Gross-Gerau: Prälat-Diehl-Gymnasium

Materialien zur Analyse von Opposition

Von Jürgen Schröder, Berlin

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Es stand uns aus Groß Gerau eine reichhaltige Sammlung der Schülerpublikationen am Prälat-Diehl-Gymnasium (PDG) sowie der Roten Zelle Groß Gerau (ROTZGG) zur Verfügung.

Separat dokumentiert werden die Schülerzeitung 'Vesper' aus den Jahren 1969 und 1970 sowie 'Der Schülerkurier' der MLSG aus den jahren 1972 bis 1974.

Diese Darstellung beginnt mit der Herausbildung des Unabhängigen Sozialistischen Schülerbundes (USSB) Groß Gerau (vgl. Dez. 1967), aus dem u.a. die Rote Zelle Groß Gerau (ROTZEGG bzw. ROTZGG – vgl. 23.5.1970) hervorgeht, der aber auch im Redaktionskollektiv der Schülerzeitung 'Vesper' vertreten ist. Aktiv am ort und nicht zuletzt am PDG ist auch ein Arbeitskreis Kriegsdienstverweigerung (AK KDV vgl. 12.6.1969, Sept. 1969, 1.10.1969) der auch aus Frankfurt beeinflusst wird, während vor allem aus Mörfelden-Walldorf Anhänger der RJ/ML des Kommunistischen Arbeiterbundes /ML (KAB/ML) Einfluß nehmen.

Ab dem Mai 1969 erscheint am Prälat-Diehl-Gymnasium die Schülerzeitung 'Vesper', die im Rahmen unserer Datenbank ausführlich als exemplarisches Beispiel für eine Schülerzeitung der antiautoritären Phase, von denen weder uns noch dem APO-Archiv ansonsten gute Sammlungen vorliegen, nahezu im Volltext dokumentiert wird, auch wenn sie erst relativ spät in der antiautoritären Phase erscheint. Es kommt umgehend zu Repressionen (vgl. Juni 1969). Schon ab September 1969 erscheint die 'Vesper' dann auch an der Kreisberufsschule (KBS) Groß Gerau, später (vgl. 4.5.1970) befasst man sich auch mit der Angelusschule und der Schillerschule, bleibt aber doch wesentlich auf das PDG konzentriert.

Besonders aktiv zeigt sich die 'Vesper' bzw. der um sie gruppierte Kreis neben Äußerungen zur Sexualität vor allem in der antiklerikalen Agitation sowohl am PDG (vgl. 25.6.1969) als auch in der Stadt Groß Gerau (vgl. 6.5.1970) und dem Landkreis (vgl. 23.5.1970), wobei nicht nur erstmals die ROTZEGG erwähnt wird, sondern auch Kontakte zur RJ/ML Walldorf/Mörfelden und SDAJ Mörfelden vertieft werden (vgl. 31.5.1970). Fraglich bleibt ob die eifrige antiklerikale Agitation aufgrund von persönlichen Mitgliedschaften in den Kirchen oder deren Diskussionsbereitschaft (vgl. 6.5.1970) bzw. einer Einschätzung eines dort zu findenden kritischen Potentials beruhte oder eher aufgrund des zu erwartenden Skandals bei den Aktionen erfolgte, während man sich an der eigenen Schule dem Religionsunterricht durchaus reformistisch widmet (vgl. 25.6.1969) und anderentags gegen die NPD in Darmstadt demonstriert (vgl. 26.6.1969).

Zur Spaltung der Redaktion der 'Vesper' (vgl. 4.5.1970) kommt es aufgrund der Frage der strikten Politisierung oder der eher strikt Schul- und schülerorientierten Berichterstattung („wen interessiert schon der Tod von H.J. Krahl?“). Nach dem Vertriebsverbot auf dem Schulgelände des PDG (vgl. 29.6.1970) erscheint seitens der Projektgruppe Schule der ROTZEGG ein 'Info' als vertiefende Publikation (vgl. Juli 1970, Dez. 1970), wobei dies nicht nur diesem Zweck sondern auch der beginnenden Spaltung der ROTZEGG (vgl. 7.7.1970) geschuldet zu sein scheint, aus deren ML-Flügel der KJVD der KPD/ML-ZB entsteht (vgl. 12.8.1970). Die ROTZEGG dagegen scheint die SV am PDG übernommen zu haben und spaltet sich endgültig (vgl. Dez. 1970), u.a. in einen größeren Teil der statt zum KJVD zur RJ/ML des KAB/ML geht und am PDG in der SV vertreten zu sein scheint (vgl. 19.4.1971).

Die eher antiautoritär-subkulturellen Schüler am PDG dagegen veröffentlichen das 'Fallbeil' (vgl. Dez. 1971), wobei auch diese zumindest für die MLSG werben.

Am PDG ist in der Folge eine Schülerbasisgruppe (SBG – vgl. 18.5.1971) als vermutlich legal konzipierte sog. Massenorganisation der schulischen Revolutionäre tätig, der trotzdem die Zulassung verweigert wird (vgl. 24.5.1971).

Die MLSG Gross Gerau tritt aber auch offiziell am Prälat Diehl Gymnasium auf und veröffentlicht dort einige Flugblätter (vgl. Okt. 1971, 29.11.1971, 23.2.1973), sowie ihre Zeitung 'Der Schülerkurier' (vgl. 4.12.1972, 5.2.1973, Jan. 1973, 5.2.1973, 7.3.1973, Sept. 1973, Feb. 1974).

Zur weiteren Entwicklung am PDG liegen uns derzeit keine Hinweise vor. Wir bitten um Ergänzungen.

Auszug aus der Datenbank „Materialien zur Analyse von Opposition“ (MAO)

Dezember 1967:
Ca. Ende 67/Anfang 1968 entwickelt sich in Groß Gerau ein Unabhängiger Sozialistischer Schülerbund. Der USSB war mehr ein indifferentes Sammelsurium links-politisierter Schüler, Produkt der Ausstrahlung der Studentenbewegung. Mehrere Stränge kennzeichneten den USSB:
a) unpolitischer Subkulturflügel,
b) Juso-Flügel (Jungsozialisten der SPD),
c) eine die Mehrheit repräsentierende 'linke' bis 'revolutionäre' Richtung.
Für Groß Gerau war für die Jahre nach 1968 die 'linke' bis 'revolutionäre' Richtung, aus der sich nach dem Zerfall des USSB zunächst die Rote Zelle Groß Gerau (Rotzegg) und ihre Massenorganisation Unabhängige Schülergruppe (USG) entwickelte, politisch relevant. Mit dieser Entwicklung ging ein Politisierungsprozeß einher, der sich schwankend in der Schülerzeitung 'Vesper' niederschlug.
Quelle: Eigener Bericht, o.O. 1986

Mai 1969:
In Groß Gerau erscheint erstmals die Schülerzeitung 'Vesper' am Prälat-Diehl Gymnasium (vgl. 26.5.1969), die uns bisher nicht zugänglich war. Enthalten ist ein Vietnam-Artikel, gefordert wird das Recht auf Nicht-Teilnahme am Religionsunterricht. Die 'Vesper' entwickelt sich bald zu einer Schulzeitung für Gymnasium und Berufsschule.
Q: Vesper Nr. 2, Groß Gerau Mai 1969

26.05.1969:
In Groß Gerau erscheint frühestens heute die zweite Maiausgabe der Schülerzeitung 'Vesper' am Prälat-Diehl Gymnasium (vgl. 26.5.1969, Juni 1969), die uns nur teilweise zugänglich war. Das Titelbild wird geziert von einem Büchnerzitat (u.a. 'aber wer die Wahrheit sagt wird gehenkt') und einer Comicbildfolge, in der dem Zitat Zustimmende von einem Polizisten gehenkt werden. Herausgeber ist die SMV, das Redaktionskollektiv besteht u.a. aus R. Merz, G. Schulmeyer, K.-J. Rücker, D. Treber, N. Schwappacher, R. Himmel und B. Heyl.
In einem weiteren Comic, der "Aktion Lust ohne Reue - Jüngste Weisung des Vorsitzenden Paul", fragt ein Sektenvorsitzender (Papst) "Have you had your pill today?"

In "Mißbrauch ministerieller Erlasse?" geht es um diesen widersprechende Erteilung von Hausaufgaben über das Wochenende und die Anwendung von 'Erlassen', bei denen es sich erst um Entwürfe handele, gegen Schülerzeitungen. Die Fragebogenaktion der SMV in der Oberstufe ist abgeschlossen. Angegeben wird Sekundärliteratur zum Vietnam-Artikel in der Nr. 1.
Neben weiteren ketzerischen Comics, Witzen und Lehrersatiren wird auch gefragt "Wer war Gustav Landauer?" und von Volker von Törne erscheint "Ein neues Löbtau-Lied" über Fritz Teufel.
Ein Leserbrief von Pfarrer K. H. Geil wendet sich gegen einen Artikel der Nr. 1, in dem ein "Buhmann Kirche" aufgebaut werde, den es gar nicht gäbe.
Q: Vesper Nr. 2, Groß Gerau Mai 1969

31.05.1969:
In Frankfurt findet, laut 'Vesper' Groß Gerau, der Kirchenreformtag der Jungen Protestantischen Gemeinde statt:"
Nach abstrakter und miserabel geführter Podiumsdiskussion wurde dem Plenum freundlicherweise erlaubt, einige Fragen zu stellen. Manche Fragen glichen sich dem niedrigen Niveau der Veranstaltung an. Hier ein Beispiel: 'Ist es nicht so, daß der Auftrag der Kirche aus dem Transzendenten kommt und er gegen weltliche Einflüsse verteidigt werden muß? Ich persönlich habe es in der Zeit von 1933-45 getan, als ich mich gegenüber den Nazis stets auf mein Ordinationsgelübde berufen habe.' Doch gab es Gott sei Dank auch Fragen, die etwas anspruchsvoller waren: 'Früher gab es überall kleine Läden, in denen die Heringe neben den Zigaretten lagen. Die Besitzer hießen Gemischtwarenhändler. Sieht man sich nun das Amt eines Pfarrers an, der sich um die Bibelstunden, um die Konfirmanden, um die Frauenhilfe, um den Posaunenchor, um die sonntägliche Predigt und um den neuesten Stand der Theologie kümmern muß, so drängt sich unweigerlich die Frage auf, ist der Pfarrer ein Gemischtwarenhändler.' - Diese Frage wurde nicht beantwortet. 'Soll die Kirche nicht der Vertreter der Geschlagenen, der Ausgebeuteten und Getretenen sein?' - Diese Frage wurde nicht beantwortet. 'Ist es nicht besser, um Theologie zu betreiben, ein Buch von Bloch zu lesen, anstatt zwei Semester Theologie zu studieren?' - Diese Frage wurde nicht beantwortet."
Q: Vesper Nr. 3, Groß Gerau Juli 1969, S. 11

Juni 1969:
In Groß Gerau erscheinen vermutlich diesen Monat am Prälat Diehl Gymnasium (PDG) eine zweiseitige Sonderausgabe der 'Vesper' (vgl. 26.5.1969, 1.7.1969) und zuvor ein Flugblatt ihres Redaktionskollektivs:"
DIESES BLATT SOLL DEM HESSISCHEN LANDE DIE WAHRHEIT MELDEN, ABER WER DIE WAHRHEIT SAGT WIRD GEHENKT.

