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Dortmund
Hoesch: Der Septemberstreik 1969

Materialien zur Analyse von Opposition

Von Jürgen Schröder, Berlin, 4.3.2005

Streikende Hoesch_Kollegen im September 1969Hier wird nur der Septemberstreik 1969 bei Hoesch Dortmund behandelt. Dieser löste eine bundesweite Welle von sog. 'wilden Streiks' aus, die sog. Septemberstreiks 1969. Diese führten innerhalb der bisherigen, eher auf Schüler- und Studenten ausgerichteten Außerparlamentarischen Opposition (APO) zur sog. 'proletarischen Wende', d.h. zur Wiederentdeckung des tot geglaubten Proletariats als revolutionäres Subjekt, welches in der Folge eifrig zu missionieren versucht wurde.

Roter Morgen (September 1969): Jetzt spricht die ArbeiterklasseHier aber erst einmal drei Tage Dortmund im September 1969 - natürlich handelt es sich bei den dargestellten Ereignissen durchweg um klar illegale Aktionen der Arbeiterschaft, die sich dabei strafbar machte, spielt das also bitte nicht zu Hause nach, liebe Kinder!

Auszug aus der Datenbank „Materialien zur Analyse von Opposition“ (MAO)

01.09.1969: 
Die Arbeiterbasisgruppen (ABG) der APO München berichten (vgl. 2.9.1969):"
Den Anfang hatten unsere Kollegen bei der Hoesch-Westfalenhütte in Dortmund gemacht. Sie haben nicht nur den ersten Schritt getan, der bekanntlich der schwerste ist, sondern sie haben zugleich ein Musterbeispiel dafür gegeben, wie der Streik organisiert und zum vollständigen Erfolg geführt werden kann.

DER STREIK UNSERER KOLLEGEN BEI DER HOESCH-WESTFALENHÜTTE

Im Oktober 1966 hatte der Hoesch-Konzern die Dortmunder Hörder-Hütten-Union aufgeschluckt. Danach sollte das Lohnsystem der hoescheigenen Westfalenhütte in Angleichung an die Union- und Phoenix-Hütte vom Leistungslohn auf Zeitlohn umgestellt werden. Als Übergangslösung wurde in der Westfalenhütte ein Zeitlohn mit Prämiensystem eingeführt, bei dem die Kollegen bei der Westfalenhütte aber effektiv weniger verdienten als die Kollegen bei der Union- und Phoenix-Hütte. Besonders galt das für das Walzwerk der Westfalenhütte. Die tatsächliche Angleichung der Löhne wurde von der Konzernleitung immer wieder mit dem Vorwand hinausgezögert, daß sowieso bald eine neue Arbeitsplatzbewertung eingeführt werde. Durch diese Hinhaltemanöver ergaunerten sich die Hoesch-Aktionäre besonders hohe Profite. Darüberhinaus hatten sie ebenso wie die anderen Stahlkonzerne die angeblich schlechte Lage in der Stahlindustrie dazu ausgenutzt, den Stahl künstlich zu verknappen und in der Hochkonjunktur die Stahlpreise dadurch innerhalb weniger Wochen von 320 DM auf 900 DM pro Tonne hinaufzutreiben.

Durch kommunistische Vertrauensleute erfuhren die Kollegen bei der Westfalenhütte von einem Brief der Konzernleitung an die Aktionäre, in dem aufgrund der guten Geschäftslage eine höhere Dividende versprochen wurde. Dann sammelten die Vertrauensleute (die ja zwar gewerkschaftlich organisiert sind, aber hier ganz unabhängig von der Gewerkschaft vorgingen) die Forderungen der einzelnen Abteilungen: Walzwerk 50 Pfg., Werkstatt vielleicht 20 Pfg. usw. Diese Vorschläge wurden diskutiert und daraufhin wurde eine einheitliche Forderung beschlossen: 20 Pfg. für alle. Bewußt wurde keine prozentuale Forderung gestellt, weil dann die Walzwerksarbeiter, die den verhältnismäßig niedrigsten Lohn bekamen, wegen ihres niedrigen Lohnniveaus weniger bekommen hätten als z.B. die Arbeiter in der Werkstatt, denen es egal gewesen wäre, ob sie eine Erhöhung bekommen hätten oder nicht (?,d.Vf.). Über den Betriebsrat stellten die Vertrauensleute DANN die Forderung nach einer Lohnerhöhung von 20 Pfg. an die Geschäftsleitung. Am Montagabend den 1. September beschloß die Geschäftsleitung das Gegenangebot: 15 Pfg. ab 1.12.1969. Dies sickerte zu den Vertrauensleuten durch, die darauf per Telefon vereinbarten, daß sie am Dienstagmorgen den Kollegen den Vorschlag machen, zum Verwaltungsgebäude zu ziehen und dort gegen das Ergebnis zu protestieren."

