Rote Presse-Korrespondenz, 1. Jg., Nr. 36, 24.10.1969

24.10.1969:
Die Nr. 36 der „RPK” erscheint. Inhalt der Ausgabe ist:
- Vietnam, Vietnam
- Proletarierinnen-Zentrum (Proz-ML)
- Rotzmat
- Rosta-Kino.

Im Artikel „Vietnam, Vietnam“ wird auf die Protestbewegung gegen den Vietnamkrieg in den USA am 15. Oktober eingegangen. Der Artikel wird flankiert durch einen „Überblick über die bewaffneten Befreiungsbewegungen in Ostasien (Indonesien, Thailand, Burma)“. Der Wortlaut „des10- Punkte-Programms der FNL vom 8. Mai 1969“ beinhaltet „Prinzipien und grundlegende Inhalte einer globalen Lösung des Südvietnam-Problems“, ein „Beitrag zur Wiederherstellung des Friedens in Vietnam“. Zu Vietnam soll ein Film gezeigt werden. Der Botschafter Südvietnams, Nguyen Duy Lien, soll auf einem Vortragsabend zum Thema „Die Friedensaussichten in Vietnam“ sprechen.

Im Artikel zum „PROLETARIERINNEN ZENTRUM (PROZ-ML)” wird ausgeführt:

„KRITIK UND SELBSTKRITIK DER BISHERIGEN BETRIEBS- UND BASISGRUPPENARBEIT AM BEISPIEL DES BETRIEBS KINDERLADENPROJEKTS UND DER FRAUENBETRIEBSGRUPPE WEDDING.

l. Wie entstand der Gedanke der Frauenbetriebsgruppe und des Betriebskinderladens?

Die Idee zu einer Frauenbetriebsgruppe entstand in einem studentischen Frauenarbeitskreis, der, nachdem er sich eine Zeitlang mit Theorie beschäftigt hatte, merkte, dass darüber keine wirkliche Emanzipation möglich ist, sondern nur in der Praxis. Außerdem fiel in Betriebsgruppen auf, dass hier fast ausnahmslos Männer waren, obwohl in den entsprechenden Betrieben vorwiegend Frauen arbeiteten. Den Grund für die mangelnde Mitarbeit der Arbeiterinnen sahen wir darin, dass die Frauen ein noch geringeres Bewusstsein hätten als die Männer. Dies erklärten wir uns durch die doppelte Unterdrückung der Arbeiterinnen in Familie und Betrieb. Wie konnte den Frauen geholfen werden?

Die gleiche Motivation hatte uns schon vorher zur Gründung der anti-autoritären Kinderläden geführt. Die Studentinnen und Studentengattinnen sollten dadurch freigesetzt werden für diejenige politische Arbeit, für die bislang nur ihre Männer Muße hatten. Die zeitraubende Aufzucht der Kinder sollte jetzt kollektiv und arbeitsteilig gemeistert werden. Die Debatten über anti-autoritäre Kindererziehung verschlangen jedoch die freigesetzte Zeit und darüber hinaus. Die Lösung der Probleme der Kindererziehung und der sexuellen Über-Kreuz-Beziehungen der Eltern erschien uns als ein unabdingbarer Schritt zur Revolution. Den allein richtigen und notwendigen Schritt zur Revolution, das Hauptziel, nämlich die Organisierung des Proletariats, verloren wir aus den Augen.

2. Welchen Gewinn haben wir aus unseren Erfahrungen mit den anti-autoritären Kinderläden für die Betriebsarbeit gezogen?

Wir glaubten, dass in den Genuss der antiautoritären Kinderläden, auch die Arbeiter kommen müssen. Wir meinten, dass es sehr schwierig sein würde, das Modell der antiautoritären Kinderläden auf die Arbeiterkinder zu übertragen, weil die Arbeiter ihre Kinder viel repressiver erzögen als wir vor Gründung der antiautoritären Kinderläden unsere eigenen Kinder erzogen hatten. Diese Schwierigkeiten der Übertragung würden, so meinten wir, geringer werden, wenn wir die antiautoritären Kinderläden mit den Betriebsgruppen verknüpften. Wir dachten, die Arbeiter könnten besonders gut anhand der Probleme antiautoritärer Erziehung über ihre eigene Unterdrückung im Betrieb aufgeklärt werden: Eine kollektive Kindererziehung kann nur dann erfolgreich sein, wenn die Eltern ihren bisherigen Erziehungsstil problematisiert haben. Das kann nur der Fall sein, wenn sie den Zusammenhang zwischen der Unterdrückung am Arbeitsplatz und repressivem Klima in der Familie erkennen (Kinderladen-Info 7).