Diesen Ausspruch Georg Büchners konnte man auf der Titelseite der zweiten Ausgabe der Vesper lesen; jetzt wurde die Vesper 'gehenkt'. Die Redaktion sieht sich außerstande dem immer stärkeren Druck der Schulbürokraten und reaktionären Elternvertreter standzuhalten. Die Anzeigen, die gegen die Vesper gestellt wurden, konnte man noch verkraften, untragbar ist aber, wenn Herr Dr. Klingler die Eltern von Redakteuren zu sich bestellt und ihnen von den 'Schandtaten' ihrer Kinder berichtet. Im Schülerzeitungserlaß (vgl. 13.8.1964, d. Vf.) heißt es, daß den Schülerzeitungen volle Pressefreiheit zu gewährleisten ist; Herr Klingler denkt aber nicht daran, Kritik zu dulden. Bisher konnte man die Vesper noch ertragen, aber als sie daran ging schulische Mißstände aufzuzeigen wurde sie untragbar. Man wies ihr einen Verstoß gegen das Pressegesetz nach und erklärte einfach, sie sei keine Schülerzeitung! Eine sehr einfache Methode unliebsame Kritiker mundtot zu machen.

An diesem Beispiel sehen wir deutlich, welche Aufgabe die Schule in der BRD hat. Ihr offizielles Ziel, nämlich mündige Menschen, verdeckt nur den wahren Charakter der Schule. In der Schule herrscht nicht Meinungsfreiheit, geduldet werden nur die Kräfte, die das bestehende System anerkennen. …

Diese Vorgänge am PDG passen genau in die Hetze des aus CDU/CSU, NLA, NPD und anderen reaktionären Kräften bestehenden Rechtskartells, gegen alle Demokraten und fortschrittlichen Kräfte.

An der Spitze dieses Rechtsblocks steht an unserer Schule der Vorsitzende des Elternbeirats Dr. Klotz, zweiter Direktor der Wick, und Dr. Klingler, der sich um den Posten des Konrektors bewirbt. Diese Leute haben gesellschaftliche Veränderungen zu fürchten, sie stemmen sich mit allen Mitteln gegen diese Veränderungen und dagegen, daß die Schüler ihre Interessen selbst vertreten. Deshalb mußten sie die Vesper entweder ganz ausschalten oder zähmen, und dies war ihnen trotz der 'fortschrittlichen' hessischen Schulgesetze möglich!

SOLCHE ÜBERGRIFFE AUF UNSERE DEMOKRATISCHEN RECHTE DÜRFEN WIR UNS NICHT LÄNGER GEFALLEN LASSEN, WIR MÜSSEN ORGANISIERT DEN KAMPF GEGEN DIE REAKTIONÄRE AUFNEHMEN!!"
Verantwortlich zeichnet G. Dotzauer in Groß Gerau.

In der zweiseitigen Sonderausgabe befaßt man sich mit einem Artikel von Rainer Neuderth im 'Fenster', einer weiteren Schülerzeitung, vermutlich an der Berufsschule, der die Nr. 2 der Vesper u.a. dahingehend kritisierte, daß sie Protest um des Protestes willen übe. Die 'Vesper'-Redaktion erklärt sich zunächst zur Diskussion bereit und führt u.a. aus:"
Einige Berufsschullehrer haben festgestellt, daß das Niveau der Vesper zu hoch sei! Auf viele Schüler, vor allem Berufsschüler trifft zu, daß sie unfähig sind, die zu lösenden Probleme überhaupt zu erkennen. Das ist in keiner Weise die Schuld der Schüler! Von der Schule (miserabler
Sozialkundeunterricht) nicht vorbereitet, gehen sie ins öffentliche Leben; werden mit 'BILD, den vielen Illustrierten und Zeitschriften wie dem 'Fenster' konfrontiert. Wie sollten sie sich gegen diese Manipulation der Hinterwelt (…) wehren?"
Q: Vesper Sdr.ausgabe, Groß Gerau o. J. (1969); Vesper-Redaktionskollektiv: Dieses Blatt soll dem hessischen Lande die Wahrheit melden, aber wer die Wahrheit sagt wird gehenkt, Groß Gerau o. J. (1969)

12.06.1969:
In Groß Gerau findet, nach eigenen Angaben, eine Diskussion des Arbeitskreises Kriegsdienstverweigerung (AK KDV) (vgl. Sept. 1969) über die Frage "Die Bedrohung der Bundesrepublik durch den Ostblock?" statt:"
Ausgangspunkt für die Diskussion bildet ein Referat über 'die Theorie der friedlichen Koexistenz', das von einer Frankfurter Genossin vorgetragen wurde. Sie ging zunächst darauf ein, daß diese Theorie seit 1956 von der UdSSR proklamiert wird und in deutlichem Widerspruch zur Theorie der aggressiven Sowjetunion steht. Diese Theorie geht auf Lenin zurück, der während der russischen Revolution die Ansicht vertrat, daß die Revolution auch in Deutschland ausbrechen würde. Als diese Revolution ausblieb, erklärte er den Aufbau des Sozialismus in einem Land für möglich. Vorrangig war nun für Lenin die Fortführung der eigenen Revolution, Voraussetzung dafür war seine Theorie, daß ein Krieg mit den kapitalistischen Ländern unter bestimmten Umständen zu vermeiden sei. Die Fortführung dieser Theorie kommt unter Stalin deutlich zum Ausdruck, der während des Zweiten Weltkrieges bedenkenlos mit den imperialistischen Regierungen (USA, England, Frankreich) zusammenarbeitete."
Vor den Sommerferien finde keine Diskussion des AK KDV mehr statt, sondern "lediglich noch eine Organisationsdebatte im internen Rahmen".
Q: Vesper Nr. 3, Groß Gerau Juli 1969

25.06.1969:
In Groß Gerau findet am Prälat Diehl Gymnasium eine Diskussion der 'Vesper' mit den Religionslehrern über die Umgestaltung des Religionsunterrichtes statt, von der die 'Vesper' so berichtet:"
Anwesend waren: evangelische Religionslehrer und Geistliche (Leider war kein Katholik erschienen), die SMV und das Vesper-Redaktionskollektiv. Einigkeit herrschte weitgehendst, daß der Religionsunterricht herkömmlicher Art bei der Mehrheit der Schüler auf kein Interesse stößt. Herr Berges meinte, die Religionslehrer wollten keine Informationen in 'ein Faß ohne Boden' füllen. Als Lösung bot Dr. Klingler an, abzuwarten und sich 'gesund zu schrumpfen'. Vesper bot als Alternative an, den Religionsunterricht in Form von Kursen zu organisieren, katholischen und evangelischen Schülern gemeinsam ein vorher diskutiertes Fächerangebot vorzulegen."
Q: Vesper Nr. 3, Groß Gerau Juli 1969

26.06.1969:
In Darmstadt findet eine Demonstration gegen eine Veranstaltung der NPD mit Adolf von Thadden statt.
Die 'Vesper' aus Groß Gerau berichtet:"
4 000 waren erschienen. Schon Stunden vor dem Beginn der Versammlung hatten sich die zu 75% aus Jugendlichen bestehenden Demonstranten dicht um den Haupteingang des Liebig-Hauses aufgestellt. 4 Hundertschaften Polizei aus Frankfurt und Wiesbaden hatten schon zuvor eine Kette um den gesamten Komplex gebildet. 20 Pferde standen im Innenhof des Schlosses für den 'äußersten Notfall' bereit. Die Demonstranten bildeten Ketten vor dem Haupteingang, um dem Publikum den Zutritt zu versperren, hinter diesen wiederum stand die Polizeikette, die die Aufgabe hatte, die Versammlung der NPD zu schützen. Rufe wie 'Deutsche Polizisten - schützen die Faschisten!' und 'Macht aus Polizisten - gute Sozialisten!' klangen auf. Am Anfang war es zu Ausschreitungen gekommen, als einige Demonstranten Farbeier warfen, und die Polizei mit ihren 'schlagenden Argumenten' antwortete. Durch Megaphone wurde immer wieder dazu aufgerufen, jeden Neofaschismus mit allen Mitteln zu verhindern. Viele Leute, denen der Zutritt zu ihrer NPD verwehrt blieb, versuchten es mit Gewalt, aber die dichten Ketten hielten dem Ansturm stand. So gab es nur verschmutzte Anzüge und wütende Beschimpfungen. Einigen wenigen gelang es aber doch, durch einen Nebeneingang und mit Polizeihilfe durch die Sperrkette der Demonstranten ins Innere des Hauses zu gelangen. Um 20 Uhr, dem Zeitpunkt, an dem die Veranstaltung beginnen sollte, waren ganze 28 Leute in dem 300 Personen fassenden Liebig-Haus, in dem sich zur 'Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung' 20 uniformierte Polizisten aufhielten. Gegen 20 Min. nach 20 Uhr, vor nunmehr 70 Zuhörern, begann Adolf von Thadden, der vorher heimlich durch den Keller eingelotst worden war, mit seinen Ausführungen. Vorher hatte 'Adolf 2' dem Aufruf, herauszukommen und offen über sein Parteiprogramm zu diskutieren, nicht Folge geleistet. Seine Schlägertrupps waren diesmal, wohl dank der großen Menge der Anti-Faschisten, nicht zu sehen. Am Ende der zweistündigen Rede kamen die wenigen Zuhörer durch das Spalier der 'Sieg Heil' rufenden Genossen ins Freie, und Adolf verließ erst Stunden später, wieder durch den Keller, seine belagerte Festung, allerdings diesmal unter dem Hagel von Farbeiern, faulen Eiern und Stinkbomben. Im Großen und Ganzen kann man unsere Aktion als völlig gelungen bezeichnen. Es wäre zu hoffen, daß die nächsten Aktionen gegen die Neo-Faschisten ebenso erfolgreich verlaufen."
Q: Vesper Nr. 3, Groß Gerau Juli 1969, S. 15

01.07.1969:
In Groß Gerau erscheint am Prälat Diehl Gymnasium (PDG) die Nr. 3 der 'Vesper' (vgl. Juni 1969, Sept. 1969) in einem Umfang von 16 Seiten, von denen uns leider die Seiten 7 bis 10 und 13 fehlen. Das Titelbild wendet sich gegen Vorbeugehaft und Notstandsgesetze. Die Auflage beträgt ca. 150 Stück. Man befaßt sich mit sexueller (Nicht-)Aufklärung und läßt den Arbeitskreis Kriegsdienstverweigerung (KDV) zu Wort kommen (vgl. 12.6.1969), berichtet von der eigenen Diskussion mit den Religionslehrern (vgl. 25.6.1969), vom Thadden (NPD) Besuch in Darmstadt (vgl. 26.6.1969) und kündigt für Mitte Juli eine NPD-Versammlung in Mörfelden an.

