Pädagogische Hochschule Dortmund: AStA-Information, DOS -Dortmunder Studentenzeitung, Nr. 13, o. J. (Juni 1972)

26.06.1972:
Der AStA der PH Dortmund gibt vermutlich Anfang dieser Woche seine 'AStA-Information, DOS - Dortmunder Studentenzeitung' Nr. 13 (vgl. 22.6.1972, 16.10.1972) mit acht Seiten DIN A 4 heraus.

Die Termine von ESG, PGH und GEW bleiben unverändert, der Inhalt lautet:
1. Die BRD - Ein Polizeistaat
2. Umzug der PH
3. Bericht des Studentenkollektivs im Deutschseminar: 'Jugendbuchrezensionen'

Im ersten Artikel wird zu den NSG vom 22.6.1972 ausgeführt:"
DIE BRD - EIN POLIZEISTAAT

In der letzten Woche wurden neue Ausführungsgesetze zur Notstandsverfassung im Bundestag verabschiedet: Bundesgrenzschutzgesetz, Bundesverfassungsschutzgesetz, Vorbeugehaft und Demonstrationsgesetz zu den olympischen Spielen. Diese Gesetzesserie, die schon in der letzten AStA-Information 'Bonner Notstandsgesetze' erläutert wurde, dient dem 'Schutz der Inneren Sicherheit' laut Genscher (FDP,d.Vf.). Das heißt in der Praxis Kriminalisierung aller linken und fortschrittlichen Kräfte in der BRD, unterstützt von den Verfolgungskampagnen in Rundfunk, Fernsehen und Presse.

Wie konzentriert die Schläge gegen jegliche politische Arbeit Linker sind, zeigen einige Vorkommnisse der letzten Wochen und Tage.

Am 16.6. drangen einige mit MP's und durchladenen Pistolen in die Räume des Bochumer Schüler- und Lehrlingskollektivs ein. Ohne einen Hausdurchsuchungsbefehl vorzulegen, stellte man alles auf den Kopf. Unterlagen und Protokolle wurden beschlagnahmt, mehrere Mitglieder des Kollektivs wurden festgenommen, Stundenlange Verhöre, Verhaftung einiger Genossen und Beschlagnahme der Papiere wurden damit begründet, daß man diese Adresse bei Ulrike Meinhof (RAF,d.Vf.) gefunden hätte unter 50 anderen Adressen. Es bestehe der dringende Verdacht, daß die Genossen die BMG aktiv unterstützt hätten (ausführlicher Bericht hierüber in der BSZ (der RUB,d.Vf.) vom 22.6.1972).

Unter dem Vorwand ein Ausweis des BMG-Mitglieds Gudrun Ensslin sei auf ihre Adresse ausgestellt, wurden in Hamburg mehrere Mitglieder des Kommunistischen Bundes (KB - vgl. 7.6.1972,d.Vf.) verhaftet.

Ebenfalls aus Anlaß der Verhaftung Ulrike Meinhofs (vgl. Hannover 15.6.1972,d.Vf.) wurde in Stuttgart (vgl. 17.6.1972,d.Vf.) ein Büro der KPD/ML und ein politischer Buchladen sowie Wohnungen in Tübingen (vgl. 17.6.1972,d.Vf.) durchsucht.

Am Tage der Festnahme Gudrun Ensslins (vgl. Hamburg 7.6.1972,d.Vf.) wurde, wie allgemein bekannt, das Haus des Schriftstellers Heinrich Böll (in Köln,d.Vf.) umstellt und durchsucht. Allerdings galt diese Aktion nur Bölls Gästen, wie später von polizeilicher Seite verlautete.

Die Welle der politischen Unterdrückung ging weiter. Am 21.6. wurden in der Brelohstraße vier Genossen der Projektgruppe Brelohstraße (PGB Bochum,d.Vf.) verhaftet.

Am 25.6. wurde in Stuttgart der 34 Jahre alte Schotte Ian McLeod durch zwei Schüsse aus einer Maschinenpistole erschossen. Seine Wohnung war ebenfalls mit der Begründung, dies sei ein Treffpunkt der RAF, durchsucht worden.

Wie aus Polizeikreisen bekannt wurde, war McLeod unbewaffnet. Der Polizist gab zwei Schüsse ab, nachdem McLeod die Schlafzimmertür geöffnet und wieder zugeschlagen hatte. Die Schüsse trafen McLeod im Rücken. Es handelte sich natürlich um eine 'eindeutige' Notwehrsituation.

Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ähnliche Vorfälle bekannt werden. Der Staatsapparat greift täglich neu zu. Selbst die Bevölkerung wird aufgefordert, an der Bespitzelung und Verfolgung politisch Aktiver teilzunehmen.

