Hausbesetzung in Bonn, Breite Straße 77

Materialien zur Analyse von Opposition

Von Dietmar Kesten, Gelsenkirchen, Oktober 2013

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Hier soll der Inhalt der „Dokumentation: 6 Tage Breitestrasse 77, 26.5. - 1.6.‘89“ vorgestellt werden.

Danach wird die Breite Straße 77 in Bonn am 26.5.1989 besetzt „und 6 Tage später, am 1.6.1989 von einem Sonderkommando der Polizei geräumt“. Die Dokumentation stellt den Verlauf der Ereignisse zusammen und bemängelt „fehlende Artikel und Flugblätter aus anderen Regionen, die die Hausbesetzung im Zusammenhang“ erwähnen.

Wie bei den meisten Hausbesetzungen, so geht es auch hier um „billigen Wohnraum“, der die Bedürfnisse der Menschen befriedigen soll. Anstatt „Luxussanierungen“, „Einzelappartements“ oder der „Umsanierung von Altbauwohnungen“, die der Profitmacherei dienen, soll das „selbstbestimmte Leben“ mehr in den Mittelpunkt gerückt werden. Die Breite Straße 77“ gehöre der Stadt Bonn. Sie stehe „seit einem Jahr leer“. In der Straße stehen mehrere Häuser leer.

Über die Besetzer wird wenig gesagt. Aus Parolen, wie etwa „Solidarität mit den kämpfenden Gefangenen, räumt die Knäste, nicht die Häuser“ oder „Finger weg von der Hafenstraße“, könnte man schließen, dass sie dem autonomen Spektrum zuzurechnen sind.

Im Zuge der Besetzung wird eine „Volxküche“ eröffnet. Die Stadt wird dazu aufgefordert, „ihre angeblichen Sanierungspläne offenzulegen“. Verhandlungen werden gefordert. Es werden mehrere „BesetzerInnen-Infos“ herausgegeben, die sich mit der aktuellen Situation der Besetzung beschäftigen. Gefordert wird darin u. a.: „Verhandlungen, jetzt sofort“; „Keine Räumung während der Verhandlungsdauer“; „Keine weitere Überwachung der in der Breitestraße lebenden Menschen“; „Sofortige Aufnahme der Verhandlungen durch die Stadt Bonn“; „Keine Kriminalisierung der sich am und im Haus aufhaltenden Menschen“; „Rücknahme der Strafanträge“.

Die „Grünen“ erklären sich am 28.5. und am 30.5. mit den Besetzern solidarisch und kritisieren den „Leerstand von Wohnungen“. Die SPD äußert sich am 30.5. „empört“ darüber, dass die Stadt Bonn „offenkundig Wohnraum leer stehen“ lässt. Die DKP meint: „Lieber leer stehende Häuser besetzen als fremde Länder.“ Eine „Ordnungsverfügung“ der Stadt Bonn vom 30.5. weist darauf hin, dass die Besetzer „verfassungswidrig“ in das „städtische Haus Breitestraße 77 in Bonn“ eingedrungen seien. Angedroht wird die unmittelbare Zwangsräumung. Nach 6 Tagen Besetzung wird das Haus am 1.6. durch eine Sondereinheit der Polizei geräumt.

Auszug aus der Datenbank „Materialien zur Analyse von Opposition“ (MAO)

26.05.1989:
Laut „Dokumentation: 6 Tage Breitestraße 77“ wird am 26.5.1989 ein Haus in der Straße besetzt. Begründet wird die Besetzung damit, dass das Haus „seit mehreren Jahren leer stehen“ würde und dass die „Stadtväter das Haus verkommen“ lassen würden. Dahinter stecke „Profitgier“. Diese „Schweinerei“ würde man sich nicht gefallen lassen. Deshalb die Hausbesetzung. Aufgefordert wird dazu, Materialien zur Sanierung des Hauses mitzubringen. An wen sich die Aufforderung wendet, bleibt unklar. Forderungen und Parolen der Besetzer sind u. a.: „Gegen Wohnraumleerstand und Spekulantentum“; „Solidarität mit den kämpfenden Gefangenen“; „Räumt die Knäste, nicht die Häuser“.
Quelle: N.N.: Dokumentation: 6 Tage Breitestrasse 77. 26.5.-1.6.’89, Bonn, o. J. (1989), S. 4f.