In "Kirche - progressiv?" wird die Diskussion mit Pfarrer Geil fortgeführt, indem diesem konkrete Beispiele für die begründete Ablehnung der Kirche aus Frankfurt (vgl. 31.5.1969) und Rüsselsheim (vgl. 1.6.1969) bekanntgemacht werden. An diesen Beispiele zeige sich:"
Die Kirche versucht 'modern' zu sein, um verlorene Aktualität zurückzugewinnen. Sie proklamiert 'Demokratie' oder sogar 'Revolution'. Wenn aber tatsächlich versucht wird, etwas zu kritisieren oder zu ändern, treten die autoritären, hierarchischen und faschistoiden Strukturen der Kirche deutlich zutage. Einerseits würgt man wirklich kritische Fragen ab und versucht sie in der Diskussion zu umgehen, andererseits holt man die Polizei und glaubt dadurch das Problem zu lösen. Auch diese Veranstaltungen zeigen, daß man in der Kirche nicht ernsthaft bemüht ist, sich mit der Jugend auseinanderzusetzen, die Probleme werden nur oberflächlich behandelt, aber es wird nicht versucht wirklich etwas zu ändern. Die reaktionären und autoritären Kräfte der Kirche behalten nach wie vor die Oberhand, und solange sich dies nicht ändert, ist es vielleicht besser aus der Kirche auszutreten, als weiterhin im alten Trott mitzumachen und ein veraltetes System durch Reformen zu stützen."

Über die Abiturfeier heißt es:"
Schon von der formalen Seite her, machte die Abiturabschlußfeier einen denkbar antiquierten Eindruck; sogar die ehemaligen 'USSB-Revolutionäre' saßen in Anzug und Krawatte, durchaus bürgerlich, unter den übrigen Abiturienten und warteten darauf, vom 'verhaßten Establishment' die Bestätigung ihrer Reife entgegenzunehmen. Einzig Christa Sickert raffte sich auf, die Schule einer letzten Kritik zu würdigen. Sie bemühte sich dabei allerdings peinlichst, allgemein zu bleiben und ihre 'Kritik' in einem, wie in der Heimatzeitung zu lesen war, versöhnlichen Ton abzufassen. Ganz bewußt bot sie keine Alternativmöglichkeiten an, so daß sich jeder zu ihrer Forderung nach einer 'gewissen Mitbestimmung' seinen Teil denken konnte." Man selbst fordert u.a. die Bekanntgabe der Abiturnoten.

In "Gerücht" heißt es:"
Nach Angaben aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen soll demnächst 'quem iuccet' Nr. 2 erscheinen. Wir rufen alle Schüler auf, sich mit der nur noch dreiköpfigen Redaktion zu solidarisieren. KAUFT 'quem iuccet'. Wenn sie überhaupt noch erscheint."
Q: Vesper Nr. 3, Groß Gerau Juli 1969

16.07.1969:
Heute beginnt in Stuttgart der dreitägige Evangelische Kirchentag (KT) 1969. Die 'Vesper' Groß Gerau berichtet:"
Wer sich von diesem Kirchentag fromme Sprüche und Gottes Segen für unseren Staat erwartete, wurde enttäuscht. Der KT wurde so weit wie möglich umfunktioniert. Die KT-Leitung glaubte wahrscheinlich mit Halle 10 für die kritische Jugend genug getan zu haben, aber diese Halle bot selbst Anlaß zu harter Kritik. Offiziell als Jugendcafe benannt, sollte sie (?) den Protest der jungen Generation abfangen. Die miserable Akustik und die Tatsache, daß in der Halle eine Discothek untergebracht war, die durch ständige Lärmberieselungen Diskussionen fast verhindert hätte (sie mußte jedoch später aufgrund eines Mehrheitsbeschlusses abgestellt werden), lassen diesen Schluß zu. Doch: die Rechnung ging nicht auf. Halle 10 wurde Ausgangspunkt der verschiedenen Aktionen und Koordinationszentrum der verschiedenen Gruppen und insbesondere der Studentengemeinden. Erfreulich war, daß einige äußerst progressive Resolutionen (…) von der Mehrheit des Plenums der entsprechenden Arbeitsgruppen angenommen wurden. Höhepunkt dieses KT war zweifellos der Marsch zum Stuttgarter Landtag. 'Die AG Demokratie wollte demonstrieren. Der Diskussionsleiter wollte nicht. Erst nach einer zweiten Abstimmung stimmte das Präsidium dem Beschluß der Mehrheit zu und löste die Veranstaltung offiziell auf. Doch geschlagen gab sich der Überstimmte nicht. Er forderte die Teilnehmer nicht auf, im Sinne des Demonstrationsbeschlusses an dem Protestmarsch teilzunehmen. Er verwies auf die Mittagspause und wünschte "Guten Appetit" Was gab es doch: Kotzfleisch'. (entnommen aus PROTEST - kritische KT Zeitung). Trotz der massiven Gegenrede zogen etwa 800 KT Besucher zum Landtag. Die KT Leitung und die öffentliche Presse versuchte diesen Marsch mit allen Mitteln in ein negatives Licht zu rücken. Man sprach von einem 'Kinderkreuzzug' usw.. Die KT Leitung erklärte auch, daß die Resolutionen keinerlei Bedeutung hätten und rechnete es sich noch als Verdienst an, daß sie die Resolutionen den jeweiligen Adressaten zuschicken werden. Wie Wichtig! Kaum eine der etwa dreißig Resolutionen wurde in vollem Wortlaut der gesamten deutschen Öffentlichkeit zugänglich gemacht, und natürlich wurde auf der Schlußveranstaltung schön gesungen und gesabbert, aber die gesamten Resolutionen wurden nicht vorgelesen. Waren sie vielleicht zu links? Das Aufbegehren der Christen wurde eingedämmt. Die Wogen wieder geglättet; die drei Tage der Unruhe sind wieder vergessen. Wie lange noch wird die Kirchenhierarchie in der Lage sein die Christen mundtot zu machen?"
Q: Vesper Nr. 4, Groß Gerau Sept. 1969, S. 10

18.07.1969:
Über die heutige Wahlkampfrede von Franz Josef Strauß (CSU) über die Vorfälle in Bamberg bzw. Ebrach berichtet die 'Vesper' aus Groß Gerau so:"
Das liebste Wahlkampfthema des Herren Strauß ist der 'Apo-Auftritt' in Bamberg. Der Genosse Wetter wurde wegen Landfriedensbruchs verurteilt. Während der Tatzeit war er zwanzig Jahre alt. Als die Gerichtsverhandlung stattfand, war er bereits 21. Trotzdem wurde er nicht nach dem Erwachsenen- sondern noch nach dem Jugendstrafrecht verurteilt. Damit wurde ihm die Möglichkeit genommen in die Berufung zu gehen. Dies nahmen 40 Genossen zum Anlaß nach Bamberg zu reisen, um dort eine Seminarwoche durchzuführen. Ein junger Bauer hatte sich bereit erklärt ihnen seine Wiese als Zeltplatz zur Verfügung zu stellen. Durch eine Schikane des Landrates wurde der Bauer jedoch gezwungen sein Versprechen zurückzuziehen. Darauf erschienen 39 Genossen im Sprechzimmer des Landrates, wo ihnen jedoch eine Unterredung mit dem Landrat versagt wurde. Nun verschaffte man sich Zutritt zum Amtszimmer. Eine Mappe mit Briefen wurde aus dem Fenster geworfen, ein Kruzifix von der Wand entfernt und Kerzen angezündet. Alle 39 wurden wegen Haus- und Landfriedensbruch festgenommen. Der einzige Schaden (150 DM) entstand, als die Inhaftierten im Gefängnis randalierten.

Aber: Die Bamberger Bürger wollten Selbstjustiz üben, und nicht immer konnte die Polizei den faschistoiden Methoden dieser Bürger Einhalt gebieten. Selbst für die Polizei war der Schaden so gering, daß die Inhaftierten bereits nach einem Tag wieder freigelassen wurden.

Ergebnis: Zehn Genossen wurden von Bürgern krankenhausreif geschlagen, fünf weitere Personen wurden zusammengeprügelt (darunter 3 14jährige Schüler), im Postershop 'Smash' wurde die gesamte Einrichtung demoliert. Die Polizei war nicht in der Lage (?) ein im achten Monat schwangeres Mädchen, das nur gerade noch vor den Bürgern fliehen konnte, zu schützen.

Ein französischer Lehrer mit Bart wurde mit einem Hammer niedergeschlagen, und so schwer verletzt, daß er mit Nierenblutungen ins Krankenhaus gebracht werden mußte. Ein Pfleger empfing ihn mit den Worten: 'Besser wär's, man hätte Dich Sau totgeschlagen'.

Fazit: Eine verlorene Schlacht für die Demokratie. Kreisrat Nestvogel meint: sollte sich so etwas wiederholen, so 'müsse man der Bevölkerung eine Stunde frei Hand lassen'. Denn so Kreisrat Vollhammer: 'Demokratische Mittel helfen hier nicht weiter'."
Q: Vesper Nr. 4, Groß Gerau Sept. 1969, S. 15

September 1969:
In Groß Gerau erscheint die Nr. 4 der Schülerzeitung 'Vesper' (vgl. 1.7.1969, Nov. 1969) in einem Umfang von 16 Seiten. Auf dem Titelbild sitzt Orge aus Bertolt Brechts "Baal" auf der Toilette und ißt. Die Auflage wird mit 500 Ex. angegeben. Als Mitglieder des Redaktionskollektives werden benannt vom Prälat Diehl Gymnasium (PDG): H. Merz, G. Schulmeyer, K.J. Rücker, D. Treber, N. Schwappacher, R. Himmel, B. Heyl, W. Rühl, U. Pietz und A. Reichstein; und von der Kreisberufsschule Groß Gerau u.a.: B. Melchior, W. Gimbel, K. Gimbel, B. Benz, G. Schaub, J. Goetz und H. Ruchelshaußen.

Man befaßt sich mit dem Hunger in der Dritten Welt, dem Lied des NPD-Ordnungsdienst Hessen und der al-Fatah in Palästina, deren Bezeichnung als 'verbrecherisch' hinterfragt und dadurch abgelehnt wird. Der AK KDV (vgl. 12.6.1969, 1.10.1969) kündigt regelmäßige Beratungen im Anne-Frank-Heim an. Weitere Ankündigungen, nebst einem Artikel, kommen von der späteren Sozialistischen Arbeitergruppe (SAG) Groß Gerau (vgl. 20.9.1969) und dem Marxismus-Seminar (vgl. 17.10.1969).
Berichtet wird vom Kirchentag in Stuttgart (vgl. 16.7.1969) und dem Auftritt von Franz Josef Strauß in Bamberg (vgl. 18.7.1969). "Ho Chi Minh - Ein Leben für das Volk" befaßt sich mit dessen Biographie.