Ein Fahndungsaufruf des BKA soll im sinngemäßen Wortlaut wiedergegeben werden: 'Folgende Wohnungen sind im Zusammenhang mit der Fahndung nach der Baader-Meinhof-Gruppe unverzüglich der nächsten Polizeidienststelle zu melden,

a) deren Inhaber unter 30 Jahre alt sind,

b) deren Inhaber den Kontakt zu den Nachbarn meiden,
c) deren Inhaber ihren Wagen abseits des Hauses oder in einer Garage abstellen,

d) deren Inhaber Meldepflichten zu übergehen versuchen,

e) deren Inhaber ihr Aussehen öfters wechseln.

Diese Angaben treffen auf weite Teile der Bevölkerung zu. Niemand ist davor sicher, als Anarchist verdächtigt zu werden.

Vorwände zu Hausdurchsuchungen und Festnahmen sind leicht zu beschaffen. Bei dem Adressbüchlein der Ulrike Meinhof scheint es sich um die Telefonbücher des Bundesgebiets zu handeln.

WEHRT EUCH!"

Als nächstes äußert man sich zum:"
UMZUG DER PH

Wann die PH ins neue Gebäude in der Nähe Dorstfelds umzieht, steht immer noch nicht fest (nach dem 1.9. und dem 1.11. werden jetzt als Termin die Wintersemesterferien genannt), daß umgezogen wird, ist sicher.

Mit diesem Umzug werden neue Probleme geschaffen.

Zur Frage der Verkehrsverbindungen legte der AStA auf der Studentenkonferenz vom 21.6. eine Resolution vor, die dort verabschiedet wurde: … (vgl. dort,d.Vf.)

Soweit die verabschiedete Resolution.

Die Stadtverwaltung bzw. die Stadtwerke sind zum Teil auf unsere Forderung eingegangen. Man plant die Einrichtung einer Buslinie, die zwischen Dorstfeld und Palmweide über die PH verkehrt.

In welchen Zeitabständen die Buslinie verkehren soll, steht noch nicht fest, die Stadtwerke verlangen Zahlen von der PH-Verwaltung über die sogenannten Spitzenzeiten.

Die Erfüllung unserer Forderungen darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß trotz neuer Räume und besserer Einrichtungen die Situation schlechter wird.

Wir haben mit unseren Forderungen wieder einmal nur REagiert und Selbstverständlichkeiten gefordert.

Wir hatten auch einmal gefordert, den Neubau der PH ins Stadtzentrum zu verlagern.

Doch die Situation heute ist diese: Nicht nur die Universität, sondern auch noch die PH sitzt auf dem Acker, den Akademiker 'Campus' nennen.

Das ohnehin schlechte Verhältnis der Dortmunder Bevölkerung zu den Studenten soll also dadurch verbessert werden, daß man die Studenten herauslagert und ihnen ein eigenes Stadtviertel gibt und neue Studentenwohnheime baut.

Doch nicht nur das: Unsere Forderung, die notwendigen Verkehrsverbindungen einzurichten war gekoppelt mit der Forderung, Verkehrsverbindungen hätten sich nicht nach dem Profitinteresse, sondern nach der Notwendigkeit der Verbindung für die betroffene Bevölkerung zu richten. Daß die Stadtwerke dies tun, ist ebenso unwahrscheinlich wie in unserem Gesellschaftssystem
unmöglich.

Forderungen der betroffenen Bevölkerung werden kriminalisiert statt befriedigt (siehe Aktion Roter Punkt (ARP - vgl. 1.3.1971,d.Vf.) im letzten Jahr und die jetzt fälligen Prozesse).

Daß die Isolation der Bildungseinrichtung nicht einmal duch gute Verkehrsverbindungen aufgehoben werden kann, muß jedem klar sein, der unter Isolation nicht die räumliche Trennung von Bevölkerung und Studenten versteht.

Und bei einer zunehmenden Verschulung des Studiums, die uns ja die Hochschulgesetze versprechen, ist es ja wohl besser, ungestört zu studieren auf dem Acker.

Randbemerkung: Da es auf dem Hauptgelände noch keine Mensa gibt, wird eine Cafeteria zu diesem Zweck umgebaut. Es wird nur eine Mahlzeit geben, da die Mensa der Uni in ihrer Kapazität beschränkt ist.

Mahlzeit!!!!"

Als letztes folgt der:"
BERICHT DES STUDIENKOLLEKTIVS IM DEUTSCHSEMINAR: 'JUGENDBUCHREZENSIONEN'

Zu Beginn dieses Semesters hatte die GEW-AG zusammen mit anderen Seminarteilnehmern eine Arbeitsgruppe im Seminar 'Jugendbuchrezensionen'
gebildet.

