Hoechst Analyse - Zeitung des Spartacusbundes für die Kollegen von Hoechst, Jg. 1, Nr. 1, Nov. 1974

November 1974:
Im Raum Frankfurt gibt der Spartacusbund (SpB) erstmals seine 'Hoechst Analyse' (vgl. Feb. 1975) in einem Umfang von 10 Seiten DIN A 4 heraus. Verantwortlich zeichnet R. Engelhardt in Essen, Kontakt ist möglich über E. Kluge in Frankfurt. Herausragendes und für Betriebszeitungen durchaus unübliches Merkmal (es sei denn, es handelt sich um Pseudonyme) ist die Zeichnung der Artikel mit Vornamen und Anfangsbuchstaben des Nachnamens.

Im Vorwort heißt es:"
Kollegen!
Unsere Zeitschrift ist die sechste, die sich gegenwärtig speziell an die Kollegen von Hoechst richtet. Wenn wir uns jedoch des Mittels 'Betriebszeitung' bedienen, …, so bedeutet das noch lange nicht, daß wir auch die übrigen Verhaltensweisen unserer politischen Konkurrenz übernommen haben. Diese Zeitschrift - die entsprechend unserer geringen Kräfte und Mittel bis auf weiteres nur unregelmäßig erscheinen wird - soll nicht zuletzt dazu dienen, die isolierten, borniert und oft unsolidarisch vor sich hinwerkelnden Kader der kommunistischen Organisationen und die verstreuten Ansätze der INNERgewerkschaftlichen Opposition zum Informations- und Meinungsaustausch an einen Tisch zu holen. Und wenn möglich, gemeinsame Aktivitäten zur Interessensvertretung der Kollegen einzuleiten. Wir suchen die Diskussion mit konkurrierenden Gruppen ebenso, wie mit den Arbeitern und Angestellten von Hoechst. Schriftliche Beiträge und Leserbriefe werden veröffentlicht (sofern das Gegenteil nicht ausdrücklich erwünscht ist), wenn der Platz das zuläßt. Auch Beiträge befreundeter ausländischer Organisationen, besonders von den Genossen der spanischen 'Accion Comunista' werden voraussichtlich in der 'Hoechst-Analyse' erscheinen."

Der Leitartikel ist "Das neue Lohnsystem: Hoechst bereitet sich auf Rationalisierungen vor!" (vgl. 3.10.1974). Dieses System, wonach kein Stunden- sondern ein Monatslohn gezahlt wird, sei im Hauptwerk in Frankfurt-Höchst bereits eingeführt und werde in Offenbach und Frankfurt-Griesheim vorbereitet. Hierdurch sei gleichzeitig die AAB durchgesetzt worden. Zwar seien die bereits Beschäftigten nicht direkt von Lohnkürzungen betroffen, wohl aber die Neueingestellten, die - ebenso wie Frauen und Jugendliche - nur den nach der AAB bemessenen Grundlohn erhalten. Außerdem werde in einigen Hoechst Werken (Michalke ?, Spinnstoff Berlin-Zehlendorf, Bad Hersfeld in Hessen, Bobingen, Gendorf und Kelheim in Bayern derzeit kurzgearbeitet und bei Cassella seien die Werksferien verlängert worden, so daß vermutlich auch auf die bisher nicht Betroffenen Kurzarbeit und Entlassung zukommen werde. Gefordert wird Einsicht in alle Rationalisierungspläne.

In "Neues Ausbildungssystem bei Hoechst: Jeder gegen Jeden!" heißt es u.a.:"
Die Jugendvertretung, …, steht völlig hilflos da. Eigene politische Initiativen darf die Jugendvertretung nicht ergreifen, das verbietet ihr das BVG, und dort, wo das arbeiterfeindliche BVG Lücken gelassen hat, der Betriebsrat. (Man erinnere sich an das gemeinsame Verbot von Lehrlingsversammlungen durch Werksleitung und Betriebsrat). …

An ihrer Misere ist die BJV zweifellos mitschuldig. Sie hat es bereits im Wahlkampf vor den BJV-Wahlen versäumt, zu den Problemen der Lehrlinge eindeutig Stellung zu beziehen und sie war bisher immer wieder bereit, ihre Politik von IG-Chemie und Betriebsrat abhängig zu machen. … Die Sitzungen der JVL (Jugendvertrauensleute), zur Zeit für Mitglieder der IG-Chemie öffentlich, werden kaum noch besucht. Von den 70 neugeworbenen jugendlichen Mitgliedern (Werbeslogan der Gewerkschaft: IG-ok) konnte zu Sitzungen kaum eines begrüßt werden.

Während sich die IG-Chemie-Funktionäre früher (70-72) vor Lehrlingsaktionen gedrückt haben, aus der Furcht heraus, die Führung an kommunistische Organisationen zu verlieren, fürchten sie sich heute vor dem Eingeständnis ihrer Ohnmacht. Die für Oktober geplante Veranstaltung der Jugendvertrauensleute wurde heimlich, still und leise zu den Akten gelegt. Die Verwaltungsstelle, die solche Entscheidungen letztlich allein fällt, befürchtet (zu Recht) ein leeres Haus. … Die Einrichtung einer gewerkschaftlichen Jugendgruppe (von der IG-Chemie für Ende August angekündigt - wie so vieles bis heute nicht eingelöst) ist dringend erforderlich. … Die über den Betrieb verstreuten linken Einzelkämpfer und die wenigen Kader kommunistischer Organisationen wursteln heute noch nebeneinander her, oft sogar gegeneinander. Daß die Schlagkraft einer derartig organisierten Linken nicht sensationell ist, liegt auf der Hand. Das Bild kann sich ändern, wenn sich die Kollegen der innergewerkschaftlichen Opposition und die Organisationsvertreter zu regelmäßigen KOORDINATIONSTREFFEN zusammenfinden. Uns geht es nicht darum, den Kollegen eine nicht vorhandene politische Einheit vorzutäuschen. Unser Ziel ist es, den Informationsaustausch zu gewährleisten, die (solidarische) politische Auseinandersetzung über betriebs- und gewerkschaftspolitische Fragen einzuleiten und gemeinsame Aktionen (nach dem Prinzip der Aktionseinheit gleich Einheit der Aktion, Freiheit der Propaganda) durchzuführen, wenn die Einigung auf gemeinsame Zielsetzungen möglich ist. … Unterstützt uns bei der Vorbereitung von Koordinierungstreffen der betrieblichen Linken!"

In "Bundeskanzler Schmidt nach der Hessenwahl: 'Den Lebensstandard senken!' heißt es u.a. zum Wahlergebnis:"
Die sogenannten revolutionären Organisationen KPD und KBW haben eine klare Abfuhr erteilt bekommen. Der KBW wurde von seinem kleinbürgerlichen (studentischen) Anhang gewählt. Die Stimmen der KPD sind eher auf ihren Namen als auf ihren wirklichen politischen Einfluß zurückzuführen. Die Kandidatur dieser beiden Gruppen war kein Fortschritt. Sie haben keine klare Antwort auf die wirtschaftliche Krise gegeben. Ihre Kandidatur bestätigte viele Arbeiter in ihrer Ansicht, daß die Linke in der BRD zerstritten, großsprecherisch und gleichzeitig machtlos ist."

Nachgedruckt werden noch Auszüge aus der Nr. 1 der eigenen 'Roten Retorte' für Merck und Röhm Darmstadt (vgl. 30.9.1974) zur Kurzarbeit.
Quellen: Hoechst Analyse Nr. 1, Frankfurt Nov. 1974; Spartacus Nr. 12, Essen Dez. 1974

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