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Ruhr-Universität Bochum

Das Hochschulgesetz

Materialien zur Analyse von Opposition

Von Dietmar Kesten, Gelsenkirchen, Oktober 2007

Im November 1968 legte das Kultusministerium NRW den Entwurf für ein neues Hochschulgesetz vor. An allen Universitäten kam es daraufhin zu Streiks und Vorlesungsboykotts, die sich gegen die Hochschulreformpläne wandten. Doch damit waren die Auseinandersetzungen um ein neues Hochschulgesetz nicht beendet. Das Jahr 1969 stand im Zeichen von Verfassungsentwürfen, die diskutiert, abgeändert, verworfen und neu entwickelt wurden. Im April, Mai und Juni 1969 kam es zu „harten Kampfmaßnahmen“ gegen die Regierung Kühn. So war in Aachen für den 23. April 1969 ein Warnstreik geplant, der gleichzeitig mit einer Demonstration zum dortigen Landtag verknüpft worden war. Eigentlich war es nicht nur irgendein Gesetz, das Konflikte heraufbeschwor. Es waren gleich eine Reihe von Gesetzgebungen, die den Zorn der Studenten heraufbeschworen. So war dieses Hochschul(rahmen)Gesetz mit anderen „Neuerungen“ verknüpft, die sich z. B. in einer veränderten Prüfungs- und Studienordnung an der RUB äußerten.

Mit der Gründung der RUB, die zunächst eine Einheitsverwaltung mit einer unreformierten Ordinarienuniversität mit absoluter Verfügungsgewalt der Ordinarien vorsah, war der Aufbruch gegen die „kapitalistische Universität“ und die Neuorientierung der Uni bis in die späten 1970er Jahre hinein gelegt. Es war ein weiter Weg bis zur selbständigen Organisierung der Studenten und ihren Forderungen. Im November 1965 fand an der RUB die erste Vollversammlung der Studenten statt. Am 9.12.1965 wurde eine vorläufige Satzung für die Studenten verabschiedet. Die Fachschaftsversammlung wählte erstmalig einen AStA. Mit der Herausgabe der ersten BSZ (1) veränderte sich das Erscheinungsbild der Studenten an der Uni. Nun hatte man mit einer eigenen Publikation auch die Möglichkeiten, die breite Studentenschaft für bestimmte Anliegen zu erreichen. Über sie wurden auch die Auseinandersetzungen mit dem Rektor der Uni, Professor Dr. Kurt Biedenkopf, in die Öffentlichkeit getragen.

Am 25. Oktober 1968 beschloss die Fachschaftsvollversammlung SoWi in Bochum den Entwurf für eine neue Studien- und Prüfungsordnung. Die Studienordnung lief auf ein Mitspracherecht (auch der der nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter) der Studenten hinaus. Dieses Ansinnen wurde seinerzeit von der Unidirektion und den amtierenden Professoren abgeschmettert. Am 12. Dezember 1968 beschloss ein Teil der Studentenschaft der Uni-Bürokratie ein Ultimatum zu stellen und es in alle Abteilungen zu tragen. Die neue Studienordnung sollte bestätigt werden, ansonsten, so die Studenten, drohe ein Streik.

In der BSZ vom 19.12.1968 hieß es dazu: „In diesem Moment war eine neue Phase des Kampfes erreicht. Wir erkannten, dass die Fachschaftsvertreter funktionslos geworden waren. Das Delegationsprinzip war in diesem Moment sinnlos geworden, als sich herausstellte, dass die Anträge unserer beiden Delegierten in der Fakultät folgenlos blieben. Folgerichtig wurde zum einzigen legitimen Organ der Abteilung die Abteilungsvollversammlung erklärt.“ (2) Mit der Bildung von Streikkomitees, die den Abteilungsvollversammlungen rechenschaftspflichtig waren, lief der Streik am 16. Dezember an. Die „apo-Press“ aus München (3) unterstützte in ihrem Organ vorbehaltlos diesen Streik. Der Berliner „Extra-Dienst“ schickte Solidaritätsadressen. Der SDS forderte die „Organisierung des Widerstandes“, rief zu einer „Kritischen Universität“ auf, zur „Besetzung der Abteilungen“. Und getreu der Devise etwa des Westberliner und Frankfurter SDS wurde zur „Zerschlagung der Klassenuniversität“ aufgerufen. (4) Es war auch nur konsequent, wenn der SDS meinte, dass alle „Professoren Papiertiger“ seien.