Die Arbeit der Gruppe sah folgendermaßen aus: in Diskussionen mit den übrigen Seminarteilnehmern wurde versucht, die politischen Implikationen der herkömmlichen Kinder- und Jugendliteratur aufzudecken - denn es gibt keinen unpolitischen Freiraum - und vom Standpunkt der Arbeitenden aus zu kritisieren.

Als zweites stellte die Gruppe eine neue Richtung von bewußt politischer Kinder- und Jugendliteratur vor, die gesellschaftliche Zwänge und Widersprüche aufzeigt. Zur Bewertung der herkömmlichen sowie der gesellschaftsorientierten Kinder- und Jugendbücher wurden folgende Kriterien erarbeitet:
- Darstellung der herrschenden gesellschaftlichen Zwänge und Widersprüche
- Aufzeigen von Veränderungsstrategien
- Anknüpfen an der konkreten Situation von Kindern und Jugendlichen, soweit es der Problemkreis des Buches zuläßt
- keine Rollenfixierungen und Rollenklischees
- Herstellen eines direkten Kontaktes zum Leser (Vorwort, Nachwort, Fragebogen)
- Die Vermittlungsträger (Sprache, Illustration) sollen auf Kommunikation abgestimmt sein
- Das Fehlen von gesellschaftlichen Widersprüchen und Zwängen, welches harmonische und stabile Gesellschaften vortäuschen (heile Welt)

Die Kritik an den herkömmlichen Kinder- und Jugendbüchern richtet sich besonders gegen das Unvermögen, Sozialisationsprozesse, d.h. Vermittlungs- und Erklärungszusammenhänge zwischen individuellem und gesellschaftlichem Sein aufzeigen zu können

Das Fehlen oft jeglicher Auswirkungen der Gesellschaftsordnung (Hunger, Krankheit, Aggression) auf die unterdrückten Menschen

Rollenfixierungen und Rollenklischees (Mädchen tun, denken dies, Jungen das; die Klassifizierung 'Mädchenbuch' deutet auf geschlechtsspezifische Vorurteile hin.)

Übertragung von Verhaltensweisen, die in der bürgerlichen Gesellschaft angelegt sind, auf andere Gesellschaftsformen (Indianerjunge hat z.B. einen spezifisch bürgerlichen Eigentumsbegriff)

das statische, genetisch fixierte Menschenbild, das in diesen Büchern vorherrscht.

Demgegenüber haben die politischen Kinder- und Jugendbücher durchweg gesellschaftliche Widersprüche zum Inhalt, und nehmen für die unterdrückten Klassen und Schichten Partei, wobei sie meistens auch Ansätze gesellschaftsverändernder Praxis aufweisen.

Sie unterscheiden sich lediglich in der Vermittlung ihrer Ziele. Einige Kinder- und Jugendbücher machen eine Geschichte aus einem Stück Gesellschaftsanalyse (z.B. 'Martin der Marsmensch'). Andere Kinder- und Jugendbücher knüpfen an den konkreten Interessen und Erfahrungsbereichen der Kinder und Jugendlichen an und vermitteln auf induktivem Wege eine Gesellschaftsvorstellung.

Einige der Bücher kann man auf Grund der Informationsfülle im Unterricht von Geschichte/Politik und Arbeitslehre verwenden (z.b. Good-bye, Onkel Sam). Allerdings ist die Anwendungsmöglichkeit wegen der politischen Disziplinierung begrenzt (s. Fall Fröndenberg)."

Zusätzlich wird noch folgende Literaturliste angegeben:
- Martin, der Marsmensch, Basis-Verlag;
- Die Fabrik gehört uns; Basis-Verlag;
- Krach auf Pohls Spielplatz, Basis-Verlag;
- Good-bye Onkel Sam, Weismann-Verlag;
- Von einem, der auszog und das Fürchten lernte, Weismann-Verlag.

Angekündigt wird:"
Im nächsten Semester Wintersemester 1972/1973 werden von der GEW-AG und anderen politischen Gruppen weitere Seminarkollektive gebildet, welche rechtzeitig publik gemacht werden. Die Gruppen werden nicht nur in den Seminaren arbeiten, sondern darüberhinaus der Information aller Studenten dienen. Deshalb werden auch von diesem Deutschkollektiv Skripte im AStA zu haben sein.

Wenn Studenten sich in Seminargruppen zusammenschließen und die Lehrinhalte auf ihren Praxisbezug und ihre Parteilichkeit für die Interessen der Arbeitenden (Hauptschüler) überprüfen, können sie mit der Unterstützung des AStA rechnen (Abdruck von Artikeln in der DOS, Erstellung von Papieren). Besucht unsere Arbeitsgruppen!"
Q: AStA PH Dortmund: AStA-Information Nr. 13, Dortmund o.J. (Juni 1972)


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