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Baden-Württemberg:
Karl Schiess - Christdemokrat (CDU) und zeitweise Landesinnenminister

Materialien zur Analyse von Opposition

Von Jürgen Schröder, Berlin, 4.10.2008

Der als CDU-Mitglied und für diese auch als Innenminister im 'Ländle' auftretende Karl Schiess (1914-1999) vermochte sicherlich, seiner Version des 'Hamburger Erlasses', also der international als 'Berufsverbote' bekannt gewordenen Maßnahme, vor deren bundesweiten Etablierung als Begriff seinen Namen mittels des damals provinziell notorischen Begriffs 'Schiess-Erlasses' aufzudrücken – ohne dass hier etwa alle Berufsverbote in Baden-Württemberg schon als überblickend behandelt gelten sollten, - er bleibt aber, nach unserer, wie immer äußerst unvollständigen Dokumentenauswertung, eher eine Person drittrangiger Provenienz, für die aufstrebenden Neuen Mittelklassen (NMK) um das Heidelberger 'Neue Rote Forum' (NRF) also ein wirklich willkommener Spaß- und Sparringspartner, um die mittlerweile als senil-fossil erachteten Formationen innerhalb der ML-Bewegung im Raum Mannheim/Stuttgart/Tübingen, also den KABD und seine KSG/ML, landesweit vermittels der Schüler, der Studierenden und der werktätigen Akademiker sowie befreundeter Proletarier an die Wand zu organisieren (vgl. 14.4.1973) und den Kommunistischen Bund Westdeutschland (BW) auch in Baden-Württemberg möglichst flächendeckend zu etablieren.

Karl Schiess macht sich aber sogleich erneut bereitwillig und erstaunlich freiwillig zur wohlfeilen Karnevalsbudenfigur der bundesweiten linksradikalen Agitation mit seinen Vorschlägen für Polizeibespitzelung im Betrieb (vgl. 6.10.1973), selbst im pfälzisch benachbarten Speyer noch permanenten Protest provozierend (vgl. 8.10.1973), aber auch im entfernten westfälischen Dortmund (vgl. 25.10.1973).

Weitere Verwicklungen dieser Person (vgl. 12.10.1973) in sozialhistorisch eventuell belangvolle Bezüge bedürfen derzeit noch der weiteren Auswertung.


Auszug aus der Datenbank „Materialien zur Analyse von Opposition“ (MAO)

14.04.1973:
In Stuttgart beteiligen sich, laut KHG (NRF) und IFS Freiburg, über 6 000, laut KG (NRF) 5 000 bis über 5 000, an einer landesweiten Demonstration gegen den Schieß-Erlaß bzw. die Berufsverbote, zu der eine Aktionseinheit von 30 Gruppen aufrief. Laut KSG (NRF) ging dabei die Initiative vom Heidelberger Komitee gegen die Berufsverbote und die politische Entrechtung im Öffentlichen Dienst aus.

Aufgerufen hatte, laut KG (NRF), eine Aktionseinheit von den Asten der Fachhochschulen Ludwigsburg und Heilbronn, den PH's Karlsruhe, Weingarten, und Heidelberg, den Unis Freiburg, Stuttgart-Hohenheim, Heidelberg und Konstanz, den Berufsverbotekomitees Heidelberg, Mannheim, Karlsruhe und Freiburg, dem Komitee "Kampf den Berufsverboten" Tübingen/Reutlingen, der Initiativgruppe gegen die Berufsverbote Heilbronn, den Landesverbänden der Jusos und Judos, dem Arbeiter- und Jugendverein (AJV) Waiblingen, dem Bund Kommunistischer Arbeiter Freiburg, der GIM, der Kommunistischen Jugendgruppe und der Kommunistischen Schülergruppe Öhringen, der KG (NRF), der Kommunistischen Schülergruppe Waldkirch, der Sozialistischen Arbeitergruppe Eßlingen, dem Sozialistischen Zentrum Stuttgart, der ESG Stuttgart und dem Bund demokratischer Wissenschaftler Heidelberg.

Die DKP habe habe sich von vornherein nicht beteiligt, der KABD nur seine KSG/ML geschickt. Als klar war, daß der Hauptstoß gegen die SPD geführt werden sollte, sei die KSG/ML wieder ausgestiegen.

Die KSG/ML des KABD und der KSV der KPD, der mit 20 Leuten am Ende des Zuges mitgelaufen sei, haben sich auch laut KSG (NRF) nicht an der Aktionseinheit beteiligt. Aus Mannheim/Heidelberg nehmen, laut KG (NRF), ca. 1 500 teil, wobei 1 100 mit einem Sonderzug anreisen. Laut KAJB (NRF) kamen ca. 2 000 aus dem Raum Mannheim/Heidelberg. Laut KSG (NRF) fuhren 1 000 mit dem Sonderzug.