Damit war auch in Bochum, zumindest für eine kurze Zeit, die „Kritische Soziologie“ geboren, die an die „Kritische Universität“ des SDS-Westberlin, aber vor allem auch an die „Karl-Marx-Universität“ oder das „Rosa-Luxemburg-Institut“ aus der Frankfurter Krahl-Zeit erinnerte. Im Übrigen, was kritisch angemerkt werden muss, waren die Forderungen der Bochumer fast wortgetreu vom Frankfurter SDS übernommen. So z. B. die Kritik am derzeitigen Soziologiestudium, wo „Prüfungen sich nur im Abfragen von partikularisiertem Wissen“ äußern würde. (5) In der damaligen Auseinandersetzung mit Habermas wurde von einem Streikkomitee ein Schreiben verfasst, dass an die Bochumer Auseinandersetzung erinnerte. Hieß es dort doch:

„… Abschaffungen der Prüfungen überhaupt. Leistungskontrolle ist nur sinnvoll als Selbstkontrolle durch Herstellung eines ständigen (und) produktiven Diskussionszusammenhangs … Prüfungen nur im Fach Soziologie, Lernen am Forschungsobjekt … Rezeption der politischen Ökonomie …“ (6)

Dennoch war die Forderung nach einem „unbegrenzten Streik“ in Bochum ein Novum; denn noch nie in der jungen Geschichte der RUB hatte es derartige Auseinandersetzungen gegeben. Die Studenten wurden auch vom SDS und vom AStA über die Vorgänge an anderen Universitäten informiert (z. B. Frankfurt/Main, wo es vermutlich ab dem 6. Dezember 1968 zu Aktionen kam, Aachen und andere Universitäten). Das vom SDS initiierte Komitee „Kritische Soziologie“ forderte zur „Selbstorganisation“ und zu “demokratischen Entscheidungsprozessen“ auf. Die Revolutionierung des „bürgerlichen Individuums“, so der SDS, könne nur mit der Herstellung eines „sozialistischen Bewusstseins“ einhergehen.

Am 17. Dezember 1968 rief im Habermas-Stil Prof. Kurt Biedenkopf die Polizei auf den Campus, um die Besetzung des Dekanats zu beenden. Mehr als 300 Bochumer Bereitschaftspolizisten setzten sich zum B-Gebäude der RUB in Bewegung, was den Reformprozess nun gerade nicht beschleunigte. Biedenkopf wollte die Hochschulautonomie bewahren.

In der BSZ wurde dieser Vorgang wie folgt kommentiert: „Schutzpolizeidirektor Otto konnte sogar mit studentischer Billigung den Hörsaal betreten. Das Studentenparlament hatte gerade den Beschluss gefasst, auch ‚uniformierte Gäste‘ zuzulassen. Allerdings wurde er gebeten, sich vorzustellen und ohne Megaphon zu sprechen, die Rednerliste zu beachten, im Übrigen aber mit seinen Beamten an der Parlamentsarbeit teilzunehmen …“ (7)

SHB, SDS, AStA, aber auch der RCDS verurteilen das Vorgehen der Polizei und richteten eine Beschwerde an Biedenkopf, der das Ersuchen gestellt hatte, die Besetzung der Dekanatsräume zu beenden. Sein autoritärer Stil erregte über den Campus hinaus Missfallen. Weil die Studenten traditionelle Formen durchbrachen, Seminarstrukturen und Prüfungsbedingungen in Frage stellten, was ihrem damaligen emanzipatorischen Interesse entsprach, waren sie den „Technokraten“ ein Dorn im Auge.

Der aktive Streik durchbrach die universitäre Schallmauer. Die Studenten revoltierten nicht nur gegen eine überkommene Hochschulverfassung mit Prüfungsordnungen und windigen Entscheidungsgremien, sondern auch gegen eine kapitalistische Verwertung der wissenschaftlichen Ausbildung, der gelehrten Methoden und der wissenschaftlichen Ergebnisse. Sie versuchten, den Grundwiderspruch ihres Studiums, die Trennung von Theorie und Praxis, aus eigener Kraft aufzuheben. Biedenkopf rief also zu einem Zeitpunkt nach der Polizei, wo die Debatten um eine Selbstorganisation des Studiums auf einem Höhepunkt waren.

Mit der Besetzung der Dekanatsräume und dem Ruf nach der Polizei setzte aber auch eine Krise der Bochumer Hochschulrevolte ein, die bereits bei den StuPa-Wahlen 1968 festzustellen war. Die Wahlbeteiligung sank auf ca. 47 %. Die ‚linken‘ Listen kamen auf 53 %, die ‚rechten‘ erzielten 43 %. Der SHB, als gemäßigte Univertretung, bliebt stärkste Liste, der SDS fiel aller Wahrscheinlichkeit nach in der Gunst der Studenten ab und sollte sich erst wieder bei den StuPa-Wahlen 1969 in gewisser Weise erholen. Die Bochumer studentische Vollversammlung beschloss wahrscheinlich schon am 20. Dezember 1968 die Besetzung der Räume nicht mehr durchzuführen und forderte laut „apo press“ (München) ein „Koordinationstreffen“ mit der Unibürokratie.

