Klassenkampf - Zeitung des Bundes Kommunistischer Arbeiter, Jg. 2, Extra An die arbeitende Bevölkerung, 15. Okt. 1971

15.10.1971:
Der Bund Kommunistischer Arbeiter (BKA) Freiburg gibt ein Extra "An die arbeitende Bevölkerung" seines 'Klassenkampf' (vgl. 14.10.1971, 15.10.1971) mit einem Umfang von 2 Seiten DIN A 4 heraus:"
NEIN ZUR GEPLANTEN PRIVATISIERUNG DER STADTWERKE

Hinter unserem Rücken planen Stadtverwaltung und Gemeinderat einen Akt sozialer Demontage: Die Privatisierung der Stadtwerke! Was vor den Gemeindewahlen (vgl. **.**.197*, d.Vf.) ausgeklammert wird, um keine öffentliche Unruhe zu erzeugen, soll nach den Wahlen im Ruck-Zuck Verfahren durchgepeitscht werden. Die Planungen sind schon weitgehend abgeschlossen.

DIE STADTWERKE FREIBURG SIND BISLANG EIGENBETRIEBE DER STADT, das heißt, sie stehen voll und ganz im Eigentum der Stadt Freiburg. Das begründet sich daraus, daß sie durchweg nur öffentliche Aufgaben wahrnehmen und dafür auch das Monopol besitzen: für Gas, Strom, Wasserversorgung ebenso wie für den öffentlichen Nahverkehr (Straßenbahn, Bus). Jetzt sollen die Stadtwerke in eine Eigengesellschaft umgemodelt werden, was bedeutet, daß die Stadt zwar die Mehrheit der Anteile in ihrer Hand behält, private Dritte aber als Anteilseigner hinzutreten.

WER HAT EIN INTERESSE AN DIESER UMWANDLUNG

Die Gewinn- und Verlustrechnung der Stadtwerke Freiburg sieht für 1970 so aus, daß einem Ertrag von 87 Mio. DM 90, 6 Mio. DM Ausgaben gegenüberstehen, also ein Defizit von 3, 6 Mio. übrigbleibt. Wenn man sich die Sache für die verschiedenen Betriebszweige genauer ansieht, stellt man fest, daß
bei Strom + 3, 9 Mio. DM, bei Gas - 1, 3 Mio. DM,
bei Wasser + 2, 1 Mio. DM und bei den Verkehrsbetrieben - 8, 3 Mio. DM
in der Endabrechnung stehen.
Das hohe Defizit bei den Verkehrsbetrieben kann also durch den Überschuß, vor allem bei der Stromversorgung nicht ausgeglichen, aber doch kräftig gemildert werden. 'Ein wesentlicher Zweck der Umgründung ist eine Trennung der Versorgungsbetriebe von den Verkehrsbetrieben', schreibt einer der treibenden Kräfte der Privatisierung, Oberbaudirektor Viktor Kuntzenmüller (Direktor des E-Werks), in einem Leserbrief an die Badische Zeitung vom 7.10.1971. Diese Trennung wird rechtlich so aussehen, daß sowohl die Versorgungs- als auch die Verkehrsbetriebe je eine Aktiengesellschaft werden und beide Aktiengesellschaften von einer Dachgesellschaft verbunden werden. Die Aktiengesellschaft Verkehrsbetriebe wird nun eigenständig versuchen müssen aus ihrem Defizit herauszukommen, was nichts anderes bedeutet als
- Erhöhung der Fahrpreise bei Straßenbahn und Bus (Schlagwort: Kostengerechte Tarife)
- Fahrplanverdünnungen, d.h. weniger Verbindungen auf unrentablen Linien
- Verschärfung des Arbeitsdrucks und Wegrationalisierung von Arbeitsplätzen bei den Verkehrsbetrieben

ALLES MASSNAHMEN, DIE SICH DIREKT GEGEN DIE ARBEITENDE BEVÖLKERUNG FREIBURGS RICHTEN. Die Versorgungsbetriebe dagegen können bei einem gewinn von insgesamt 4, 7 Mio. ihre Preise halten, wovon in erster Linie die Unternehmen profitieren, die die großen Stromabnehmer sind. Die künftige Versorgungsbetriebe AG wird ihre Strompreise also FÜR DIE UNTERNEHMER niedrig halten, die künftige Verkehrsbetriebe AG dagegen ihre Fahrpreise kräftig raufsetzen. Bisher ist es also so, daß die Unternehmer über die Strompreise einen Teil des Defizits der Stadtwerke tragen. Müssen dagegen in Zukunft die Verkehrsbetriebe ihre Bilanz ohne den Überschuß der Versorgungsbetriebe ausgleichen, so müssen wir, die 'Nutzer' von Bus und Straßenbahn, dafür aufkommen. FÜR WAS ZAHLEN WIR EIGENTLICH STEUERN, WENN SELBST DIE SELBSTVERSTÄNDLICHSTEN LEISTUNGEN DER GEMEINDEN WIE NAHVERKEHR EINEN IMMER GRÖSSEREN TEIL UNSERES NACH STEURABZUG ÜBRIGGEBLIEBENEN LOHNS WEGFRESSEN? Für mehr Kindergärten und Spielplätze bestimmt nicht, wie man überall sieht.