Was folgt daraus für die Arbeiterinnen: Wir meinten, dass das Bewusstsein der Arbeiterklasse da am wenigsten ausgeprägt sei, wo die Unterdrückung am stärksten sei, nämlich bei den Arbeiterinnen. Deshalb meinten wir, uns speziell um Frauen kümmern zu müssen und innerhalb von Frauenbetriebsgruppen ihnen ihre Unmündigkeit bewusst zu machen. (BG-Info 5) Wir glaubten mit einem Vehikel - dem Betriebskinderladen - in Frauenbetriebsgruppen bei den Arbeiterinnen Einsicht in ihre eigene Unterdrückung erst schaffen zu müssen. Wir forderten also von Telefunken einen Betriebskindergarten und versuchten, über diese Forderung Arbeiterinnen für die Mitarbeit in der Frauenbetriebsgruppe zu gewinnen. Der Entwicklung des Projekts eines Betriebskinderladens in der Basisgruppe Wedding war bei Telefunken eine betriebliche Unterschriftensammlung zur Forderung eines Betriebskindergartens vorausgegangen. Die Aktion wurde durchgeführt von der Betriebsgruppe Telefunken in Verbindung mit einem linken Betriebsrat. Diese Forderung als taktischer Schritt war zweideutig. Einerseits sollte sie zur Organisierung der Arbeiterinnen als Sozialistinnen in Frauenbetriebsgruppen dienen, andererseits wäre die Erfüllung dieser Forderung nicht im Interesse der Arbeiterklasse, weil der Kapitalismus langfristig an Betriebskindergärten interessiert sein kann, um die Unterdrückung der Arbeiterklasse zu verschärfen.

Warum ist der Kapitalismus an Betriebskindergärten interessiert? Ein Betriebskindergarten bedeutet erstens Freisetzung von mehr Frauen für die Arbeit in der Produktion. Zweitens bietet er dem Kapitalisten die Möglichkeit, bei gespannter Lage des Arbeitsmarktes die Frauen an den Betrieb zu binden. Drittens kann der Kapitalist so auch noch die Kindererziehung bestimmen. Telefunken hat unsere Forderung jedoch inzwischen abgelehnt. Die Kapitalisten insgesamt haben im Augenblick Interesse daran, Sozialleistungen auf den Staat abzuwälzen und damit den Reallohn des Arbeiters zu senken, weil der Arbeiter dadurch die Sozialleistungen über die Steuern im Endeffekt selbst bezahlen muss. Im Moment ist die Reserve an Frauen (und an Gastarbeitern) noch hoch genug, die Lage auf dem Arbeitsmarkt noch nicht gespannt, und also kann Telefunken es sich noch leisten, keinen betriebseigenen Kindergarten zu haben.

Als sich abzeichnete, dass unsere Forderung nicht erfüllt werden würde, entwickelte sich in der Basisgruppe eine Diskussion über den Nutzen eines von der Basisgruppe betriebenen Betriebskinderladens. Wir sahen die Möglichkeit, durch Aufgreifen eines Bedürfnisses der Arbeiterinnen (Kindererziehung) an sie ‚heranzukommen‘. Über die Arbeit an den Grundlagen der Kindererziehung sollten sie auf den Grundwiderspruch hingeführt und politisiert werden. Eine Genossin - Angestellte bei Telefunken - berichtete von mehreren Arbeitskolleginnen, die ein starkes Unbehagen an den Erziehungsmethoden der staatlichen Kindergärten geäußert hätten. Dies bestärkte unsere Vorstellung von der Richtigkeit unseres Konzepts. Dadurch, dass wir den Arbeiterinnen einen Betriebskinderladen schenkten, wollten wir die Arbeiterinnen an die Betriebsgruppe als einzig mögliche Organisationsform binden, ohne zu überprüfen, ob Betriebsgruppen die richtige und einzige proletarische Organisationsform sein können.