In "Bundestagswahl - Wahl ohne echte Alternative" heißt es neben Schilderungen über die NPD in Frankfurt (vgl. 25.7.1969) u.a.:"
Natürlich läßt sich nicht bestreiten, daß es einige 'Unterschiede' zwischen NPD und CDU/CSU gibt, aber gerade darin liegt auch die Gefährlichkeit der CDU/CSU: im Gegensatz zur NPD verstehen es die Christdemokraten, die Wähler über ihre wahren Ziele und Absichten im Unklaren zu lassen und ihren teilweise schon faschistischen Charakter zu verschleiern. … Die verhängnisvolle Rolle der SPD während der Weimarer Republik ist hinreichend bekannt, aber auch nach dem Zweiten Weltkrieg erhebt diese Partei keinen revolutionären Anspruch, sondern sie paßt sich nach einigem Hin und Her den gegebenen REALITÄTEN an, um noch hier und da einmal als 'reformerische Kraft' in Erscheinung zu treten, die aber faktisch nichts oder nur sehr wenig bewirken konnte. … Auch die SPD stellt keine echte Alternative dar, sie kann n u r das kleinere Übel sein. … Aber auch die FDP bietet berechtigten Anlaß zur Kritik, denn das 'linke' Image der FDP täuscht nicht darüber hinweg, daß hier nur versucht wird, sich der linken Bewegung z.T. anzuschließen, um damit Jungwähler und auch Unzufriedene zu 'fangen'. Die Tatsache, daß die FDP die Mitbestimmung ablehnt, zeigt, daß sie nach wie vor die Partei der Unternehmer, Wirtschaftsbosse und Kapitalisten ist; auch die Schwierigkeiten der FDP mit ihrem Studentenverband (LSD) werfen ein bezeichnendes Licht auf diese Partei. Bleibt die ADF, ein Bündnis von DKP und DFU, sowie anderen linken Gruppierungen: über diese Partei läßt sich bis jetzt recht wenig sagen, es gibt gewiß einige Ansätze, die deutlich zeigen, daß es der ADF um eine Veränderung der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse geht. Andererseits aber läßt sich eine gewisse Anlehnung an Moskau und Ostberlin (SU bzw. DDR,d.Vf.) nicht leugnen, was in der Billigung des Sowjet-Einmarsches in der CSSR zum Ausdruck kommt. Man kann vielleicht mit Professor Abendroth sagen: 'Jede Stimme für die ADF würde mindestens helfen, einen Druck auf die SPD dahin auszuüben, daß sich in ihr wieder Kräfte entfalten können, die den Kampf gegen die Gefahren des Faschismus und das Wiedererwachen von Vorstellungen des deutschen Imperialismus für wichtiger halten, als opportunistische Unterordnung unter die CDU/CSU.' Nun, warten wir diese Entwicklung ab, versprechen wir uns aber nicht allzuviel davon. … Die große Ratlosigkeit und die allgemeine Unzufriedenheit, die seit Bildung der Großen Koalition herrscht, besteht auch weiterhin, eine grundlegende Änderung scheint sich auch in absehbarer Zukunft nicht zu zeigen. Deshalb heißt die Parole für diese Bundestagswahl: W A H L B O Y K O T T und Intensivierung des außerparlamentarischen Kampfes."

Ein weiterer Artikel ist:"
Die SMV des Prälat-Diehl-Gymnasiums möchte an dieser Stelle ein Mitbestimmungsmodell zur Diskussion stellen, daß sie am Gymnasium zu verwirklichen gedenkt. Es wird bereits an einer Darmstädter Schule praktiziert. Wesentlicher Bestandteil ist die Vollversammlung, an der alle Schüler teilnahmeberechtigt UND stimmberechtigt sind. … Nicht in der Vollversammlung erfaßte Personen (Lehrer, Direktor etc.) können durch Abstimmung (einfache Mehrheit) ausgeschlossen werden. … Besondere Aufgaben (wie z.B. Protokoll führen, Resolutionen verfassen, Rechtsfragen klären, Parties organisieren etc.) übernehmen spontan gebildete Ausschüsse, denen sich jeder Schüler anschließen kann. Diese Ausschüsse arbeiten befristet und weisungsgebunden. … Die SMV ist abgeschafft."

"An alle Mädchen" wendet sich ein Artikel "Schülerinnen, Sexualität - Pille", in dem kein Anhalt für medizinische Risiken der Pille gefunden wird:"
Zum ersten Mal steht uns ein Mittel (außer der Sterilisation) zur Verfügung, daß gestattet, nicht auf Lust zu verzichten, weil ständig die Gefahr besteht, daß ein Kind gezeugt wird. … Elternhaus, Schule und Kirche predigen dagegen auch heute noch für uns alle die sexuelle Enthaltsamkeit. … Bei uns Schülerinnen ist der Zwang sexuelle Gefühle zu unterdrücken, wesentlich größer als bei einer Jungarbeiterin, die sich in einer materiell unabhängigen Situation von den Eltern befindet. Von uns dagegen verlangt man, solange wir uns in der Ausbildung befinden, Enthaltsamkeit zu üben, d.h. einen Teil unserer Persönlichkeit zu verleugnen und zu unterdrücken. … Es ergeben sich aus alledem zwei Konsequenzen: Einerseits den Prozeß der Aufklärung fortzuführen, der immer mehr Schülern den Zusammenhang zwischen schulischer, sexueller und politischer Unterdrückung klarmacht; dadurch emanzipatorisch zu wirken, dahingehend, daß immer mehr Schüler ein unverklemmtes Verhältnis zur Sexualität finden, aus den Mechanismen der Unterdrückung ausbrechen und sich gegen die Unterdrückung behaupten. Andererseits durch praktische Hilfe bereits emanzipierte Schülerinnen zu unterstützen, dazu gehören Beratungen und Adressen von Ärzten, die beim Redaktionskollektiv zu erfahren sind."
Q: Vesper Nr. 4, Groß Gerau Sept. 1969

01.10.1969:
Der Arbeitskreis Kriegsdienstverweigerung (AK KDV) Groß Gerau (vgl. Sept. 1969) will Anfang Oktober auf einem Seminar eine Militarismusanalyse durchführen.
Q: Vesper Nr. 4, Groß Gerau Sept. 1969, S. 9

17.10.1969:
In Groß Gerau wird, laut 'Vesper', das bisherige Marxismus-Seminar nun als Arbeitsgruppe der Volkshochschule (VHS) fortgeführt.
Q: Vesper Nr. 4, Groß Gerau Sept. 1969, S. 9

November 1969:
In Groß Gerau erscheint die Nr. 5 der Schülerzeitung 'Vesper' (vgl. Sept. 1969, Dez. 1969) in einem Umfang von 20 Seiten, von denen uns leider die Seiten 5 bis 10 fehlen. Auf dem Titelbild hetzt F.J. Strauss einen Schäferhund auf. Die Auflage wird mit 630 Ex. angegeben. Als Mitglieder des Redaktionskollektives werden benannt vom Prälat Diehl Gymnasium (PDG): Gertrud Bischoff, Heiner Scherer, Harald Merz, Kl.-Jürgen Rücker, Dirk Treber, Norbert Schwappacher, Susi Himmel, Bernd Heyl, Wulf Rühl, Uschi Pietz und Angelika Reichstein, von der Kreisberufsschule Groß Gerau u.a.: Bernd Melchior, Wolfgang Gimbel, Klaus Gimbel und Burkhard Benz, andere Mitarbeiter sind Ernst Sperling, Gerda Meinelschmidt, Angelika Stork, Jürgen Goetz und Dagmar Dotzauer.

"In eigener Sache" wird erklärt:"
1. Als wir im Mai dieses Jahres die erste Ausgabe der Vesper herausbrachten, war es unser Ziel, die Schüler, die unsere Zeitung lesen, anzuregen kritisches Bewußtsein zu entwickeln. Weiter war es unsere Absicht 'allen Schülern die Möglichkeit zu bieten ihre Meinung zu Problemen, die für sie von Interesse sind, darzulegen' (Vesper 1). Damit die Schüler keine Angst vor Repressalien zu haben brauchen verzichten wir auf den Abdruck der Namen. Wir stellen noch einmal fest, daß wir alle uns zugesandten Artikel ohne Zensur drucken (Wenn Kürzungen wegen Platzmangel notwendig sind, werden wir den Verfasser bitten diese selbst vorzunehmen). Bisher erhielten wir lediglich eine Zuschrift; sie war von einem Pfarrer. Wir fordern a l l e Leser dazu auf mitzuarbeiten und kritisch Stellung zu nehmen.

2. Es ist unerträglich und schlicht als Schweinerei zu bezeichnen, wenn Lehrer Artikel von uns im Unterricht in diffamierender Weise besprechen und uns nicht die Möglichkeit zur Gegendarstellung bieten. Das ist Manipulation und Verdummung übelster Machart, und wir sind nicht gewillt das hinzunehmen. Wir fordern alle Schüler auf uns zu berichten wenn Lehrer unsere Zeitung im Unterricht besprechen und von dem betreffenden Lehrer zu verlangen, daß ein Mitglied des Redaktionskollektivs an der Besprechung teilnehmen kann.

3. Das Redaktionskollektiv hat sich seit der ersten Ausgabe stark vergrößert; trotzdem sind wir auch weiterhin an der Mitarbeit anderer Schüler interessiert. Auch das neuentstandene Redaktionskollektiv an der Berufsschule fordert die Schülerschaft zu verstärkter Mitarbeit auf."

Zur Bundestagswahl äußert sich "Wahlwittchen" frei nach den Brüdern Grimm. In "Phrasen, Schlagwörter, dummes Gewäsch, z.B.: Faschismus" heißt es u.a.:"
Uns geht es aber nicht darum, irgendwelche 'Traumtänzer' zum mitträumen zu gewinnen, sondern unser Ziel ist es vielmehr, dem Einzelnen aufzuzeigen, in welchem 'Scheißstaat' er eigentlich lebt, anders ausgedrückt: in einem spätkapitalistischen Staat mit faschistischen Tendenzen".

In "Über die Funktion der Betriebshierarchie" heißt es:"
Insgesamt ist zu erkenn, daß die autoritär hierarchische Gesellschaftsordnung Ursache für ständigen Unfrieden in der breiten Masse ist. Die Lohnabhängigen sind so sehr mit sich selbst beschäftigt, daß sie nicht in der Lage sind, die eigentlichen Ursachen, die für ihre jetzige, unbefriedigende Lage verantwortlich sind, zu erkennen. … Es ist jedoch auf jeden Fall notwendig, daß die Arbeiter i h r e Betriebe selbst leiten und die Betriebshierarchie durch ein System der Arbeiterselbstverwaltung ersetzt wird (Jugoslawien-Modell). … Jetzt ist noch die Frage zu klären, wie man die bestehenden Verhältnisse verändern kann. … Die Gewerkschaften können uns hier nicht viel helfen, sie sind bereits so mit der Betriebshierarchie verbunden, daß sie unfähig sind wirksame Kritik zu üben. Es ist daher dringend erforderlich, daß wir uns selbst organisieren." Eine Möglichkeit dazu sei der Arbeitskreis Betrieb Groß Gerau, der sich jeden Samstag im Schloß Dornberg trifft.

In "Die Stellung der Frau in Beruf, Familie, Politik und Sexualität" wird u.a. auf den Paragraphen 1356 BGB eingegangen.

