatt: Frau Mels muss Lehrerin bleiben, o. O., o. J (1976).

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2\.10.1976:
Es erscheint ein Flugblatt, vermutlich der KBW-Bezirksverbandes Essen, zu Frau Mels.

Der Regierungspräsident Münster leitet gegen die Lehrerin Frau Mels eine „disziplinäre Vorermittlung“ ein. „Wegen der in o. a. Verfügung z. T. mitgeteilten Vorgänge besteht der dringende Verdacht, dass sie sich eines Dienstvergehens schuldig gemacht haben. Im Rahmen der hiermit eingeleiteten Vorermittlungen … lade ich sie zur ersten Anhörung …“

Auf der Rückseite des Flugblatts heißt es u. a.: „Für den nächsten Donnerstag, den 21.10., ist die Hauptschullehrerin Frau Mels von der Schulbehörde zu einer Anhörung nach Münster bestellt worden. Die Behörde erwartet, dass Frau Mels zu Kreuze kriecht und Abbitte leistet dafür, dass sie sich weder durch Beamtengesetz noch durch ein sicheres Gehalt hat kaufen lassen und sich auf die Seite der Eltern und Schüler gestellt hat. Sie will durch die geplante Entlassung dieser Lehrerin den sogenannten ‘Schulfrieden‘ an der Hauptschule Hans-Böckler-Allee wiederherstellen. Unter Schulfriede versteht die Behörde eine Friedhofsruhe, die die Eltern aus den Schulverhältnissen raushalten will, um die schlechten Verhältnisse an der Schule zu verbergen. An den Schulen kann es aber nicht Ruhe und Frieden geben, solange die Kinder der Arbeiterklasse und des Volkes unter dem Druck des Notensystems und der Angst vorm Sitzenbleiben leiden, solange ihre Fähigkeiten nicht allseitig entwickelt, sondern nur zurechtgestutzt werden für das Profitsystem, für die Verwendung als billige Arbeitskräfte in den Fabriken, Büros und Kaufhäusern.

Weil das so ist, herrscht Unzufriedenheit mit den Schulverhältnissen, gibt es keine Ruhe an den Schulen, weil die Arbeiterklasse und das Volk ein Interesse daran haben, dass ihre Kinder eine einheitliche, umfassende theoretische und praktische Ausbildung in einer Einheitsschule bekommen, ist es ihnen auch nicht egal, was ihre Kinder lernen und welche Lehrer unterrichten. Weil sie Lehrer brauchen, die auf ihrer Seite stehen, haben über 3OO Menschen aus der Feldmark gefordert: FRAU MELS MUSS LEHRERIN BLEIBEN!

Auf einer Versammlung haben 130 beschlossen: Ein Schülerstreik muss durchgeführt werden. Über 30 Schüler sind zum Schulamt demonstriert, um gegen die Suspendierung ihrer Lehrerin zu demonstrieren … darunter 30 Arbeiter von Küppersbusch - haben in einer öffentlichen Plakat-Erklärung die Einstellung des Verfahrens gegen Frau Mels gefordert. Das hat auch prompt die Reaktionäre auf den Plan gerufen. Die Schulbehörde hat den Eltern mit 1.000,- DM Geldstrafe gedroht, für den Fall, dass ihr Kind demonstriert, die Presse verbreitete Lügen und Verleumdungen über Frau Mels und die Schüler Polizei wurde eingesetzt, um Frau Mels aus der Schule abzuführen, das Ordnungsamt verbot ihr, sich auf den Straßen und Bürgersteigen in der Nähe der Schule aufzuhalten. Warum der massive Einsatz der Schulbehörde, angefangen von der Rektorin, über den Schulrat bis hin zum Regierungspräsidenten und des Gewaltapparates der Polizei? Doch wohl nicht, um gegen eine einzelne Lehrerin, die Kommunistin ist, vorzugehen. Der bürgerliche Staat will dagegen vorgehen, dass es Widerstand an den Schulen gibt, dass Eltern sich in die Schulangelegenheiten einmischen, dass sie sich das Recht herausnehmen, selber zu bestimmen, wer ihre Kinder unterrichten soll und wer nicht.

Ein ganzer Gewaltapparat wird in Gang gesetzt, wenn das Volk seine eigenen Interessen wahrnimmt. Sei es, dass sich Eltern in die Schulangelegenheiten einmischen, sei es, dass Drucker streiken, um Lohnforderungen durchzusetzen, sei es, dass Bauern ein Grundstück besetzen, um den Bau eines Kernkraftwerkes zu verhindern, überall machen sie die Erfahrung, dass der bürgerliche Staatapparat eingesetzt wird, um ihre Interessen zu unterdrücken. Das alles macht deutlich: Will die Arbeiterklasse und will das Volk seine sozialen Interessen durchsetzen, dann muss dieser bestehende Staatsapparat zerschlagen werden, muss der Sozialismus aufgebaut werden.

Am Donnerstag will es nun die Schulbehörde wissen: Kriecht Frau Mels zu Kreuze oder tritt sie weiterhin für die Rechte der Schüler und Eltern ein. Niemand außer der Behörde kann ein Interesse daran haben, dass Frau Mels sich beugt. Die geplante Anklage gegen Frau Mels muss deshalb zu einer Anklage gegen die Dienstaufsicht gemacht werden … Wir fordern alle Menschen auf, die nicht wollen, dass die Schulangelegenheiten der Kontrolle des Staates unterworfen bleiben, die nicht wollen, dass eine kommunistische Lehrerin gegen den Willen der Betroffenen entlassen wird, und die den Kampf führen wollen gegen diese Schulverhältnisse: BEGLEITET DIE LEHRERIN MELS NACH MÜNSTER! MACHEN WIR AUS DER GEPLANTEN ANHÖRUNG VON FRAU MELS EINE ANKLAGE GEGEN DIE SCHULBÜROKRATIE!“

Unterzeichnet ist das Flugblatt mit: KOMMUNISTISCHER BUND WESTDEUTSCHLAND (KBW), Essen.
Q: KBW: Der Regierungspräsident Münster, o. O., o. J. (1976).

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21.10.1976:
Laut eines Flugblatts des KBW soll an diesem Tag in Münster ein „Anhörungsverfahren“ in Sachen Barbara Mels stattfinden.
Q: KBW: Der Regierungspräsident Münster, o. O., o. J. (1976).

Letzte Änderungen: 22.3.2012

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