3. Was haben wir für Fehler gemacht?

Schrittweise hatten wir also unser Ziel vergessen. Unser beschränktes Ziel war gewesen, Arbeiterinnen in Frauenbetriebsgruppen zu organisieren. Wie suchten wir das zu ereichen? 1. durch Propagierung eines Betriebskindergartens und spätere Politisierung der Frauen über Erziehungsprobleme. 2. Mobilisierung der Frauen zur Durchsetzung von l. Über die Forderung des Betriebskindergartens, über die Schaffung eines Betriebskindergartenkonflikts in Betriebsversammlungen.

Wo die Taktik von keiner Strategie kontrolliert wird, kann sie immer nur wieder Taktik hervorbringen. - Dies gipfelt in folgendem: ‚Die Arbeit mit den Kindern dient in erster Linie dazu, parallel zur Betriebsorganisation an die Eltern auch im Reproduktionsbereich heranzukommen. Dabei kann uns das starke Interesse der Eltern an einer besseren Zukunft der Kinder behilflich sein.’ (KL-Info 7) - Wenn also aus Taktik nur Taktik entsteht, wird Taktik schließlich naturwüchsig zum Inhalt der Politik. Diese ‚Politik der Taktik aus der Taktik’ konnte nur entstehen, weil versteckte Motive, die aus der Klassenlage der Studenten resultierten, immer wieder hervorbrachen und zum eigentlichen Ziel wurden: Auch für die Studentinnen ist es wichtig, sich mit Arbeiterinnen auseinanderzusetzen, weil sie (die Studentinnen) die Unterdrückung zwar verschleiert, aber doch ähnlich erfahren und weil sie dadurch (durch die Auseinandersetzung mit den Arbeiterinnen) sich emanzipieren und lernen, selbständig politische Arbeit zu leisten (BG-Info 5)

4. Wie ist diese opportunistische Politik zu erklären?

Wir gingen von falschen Vermutungen über die Bewusstseinslage des Proletariats aus. Wir hatten die marxistisch-leninistische Theorie der Klassengesellschaft, ohne sie angeeignet zu haben, ersatzlos verworfen und aus den Erfahrungen der Geschichte der Arbeiterbewegung keine Konsequenzen gezogen. Spätestens nach dem ersten Versuch einer Analyse über die Lage der Arbeiterinnen (s. RPK Nr. 21) hätten wir unsere Anstrengungen für die Organisierung der Proletarierinnen verstärken müssen. Denn das Ergebnis der Analyse war, dass die Arbeiterinnen sich sehr wohl ihrer doppelten Unterdrückung bewusst sind, jedoch resignieren, weil sie mit Recht sich nicht vorstellen können, wie ihre Lage durch eine Politik der Taktik sich entscheidend verändern sollte. (Bei der jetzt stattfindenden Schulung am Kommunistischen Manifest sagte die Genossin M., BG Wedding: ‚Es war mir nie glaubwürdig, wie das alles, was wir machten, zur Revolution führen soll‘).

5. Was hat uns davon abgehalten, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen?

Letztlich erklärbar ist das nur aus unserer Vorgeschichte als Kleinbürger. Wir hatten an der Universität gemerkt, dass Studenten allein die Revolution doch nicht machen können. Obwohl wir wussten, dass das Proletariat allein die Avantgarde der Revolution sein kann, gingen wir praktisch so vor, als wären wir auf der Suche nach einem geeigneten Bündnispartner. Da wir davon ausgingen, dass der Spätkapitalismus alle manipuliere, war es für uns so schwierig, das Proletariat zu entdecken. Nachdem wir uns entschlossen hatten, anzunehmen, dass es ein Proletariat zwar gibt, aber ein manipuliertes, musste unsere Aufgabe sein, ‚die Macht der Manipulateure’ zu brechen. Wir glaubten, das Klassenbewusstsein des Proletariats wieder zum Leben erwecken zu müssen durch Aufklärung . Was wussten wir aber über die Lage der Arbeiter unterm Kapitalismus, dass wir sie hätten aufklären können? Nichts. Deshalb nutzten wir zufällige persönliche Bekanntschaften mit Arbeitern, knüpften neue, sammelten einige der Arbeiter in den ersten Basisgruppen und versuchten, auf Flugblättern unser ‚Wissen’ in ihre ‚manipulierte’ Sprache zu übersetzen. Wir wollten die Arbeiter für unsere Revolte gegen die Konsumgesellschaft und ihren Polizeiterror modeln.