WEM KOMMT DIE PRIVATISIERUNG NOCH ZU GUTE

Wenn auch die Stadt Freiburg die Mehrheit der Anteile an den Stadtwerken behält, so treten doch private Geldgeber als neue Anteilseigner hinzu, das ist erklärter Zweck der Umgründung. Diese Stadtwerks-Kapitalisten geben ihr Geld nicht, um die Leistungen der Stadtwerke für die arbeitende Bevölkerung zu verbessern, sondern allein aus zwei Gründen:
- sie erhoffen sich eine günstige Verzinsung ihres Geldes
- sie wollen Einfluß gewinnen auf die Planung der Stadtwerke.
Die Gewinne dieser Stadtwerks-Kapitalisten müssen aber zusätzlich zu allen Kosten 'erwirtschaftet' werden, ohne daß dies irgendjemandem in der arbeitenden Bevölkerung zu Gute käme, im Gegenteil: was auf der einen Seite in den Geldsack der Stadtwerks-Kapitalisten fließt, muß auf der anderen durch Mehrarbeit bei den Beschäftigten der Stadtwerke und höhere Preise für uns 'erwirtschaftet' werden.

… UND SCHLIESSLICH SIND PÖSTCHEN ZU VERGEBEN

Vorstände, Aufsichtsräte und Verwaltungsräte für die 2 Aktiengesellschaften und die Dachgesellschaft ergeben zusammen runde 50 fette Pöstchen. Diese Pöstchen und die damit zusammenhängenden Ausgaben (vom Mercedes bis zum Teakholz-Schreibtisch) werden die Stadt ZUSÄTZLICH jährlich mit mindestens einer Million belasten, und das bei einem Defizit von 3, 6 Millionen. Dies erklärt auch besser als alles andere, wieso die 'Stadtväter' so einmütig hinter der Privatisierung stehen, wieso sich die Interessen der Industrie, des lokalen Handels, der Verwaltungsspitzen und der 'Stadtväter' so hervorragend decken.

NOTWENDIGE ABWEHRMASSNAHME

Die geplante Privatisierung der Stadtwerke ist also ein Schlag gegen die arbeitende Bevölkerung, sie liegt ausschließlich im Interesse der Kapitalisten und ihrer Politiker. Sie ist ein Akt sozialer Demontage, der sich würdig einreiht in die horrenden Preiserhöhungen, Steuererhöhungen, in den Abbau von Sozialleistungen und verschärfter Arbeitshetze in den Betrieben. Daß eine derartige Schweinerei wie die Privatisierung der Stadtwerke von der SPD und Gewerkschaftsführern a la Jorzig mitgetragen wird, zeigt einmal mehr, daß die Sozialdemokratie wie alle anderen bürgerlichen Parteien nichts anderes ist als der politische Geschäftsführer der Kapitalistenklasse.

Klar ist, daß die Städte zu wenig Geld haben, daß die Verhinderung der Privatisierung der Stadtwerke eine notwendige Abwehrmaßnahme der arbeitenden Bevölkerung sein muß, daß sie aber an der grundsätzlichen Misere der Städte nichts ändert. Die Misere der Städte hat ihre eigentliche Ursache darin, daß die Profitinteressen der Herrschenden Monopolkapitalisten den Städten eine Erfüllung ihrer kommunalen Aufgaben nicht zulassen. In einer Gesellschaft, in der es darum geht, daß die Kapitalisten Profit machen um ihr Kapital immer weiter zu vergrößern, ist kein Platz für die Befriedigung lebenswichtiger Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung. Dies drückt sich im Etat der Städte aus, der nicht vorn und nicht hinten langt, um auch nur annähernd die wichtigsten Aufgaben der Städte zu erfüllen. Es ist deshalb Unsinn so zu tun, als ob man ohne Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, unter der Herrschaft des Monopolkapitals, in den Städten eine Politik im Interesse der arbeitenden Bevölkerung machen könne. Eine Kommunalpolitik im Interesse der arbeitenden Bevölkerung kann es nur geben, wenn die Arbeiterklasse diesen Staat zerschlagen und ihren Staat errichtet hat, wenn sie bestimmt, wofür sie ihre Arbeitskraft einsetzt: für Schulen, anständige Wohnungen, Ausbau des Nahverkehrs usw. SOLANGE ABER DAS MONOPOLKAPITAL HERRSCHT, MUSS SICH DIE ARBEITENDE BEVÖLKERUNG DER STÄNDIGEN ÜBERGRIFFE DER KAPITALISTEN UND IHRER VERTRETER ERWEHREN. Die geplante Privatisierung der Stadtwerke ist solch ein besonders unverschämter Übergriff. WIR MÜSSEN VERSUCHEN IHN ZU VEREITELN!

ARBEITER UND ANGESTELLTE DER STADTWERKE!
ERZWINGT IN EURER GEWERKSCHAFT ÖTV EINE KLARE ENTSCHEIDUNG, EIN KLARES NEIN ZUR PRIVATISIERUNG!
KOLLEGINNEN UND KOLLEGEN!
WIR ALLE SIND VON DER GEPLANTEN PRIVATISIERUNG DER STADTWERKE BETROFFEN!
WIR ALLE MÜSSEN DEN KAMPF GEGEN DIESEN AKT SOZIALER DEMONTAGE AUFNEHMEN!
VERPFLICHTEN WIR UNSERE VERTRAUENSLEUTE-KÖRPER IM BETRIEB, UNSERE LOKALEN GEWERKSCHAFTSVERTRETER EBENFALLS ZU EINEM KLAREN NEIN!
FORDERN WIR UNSERE BETRIEBSRÄTE AUF GEGEN DIE PRIVATISIERUNG STELLUNG ZU NEHMEN!

WEHREN WIR UNS GEGEN DIE ANGRIFFE DER KAPITALISTEN UND IHRER HANDLANGER"
Q: Klassenkampf Extra An die arbeitende Bevölkerung und Extrablatt für die arbeitende Bevölkerung, Freiburg 15.10.1971 bzw. 26.1.1972

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