27.05.1989:
Laut „Dokumentation: 6 Tage Breitestraße 77“ wird beschlossen, „auf die ersten Presseartikel zu reagieren, dass es sich bei der Besetzung nicht in erster Linie um eine Solidaritätsaktion mit der Hafenstraße handelt, sondern um ein eigenständiges Projekt mit einem realisierbaren Nutzungskonzept“. „Angebliche Instandbesetzungspläne der Stadt werden angezweifelt.“ Verhandlungen mit der Stadt werden gefordert. Der Tenor ist: Die Stadt soll „ihre angeblichen Sanierungspläne“ offenlegen.
Q: N.N.: Dokumentation: 6 Tage Breitestrasse 77. 26.5.-1.6.’89, Bonn, o. J. (1989), S. 7.

27.05.1989:
Laut „Dokumentation: 6 Tage Breitestraße 77“ erscheint das „BesetzerInnen-Info 2“. Bekannt gemacht wird darin u. a., dass wir „auf den Wohnungsmangel in Bonn und die Sanierungspolitik der Stadt (hohe Mieten und Büros statt Wohnungen) aufmerksam machen wollen“. Ein „Krisenstab“ bestehe bereits. Über eine Räumung würde es bereits klare Vorstellungen geben. Aufgrund von „Straßenbauarbeiten“ würde sich diese verzögern. Die Stadt Bonn wird dazu aufgefordert, ihre „Instandbesetzungspläne“ zu veröffentlichen.
Q: N.N.: Dokumentation: 6 Tage Breitestrasse 77. 26.5.-1.6.’89, Bonn, o. J. (1989), S. 8.

28.05.1989:
Laut „Dokumentation: 6 Tage Breitestraße 77“ erklärt sich der „Kreisverband Bonn“ der „Grünen“ „solidarisch mit den HausbesetzerInnen“. Gefordert wird von ihnen: „Keine Räumung des Hauses in der Breitestraße“; „Keine Kriminalisierung der BesetzerInnen“; „Keine Polizeiprovokationen“.
Q: N.N.: Dokumentation: 6 Tage Breitestrasse 77. 26.5.-1.6.’89, Bonn, o. J. (1989), S. 9 und 13.

29.05.1989:
Laut „Dokumentation: 6 Tage Breitestraße 77“ wird das Haus in der Breitestraße 77 observiert. Ein Polizeibeamter kündigt die Räumung an. Das „Bonner Hungerstreikplenum“ und das „Lust-Plenum“ werden „spontan ins Haus verlegt“. Ein „Info 3“ wird als „offener Brief an die Stadt formuliert“. Gefordert wird darin u. a.: „Keine Räumung während der Verhandlungsdauer“; „Keine weitere Überwachung der in der Breitestraße lebenden Menschen“; „Sofortige Aufnahme der Verhandlungen durch die Stadt Bonn“; „Keine Kriminalisierung der sich am und im Haus aufhaltenden Menschen“; „Rücknahme der Strafanträge“.
Q: N.N.: Dokumentation: 6 Tage Breitestrasse 77. 26.5.-1.6.’89, Bonn, o. J. (1989), S. 10f.

30.05.1989:
Laut „Dokumentation: 6 Tage Breitestraße 77“ werden „500 Unterschriften“ gesammelt. Sie unterstützen die Forderungen aus dem „Info 3“. Die „Presseerklärung der SPD“ empört sich darüber, dass in „Bonn offenbar Wohnraum“ leer steht. Die DKP begrüßt die „Besetzung des Hauses Breitestraße 77“ und „unterstützt … die Forderungen ohne Einschränkung“.
Q: N.N.: Dokumentation: 6 Tage Breitestrasse 77. 26.5.-1.6.’89, Bonn, o. J. (1989), S. 12f.

30.05.1989:
Laut „Dokumentation: 6 Tage Breitestraße 77“ wird vom Oberstadtdirektor der Stadt Bonn eine „Ordnungsverfügung mit Androhung von unmittelbarem Zwang und Aufforderung der sofortigen Vollziehbarkeit“ bekannt.
Q: N.N.: Dokumentation: 6 Tage Breitestrasse 77. 26.5.-1.6.’89, Bonn, o. J. (1989), S. 25ff.