In "Vom Parlamentarismus zur autoritären Demokratie" befaßt man sich mit Carl Schmitt und stellt fest:"
Manipulation hat ja nur dann langfristigen Erfolg, wenn sie auf die Bereitschaft stößt, sich manipulieren zu lassen, wenn ihr bestimmte Bedürfnisse der Masse entgegenkommen. Das ist ohne Zweifel in Deutschland zur Zeit der Fall."
Q: Vesper Nr. 5, Groß Gerau Nov. 1969

Dezember 1969:
In Groß Gerau erscheint die Nr. 6 der Schülerzeitung 'Vesper' (vgl. Nov. 1969, Jan. 1970) in einem Umfang von 24 Seiten. Die Auflage wird mit 600 Ex. angegeben. Als Mitglieder des Redaktionskollektives werden benannt vom Prälat Diehl Gymnasium (PDG): Gertrud Bischoff, Heiner Scherer, Kl.-Jürgen Rücker, Dirk Treber, Norbert Schwappacher, Bernd Heyl, Wulf Rühl, F. Schopf, Uschi Pietz und Angelika Reichstein, von der Kreisberufsschule Groß Gerau u.a.: Bernd Melchior, Wolfgang Gimbel, Klaus Gimbel und Burkhard Benz, andere Mitarbeiter sind Ernst Sperling, G. Dewald, U. Müller, R. Brückner, H. Graf, C. Drott, Gerda Meinelschmidt, Angelika Stork, Jürgen Goetz und Dagmar Dotzauer.

Das Titelbild wird von einem Phantasiewesen eingenommen, man befaßt sich mit Musikkritik (Bob Dylan, Amon Düül II, Canned Heat), mit der Stellung der Frau in der Familie und veröffentlicht einen "Leitfaden für Junglehrer". In "Zur Problematik der SMV" befaßt man sich mit der derzeitigen Diskussion eines 4. Entwurfes (vgl. 31.7.1969) zu einem neuen SMV-Erlaß:"
Am Prälat Diehl Gymnasium wurde ein Ausschuß aus Lehrern und Schülern gebildet, der die Aufgabe hat, Verbesserungsvorschläge auszuarbeiten und ein Modell für eine Satzung zu entwerfen. Von Schülerseite wurden Forderungen vorgebracht, ohne die ein wirklich demokratisches Mitbestimmungsmodell für die Schule undenkbar ist." Hierzu zählen das allgemeinpolitische Mandat, paritätisches Mitbestimmungsrecht bei allen Konferenz bzw. falls dieses nicht gewährt wird, Vetorecht des Vermittlungsausschusses.

Man wendet sich gegen Nazis, Christen und Sozialdemokraten und veröffentlicht "Alle Macht den Räten!!! - Eine Analyse des Rätesystems von der Pariser Kommune bis zum rätedemokratischen Modell Jugoslawiens", wobei Jugoslawien quasi als Vorbild dargestellt wird, da dort die Arbeiter den wirtschaftlichen Entscheidungen ausdrücklich oder stillschweigend zustimmen müssen:"
Insofern sind die Jugoslawen auf dem Weg zur realen Demokratie den kapitalistischen Ländern und den Ländern des autoritären Kommunismus ein weites Stück voraus."

Die SDAJ Mörfelden ruft zum Vietnam-Aktionstag vgl. 13.12.1969) auf. Abgedruckt werden auch verschiedene eher unpolitische Beiträge aus der Schülerschaft.
Q: Vesper Nr. 6, Groß Gerau Dez. 1969

Januar 1970:
In Groß Gerau erscheint vermutlich im Januar die Nr. 7 der Schülerzeitung 'Vesper' (vgl. Dez. 1969, Feb. 1970) am Prälat Diehl Gymnasium (PDG) und der Berufsschule, die uns bisher leider nicht zugänglich war.
Q: Vesper Nr. 9, Groß Gerau Mai 1970

Februar 1970:
In Groß Gerau erscheint vermutlich im Februar die Nr. 8 der Schülerzeitung 'Vesper' (vgl. Jan. 1970, 4.5.1970) am Prälat Diehl Gymnasium (PDG) und der Berufsschule, die uns bisher leider nicht zugänglich war. Eingegangen wird u.a. auf den Tod von Hans Jürgen Krahl (SDS Frankfurt).
Q: Vesper Nr. 9, Groß Gerau Mai 1970

04.05.1970:
In Groß Gerau erscheint vermutlich in dieser Woche die Nr. 9 der Schülerzeitung 'Vesper' (vgl. Feb. 1970, 29.6.1970) am Prälat Diehl Gymnasium (PDG) und der Berufsschule. Über "Die neue Vesper" heißt es:"
Aufgrund des sehr schlechten Echos auf die letzte Vesper kam es in der Redaktion zu sehr starken Differenzen. Ein Teil war der Auffassung, daß die Vesper politische Information bringen sollte und auf Satiren und Witze ganz verzichten sollte. Die andere Gruppe vertrat die Auffassung, daß die Vesper ja schließlich eine Schülerzeitung sei und daher auf die Interessen der Schüler eingehen müsse. Und da es nun einmal nicht hauptsächliches Interesse der Schüler ist, sich über politische Fragen zu informieren (wen interessiert schon der Tod von H.J. Krahl?), müsse die Zeitung mindestens wieder auf den alten Kurs gebracht werden, wenn nicht sogar noch mehr auf allgemein interessierende Dinge eingehen. Es wurde dann eine Abstimmung durchgeführt, bei der sich diejenigen, die sich für eine radikale Politisierung der Vesper einsetzten, nicht durchsetzen konnten. Der andere Teil ging nun daran eine neue Konzeption für die Vesper zu entwickeln. Daraufhin zogen sich diejenigen, die für eine politische Vesper eintraten, zurück. (Ein Teil dieser Schüler hätte sowieso mit Abschluß der Schule seine Mitarbeit beendet.) Es wurde im allgemeinen die Auffassung vertreten, daß sich die Vesper mehr mit schulischen Fragen beschäftigen sollte, und die Schüler mehr an der Vesper zu beteiligen seien. … Das neue Redaktionskollektiv bemüht sich darüber hinaus, Themen aufzugreifen, die für die Schüler von Interesse sind (Sexualaufklärung, und ansonsten wie bisher kein Blatt vor den Mund zu nehmen)."

Als Mitglieder des Redaktionskollektives werden benannt vom Prälat Diehl Gymnasium (PDG): M. Passet, Gertrud Bischoff, Kl.-Jürgen Rücker, Wulf Rühl, H. Pietz, H. Lipp, R. Hanus, S. Himmel und G. Breidert, von der Kreisberufsschule Groß Gerau u.a.: G. Melchior, Klaus Gimbel und M. Klier, andere Mitarbeiter sind C. Drott, Gerda Meinelschmidt, Angelika Stork, Jürgen Goetz und Dagmar Dotzauer. Die Auflage wird mit 600 angegeben.
Berichtet wird u.a. von einzelnen Lehrerübergriffen gegen Schüler, wobei die Redaktion auffordert Berichte über derlei Umtriebe am PDG, der Berufsschule und der Angelusschule zu verfassen. Begonnen wird mit einer Serie zur Sexualaufklärung, die in Groß Gerau fast nur am PDG halbwegs ordentlich betrieben, an der Berufsschule, der Angelusschule und der Schillerschule aber vernachlässigt werde. Eingegangen wird auch das Rauchen am PDG, die Prüfungsangst, Diskotheken und den SV-Satzungsentwurf am PDG, zu dem der Arbeitskreis SV bereits ein 'Info' herausgegeben habe. Derzeit beschäftige sich der Arbeitskreis mit der Prüfungsangst. In einem vermutlich für die Berufsschule geschriebenen Artikel heißt es u.a.:"
Die Gewerkschaften machen zwar hin und wieder Verbesserungsvorschläge für die Berufsausbildung, aber andererseits tun sie nichts für die Durchsetzung dieser Vorschläge. Sie sind nicht bereit, die Unzufriedenheit der Lehrlinge zu organisieren.

Die Lehrlinge müssen ihre Probleme selbst in die Hand nehmen. Deswegen müssen sie ihren Widerstand überbetrieblich organisieren."
Q: Vesper Nr. 9, Groß Gerau Mai 1970

06.05.1970:
In Groß Gerau-Nord soll heute in der Evangelischen Versöhnungsgemeinde das "3. Gespräch mit jungen 'Linken' zum Thema: Frieden und Aggressivität" stattfinden.
Q: Vesper Nr. 9, Groß Gerau Mai 1970, S. 11

29.06.1970:
In Groß Gerau erscheint spätestens heute die Nr. 10 der Schülerzeitung 'Vesper' (vgl. 4.5.1970) mit einem Umfang von 20 Seiten u.a. am Prälat Diehl Gymnasium (PDG) und der Kreisberufsschule (KBS). Dies ist die letzte uns bisher bekanntgewordene Ausgabe. Die Auflage beträgt 700 Exemplare.

Vom Redaktionskollektiv werden nicht mehr die Mitglieder aufgeführt, sondern es wird nur bekanntgegeben:"
Das Redaktionskollektiv setzt sich aus Berufsschülern, Gymnasiasten und freien Mitarbeitern zusammen.

In eigener Sache heißt es:"
Die Vesper wird so gut, wie die Schüler sie machen! Unser Redaktionskollektiv ist von Euren Informationen abhängig! Nur Ihr könnt die Vesper zu einer Zeitung machen, die allen Leser aktuelle Informationen bietet. Ihr wißt selbst, daß viele miese Pauker nur deswegen so überheblich und autoritär auftreten können, weil ihnen die Noten die Möglichkeit bieten, sich immer durchzusetzen, selbst wenn sie im Unrecht sind. Jetzt könnt Ihr Euch endlich durch die Vesper gegen solche Typen zur Wehr setzen. Schreibt sofort Protokolle, wenn Eure Lehrer Euch ungerecht behandeln oder autoritäre und faschistische Äußerungen von sich geben. Dies ist die einzige Möglichkeit um den Druck dieser Lehrer zu brechen!"

Genau solche Berichte finden sich denn auch mehrere vom PDG, einer von der Johannes Angelus Schule und auch ein Artikel "Mißstände an der KBS" beginnt:"
In der Kreisberufsschule gibt es einige sehr autoritäre Lehrer."

Eine Anzeige wirbt für den Arbeitskreis Kriegsdienstverweigerung (AK KDV) Groß Gerau, der Beratungen zur KDV durchführt. Dem selben Thema widmet sich auch ein Artikel "Praktisches über Kriegsdienstverweigerung".

In "Berufsschüler dürfen keine Sexualität haben" wird auf die Strafen für unerlaubte Körperlichkeit während der Pausen und Freistunden eingegangen und gefolgert:"
Die Lehrer versuchen uns zu nicht kontaktfähigen seelischen Krüppeln zu erziehen, im Geiste der Großväter und das nur, weil es ein paar Leuten nicht in den Kram paßt, daß es ihre antiquierte Welt nicht mehr gibt, sie in unsere, in die neue Welt nicht mehr hineinpassen!"

Weiter befaßt man sich satirisch mit der Kirche und mit dem örtlichen Freibad. Die Serie zur "Aufklärung" wird fortgesetzt.