6. Was ist die Rolle der Intellektuellen als Revolutionäre?

Es werden durch den Fortschritt der Industrie ganze Bestandteile der herrschenden Klasse ins Proletariat hinabgeworfen oder wenigstens in ihren Lebensbedingungen bedroht. Ein Teil der Bourgeoisie geht zum Proletariat über und namentlich ein Teil der Bourgeoisideologen, welche zum theoretischen Verständnis der ganzen geschichtlichen Bewegung sich hinaufgearbeitet haben. (Marx-Engels: Kommunistisches Manifest).

Diese objektiven Bedingungen der Proletarisierung der intellektuellen Lohnarbeiter genügen nicht, um die Intellektuellen ihre Aufgaben innerhalb jeder revolutionären Phase erkennen zu lassen. Wir müssen unsere kleinbürgerliche Verachtung des Proletariats und unseren intellektuellen Hochmut kritisieren und zerstören. Das Proletariat ist nicht unser Gehilfe auf dem Weg zur Revolution. Die Diktatur des Proletariats ist nicht die Diktatur der Intellektuellen über das Proletariat. Wenn wir revolutionäre Intellektuelle sein wollen, müssen wir dem Proletariat dienen.

Was heißt das?

Die Intellektuellen haben im noch nicht entfalteten Klassenkampf die Aufgabe, sich mit Hilfe der Arbeiterklasse umzuerziehen und sich gemeinsam mit den Proletariern die Theorie und Praxis der Marxismus-Leninismus und der Mao-Tse-Tung-Ideen anzueignen, um daraus Lehren für die Führung des Kampfes zu ziehen. Die Intellektuellen haben die Aufgabe, ihre Produktivkraft den Interessen des Kapitals zu entziehen und sie dem Proletariat dienstbar zu machen, d. h. sie müssen ihr Wissen und ihre Fähigkeiten in der dem Klassenkampf angemessenen Form vergesellschaften. Sie müssen die Theorie des Proletariats Vermassen durch die Schulung. Durch Schulung wird die Theorie Bestandteil, später Waffe im Klassenkampf, indem sie die ideologische Grundlage für die Organisierung des Proletariats zur Klasse schafft, indem sie der Arbeiterklasse ihre geschichtliche Aufgabe bewusst macht, indem sie schließlich die Arbeiterklasse in die Lage versetzt, in allen Bereichen der geschichtlichen Entwicklung die Führung zu übernehmen.

II. WARUM MÜSSEN WIR DIE PROLETARIERINNEN ORGANISIEREN?,

Weil es der nächste Zweck der Kommunisten ist, das Proletariat zur Klasse zu bilden (s. Kommunistisches Manifest, 58).

Aus dem Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital ergibt sich die Konkurrenz der Arbeiter untereinander. Die Folge davon ist die Spaltung des Proletariats in miteinander konkurrierende Parteiungen. Diese Parteiungen sind: Arbeiter und Arbeitslose, Lehrlinge und der übrige Teil des arbeitenden Proletariats, Facharbeiter und Hilfsarbeiter (Lehrlinge), Arbeiterinnen und Arbeiter, ausländische Arbeiter und deutsche Arbeiter, nicht arbeitende Proletarierinnen und Arbeiterinnen, qualifizierte und dequalifizierte Arbeiter und Arbeiterinnen, Arbeitskinder und erwachsene Proletarier und Proletarierinnen. Diese Parteiungen verhalten sich in unterschiedlichen Graden widersprüchlich zueinander. Die Kommunisten müssen das Proletariat zur einheitlichen Klasse zusammenschweißen, d. h. das Proletariat dazu führen, in kämpferischer Solidarität die Konkurrenz zwischen den Parteiungen des Proletariats zu überwinden. Verschiedene Parteiungen des Proletariats sind bereits geeint: in der Familie. Die Familie eint das Proletariat im Interesse der Stabilisierung der Konkurrenz. Die Familie bietet dem Kapitalisten die Möglichkeit, seinen Profit zu maximieren. Der Lohn des Arbeiters kann gesenkt werden mit der Folge, dass weitere Mitglieder der Reproduktionsgemeinschaft Familie sich verkaufen müssen. Damit gerät der Arbeiter in Konkurrenz zur Arbeiterin, die für einen geringeren Lohn als er arbeiten muss, damit gerät die Arbeiterin in Konkurrenz zur proletarischen Hausfrau. Sind die Arbeiterinnen Lohndrückerinnen für die Arbeiter, so sind die Ehefrauen der Arbeiter Lohndrückerinnen für die Arbeiterinnen.