Laut 'Kursierendem Material an IGM-Schulen zu den Septemberstreiks 1969' (vgl. 25.8.1969, 2.9.1969) erhalten "die Arbeiter der metallverarbeitenden Industrie eine 8%ige Lohnerhöhung. Angebot des Vorstandes: 15 Pfennig Erhöhung ab 1.12.1969, anrechenbar auf die neuen Tarifabschlüsse (am 1.12.1969 läuft der alte Tarifvertrag aus). Die Westfalenhütte lehnt das Angebot ab. Die Betriebsräte der Werke Union und Phoenix empfehlen die Annahme."
=Kursierendes Material an IGM-Schulen zu den Septemberstreiks 1969,o.O. o.J. (1969),S.2;
Agitation Nr.2,München o.J. (1969),o. Numerierung


01.09.1969: 
Laut einer "Protokollnotiz" über eine Betriebsratsitzung - vermutlich der Dortmunder Hoesch Westfalenhütte -, soll bezüglich der vergleichbaren Löhne an Rhein und Ruhr erklärt worden sein, daß die "Hoesch-Hüttenwerke gegenüber diesen 15 Pfennig zurückliegen".
Das will "der Vorstand bei der nächsten Tarifbewegung ausgleichen". Der Betriebsrat fordert ab 1.9.1969 15 Pfennig mehr. Der "Geschäftsführende Ausschuß soll mit dem Vorstand verhandeln".
=N.N.:Protokollnotiz vom 1.9.1969,o.O. (Dortmund) 1.9.1969

02.09.1969: 
Bei Hoesch Dortmund beginnt, laut IMSF, ein zweitägiger Streik von 27 000 Arbeitern in allen drei Werken (vgl. 3.9.1969).
Dies sei der Funke für die Streikwelle gewesen. Der Organisationsgrad sei fast 100% in allen 3 Werken, die SPD-Betriebsgruppe habe allein auf der Westfalenhütte ca. 2 000 Mitglieder, auf ihren Versammlungen seien aber nur ca. 60 zugegen. Sie stelle bis auf 3 DKPler alle Betriebsräte und 60% der Vertrauensleute. Die DKP sei relativ stark, aber schwächer als die SPD, dafür aber aktiver. Sie gibt mit den 'Heißen Eisen' neben der Direktionszeitung 'Werk und Wir' die einzige regelmäßige Publikation heraus. Die SPD-nahe 'Westfälische Rundschau' berichte häufig über Hoesch. Grundlage für den Streik seien durch die Fusion der drei Werke entstandene Lohndifferenzen gewesen, sowie die Steigerung der Stahlpreise und die Zunahme der Arbeitsintensität.

Morgens um 6 Uhr gibt der Betriebsrat der Westfalenhütte den Vertrauensleuten die Ablehnung der Forderung nach 20 Pf. (vgl. 15.8.1969) bekannt. Es seien nur 15 Pf. angeboten worden, wozu die Betriebsräte von Union und Phoenix gestern schon zugestimmt hätten. Darauhin seien die Vertrauensleute in die Abteilungen gegangen und mit ihren Kollegen durch die Produktion gezogen. Den Anfang habe die Hochofen-Maschinenabteilung gemacht.

Um 9 Uhr sind, laut IMSF, alle 5 000 vor der Hauptverwaltung versammelt gewesen und haben 30 Pf. gefordert. Die DKP spricht allerdings nur von 1 500 Arbeitern, die spontan ihre Arbeitsplätze verlassen hätten.

Einem Lautsprecherwagen der Werksfeuerwehr wird die Luft aus den Reifen gelassen und er wird für die eigenen Zwecke übernommen, wozu laut IMSF, wohl zuerst ein Werkstudent die Idee hatte. Hier habe sich das Aktions- und Informationszentrum gebildet, welches die Funktion einer Streikleitung übernommen habe.

Hier sei auch die Diskussion geführt worden, in die zunächst der ADF-Bundestagskandidat Hans Müller in dem Sinne geredet habe, daß der Betriebsrat sich von der 30 Pf. Forderung nicht herunterhandeln lassen solle.