Über den Verkauf der 'Vesper' am PDG berichtet die Projektgruppe Schule der Roten Zelle Groß Gerau (ROTZEGG) in ihrem 'Info' (vgl. Juli 1970):"
Die Tatsache, daß der stellvertretende Direktor Jung am Montag, den 29.6.1970 16 Exemplare der Vesper Nr. 10 mit den Worten: 'Ich beschlagnahme diese Zeitungen, Herr Adamiak, sie sind mein Zeuge!' sicherstellte und offiziell ein Verkaufsverbot aussprach, zeigt deutlich, daß der mit allen Mitteln verschleierte Konflikt zwischen dem reaktionären Teil der Lehrerschaft und den Schülern, der Masse der Schülerschaft nicht durch differenzierte politische Argumentation, sondern nur durch relativ unsachliche Angriffe auf die autoritären Methoden einzelner Lehrer bewußt gemacht werden kann. Nachdem dieser Konflikt nun offen ausgebrochen ist, ergibt sich für den bewußten Teil der Schülerschaft die Aufgabe, die bisherigen Ereignisse kritisch zu verarbeiten und Konsequenzen für die Praxis zu ziehen. Dazu ist es nötig, die Ereignisse der letzten Tage kurz darzustellen, um den Schülern ein selbständiges Urteil zu ermöglichen.

Am Montag den 29.6.1970 waren bereits 250 der 700 Exemplare verkauft, als der Vertrieb auf dem Schulgelände untersagt wurde. Das Verbot begründete der Direktor dem Vesperkollektiv gegenüber in einem ersten Gespräch mit dem Fehlen der Namen der verantwortlichen Redakteure im Impressum. Weiter stellte der Direktor fest, daß die Vesper seit mindestens zwei Ausgaben keine Schülerzeitung mehr sei, da, wie er behauptete, der Verkauf der Vesper nicht mehr offiziell auf dem Schulgelände stattgefunden habe. Er führte weiterhin als Rechtfertigung für seine Behauptung an, daß im Redaktionskollektiv auch freie Mitarbeiter tätig sind. In einem zweiten Gespräch vor einem Teil der Schülerschaft wiederholte er diese 'Argumentation'. Es stellt sich jetzt die Aufgabe, durch eine Analyse des Vesperstils bzw. Inhaltes, sowie seine Änderung in den letzten beiden Ausgaben, im einzelnen aufzuzeigen, durch welche Methoden die Reaktion gezwungen werden kann, ihre Verschleierungstaktik aufzugeben und ihr wahres Gesicht zu zeigen. Die Schülerzeitung Vesper begriff sich lange Zeit als rein politische Zeitung und brachte dementsprechend im wesentlichen nur rein politische Artikel. Diese Artikel hatten zwar oft einen der Meinung von vielen Lehrern nicht entsprechenden Inhalt, doch wurden sie von dem Inhalt nicht viel berührt, da sich auch die Masse der Schülerschaft nicht weiter um den Inhalt der Zeitung kümmerte. Als nun in der vorletzten Vesper fast nur die Schule betreffende Artikel standen, gab es unter den Lehrern große Aufregung, denn nun sahen sich viele persönlich, in ihrem Unterrichtsstil und ihrem allgemeinen Verhalten angegriffen. Diese Tendenz verstärkte sich in der letzten Ausgabe der Vesper noch erheblich. Die Artikel griffen oft in Form von Polemik einzelne Lehrkräfte scharf an, und zeigten anhand von bestimmten Ereignissen klar deren autoritäres bzw. deren völlig unpädagogisches Verhalten auf. Die Reaktion dieser Lehrkräfte konnte nur sein, den sich anbahnenden Konflikt, der ihre fragwürdigen Unterrichtsmethoden entlarvt hätte, dadurch zu beenden, daß sie den weiteren Verkauf der Vesper untersagten. Man zog sich zunächst auf rein formale Rechtfertigungen für das Verbot zurück, um sich bei einer Argumentation gegen den Inhalt nicht in Widersprüche zu verstricken. Die Absicht, die hinter dem Verkaufsverbot stand, ist also klar: Einige Lehrer sehen sich in ihrer ohnehin fragwürdigen Autorität angegriffen, und mußten feststellen, daß die Vesper sehr wesentlich am Abbau ihrer Autorität beteiligt war, in dem sie ihre Fragwürdigkeit anhand von Beispielen für jeden klar erkennbar darlegte. Um weiterhin auf ihrem Unterrichtsstil und ihren Methoden beharren zu können, war es für diese Lehrer notwendig, den Zerfall ihrer Autorität zu stoppen; um dies wirkungsvoll erreichen zu können, mußte als erstes etwas gegen die Vesper unternommen werden. Daraus folgt auch, daß alle offiziell gegen die Vesper ergriffenen Maßnahmen nur zur Verschleierung des wahren Sachverhalts dienen. Das Versehen der Redaktion, nämlich im Impressum keine Namen zu nennen, kam daher der Schulbürokratie nur gelegen, sie hatte so einen billigen Vorwand, um gegen die Zeitung vorgehen zu können. Die Einschaltung des Regierungspräsidiums in Darmstadt, mit dem Ziel, die Vesper zumindest auf Zeit zu verbieten, dient offensichtlich dazu, den innerschulischen Konflikt aus der Schule hinaus den Bürokraten zu übertragen und so eine Grundsatzdiskussion über Pädagogik zu verhindern. Denn den reaktionären Lehrern ist an der Vermeidung dieser Diskussion, in die dann selbstverständlich auch die Schüler miteinbezogen würden (bzw. sich einschalten würden) sehr viel gelegen, da sie in keiner Weise daran interessiert sind ihren Unterrichtsstil aufzugeben, wozu sie im Laufe einer solchen Diskussion vielleicht gezwungen werden könnten. … Es geht jetzt hauptsächlich darum, den Konflikt nicht in schlichtender Weise beizulegen, sondern in seiner vollen Breite auszutragen. Bei geschicktem Vorgehen dürfte dann durch die Diskussion eine Aktivierung und Politisierung von zumindest einem Teil der Schülerschaft möglich sein."
Q: Vesper Nr. 10, Groß Gerau o.J. (29.6.1970); ROTZEGG-PG Schule: Info Nr. 1, Groß Gerau 1970, S. 3ff

Juli 1970:
Vermutlich im Juli gibt die Projektgruppe Schule der Roten Zelle Groß Gerau (ROTZEGG) erstmals ihr 'Info' mit einem Umfang von 12 Seiten DIN A 4 heraus. Das Deckblatt wird eingenommen von einer Faust. Verantwortlich zeichnen W. Kirstein und G. Schulmeier. Der Leitspruch wird von Wilhelm Reich übernommen:"
Der Wille der Jugend zur Lebensfreude wird die gewaltigste Revolution sein!"

Einleitend wird bemerkt:"
Nachdem die Vesper lange Zeit vergeblich versuchte, die Verschleierungsmechanismen, die dem Prälat Diehl Gymnasium sein liberales Gepräge geben, zu durchbrechen, ist es ihr durch formale und inhaltliche Änderungen gelungen latente Konflikte zu aktualisieren. Da die Zeitung ihre Hauptaufgabe darin sieht, der Masse der Schülerschaft die reaktionären und faschistoiden Strukturen bewußt zu machen, ist sie
gezwungen, sich am Bewußtseinsstand der Schüler zu orientieren; sie kann also nicht die Aufgabe erfüllen, politisch bewußten Schülern als Diskussionsforum zu dienen, und ihnen Zusammenhänge zu vermitteln. Daraus ergab sich die Notwendigkeit für die politisch bewußten Schüler ein Informationsorgan zu schaffen, das diese Aufgaben erfüllt. Dem Info fällt es zu, die politischen Hintergründe schulischer Fragen aufzuzeigen und darüber hinaus zu allgemeinen politischen Fragen Stellung zu nehmen.

Eingegangen wird auf das Vertriebsverbot der 'Vesper' (vgl. 29.6.1970) auf dem Gelände des Prälat Diehl Gymnasiums (PDG) und Aktionen der Schüler am Hessenkolleg Rüsselsheim (vgl. 22.6.1970).

Zugunsten dieses 'Infos' wurde die bisherige Schülerzeitung 'Vesper' für das Prälat-Diehl-Gymnasium eingestellt, aber dafür auch noch 'SV-Informationen' (vgl. Nov. 1971) herausgegeben. Damit setzte sich, laut ehemaligen Mitgliedern, eine 'Mehr-Politik-Linie' in der Schülerarbeit durch.

Damit setzt nun allerdings auch ein Fraktionierungsprozeß ein. Die Suche nach Orientierung innerhalb der Rotzegg, die einzelne Arbeitskreise aufgebaut hatte (AK Jugendclub, AK Schule, AK Berufsschule/Betrieb), führte zu einer Favorisierung des AK Berufsschule/Betrieb. Ende 1970 wurde die Rotzegg vor die Alternative gestellt, entweder in den KJVD einzutreten, oder den "Misthaufen der Geschichte" zu bevölkern. Eine Mehrheit blieb zunächst indifferent. Aufgrund der Kontakte zur RJ/ML in Darmstadt, entschied sich dann später ein Teil der Rotzegg für den KAB/ML und dessen RJ/ML, ein kleiner Rest für den KJVD.
Q: Eigener Bericht, o.O. 1986; ROTZEGG-PG Schule: Info Nr. 1, Groß Gerau 1970

November 1970:
Am Prälat-Diehl-Gymnasium Gross Gerau erscheint vermutlich im November die Nr. 1 der 'SV-Informationen' (vgl. 19.4.1971), die sich mit dem Schulstreik gegen den Lehrermangel befasst und dabei auch die Lage der Berufsschüler schildert.
Q: SV-Information Nr. 1, Groß Gerau 1970

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22.11.1970:
Die RJ/ML-Ortsgruppe Walldorf/Mörfelden (vgl. 29.10.1970, 14.10.1970) verfaßt einen Bericht an ihr ZK (vgl. 8.10.1970, 9.2.1971) für die Zeit vom 9.10.1970 bis heute:" …
2. Groß Gerau
… Innerhalb der Roten Zelle Groß Gerau kam es nach Abspaltung des KJVD zu einer Neubestimmung der Schülerarbeit auf Grundlage des Artikels in Nr. 8 des Roten Pfeils. Ob diese Neubestimmung in der praktischen Arbeit konsequent verwirklicht wurde, kann von uns nicht überprüft werden. Auf jeden Fall kam es an der Groß Gerauer Oberschule zu einem Streik gegen den Lehrermangel, dem sich nach Agitation der ROTZGG auch die Berufsschüler anschlossen. Aus diesen Lehrlingen entstand eine Berufsschulgruppe in der auf Aufforderung durch die ROTZGG auch zwei Genossen der RJ/ML mitarbeiten. Es ist vereinbart, daß die Schüler der ROTZGG so bald wie möglich aus der Mitarbeit in der Lehrlingsgruppe ausscheiden. Wir benötigen für die Weitergabe an die ROTZGG ausgewähltes Material über die korrekte Arbeit einer Schülermassenorganisation. Bitte schickt uns dieses umgehend zu."

