Bundeswehr: Leserbeitrag aus Schwaben

Materialien zur Analyse von Opposition

Von Jürgen Schröder, Berlin, 15.9.2011

Von der Vorbereitung des Soldatenblocks vermutlich auf der Demonstration in Stuttgart am 1. Mai 1975 durch den RJVD des KABD sowie den Antimilitaristischen Arbeitskreis (AMAK) Stuttgart berichtet der folgende Beitrag eines Lesers, der es vorzieht, anonym zu bleiben.

Auszug aus der Datenbank „Materialien zur Analyse von Opposition“ (MAO)

01.01.1975:
„… aus Ihnen wird nie ein richtiger Soldat.“
(Zitat eines Pionier-Hauptfeldwebels in der Grundausbildung)

Ich bin vor einem Vierteljahrhundert als Wehrpflichtiger zum Bund gegangen und will meine Dienstzeit kurz beschreiben.
Damals war ich Mitglied der Jugendorganisation des KABD (Kommunistischer Arbeiterbund Deutschlands) und es war die Regel, dass die Genossen bewusst zur Bundeswehr gingen. Unser Ziel war es das „Kriegshandwerk zu erlernen“ um es später im „revolutionären Klassenkampf“ einzusetzen. Weiterhin wollte man auch die „antimilitaristische Arbeit unter den Kollegen beim Bund“ betreiben und entsprechend das Militär als „Machtorgan der herrschenden Klasse“ entlarven.
In der Jugendorganisation des KABD gab es aber kein Dogma, dass man zum Bund gehen muss! „Wenn du stark genug bist, dann geh“, hiess es damals in der internen Diskussion.
Auch der Weg des Zivildienstes, also Antrag auf KDV (Kriegsdienstverweigerung) war für Genossen möglich, und wurde nicht als Schwäche ausgelegt.

Ich trat also meinen Wehrdienst an und begann meine 7-wöchige Grundausbildung bei den Pionieren in einer bayrischen Garnisonsstadt.
Die ersten Wochen bestanden aus den üblichen Inhalten: Lernen zu exerzieren, Grüssen, Formalausbildung, Waffenkunde, Funktion und Handhabung der persönlichen Ausrüstung, erste Schießübungen und Trainieren von früh bis spät in die Nacht.
Wir junge Rekruten sollten erst mal vergessen, dass wir aus dem Zivilleben kommen. (Zitat eines Ausbilders: „Bei uns heisst es Kameraden und nicht Kollegen“).
Das erste Wochenende hatten wir den ganzen Tag Dienst und durften erst am Sonntagnachmittag die Kaserne verlassen.
Dies nutzten wir auch zu einem Besuch des örtlichen „Festzeltes“, um ordentlich Bier zu trinken. (Als Wehrpflichtiger fiel man mit kurzen Haaren natürlich auf und unternehmen konnte man in der bayrischen Kleinstadt abends nicht sehr viel, ausser Kneipe/Disko)
Unsere „Stube“ (unser neues „Heim“ für 8 Rekruten mit Stockbetten, Schränken und einem Tisch) war unser Ruheraum, wo wir ausruhen und reden konnten.
In der zweiten Woche „gewährten“ uns unsere Unteroffiziere einen Gruppenabend mit Bier und der Vorführung pornographischer Zeichentrickfilme (Schweinchen Fick, Schneeflittchen und die sieben Zwerge). Ich bin mittendrin rausgegangen und hätte kotzen können.
So war wohl der „Bürger in Uniform“ gedacht. Erst wurden wir den ganzen Tag „gestresst“, angeschrieen („…ihr Knopf ist noch auf!“) und dann machten die Gruppenführer einen auf „guten Kumpel“.

Politisch habe ich in der Kaserne nur einen antimilitaristischen Aufkleber des „Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD“ im Eingangsbereich der Kantine entdeckt.
Die Fürsorge der Ausbilder für uns bestand z. B. darin, uns zu erklären, wo am Standort der nächste Puff ist und dass wir dort gegen Vorzeigen des Wehrausweises „Bundeswehrrabatt“ bekommen würden.

Die Grundausbildung war dann vorbei, wir mussten am Ende geloben, dass wir „treu dem deutschen Staat“ und so weiter „dienen werden“.
Dazu war es vorgesehen, dass wir als Ausbildungskompanie das Marschieren in Formation, unter Absingen eines Liedes („Ein Heller und ein Batzen, das waren…“), einstudieren.
Wir hatten einen Rekruten, welcher seine Arme nicht abwechselnd schwenken konnte, sondern nur gleichzeitig vor und zurück bewegte.
Der Hauptfeldwebel ist schier ausgeflippt und liess Ihn immer wieder das „richtige Marschieren“ üben, aber es klappte einfach nicht. Dann hat er aufgegeben und diesen Rekruten zum Truppenarzt geschickt.