31.05.1989:
Laut „Dokumentation: 6 Tage Breitestraße 77“ fordert der Oberbürgermeister der Stadt Bonn, Hans Daniels, „auf einer Veranstaltung des CDU-Kreisverbandes Bonn“ den Landesinnenminister Herbert Schnoor dazu auf, „sich für die sofortige Räumung des seit sechs Tagen besetzten Hauses, Breitestrasse 77 einzusetzen“. Es gebe „keine Verhandlungen mit Hausbesetzern“.
Q: N.N.: Dokumentation: 6 Tage Breitestrasse 77. 26.5.-1.6.’89, Bonn, o. J. (1989), S. 14.

Juni 1989:
Laut „Dokumentation: 6 Tage Breitestraße 77“ erklären sich im Juni u. a. die Bonner „SchülerInnenzeitung Fegefeuer“, die „Stadtzeitung akut“ und das „Info Bonn“ solidarisch mit den Besetzern.
Q: N.N.: Dokumentation: 6 Tage Breitestrasse 77. 26.5.-1.6.’89, Bonn, o. J. (1989), S. 22f.

01.06.1989:
Laut „Dokumentation: 6 Tage Breitestraße 77“ erscheint das „BesetzerInnen-Info 4“. Außerdem wird an diesem Tag „das am 26.5.1989 besetzte Haus Breitestraße 77 von der Polizei geräumt“. Dazu heißt es:

„In der Nacht von Mittwoch (31.5.) auf Donnerstag (1.6.) hat die Stadt die Breitestr. 77 räumen lassen, ohne vorher mit den BesetzerInnen auch nur ansatzweise in Verhandlungen zu treten. Während Beamte der Bonner Bereitschaftspolizei versuchten, die Vordertür zu öffnen, drangen gleichzeitig Sondereinheiten (Mobiles Einsatzkommando und GSG 9) von hinten ins Haus ein. Sie stürmten dann die Wohnräume, bedrohten die BewohnerInnen mit vorgehaltener Knarre und zwangen diese, sich bewegungslos auf den Boden zu legen. Mit brutaler Gewalt räumte die Polizei die Straße (eine Frau erlitt eine Gehirnerschütterung). Es wurden 16 Menschen festgenommen.“

Strafanträge seien gestellt worden. Die Räumung mache eines klar: „Die Stadt Bonn reagiert mit brutaler Gewalt, wenn ihr Konzept, billigen Wohnraum verfallen zu lassen, um durch Luxussanierungen größtmöglichen Profit rauszuschlagen, gestört wird … Die Stadt Bonn wird nichts gegen die Wohnungsnot unternehmen, wenn der politische Druck nicht stärker wird. Die Besetzung der Breitestraße 77 war ein erster Schritt, politischen Druck zu erzeugen.“

Forderungen sind:
- Rücknahme der Strafanträge
- Wohnraum für alle, die welchen brauchen
- Freigabe aller leerstehenden Gebäude.
Q: N.N.: Dokumentation: 6 Tage Breitestrasse 77. 26.5.-1.6.’89, Bonn, o. J. (1989), S. 16 und 28.

04.06.1989:
Laut „Dokumentation: 6 Tage Breitestraße 77“ erscheint vermutlich am 3. oder 4.6. das „BesetzerInnen-Info 5“. Darin wird auch auf eine Demo gegen die Räumung eingegangen, an der „ca. 200 Menschen“ (vermutlich am 1.6, d. Verf.) teilnahmen.

Gefordert wird:
- Keine weitere Räumung von besetzten Häusern
- Rücknahme der Strafanträge
- Wohnraum für alle
- Freigabe aller leerstehenden Gebäude.
Q: N.N.: Dokumentation: 6 Tage Breitestrasse 77. 26.5.-1.6.’89, Bonn, o. J. (1989), S. 24.