Der KJVD habe der ROTZGG vorgeworfen eine Gleichmacherei zwischen Oberschülern und Lehrlingen zu betreiben.
Q: RJ/ML-OG Walldorf/Mörfelden: Bericht der Ortsgruppe für die Zeit vom 9.10.1970 bis 22.11.1970, o.O. o.J. (1970)

22.02.1971:
Frühestens heute gibt in Groß Gerau ein vermutlich am Prälat Diehl Gymnasium (PDG) angesiedelter Arbeitskreis Imperialismus eine "Information über Laos" heraus, für die Bernd Heyl verantwortlich zeichnet. Neben dem Deckblatt, auf dem ein US-Flugzeug abschmiert, während unten ein(e) Befreiungskämpfer(in) stolz das Gewehr hochhält, finden sich für 10 Pf. auf 5 Seiten Informationen und zum Schluß die Parole: "Für den Sieg im Volkskrieg Indochinas!".
Q: Arbeitskreis Imperialismus Groß Gerau: Information über Laos, o.O. (Groß Gerau) o.J. (1971)

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19.04.1971:
Vermutlich in dieser Woche gibt in Groß Gerau der Ausschuß für Information der Schülervertretung (SV) des Gymnasiums Prälat Diehl Schule (PDG bzw. PDS) eine Sondernummer der 'SV-Information' (vgl. Nov. 1970, 24.5.1971) zum 1. Mai heraus. Der Umfang beträgt 14 Seiten DIN A 4, die Auflage 400 Exemplare, der Preis 20 Pfennig. Verantwortlich zeichnen G. Bischoff, H. Ewald und B. Heyl. In "Warum ein SV-Info zum 1. Mai?" heißt es:"
Die Schüler in Groß Gerau haben im letzten Jahr von sich reden gemacht. Ein Streik gegen den Numerus Clausus, ein Streik gegen den Lehrermangel; Demonstrationen. Doch was war das Ergebnis? Den Numerus Clausus gibt es nach wie vor, oder er wurde nur verschleiert (Eignungsprüfungen, zusätzliche Prüfungen während des Studiums, Vorsemester). Zwar hat die PDS ein paar neue Lehrer bekommen, doch grundsätzlich hat sich nichts geändert. Wir Schüler haben unsere politische Rolle maßlos überschätzt. Wir konnten bei geschlossenem Vorgehen zwar kleine Erfolge erzielen, generelle Veränderungen aber nicht. Warum?

Wir haben völlig isoliert von den wichtigsten Vorgängen der Gesellschaft, nur orientiert an unseren eigenen Wünschen, Vorstellungen und Erfahrungen Forderungen gestellt und versucht sie durchzusetzen. Damit sind wir nicht über eine ständische Interessenpolitik, die niemanden außerhalb des Schulbereiches interessierte, hinausgekommen. Unser Anspruch auf persönliche Entfaltung ohne Leistungsdruck, auf Mit- und Selbstbestimmung stieß sehr bald auf die Grenzen des innerhalb des bestehenden Gesellschaftssystems Möglichen. Diese Grenzen bestehen darin, daß in unserer Gesellschaft die Ausbildung an den Interessen weniger, an den Interessen derjenigen, die über die Produktionsmittel, die Industrie verfügen, an den Interessen derjenigen, die die Macht in Händen halten, orientiert ist. Die Verwirklichung unserer Ziele kann also nur erreicht werden, wenn die Klassengesellschaft beseitigt ist, die Macht in den Händen der arbeitenden Menschen liegt.

Die Grenzen der bisherigen Schulpolitik sind also erkannt, und damit ist klar geworden, daß wir unsere Ziele nur als Bündnispartner der Lohnabhängigen, Arbeiter und Angestellten, erreichen können. Deshalb, und nicht nur zum 1.Mai, sollten wir uns über den Stand der Kämpfe in den Betrieben, über die Forderungen der Arbeiter informieren."

In "Zum 1. Mai 1971" wird nach den Abschnitten:
- Der 1. Mai ist der internationale Kampftag der Arbeiterklasse;
- Gegen den ständigen Abbau der demokratischen Rechte;
- Weg mit dem reaktionären Betriebsverfassungsgesetz (BVG)
- Für eine fortschrittliche Betriebsverfassung;
- Unabhängigkeit der Gewerkschaften;
- Kampf dem Imperialismus und
- Für ein einiges sozialistisches Deutschland zum Besuch der Maikundgebung in Groß Gerau aufgefordert.

In "Internationale Arbeiterbewegung" wird berichtet aus Polen,
Großbritannien, Spanien, USA, Guinea-Conakry, Italien, den Niederlanden und der SU.

In "Westdeutschland" wird eingegangen auf Metalltarifrunde, Arbeitslosigkeit und einige Streiks.

In "Zur Situation in Groß Gerau" wird ein Artikel der RJ/ML Darmstadt aus dem 'Info' des AStA der TH Darmstadt zum 1. Mai 1970 (vgl. Apr. 1970) nachgedruckt:"
Lehrlinge fordern: Ausbildung statt Ausbeutung

In letzter Zeit häufen sich die Berichte über Lehrlingsaktionen, die sich gegen Ausbeutung und Unterdrückung richten. Bild schrieb: 'Jetzt fangen unsere Lehrlinge auch noch an!' Die Proteste richten sich hauptsächlich gegen folgende Punkte:
1) Ausbeutung:
Die Lehrlinge müssen im Betrieb produktive Arbeit verrichten, bekommen aber nur eine sog. Erziehungsbeihilfe zwischen 120 und 200 DM. Dadurch macht der Unternehmer beträchtliche Extra-Profite (der Kaufhof in Darmstadt spart durch seine Lehrlinge pro Monat über 50 000 DM!).

2) Ausbildung:
Im Handwerk beschränkt sich die Ausbildung auf einige spezielle Bereiche, z.B. müssen manche 2 1/2 Jahre an der Stanzmaschine stehen oder 1 Jahr lang Schweizer Käse verkaufen. In der Industrie machen sie eine einjährige Grundausbildung durch, die aus Feilen oder Bohren besteht; dadurch werden sie so abgestumpft, daß sie es direkt als Erleichterung empfinden, die restliche Zeit in der Produktion arbeiten zu dürfen. Nach dem 'neuen' Berufsbildungsgesetz ist es auch in die Hand der Unternehmer gelegt, ob die Ausbildung 1, 2 oder 3 Jahre dauert (Paragraph 26, Stufenplan, der von Krupp übernommen wurde). Durch dieses reaktionäre Gesetz wird festgelegt, daß 70% aller Lehrlinge Hilfsarbeiten zu Hilfsarbeiterlohn verrichten müssen.

3) Unterdrückung:
Die Lehrlinge müssen meist die letzten Drecksarbeiten verrichten, werden geschlagen und schikaniert, wo es nur geht.

Um sich dagegen zu wehren haben sich im Raum Darmstadt Lehrlinge und Arbeiter in Gruppen zusammengeschlossen und begonnen eine Organisation aufzubauen, die Revolutionäre Jugend (Marxisten-Leninisten). Wir haben unsere Kameraden und Kollegen in einer Flugblattserie über das 'neue' Berufsbildungsgesetz informiert. Wir werden gegen die Auswüchse der Unternehmer und Ausbilderwillkür den Kampf aufnehmen! Die grundsätzliche Änderung unserer Lage, die Beseitigung der Macht der Unternehmer, wird die Arbeiterklasse, deren Teil die Arbeiterjugend ist, erreichen, wenn sie ihre Macht erkennt und anwendet!
KAMPF DEM REAKTIONÄREN BERUFSBILDUNGSGESETZ!"

So wird fortgefahren:"
Er zeigt deutlich, wie die Lage der Lehrlinge heute ist. Angesichts dieser Mißstände, die im Raum Groß Gerau oft noch verstärkt auftreten (18% der Lehrlinge haben keine Ausbilder, in 50% der Firmen gibt es keinen Ausbildungsplan, 41,4% der Lehrlinge müssen Nebenarbeiten verrichten, in 62,3% der Betriebe gibt es keine Jugendvertreter, 24% der Lehrlinge werden mit Akkord-, Fließband- oder Prämienarbeit beschäftigt; Zahlen nach DGB Untersuchung für den Raum Groß Gerau - Darmstadt) haben sich im Herbst 1970 Lehrlinge aus Groß Gerau zu einer Lehrlingsgruppe zusammengeschlossen. Diese Gruppe der RJ/ML hat bereits eine Reihe von Flugblättern verteilt und gibt regelmäßig eine Zeitung, die 'Jungarbeiter und Lehrlingspresse' heraus. In dieser Zeitung werden die Mißstände, die in den Ausbildungsbetrieben und an der Berufsschule herrschen aufgegriffen und kritisiert. Das Ziel der RJ/ML ist es in allen Betrieben des Kreises Betriebsgruppen aufzubauen, da der Kampf der Arbeiter hauptsächlich am Arbeitsplatz, nämlich im Betrieb geführt werden muß. Der erste Erfolg war schon zu verzeichnen. Anfang April (vgl. 29.3.1971,d.Vf.) wurde die erste Nummer des 'Faulstroharbeiters' vor der Firma Faulstroh verteilt. Viele Schüler der PDS unterstützen durch technische Hilfe (Verteilen von Flugblättern und Zeitungen vor der Berufsschule und vor Betrieben) aktiv den Kampf der Lehrlinge und Jungarbeiter. Die RJ/ML fordert alle Lehrlinge und Arbeiter zur Teilnahme an der diesjährigen Mai-Kundgebung auf; auch wir Schüler sollten uns an den Demonstrationen und Kundgebungen beteiligen, denn wir können unsere Interessen nur als Bündnispartner der lohnabhängigen Arbeiter und Angestellten wahrnehmen, wir müssen sie aktiv unterstützen."