So kam ich dann zu den Panzergrenadieren an einem schwäbischen Standort. Der erste Unterschied war, dass das Essen dort nicht so gut war, wie im bayrischen Standort. Dort gab es abends ein kaltes Buffet zum Sattessen.
Mein Dienst ging weiter mit 3 Wochen Fahrschule für LKW und Kettenfahrzeuge.
Dies war gegenüber vorher eine richtige Erholung. Ein lockerer Ausbilder, neue Rekruten und abends eine Stadt, in der es auch Kultur gab (Theater, Musikkneipen, Cafes und eine nette Altstadt)
Zunächst sollte ich nach der Fahrschule als Panzerfahrer eingesetzt werden, aber da das Fahrzeug gerade in der Instandsetzung zur Reparatur war, wurde ich vorübergehend als Kraftfahrer im Kompanietrupp eingesetzt.
So saß ich dann beim ersten Wintermanöver stundenlang im Jeep und ließ den Motor im Standgas laufen, damit die Unteroffiziere beim Einsteigen ein warmes Fahrzeug vorfanden.

Anfang des Jahres kam ein Genosse unserer Jugendorganisation in unsere Kompanie. So waren wir schon zu zweit in der Kompanie, und ein weiterer Genosse, den ich noch nicht kannte, war in einer benachbarten Kompanie beheimatet. Dieser wiederum gewann unter seinen Wehrpflichtigen einen weiteren Sympathisanten.
So waren wir insgesamt 4 Leute einer „revolutionären Soldatengruppe“.

Bei unseren regelmäßigen Treffen trafen wir uns, später auch unter Einbeziehung von organisierten Genossen aus der nahegelegenen Stadt, zum Kennen lernen und politischen Austausch in einer Szenenkneipe.

Eines Tages in der Woche vor dem 1. Mai, nahm mich der Genosse aus meiner Einheit mit in die Stadt, ohne mir zu sagen, um was es ging.
Erst am Zielort, der Wohnung eines ortsansässigen Genossen, erklärte man uns, dass wir eine Soldatenzeitung zum 1. Mai in der Kaserne verteilen würden.
Aus Gründen der Konspiration seien wir nicht eingeweiht worden, denn die Zeitung war schon in kleiner Auflage gedruckt worden und lag im Zimmer bereit zum Zusammenlegen.
Nachdem wir Soldaten-Genossen Handschuhe angezogen hatten, bastelten wir zuerst Behälter aus roter Pappe zusammen, in die dann die zusammengefalteten Exemplare der Zeitung eingesteckt wurden. Dann wurde jedem von uns ein Plan mit mehreren Kasernengebäuden zugeteilt, wo wir die Behälter am jeweiligen Müllcontainer mit Klebeband anbringen sollten.
Als wir in die Kaserne zurückfuhren, holten wir vorher den fehlenden Genossen unseres Standortes ab, der an einer abgelegenen Scheune in der Nähe des Kasernengeländes wartete.
Dieser hatte vorab den Rhythmus der Streifengänge des Wachpersonals am Kasernenzaun erkundet und sich dann in die Dorfkneipe begeben.
Zum verabredeten Zeitpunkt war er also schon am Treffpunkt zum Mitfahren bereit. Im Auto übernahm er seinen Packen Behälter mit Zeitungen und informierte uns, wann im Kasernengelände die „Luft rein sei“.

Das Verteilen ging dann zu viert recht schnell von statten und kurze Zeit später lagen wir alle in unseren jeweiligen Betten.

Die illegal verteilte Soldatenzeitung wurde erst am nächsten Morgen entdeckt, als der jeweilige Stubenreinigungsdienst der einzelnen Unterkünfte die Zimmermülleimer lehrte und die aushängende Zeitung nicht zu übersehen war.
Manche nahmen es zu sich mit in den Spind. Es gab auch welche, die die Zeitung beim Vorgesetzten abgaben. So war die Bundeswehr darüber informiert, aber die Urheber konnten nicht herausgefunden werden.

Der Kompaniefeldwebel erwähnte die Zeitung beim Morgenappell und forderte uns auf, alle Ausgaben bei Ihm abzugeben.

An diesem 1. Mai organisierten wir Genossen einen Soldatenblock auf der Maidemonstration des DGB in unserer Heimatstadt. Die mutigeren Genossen gingen in Uniform mit und die anderen (wie ich) bildeten in Zivilkleidung einen Schutzkordon, um die uniformierten Genossen zum Schutz vor polizeilicher Kontrolle.


Kurz vor dem DGB-Kundgebungsort scherten die uniformierten Soldaten-Genossen aus, und bestiegen einen bereitstehenden VW-Bus, der diese in „Sicherheit“ brachte. Ein weiterer PKW blieb bei der Abfahrt erst mal stehen, damit mögliche (Zivil-)kräfte von Feldjäger oder MAD (Militärischer Abschirmdienst) diesem Bus nicht folgen konnten.

Ansonsten könnte ich noch viel erzählen, wie mich zum Beispiel ein Offizier in der benachbarten Truppensauna anmachte: „ihr Haarschnitt ist aber nicht vorschriftsgemäß“.
Leider konnte ich seinen „Dienstgrad“ auf seiner nackten Haut nicht erkennen.
Ich verzichtete darauf, noch bei 90o Saunatemperatur „militärisch zu grüßen“.
Quelle: Anonymer Leserbeitrag, O. O. 2011

Bundeswehr001


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