Aus Freiburg beteiligen sich, laut und u.a. von IFS, 600 Personen.
=Schulkampf Nr.5 und 6,Freiburg Apr. 1973 bzw. Mai 1973;
Kommunistische Hochschulzeitung Nr.23,Heidelberg/Mannheim o.J. (Apr. 1973);
Schulkampf Nr.11,Heidelberg o.J. (1973);
Kommunistische Jugendzeitung Nr.5,Mannheim Apr./Mai 1973

Arbeiter-Zeitung Nr.4,5 und Extra,Mannheim/Heidelberg Apr.,25.4.1973 bzw. Mai 1973

06.10.1973:
Der KBW (vgl. 24.10.1973) berichtet über "die Bespitzelung und Registrierung von streikenden Arbeitern, die der baden-württembergische Innenminister Schieß angeordnet hat", 'im Interesse der öffentlichen Ordnung'. Dazu heißt es:"
Diese öffentliche Ordnung ist nichts anderes als die reibungslose Unterdrückung, Überwachung und Ausbeutung der Arbeiterklasse und des Volkes. Die Vertreter des kapitalistischen Staatsapparates wissen genau, daß jeder Streik ein Baustein ist zur Errichtung der Klassenfront der Arbeiter und des Volkes gegen die Kapitalistenklasse und ihre Diener. Deshalb versuchen sie, durch solche Polizeiaktionen schon beim Aufflackern von Arbeitskämpfen durch polizeistaatliche Einschüchterung das Feuer zu ersticken. Obwohl die Gewerkschaftsführung bisher in allen Fällen von selbständigen Streiks die Polizei in ihren Ermittlungen wie auch des öfteren bei direktem Einsatz unterstützt hat, sah sie sich durch die öffentliche Erklärung des Innenministers gezwungen, gegen die Provokation durch den Mund des Bezirksleiters Steinkühler Einspruch zu erheben."

Berichtet wird davon auch im ZK des KBW (vgl. 13.10.1973) und in:
- NRW in Dortmund im IGM-Bereich durch den KBW bei Hoesch (vgl. 31.10.1973)
=KBW-ZK:Thesen zur MTR,o.O. o.J. (1973),S.2;
Kommunistische Volkszeitung Nr.5,Mannheim 24.10.1973,S.4;
Roter Hoesch Arbeiter,Dortmund 31.10.1973,S.2


08.10.1973:
Die OAG Speyer des KBW berichtet vermutlich aus dieser Woche:"
'STREIKS VERHINDERN'
IGM-VORSTAND VOR VERTRAUENSLEUTEN IN SPEYER

Die Vertrauensleute-Versammlung der IG-Metall in Speyer sollte der Vorbereitung der Manteltarifrunde (MTV,d.Vf.) und der in sieben Wochen anstehenden Tarifrunde (MTR,d.Vf.) dienen. Aus diesem Grunde war der Vertreter der IG-Metall in der Bundesrepublik (Betriebsrätebetreuung), Manfred Leiß, extra aus Frankfurt angereist. Er sollte die Vertrauensleute in Speyer wieder auf den sozialdemokratischen Kurs der Gewerkschaftsführung bringen. Dies ist ihm allerdings gründlich mißlungen.

Leiß sagte, daß die spontanen Streiks der vergangenen Monate der IGM-Führung nicht gefallen hätten, daß bei Streiks 'ein totaler Sieg nicht drin sei', daß verhindert werden muß, daß im Januar in Nordbaden/Nordwürttemberg (NB/NW,d. Vf.) schon wieder gestreikt würde, daß bei Aufstellung der Forderungen neue Maßstäbe gesetzt werden müßten, daß er den Betriebsräten und Vertrauensleuten dankbar sei, daß sie die vergangene Zeit ohne Schrammen durchgestanden hätten. Doch die Kollegen ließen sich nichts vormachen. Sie sagten klipp und klar, nicht noch einmal zugunsten der SPD-Regierung Lohneinbußen hinnehmen zu wollen. Sie forderten eine breite Mobilisierung der Mitglieder, damit man möglichst stark in die nächste Tarifrund gehe, und diese Stärke auch gegenüber der IGM-Führung zum Ausdruck bringen könne. Die 'Tarifschuster' wurden davor gewarnt, die Forderungen der Kollegen aus den Betrieben schon vor dem Beginn der Verhandlungen herunterzuschrauben. In der Diskussion um die Höhe der Forderungen wurden 20% und 1,50 DM aufgestellt. Eine Abstimmung über diese beiden Forderungen gab es nicht. Einstimmig wurde eine Resolution gegen die Bespitzelung und Registrierung von streikenden Arbeitern, die der baden-württembergische Innenminister Schieß angeordnet hat (vgl. 6.10.1973,d.Vf.), verabschiedet."
=Kommunistische Volkszeitung Nr.5,Mannheim 24.10.1973,S.4