Die ursprüngliche Funktion der Familie als Produktionsgemeinschaft (z. B. die bäuerliche und handwerkliche Produktionsgemeinschaft) ist zerstört. Die Familie als Reproduktionsgemeinschaft, d. h. die einzige Funktion, die die Familie für das Proletariat je hatte, kann im Kapitalismus nicht aufgelöst werden. Der Kapitalismus braucht die Familie als materielle Interessengemeinschaft. Er sichert sie ab z. B. durch ein Rechts-, Versicherungs-, Steuer- und Krankenkassenwesen, das es dem Proletariat unmöglich macht, unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen die Familie aufzuheben. Die Familienideologie kann ihre Wirkung auf das Proletariat tun, weil der Kapitalismus interessiert daran ist, proletarische Familien zu erhalten, in denen nicht alle Mitglieder in den Produktionsprozess eingegliedert sind. Wenn die Proletarierin nicht arbeitet, besteht zwischen ihr und dem Arbeiter eine vom Kapitalismus als naturwüchsig interpretierte Arbeitsteilung. Diese Interpretation hilft die tatsächlich durch den ökonomischen Zwang zur Familie aufrechterhaltene Konkurrenzsituation zu verschleiern. Warum ist der Kapitalismus daran interessiert, solche kleinbürgerlichen proletarischen Familien aufrechtzuerhalten? Weil die proletarischen Hausfrauen ein Teil der industriellen Reservearmee sind.

Es kommt darauf an, dass die Arbeiterinnen, die proletarischer Hausfrauen und die Arbeiter erkennen, dass es nur ein Interesse des ganzen Proletariats geben kann: den Kampf gegen den Kapitalismus gemeinsam aufzunehmen.

III. WIE KÖNNEN WIR DIE PROLETARIERINNEN ORGANISIEREN -UND WO ?

Überall dort, wo die Proletarierinnen sind, muss unsere Agitation und Propaganda sie erreichen. Durch Agitation und Propaganda muss bei den Proletarierinnen die Motivation zur Schulung und Organisierung erzeugt werden. Mit der Schulung beginnt die Organisierung.

Unsere Agitation und Propaganda setzt unsere eigene Schulung voraus. Unsere Schulung muss organisiert beginnen. Dieser dialektische Dreischritt von Agitation und Propaganda, Schulung und Organisierung ist nur zentralisiert möglich. Der Prozess der Zentralisierung unserer politischen Arbeit ist sein Hauptmoment.

l. AGITATION UND PROPAGANDA

Wir haben bei unserer Agitation vor allem in den Betrieben die Erfahrung gemacht, dass wir nicht notwendig die politisch bewußtesten Arbeiter und Arbeiterinnen erreichten, sondern in jedem Fall die kontaktfreudigsten. Wir haben diese Arbeiter und Arbeiterinnen in unsere Betriebsgruppen mitgenommen und vielfach ein freundschaftliches Verhältnis zu ihnen gewonnen. Das positive Moment der individuellen Agitation ist zugleich sein gefährliches. Positiv und unabdingbar ist, dass in der individuellen Agitation ein Stück der Entfremdung zwischen den Arbeitern aufgebrochen wird. Das Mindestmaß an Vertrauen, das Grundlage der gemeinsamen politischen Arbeit ist, kann nur so hergestellt werden. Solange aber die Betriebsgruppen isoliert voneinander bestehen oder nicht mehr als Informationsaustausch zwischen ihnen betrieben wird und solange der politische Inhalt der individuellen Agitation diffus oder nicht kontrollierbar ist, solange droht das, was in der individuellen Überzeugungsarbeit als Grundlage der politischen Arbeit erzeugt wird, zum Hauptgegenstand der Betriebsgruppenarbeit zu werden. Das Betriebsgruppenleben, das dann entsteht, ist gegengesellschaftlich, fällt der illusionären Freiraumpraxis anheim. Voraussetzung für unsere richtige politische Arbeit ist deshalb, dass sie zentralisiert, und das heißt kontrolliert geschieht.