Eingegangen wird auch noch auf die Geschichte des 1. Mai.
Q: SV-PDG: Information Sdr.Nr. 1. Mai, Groß Gerau 1971

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01.05.1971:
In Groß Gerau beginnt eine Mai-Demonstration um 9 Uhr Am Sandböhl und endet mit einer Kundgebung um 10 Uhr an der Kreisberufsschule. Aufgerufen wird auch von der SV des PDG.
Q: SV-PDG: Information Sdr.Nr. 1. Mai, Groß Gerau 1971, S. 14

18.05.1971:
In Groß Gerau findet am Prälat Diehl Gymnasium (PDG) eine Gesamtkonferenz statt, auf der, laut SV, 11 Lehrer gegen Ende eine Resolution zur SV-Satzung vorlegen und durchsetzen. Strittig sind hier die Fragen der kollektiven Verantwortung, die die Schüler fordern oder die alleinige Verantwortung des Schulsprechers für alle SV-Veröffentlichungen und die Frage der Zulassung von Schülergruppen (konkret besonders Schülerbasisgruppe - SBG).
Q: SV-PDG: Information Nr. 4, Groß Gerau 1971

24.05.1971:
Vermutlich in dieser Woche gibt in Groß Gerau am Prälat Diehl Gymnasium (PDG oder PDS) der SV-Ausschuß für Information die 'SV Information' Nr. 4 (vgl. 19.4.1971) im Umfange von 12 Seiten DIN A 4 heraus. Verantwortlich zeichnet der genannte Ausschuß, in dem H. Ewald, G. Henisch, G. Bischoff, B. Dörwald, G. Breidert und B. Heyl tätig sind. Die Auflage wird mit 1 200 angegeben. Der Leitartikel, "Keine demokratischen Rechte für Schüler!", befaßt sich mit der letzten Gesamtkonferenz am PDG (vgl. 18.5.1971). Weitere Artikel sind u.a. "Abitur - was dann?" und "Keine Bundeswehrwerbung an der Schule!", der Kassenbericht und eine Anfrage an die Bundesbahn wegen dem Zugverkehr zwischen Groß Gerau und Mörfelden. Über die SV sind noch erhältlich Informationen zu Laos (vgl. 22.2.1971) und zum 1.Mai (vgl. Apr. 1971) sowie von Karl Marx "Lohnarbeit und Kapital" und "Lohn-Preis-Profit".
Q: SV-PDG: Information Nr. 4, Groß Gerau 1971

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Oktober 1971:
In Groß Gerau erscheint vermutlich im Herbst am Prälat-Diehl-Gymnasium (PDG) von der MLSG Gross Gerau eine 'Information' zum Thema "Die Situation des Oberschülers. Eine Analyse der Oberstufenreform und der Militarisierung der Schüler" zur OSR und zum Wehrkundeerlaß.
Q: MLSG: Information Die Situation des Oberschülers. Eine Analyse der Oberstufenreform und der Militarisierung der Schüler, Walldorf o. J. (1971)

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29.11.1971:
In Groß Gerau erscheint vermutlich Anfang dieser Woche am Prälat-Diehl-Gymnasium (PDG) von der MLSG das Flugblatt "Schüler und Studenten gemeinsam gegen Oberstufenreform und Hochschulrahmengesetz" zur OSR und HRG, das zur Demonstration am 1.12.1971 in Frankfurt aufruft.
Q: MLSG: Schüler und Studenten gemeinsam gegen Oberstufenreform und Hochschulrahmengesetz, Walldorf o. J. (1971)

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Dezember 1971:
In Groß Gerau erscheint am Prälat Diehl Gymnasium (PDG) erstmals die Schülerzeitung das 'Fallbeil'. Weitere Ausgaben wurden uns bisher nicht bekannt. Die Verantwortung für die 16 Seiten DIN A 4 übernimmt B. Becker in Walldorf, Kontaktperson ist D. Berz in Groß Gerau. Auf der Titelseite findet sich unter der Abbildung einer Guillotine der Hinweis:"
Ähnlichkeiten mit bereits lebenden oder noch toten 'Vespern' sind beabsichtigt".
Fortgeführt wird die eher reichistische Tradition eines Flügels der ehemaligen 'Vesper'-Redaktion (vgl. 29.6.1970), wie es sich in dem Artikel "Familie im Dienst des Staates" und auch in "Demokratie im Kapitalismus", die hauptsächlich aufgrund der Sozialisation angezweifelt wird, ausdrückt. Weiter finden sich u.a. Comics, Kritiken am Schulleiter, der aufgefordert wird sein Amt niederzulegen, ein Artikel "Nixon in Peking ein Schwächezeichen der USA", ein Nachruf auf eine andere Schülerzeitung am PDG, die 'j'accuse', eine Ergänzung zum 'SV-Info' über Drogen unter dem Titel "Anpassung an das System durch Drogen", ein Leserbrief und eine Anzeige für das 'Rote Signal' der MLSG des KAB/ML.
Q: Das Fallbeil Nr. 1, Groß Gerau Dez. 1971

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März 1972:
Die Ortsgruppe Groß Gerau der RJ/ML des KAB/ML berichtet ihrem ZK (vgl. Feb. 1972, Mai 1972) über den März u.a.:"
Aufgrund einer Aktionseinheit von MLSG Groß Gerau und SDAJ gegen eine Veranstaltung der Jungen Union in Walldorf, haben wir zusammen mit der SDAJ Mörfelden beschlossen eine Aktionseinheit gegen Ultrarechtsblock und Faschismus einzugehen. Diese Aktionseinheit soll unter dem Namen Demokratische Aktion auftreten und auch einen Kampf um mehr demokratische Rechte führen, d.h. die Demokratische Aktion ist auch gegen die Angriffe der SPD ausgerichtet. Die SDAJ-Vertreter billigten dies alles und stimmten zu, die SPD als momentane Hauptstütze des Kapitals anzusehen. Wir haben zu allen Vorstellungen, die von uns kamen, die volle Zustimmung erhalten."
Q: RJ/ML-Ortsgruppe Groß Gerau: Betrifft: Gruppenbericht der Ortsgruppe Groß Gerau (März 1972), Groß Gerau o.J. (1972)

November 1972:
Vermutlich im November erscheint das 'Rote Signal' der MLSG des KABD Nr.10 für November und Dezember (vgl. Okt. 1972, Jan. 1973), aus Gross Gerau wird berichtet vom Prälat-Diehl-Gymnasium (PDG): "Selbstschutzunterricht erfolgreich verhindert".
Q: Rotes Signal Nr. 10, Erlangen Nov./Dez. 1972, S. 10

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04.12.1972:
In Groß Gerau erscheint vermutlich in dieser Woche am Prälat-Diehl-Gymnasium (PDG) von der MLSG die Zeitung 'Der Schülerkurier' Nr. 4 (vgl. 5.2.1973) mit dem Leitartikel "Kampf dem Lehrermangel".

Weitere Artikel sind:
- "Comic zum Lehrermangel";
- "Studienbedingungen für Abiturienten. Teil 1";
- "Bravo";
- "Zur Rauschgiftausstellung";
- "'Ersatzunterricht' an stelle von Religion?";
- "Polizeipropaganda an unserer Schule";
- "Selbstschutz";
- "Leserbriefe";
- "Stellungnahme der MLSG" zu einem Leserbrief;
- "Vorwärts zum vollständigen Sieg!" zu Vietnam; sowie
- "FNL-Lied".
Q: Der Schülerkurier Nr. 4, Walldorf o. J. (1972)

Januar 1973:
Der KOV der KPD gibt seinen 'Schulkampf' Nr.4 (vgl. Dez. 1972, 14.2.1973) heraus. Aus Groß Gerau wird berichtet über die MLSG des KABD und ein Artikel aus deren ersten 'Schülerkurier' dokumentiert.
Q: Schulkampf Nr. 4, Berlin Jan. 1973, S. 10

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05.02.1973:
In Groß Gerau erscheint vermutlich in dieser Woche am Prälat-Diehl-Gymnasium (PDG) von der MLSG die Zeitung 'Der Schülerkurier' Nr. 1 (vgl. 4.12.1972, 7.3.1973) mit dem Leitartikel "Gegen den Ausschußbetrug!" zum Vermittlungsausschuß und dem Ausschuß für Zusammenarbeit. Aufgerufen wird zum Boykott.

Weitere Artikel sind:
- "Studienbedingungen Teil 2";
- "Leserbrief: Zu hohe Anforderungen im Kunstkurs";
- "Lohnkampf der Metaller" zur Metalltarifrunde (MTR);
- "Dem Sieg entgegen!" zu Vietnam bzw. zum Infostand der MLSG und der SV;
- "Schüler streikten faschistischen Lehrer von der Schule" an der Ranke-Schule in Berlin;
- "Deutscharbeit gemeinsam boykottiert"; sowie
- "Chile am Scheideweg".
Q: Der Schülerkurier Nr. 1, Walldorf o. J. (1973)

23.02.1973:
In Groß Gerau rief die MLSG am Prälat-Diehl-Gymnasium (PDG) zu ihrer heutigen Veranstaltung im Anne-Frank-Heim mit einem Flugblatt "Gegen den Ausschussbetrug!" auf.
Q: MLSG: Gegen den Ausschussbetrug!, Walldorf o. J. (1973)

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07.03.1973:
In Groß Gerau erscheint laut einer handschriftlichen Datierung heute am Prälat-Diehl-Gymnasium (PDG) von der MLSG die Zeitung 'Der Schülerkurier' Nr. 2 (vgl. 5.2.1973, Sept. 1973) mit dem Leitartikel "Gemeinsam gegen alle Formen des Numerus Clausus" zum NC.

Weitere Artikel sind:
- "Körperliche Züchtigung in der 7f";
- "Stumpfsinnige Unterrichtsmethoden";
- "Solidarität mit dem vietnamesischen Volk";
- "SV Stunde";
- "Verbessert den Schülerkurier durch EUERE Kritik!"; sowie
- "Schule im Sozialismus".
Q: Der Schülerkurier Nr. 2, Walldorf o. J. (1973)

September 1973:
In Groß Gerau erscheint am Prälat-Diehl-Gymnasium (PDG) von der MLSG die Zeitung 'Der Schülerkurier' Nr. 4 (vgl. 7.3.1973, Feb. 1974) für September mit dem Leitartikel "Gemeinsam für Lernmittelfreiheit".

Weitere Artikel sind:
- "Kunstkurse - Beispiel für Willkür und Lehrermangel";
- "Zuschüsse schon wieder gekürzt - keine Klassenfahrten mehr!!";
- "Entlastungsstunden gekürzt"!";
- "Verlegung der Sportprüfung;
- "Guter 'Rat' ist teuer - ein Studienplatz auch!";
- "Schüler verweigern Psychotest"; sowie
- "Neue SV-Einschätzung der MLSG", die nicht mehr kandidiert.
Q: Der Schülerkurier Nr. 4, Walldorf Sept. 1973

Oktober 1973:
Vermutlich im Oktober erscheint das 'Rote Signal' der MLSG des KABD Nr. 8 datiert auf September (vgl. Sept. 1973, Nov. 1973). Berichtet wird auch aus Gross Gerau vom Prälat-Diehl-Gymnasium (PDG).
Q: Rotes Signal Nr.8,Erlangen Sept. 1973,S.11

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November 1973:
Es erscheint das 'Rote Signal' der MLSG des KABD Nr. 9 für November (vgl. Okt. 1973, Dez. 1973) und berichtet auch aus Gross Gerau vom Prälat-Diehl-Gymnasium (PDG).
Q: Rotes Signal Nr. 9, Erlangen Nov. 1973, S. 5f

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Februar 1974:
In Groß Gerau erscheint vermutlich im Februar am Prälat-Diehl-Gymnasium (PDG) von der MLSG die Zeitung 'Der Schülerkurier' Nr. 1 (vgl. Sept. 1973) in einer Auflage von 700 Stück mit dem Leitartikel "Mit dem Leitartikel "Pauken - für Wen?".

Weitere Artikel sind:
- "Schülerveranstaltung zum Noten- und Leistungsdruck";
- "Spontane Vollversammlung an unserer Schule";
- "Bericht aus der Klasse 11a";
- "Zum Vermittlungsausschuß"; sowie
- "Leserbrief".
Q: Der Schülerkurier Nr. 1, Walldorf o. J. (1974)

Letzte Änderungen: 16.1.2015

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