„Bei diesem Treffen sollten in erster Linie Agitationsmöglichkeiten und Strategien besprochen (werden)…“ (8)

Biedenkopf unterstützte dieses Anliegen, da es ihm auf die Fortsetzung des Lehrbetriebes ankam. Die neue Universitätsverfassung sollte so schnell wie möglich bewerkstelligt werden. Mit der „Betriebsanalyse“, der Konzentration auf die Arbeiterklasse, der Gründung von Spartakus, SDS/ML, DKP und KPD/ML, Junge Garde und Anarchosyndikalisten stand die Konzentration der Studenten auf die „Massenorganisationen“ an. Damit „verschob“ sich das politische Agitationsfeld auf die Betriebe, zunächst auf Opel Bochum, dann kamen der Bochumer Verein, die Henrichshütte Hattingen, die Edelstahlwerke Witten, Rheinshagen, der Schalker Verein in Gelsenkirchen und Hoesch in Dortmund dazu.

Das von der Landesregierung am 7.4.1970 erlassene Hochschulgesetz beauftragte die Hochschulen mit der Erarbeitung einer Grundordnung, wurde von den Professoren jedoch weiter abgelehnt. Diese konnten in der Frage der Mitbestimmung in den Entscheidungsgremien der Fakultäten keinen gemeinsamen Nenner finden, einziges Zugeständnis an die Reformer war ein Mitspracherecht der nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter in Senat und Großem Rat. Nach heftigen Auseinandersetzungen und langen Diskussionen musste die Umsetzung des Hochschulgesetzes letztlich als gescheitert erklärt werden. Erst zum 1. April 1970 trat eine neue Diplom-Prüfungsordnung an der RUB in Kraft. Wie an anderen Universitäten konnte ein Teil der Forderungen der Studenten durchgesetzt werden. Dies war die Abschaffung von Zwischenprüfungen .Eine erweiterte Partizipation nicht-professoraler Gruppen wurde erst in der Verfassungsänderung von 1974 und schließlich in der neuen Grundordnung von 1985 festgeschrieben.

Eine neue Universitätsverfassung wurde in Bochum am 25.6.1969 verabschiedet. Die drittelparitätische Zusammensetzung des Universitätsparlamentes und der Abteilungsversammlungen konnte ebenfalls durchgesetzt werden. Vorausgegangen waren aber auch hier die Aktionen des AStA, an der über 1.000 Studierende teilnahmen, wie auch das gemeinsame Vorgehen der Assistentenschaft. Der Aufschwung der ‚linken‘ Listen 1969 bestätigten dieses Resultat. Sie kamen auf 52 %, ‚rechte‘ Listen erreichten 47 %. Der SHB blieb die stärkste Fraktion an der RUB.

„Im Wintersemester 1969/70 entfaltete der AStA eine Kampagne gegen den neuen Hochschulgesetzentwurf der Landesregierung. Es wurden klare Paritäten in allen Uni-Gremien und die Sicherung der verfassten Studierendenschaft gefordert. Es fand eine Urabstimmung mit 64 % Beteiligung über einen einwöchigen Streik statt, in der sich 92 % der Studierenden für den Streik aussprachen. Das Universitätsparlament solidarisierte sich mit dem Streik, das Rektorat lehnte ihn ab.“ (9)

Das Universitätsparlament, das sich im Sommer 1970 eine neue Wahlordnung gegeben hatte, war zwar in allen Abteilungsversammlungen präsent, aber dies passte dem Rektorat nicht. Es ordnete daraufhin Neuwahlen mit der alten Wahlordnung an. Es entstand eine gerichtliche Auseinandersetzung zwischen dem Rektorat und dem AStA, in der das Landesministerium eingriff. Anfang 1971 wurde vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen die neue Wahlordnung als „verfassungswidrig“ erklärt und die Klage des AStA abgewiesen. Im April 1971 sollte das zweite Universitätsparlament gewählt werden, das es auf nur ca. 6 Wochen Amtszeit brachte; denn der SHB setzte in der AStA-Koalition einen Boykott durch. Das Bündnis mit der Assistentenschaft zerbrach daraufhin. Erneut gab es bei den StuPa-Wahlen 1971 die Quittung: Die Wahlbeteiligung sank auf 36 %. ‚Linke‘ Listen kamen auf 55 %, ‚rechte‘ auf 33 %. Der SHB stellte mit der Roten Einheitsliste des SDS/ML den AStA.


Anmerkungen


Benutzte Literatur


Abkürzungen

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