Ein Werkstudent habe betont, daß man sich nicht auf bürokratische Vertretungen wie Betriebsrat und Gewerkschaft verlassen dürfe, womit er die momentane Meinung der Mehrheit ausgesprochen habe, er sei aber auch auf die Ablehnung einer starken Minderheit gestoßen, die nicht auf eine antigewerkschaftliche Position habe gehen wollen.

Über diesen Werkstudenten äußert sich das IMSF an anderer Stelle auch in folgendem Zusammenhang:"
Die NPD hat während des Streiks überhaupt keine Rolle gespielt. Dagegen trat ein Werkstudent auf, der die antigewerkschaftliche Stimmung formulierte. Die NPD rief NACH dem Streik per Lautsprecher auf, aus der Gewerkschaft auszutreten."
Ein weiterer Zusammenhang zwischen dem Werkstudenten und der NPD wird allerdings nirgends angegeben und besteht wohl auch an dieser Stelle lediglich aus demagogischen Gründen.

Nach der Rede des Werkstudenten habe ein DKPler erklärt, daß zwar jeder reden dürfe, aber nicht gegen den Betriebsrat und die Gewerkschaft, denn die Gewerkschaft seien die Arbeiter selbst und nur mit der Gewerkschaft könne man Erfolge erzielen. Versuche der SPD zur Wahlpropaganda seien schnell abgeblockt worden. Mittags bietet die Direktion telefonisch 20 Pf. an.

Um 15 Uhr erklärt der Betriebsrat seine Unterstützung für die 30 Pf. Forderung.

Nachdem bekannt wird, daß der Werksschutz die Eingänge zur Hauptverwaltung wieder kontrolliert, begeben sich 1 000 Arbeiter in das Gebäude.

Nachmittags greift der Streik auch auf das Werk Phoenix über. Durch Falschinformationen des Betriebsratsvorsitzenden über den Streik auf der Westfalenhütte wird aber die Arbeit wieder aufgenommen.

Zwischen 16 und 17 Uhr gibt der Betriebsrat die Vertagung der Verhandlungen auf morgen bekannt.

Vermutlich gegen Abend erscheint eine zweiseitige Ausgabe der DKP-Betriebszeitung 'Heisses Eisen' (vgl. 28.7.1969, 8.9.1969) für die Westfalenhütte, von der die Titelseite eher aufwendig gedruckt ist, während auf der Rückseite in schwachem blauen Druck eine letzte Meldung von 20 Uhr von dem Weiterstreiken der Westfalenhütte und der Übernahme der 30 Pf. Forderung enthalten ist. Laut IMSF hatte dieses Flugblatt, von dem wir nur kurz das Großgedruckte zitieren:"
Alle Räder stehen still, wenn der Arbeiter es will! ...
30 Pfennig für alle sofort! ...
Arbeiter kämpfen nicht ohne Grund! ...
Solidarität ist gewerkschaftliche Pflicht! ...
Die da oben können nicht machen was sie wollen ... ...
Erfolg durch Solidarität und einheitliches Handeln!", eine wichtige Informationsfunktion für die Werke Phoenix und Union.

In der Nacht wird auf der Westfalenhütte, wo ständig 500 Arbeiter vor der Hauptverwaltung sind, bekannt, daß auch die beiden anderen Werke streiken.

Für den 'EXI' berichtet Jens Huhn:"
Über 3 000 Hoesch-Arbeiter der Frühschicht legten am 2. September in Dortmund die Arbeit nieder und setzten damit den Anfang für eine Streikwelle. Die Hoesch-Arbeiter zogen vor das Verwaltungsgebäude und hielten Teile davon durch ein mehrstündiges 'Sit-in' besetzt. In Sprechchören forderten sie eine sofortige Lohnerhöhung von 30 Pfennig pro Stunde. In Verhandlungen mit der Konzernelitung erreichten die Vertreter der drei Hoesch-Werke Phoenix, Union und Westfalenhütte leidglich eine Erhöhung von 20 Pfennig. Während die Betriebsräte der Werke Union und Phoenix diesem Ergebnis zustimmten, wurde es vom Betriebsrat der Westfalenhütte abgelehnt und weiter 30 Pfennig gefordert. Die Arbeiter der Werke Union und Phoenix schlossen sich dem Streik der Westfalenhütte an und zogen durch die Dortmunder Innenstadt zur Westfalenhütte wo sie sich mit den dort streikenden 20 000 Kollegen vereinigten. Die 24 000 Hüttenwerker haben so ihre Forderung nach einer sofortigen Lohnerhöhung von 30 Pfennig in der Stunde durchgesetzt."