Aber genügt es, dass unsere Betriebskader durch einheitliche Schulung und durch Kontrolle ihrer Arbeit zu besseren Agitatoren werden? Nein. Die Agitatoren in den Betrieben müssen durch Propaganda von außen unterstützt werden. Haben wir eine solche Propaganda bisher schon betrieben? Nein. Wir haben Flugblätter gemacht und Betriebszeitungen. Unsere Flugblätter und Betriebszeitungen waren Herbstblätter im Winde und keine Samenkörner, denn sie waren ungeplant, reaktiv und geschichtslos. Unsere Flugblätter und Betriebszeitungen waren nicht offen und nicht offensiv, sie haben keine Lernprozesse initiieren können. Unsere Flugblätter und Betriebszeitungen waren keine zentral organisierte Vermassung eines einheitlichen politischen Inhalts. Deshalb waren sie keine Propaganda.

Von Beginn unserer Arbeit an müssen Agitation und Propaganda einander ergänzen. Denn Agitation allein hat einen zu hohen Grad an Zufälligkeit und Individualität. In der ersten Etappe unserer Arbeit wird die Agitation noch Schwerpunkt haben müssen und die Propaganda wenige erreichen. Gerade diese wenigen, die durch die Propaganda und nicht in erster Linie durch die Agitation erreicht werden, werden wichtig sein am Anfang, da sie ein relativ hohes Maß an Entschlossenheit und den Willen, nicht mehr allein, sondern organisiert zu kämpfen, schon mitbringen. Bei ihnen wird die Motivation zur Schulung am stärksten sein.

Wo werden wir agitieren?

Überall dort, wo das Proletariat ist: in den Betrieben, in den Wohnvierteln, in den Kneipen, auf den Spiel- und Sportplätzen, in den Krankenhäusern.

Propaganda werden wir machen in einem Massenblatt, in Kinoveranstaltungen und auf proletarischen Kongressen. Was muss der Inhalt unserer Agitation und Propaganda sein? Wir müssen bei der Beantwortung dieser Frage eine unserer wesentlichsten Erfahrungen aus der Betriebsgruppenarbeit berücksichtigen: es geht nicht darum, den Arbeitern und Arbeiterinnen ihre beschissene Situation in Agitation und Propaganda noch einmal plastisch zu verdeutlichen. Wir können davon ausgehen, dass die Proletarier ihre Situation besser kennen als wir. Aufgabe, unserer Agitation und Propaganda ist es, den Kampf des Proletariats zu unterstützen. Was heißt das? Es kann nicht heißen, dass wir die Arbeiter dadurch für ihre Arbeitskämpfe stählen, indem wir sie vorrangig mit Details von Konzernstrategien bekannt machen, indem wir vorrangig die Einzelheiten der Unterdrückungsmaschinerie aufdecken. Beschränken wir unsere Agitation und Propaganda dem Inhalt nach auf Informationen über die Taktik des Kapitals, dann unterstützen wir die Arbeitskämpfe nicht wirklich, sondern machen sie lediglich überschaubarer.

Aufgabe unserer Agitation und Propaganda muss es sein, vorrangig den Trade-Unionismus zu durchbrechen. Denn ‚Trade-Unionismus bedeutet … ideologische Versklavung der Arbeiter durch die Bourgeoisie’. Das politische Klassenbewusstsein kann den Arbeitern nur von außen gebracht werden, d. h. aus einem Bereich außerhalb des ökonomischen Kampfes, außerhalb der Sphäre der Beziehungen zwischen Arbeitern und Unternehmern. Das Gebiet, aus dem dieses Wissen geschöpft werden kann, sind die Beziehungen aller Klassen und Schichten zum Staat und zur Regierung, sind die Wechselbeziehungen zwischen sämtlichen Klassen (Lenin, Was tun).