12.10.1973:
Für den KBW berichtet D.T.:"
KARRIERE EINES VERFASSUNGSSCHÜTZERS

Der ehemalige Präsident, P. Lahnstein, des baden-württembergischen Landesamtes für Verfassungsschutz wurde von dem Stuttgarter Innenminister Schieß am 12. Oktober zum 'Leiter der Geschäftsstelle des Landespersonalausschusses' ernannt. Lahnstein wurde im Sommer (vgl. *8.*.1973,d.Vf.) von seinem Verfassungsschützerposten suspendiert, weil er in die Steiner-Äffäre verwickelt ist: Er hatte dem Innenministerium nicht die angebliche Spionagetätigkeit Steiners für die DDR mitgeteilt. Außerdem hatte er den Verfassungsschutz-Abteilungsleiter Schülke gedeckt, der getarnt mit einer Perücke an einer Sitzung des parlamentarischen Untersuchungsausschusses (vgl. **.*.1973,d.Vf.) zur Aufdeckung der Bestechungen im Bundestag teilnahm, um die Mitglieder des Ausschusses und den ehemaligen CDU-MdB Steiner zu bespitzeln. Die Angelegenheit flog auf, Steiner wurden Beziehungen zum baden-württembergischen Verfassungsschutz nachgewiesen und Lahnstein und Schülke mußten den Dienst quittieren; Lahnstein und Schülke sind als Spitzel und Agenten erkannt.

Indem Lahnstein jetzt zum Chef des baden-württembergischen Personalausschusses befördert wurde, setzt er nur an anderer Stelle das fort, was er auf seinem früheren Posten begonnen hatte. Lahnstein ist genau der richtige Mann zur rechten Zeit, um den Schieß-Erlaß (BV,d.Vf.), die weitere politische Entrechtung im öffentlichen Dienst durchzusetzen."
=Kommunistische Volkszeitung Nr.5,Mannheim 24.10.1973,S.6

25.10.1973:
Die Zelle Hoesch Dortmund des KBW (vgl. 31.10.1973) berichtet mit Hilfe der heutigen WAZ:"
POLIZEIBESPITZELUNG IM BETRIEB

Die folgende Nachricht konnte man am Donnerstag voriger Woche in der WAZ lesen:
'HÖRT DIE POLITISCHE POLIZEI MIT? UNRUHE IN DEN HÜTTENWERKEN! BETRIEBSRAT GEHT DER FRAGE NACH - BEAMTE IN VERSAMMLUNG GESEHEN

Ist es schon wieder soweit, daß Beamte der politischen Polizei bei Betriebsversammlungen auftauchen? Diese Frage gestellt in der Funktionärsversammlung der Dortmunder Eisen -und Stahlindustrie in der Westfalenhalle (vgl. 23.10.1973,d.Vf.), beschäftigt seit kurzem die Männer der Hoesch-Hüttenwerke. Angeblich sollen Beamte des 14. Kommissariats an der letzten Betriebsversammlung der Hüttenwerke in der Westfalenhalle als Beobachter teilgenommen haben.

Diese Mitteilung hat in der Belegschaft erhebliche Unruhe ausgelöst. Das umso mehr, als auch bekanntgeworden ist, daß bei den Streiks in der Metallindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden Polizeidienststellen eingeschaltet worden waren. Auch der Betriebsrat des Werkes Phoenix ist inzwischen der Frage nachgegangen, ob tatsächlich Beamte der politischen Polizei in der Belegschaftsversammlung anwesend waren. Bislang jedoch ohne Erfolg.

Wie Phoenix-Betriebsratsvorsitzender Reinhold Roesen vor den Vertrauensleuten mitteilte, war weder dem Werksschutz, noch Arbeitsdirektor Dr. Günter Sieber etwas über einen Einsatz der Polizei bekannt. Hoesch-Mitarbeiter wollen Beamte der politischen Polizei aber eindeutig erkannt haben.

Roesen: 'Wir werden nicht locker lassen und uns Gewißheit verschaffen!' Natürlich wurde die Meldung vom Polizeipräsidenten sofort zurückgewiesen. 'Beamte des 14. Kommissariats sind für Belegschaftsversammlungen nicht zuständig' und 'an der Betriebsversammlung am 6.10. haben keine Beamten teilgenommen' hieß es.