12.09.1989:
Zu den ersten Prozessterminen gegen Besetzer der „Breitestrasse 77“ am 12.9. und am 9. 10. erscheint das Flugblatt: „Kommt zu den Prozessen gegen die BesetzerInnen der Breitestr. 77“. Gefordert wird: „Rücknahme der Strafbefehle!“; „Einstellung der Verfahren“.
Q: N.N.: Kommt zu den Prozessen gegen die BesetzerInnen der Breitestr. 77, o. O., o. J. (1989).

Bonn_Breitestrasse_1989_01


Oktober 1989:
Vermutlich im September oder Oktober 1989 erscheint die „Dokumentation: 6 Tage Breitestrasse 77. 26.5.-1.6.‘89“.

In der Einleitung heißt es u. a.: „Am 26.5.89 wurde in Bonn, Breitestraße 77, ein Haus besetzt und 6 Tage später geräumt. Diese Dokumentation stellt zusammen, was an Informationen und Reaktionen zu der Situation gelaufen ist. Leider fehlen einige Artikel und Flugblätter aus anderen Regionen, die die Hausbesetzung im Zusammenhang erwähnten. Die Diskussion um Wohnungspolitik und selbstbestimmtes Leben muss weitergehen.

In Bonn, wie auch anderswo wird die Politik um Wohnraum nicht an den Bedürfnissen der Menschen die hier leben wollen ausgerichtet, sondern an den Interessen derer die daran verdienen. Überhöhte Mieten und akute Wohnungsnot sind direkte Folgen davon. Im Zuge der ‚Bonn wird 2000‘- Propaganda, werden immer weiter Luxushotels und Tiefgaragen gebaut. Anstatt Wohnraum zu schaffen, werden Räume zu Büros umfunktioniert. Der Trend zu Luxussanierungen oder z. B Mehrzimmerwohnungen in Einzelappartements umzugestalten um mehr Profite daraus zu ziehen, greift immer mehr um sich. Ehemals billigere Altbauwohnungen werden so umsaniert, dass sich nur noch wohlhabendere Leute die Mieten leisten können. Sozial Schlechtergestellte werden in Wohnghettos wie Tannenbusch oder Dransdorf verdrängt.

Auch in der Altstadt setzt sich zunehmend diese Wohnungspolitik durch, Menschen werden aus ihren Wohnungen vertrieben, weil sie sich die Mieten, nach einer Sanierung meist nicht mehr leisten können. Wohnungssuchende wundern sich dann, wenn Häuser wie die Breite Str.77, dass sich in städtischen Besitz befindet leer stehen und verkommen. Aus dieser Situation heraus wurde dieses Haus besetzt. Anwohner der Breite Straße beobachteten, dass das Haus seit über 1 Jahr leer steht. Das Haus in der Breitestr. ist aber nur eins von vielen leerstehenden Häusern. Wenig bekannt ist die Besetzung eines Hauses in der Heerstraße im Herbst 88. Es wurde mit der gleichen Begründung , wie bei der Breitestr. 77 geräumt und ist bis jetzt nur zugemauert. Nun heißt es, dass dieses Haus abgerissen werden soll, obwohl damals auch von Sanierungsplänen die Rede war. Die Breite Str.77 wurde wegen seiner zentralen Lage aber auch, wegen der zufälligen Gegebenheit der Baustellen auf der Straße ausgewählt. Diese Baustellen, die aufgrund der Straßensanierung sich direkt vorm Haus, als auch in den umliegenden Straßen befinden, ergaben, dass die Zufahrt zum Haus nur von einer Seite möglich war. Zu erwähnen bleibt noch, dass im Haus kein Alk oder andere Drogen gewünscht waren, nicht um Leute zu bevormunden, sondern um bei Diskussionen im Plenum, wie auch im Falle einer Räumung einen klaren Kopf zu haben.“

Weiter werden veröffentlicht:
- Zeitungsartikel über die Besetzung
- Solidaritätsschreiben (etwa der „Grünen“, der SPD und der DKP)
- Eine „Presserklärung“ der Besetzer
- Eine „Ordnungsverfügung der Stadt Bonn“
- Grußadressen.
Q: N.N.: Dokumentation: 6 Tage Breitestrasse 77. 26.5.-1.6.’89, Bonn, o. J. (1989).

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Letzte Änderungen: 25.10.2013

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