Inhalt unserer Agitation und Propaganda muss die ideologische Erziehung des Proletariats zur Klasse sein. Das Proletariat wird Klasse für sich nur werden können, wenn es lernt, mit den Wechselbeziehungen zwischen sämtlichen Klassen so umzugehen, dass sie seinem Kampf dienen. Sein Kampf aber zielt nicht ab auf einen Putsch im ökonomischen Bereich, erschöpft sich also nicht in Fabrikbesetzungen, sondern steuert hin auf die Umwälzung der ganzen Gesellschaft. Deshalb muss Inhalt unserer Agitation und Propaganda außerdem sein: ideologische Erziehung der Arbeiterklasse zum Sozialismus.

Was heißt das konkret?

Die Agitation und Propaganda unterstützt die Aufhebung der Konkurrenz zwischen den Parteiungen des Proletariats. Ihr Inhalt beantwortet immer wieder die Frage ‘wie wächst das Proletariat zur kämpferischen Klasse zusammen?’ durch Beispiele des solidarischen Kampfes von Proletariern und Proletarierinnen. Wir propagieren die Übernahme von Parolen der Arbeiterinnen und Jungarbeiter (z. B. Forderung nach 500 DM Lehrlingsgehalt) durch das gesamte Proletariat. Wir beschreiben und propagieren den Zusammenhang z. B. zwischen dem Kindergärtnerinnen-Streik und dem BVG-Streik in Berlin. Wir propagieren den proletarischen Internationalismus: der glorreiche Kampf der Chinesinnen, Vietnamesinnen, Palästinenserinnen, Black Pantherinnen wird die Proletarierinnen ermutigen, ihrem Beispiel zu folgen.

2. SCHULUNG

Die Grundschulung, zu der wir in unserer Agitation und Propaganda die Proletarierinnen motivieren wollen, wird der erste Schritt zu ihrer Organisierung sein. Warum? Weil sie dieselbe sein muss für alle Parteiungen des Proletariats. Sie muss einheitlich sein und zentral organisiert. Die Grundschulung wird durchgeführt an klassischen Texten, die von Marx über Lenin bis Mao eine einheitliche politische Linie aufweisen. Es geht darum, die Prinzipien dieser Linie sich anzueignen, sie zu instrumentalisieren für den Kampf des deutschen Proletariats. Nur auf diese Weise wird das Proletariat die seinem Kampf angemessene, aus ihm entwickelte und ihn weitertreibende Theorie als eine seiner Waffen bilden können. Welches sind die Prinzipien, die bei der Aufarbeitung der Kampferfahrungen dem deutschen Proletariat als Kriterien dienen können?

Erstes Prinzip:

Der Grundwiderspruch des Kapitalismus als die grundlegende proletarische Erkenntnis.

Zweites Prinzip:

Die Diktatur des Proletariats muss mit der Zerschlagung des bürgerlichen Staates errichtet werden. Was sind die Methode zu ihrer Sicherung und Entwicklung?

Drittes Prinzip:

Das dialektische Denken als Methode des proletarischen Kampfes und die Selbsterziehung der Massen zum sozialistischen Klassenbewusstsein.

Viertes Prinzip:

Kampf dem Revisionismus als Prüfstein der ersten drei Prinzipien. In der Aufbauschulung wird von den Kadern das erarbeitet werden, was Inhalt der Agitation und Propaganda sein wird. Es wird geleistet werden müssen eine kommunistische Kritik an den revisionistischen Parteien; zweitens das Studium der Geschichte der Arbeiterbewegung, um aus ihren Fehlern und aus ihren Siegen zu lernen; drittens das Studium der Geschichte der Organisierung der Proletarierinnen, die Analyse des internationalen glorreichen Kampfes der Frauen der unterdrückten Völker, das Studium der matriarchalischen Gesellschaft.