Dagegen steht die Aussage verschiedener Kollegen, denen im Betrieb unbekannte, dafür außerhalb oft umso bekannterer Gesichter aufgefallen sind: Spitzel der Polizei.
Das Dementi der Polizei war zu erwarten, denn daß das 14. Kommissariat gerne unerkannt bliebe, liegt in der Natur seiner Aufgabe: Ermittlung gegen fortschrittliche und kämpferische Kollegen. Sie soll ermöglichen daß die Kapitalisten bei Unruhe im Betrieb oder bei Streiks sofort die aktiven Kollegen beobachten und möglicherweise entlassen können.
Denn jeder Kollege der sich konsequent für die Arbeiterinteressen einsetzt, in den wirtschaftlichen und politischen Fragen, ist ein Todfeind der Kapitalisten, und damit auch der Todfeind eines Staates, der für die Interessen des Kapitals alles tut und den Arbeitern und Werktätigen immer neue Opfer aufbürden.
Auch wenn die Dortmunder Polizei dementiert, nicht nur die Aussagen der Kollegen sprechen dagegen, sondern auch die Ereignisse in anderen Betrieben und Bundesländern.

Schon vor einigen Monaten (vgl. S1.*.1973,d.Vf.) wurde von der SPD/FDP-Landesregierung - und die Opposition hatte sicher nichts dagegen - 17 Millionen Mark für den Ausbau der Polizei in NRW genehmigt: Begründung: Der Kampf gegen Radikale und Kriminelle. Was damit gemeint war, plauderte die Kapitalistenzeitschrift 'Wirtschaftswoche' (vgl. S1.*.1973,d.Vf.) dann in einer Meldung aus. Die Überschrift lautete: Polizei rüstet für den Lohnkampf. Dann wurde ausgeführt, das sich die Polizei auf das Eingreifen bei Streiks vorbereitet und dafür entsprechende Ausrüstung benötigt. Die Radikalen, die gemeint waren, sind niemand anders als Arbeiter, die um ihre berechtigten Interessen kämpfen. Und bei Hella in Lippstadt, bei Opel in Bochum und zuletzt bei Ford in Köln war die Polizei dann da! Spitzel wurden in die Betriebe geschickt und auf Grund ihrer Hinweise wurden fortschrittliche Kollegen z. B. aus der Streikleitung sogar verhaftet und abgeführt. Die Polizei scheute sich nicht auf streikende Kollegen einzuprügeln um ihren Widerstand zu brechen.

In Baden-Württemberg wies der Innenminister der CDU-Landesregierung Karl Schieß Anfang Oktober (vgl. 6.10.1973,d.Vf.) die Polizei offen an, in allen bestreikten Betrieben Ermittlungen gegen sogenannte Rädelsführer aufzunehmen. Er begründete die Maßnahme als 'im Interesse der öffentlichen Ordnung'.

Die Kommunistische Volkszeitung schreibt dazu:
'Diese öffentliche Ordnung ist nichts anderes als die reibungslose Unterdrückung, Überwachung und Ausbeutung der Arbeiterklasse und des Volkes. Die Vertreter des kapitalistischen Staatsapparates wissen genau, daß jeder Streik ein Baustein ist zur Errichtung der Klassenfront der Arbeiter und des Volkes gegen die Kapitalistenklasse und ihre Diener. Deshalb versuchen sie, durch solche Polizeiaktionen schon beim Aufflackern von Arbeitskämpfen durch polizeistaatliche Einschüchterung das Feuer zu ersticken. Obwohl die Gewerkschaftsführung bisher in allen Fällen von selbständigen Streiks die Polizei in ihren Ermittlungen wie auch des öfteren bei direktem Einsatz unterstützt hat, sah sie sich durch die öffentliche Erklärung des Innenministers gezwungen, gegen die Provokation durch den Mund des Bezirksleiters Steinkühler Einspruch zu erheben.'

Das schreibt die WAZ natürlich nicht, sondern sie druckt kommentarlos Dementi des Dortmunder Polizeipräsidiums ab. Was davon zu halten ist, soll noch eine Tatsache verdeutlichen: SPD Polizeipräsident Riwotzki war es schließlich, der die Verhaftung eines Teilnehmers der Mai-Demonstration des DGB von der Westfalenhütte aus verantwortet.

Die Straftat: Er rief die Parole 'Für kampfstarke, klassenbewußte Gewerkschaften!'

Im anstehenden Prozeß (vgl. S2.**.1973,d.Vf.) ist er jetzt wegen der Anführung einer verbotenen Demonstration angeklagt (Der Rote Hoesch-Arbeiter wird weiter darüber berichten).

Unsere Forderung muß sein:
WEG MIT DEN POLIZEISPITZELN AUS DEM BETRIEB!
FÜR FREIE POLITISCHE UND GEWERKSCHAFTLICHE BETÄTIGUNG IN DER AUSBILDUNG UND AM ARBEITSPLATZ!"
=Roter Hoesch Arbeiter,Dortmund 31.10.1973,S.1f

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