Einige der Proletarierinnen, die sich schulen werden, werden zur Unterbringung ihrer Kinder einen Kindergarten brauchen. Dieser Kindergarten wird Beginn einer Kinderorganisation sein, mit deren Aufbau aber nicht die Proletarierinnen primär betraut werden. Dieser Kindergarten wird nicht betriebsspezifisch sein, sondern mitten im Wedding liegen. Er wird ein Kinderhaus sein und eine Vielfalt von Organisierungen der Kinder in weiteren Kinderhäusern, Schülerläden usw. nach sich ziehen. Auf den Aufbau dieser proletarischen Kinderorganisation bereiten wir uns vor.

3. ORGANISIERUNG

Zentrale Organisierung kann nicht heißen Koordination der bestehenden arbeitenden Gruppen. Zentrale Organisierung heißt die Anstrengung auf sich zu nehmen, eine kampffähige und ideologisch gefestigte proletarische Organisation in allen proletarischen Bereichen zu bilden.

Im Augenblick ist eine Gruppe von Arbeiterinnen, Arbeitern, Hausfrauen, Studenten und Studentinnen dabei, sich auf die zur Erfüllung dieses Programms notwendigen Aufgaben vorzubereiten. Die Selbstschulung dieser Gruppe umfasst das hier beschriebene von ihr entwickelte Grundschulungs- und Aufbauschulungsprogramm. Oberstes Prinzip dieser Selbstschulungsarbeit ist ‚von den Massen lernen’.

Die Aufgaben, die von daher der Gruppe sich stellen, sind:

1. um Marxisten-Leninisten erst werden zu können, Erarbeitung einer Kritik und Selbstkritik der bisher von ihr betriebenen Praxis in den Betriebsgruppen, Frauengruppen und Kinderläden.

2. Hand in Hand damit die Entwicklung und Konkretisierung des hier vorgelegten Programms, d. h. vor allem Vorbereitung der Agitation und des für uns völlig neuen Arbeitsfeldes der Propaganda. Das Prinzip ‚von den Massen lernen, in die Massen tragen, aus den Massen schöpfen’ kommt in dieser ersten Etappe unserer Arbeit so zur Anwendung, dass wir überall dort, wo die Proletarierinnen sind, also auch in den Betrieben, kontrollierte Agitation betreiben nicht zum Zwecke einer Massenorganisierung zu diesem Zeitpunkt bereits, sondern um Analysen und Erfahrungen in der richtigen Argumentation machen zu können, auf denen unsere Propaganda dann aufbauen wird.

3. Sammlung und politische Zentralisierung aller Kräfte, die jetzt schon in der Richtung unseres Programms arbeiten, und zwar auf regionaler und nationaler Ebene.”

Die „Rotzmat“ geht in dieser Ausgabe u. a. auch die „Organisationsfrage“ ein. Dabei geht man davon aus, „dass wir als Intellektuelle nur dann die Möglichkeit einer sozialistischen Praxis haben werden, wenn diese sich bestimmt von den Erfordernissen des sozialistischen Kampfes an der Basis, d. h. des Klassenkampfes im Produktionsbereich“ leiten lässt. Die Mitglieder der „Roten Zellen“ müssten sich „am Grundwiderspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital orientieren“. Der „revolutionäre Kampf gegen den Kapitalismus muss an allen Fronten geführt werden, speziell von uns im Produktionsbereich und im Ausbildungsbereich“. „Außeruniversitäre Praxis“ müsse nicht heißen „Aufgabe des Studiums“, sondern „Ausnutzung der Privilegien für den Klassenkampf“.

Bekannt gegeben wird die Gründung des „ROSTA-Kino“ durch das „Sekretariat der Sozialistischen Filmkooperative“. Gezeigt werden soll am 31. Oktober: „Lenin in Polen“ und der „Lebendige Lenin.“

Reklame wird gemacht für:
- Jürgens Buchladen (West-Berlin)
- Buchhandlung Jürgen Hahn (Bochum)
- Buchhandlung Ingeborg Becker (Hannover)
- Kunst- und Bücherscheune Gustorff-Franksen (Bochum).
Q: Rote Pressekorrespondenz, Nr. 36, West-Berlin, 24.10.1969.

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