Die Arbeiterbasisgruppen (ABG) der APO München berichten (vgl. 1.9.1969, 3.9.1969):"
Am DIENSTAGMORGEN informierten die Vertrauensleute die Kollegen von dem 15 Pfg.-Angebot der Geschäftsleitung und forderten gleichzeitig dazu auf, um 8 Uhr 50 zur Hauptverwaltung zu ziehen und zu protestieren. Um 9 Uhr legten etwa 300 Arbeiter in den Stahlwerken 1 und 2 und im Walzwerk die Arbeit nieder und ZOGEN DANN VON EINER HALLE ZUR ANDEREN, wo sich sofort die anderen Kollegen anschlossen. Die Kollegen zogen gemeinsam weiter zur Hauptverwaltung, gingen, soweit sie Platz hatten, auch hinein und 'BESETZTEN' DAS VERWALTUNGSGEBÄUDE. Der gewerkschaftliche Arbeitsdirektor kam aus dem Verhandlungszimmer und verkündete das neue Ergebnis: 20 Pfennig mehr ab sofort und 15 Pfg. mehr ab Dezember. Die Kollegen klatschten Beifall, denn das hieß ja ab Dezember 20 + 15 Pfg. Sie begannen, aus dem Verwaltungsgebäude zu strömen. Dabei fragten einige nochmals den Betriebsrat, und der erklärte ihnen, daß die 20 Pfg. mit der tariflichen Lohnerhöhung im Dezember verrechnet werden. Das hieß also, daß ab Dezember wieder nur die 15 Pfg. als übertarifliche Lohnerhöhung blieben. Einige liefen sofort raus und riefen es den Kollegen nach. Einer erschien mit einem roten Schild '30 Pfennig mehr Lohn für alle' und sofort haben mehrere tausend Arbeiter einen Sprechchor gebildet und 30 Pfennig gefordert. AB DIESEM AUGENBLICK WAR DIE FORDERUNG DER STREIKENDEN KOLLEGEN 30 PFENNIG MEHR! Inzwischen hatte die Betriebsleitung einen Lautsprecherwagen von der Betriebsfeuerwehr holen lassen, um ihr Angebot zu verkünden. Die Kollegen umringten ihn sofort und nahmen ihn in Besitz. Von da wurden dann die Diskussionen geführt, die ein Arbeiter leitete. Zu den noch nicht streikenden Abteilungen und zur Union- und Phoenix-Hütte wurden vom Verwaltungsgebäude aus Delegationen geschickt, um die Kollegen dort aufzufordern, sich dem Streik anzuschließen."

Für die DKP berichtet Fritz Noll (vgl. 3.9.1969):"
DIE 30 STUNDEN STREIK BEI HOESCH

Aus zehntausend Kehlen stieg der Gesang in den Himmel, ließ die Fenster des Verwaltungsgebäudes der Hoesch AG erzittern: 'So ein Tag, so wunderschön wie heute...'

Nach einem 30stündigen Streik, an dem sich insgesamt mehr als 27 000 Arbeiter der Westfalenhütte, von Phoenix und der Union beteiligten, nach einer 30stündigen Belagerung der Verwaltung des Hoesch-Konzerns stand es fest:

30 Pfennig pro Stunde mehr für alle ab 1. September! Nichtanrechnung dieser Lohnerhöhung auf den zu erwartenden neuen Tarifabschluß! Bezahlung der Streikschichten!

Ein Sieg der Arbeiter, der in beispielhafter Einheit, der mit vorbildlicher Disziplin und mit einer hohen Kampfmoral erfochten wurde. Der 2. und der 3. September waren für Dortmund, waren für die Metallarbeiter der eisenschaffenden Industrie denkwürdige Tage. Das Bewußtsein der eigenen Kraft, das Wissen um ihr Recht, das Erleben der großen Solidarität führten zu diesem Sieg, der weit über Dortmund hinaus von Bedeutung ist.

Schon Wochen und Monate zuvor hatte es auf der Westfalenhütte und in den anderen Werken des Hoesch-Konzerns zu gären begonnen. Die Produktion stieg. Die Belegschaft verringerte sich. Rationalisierung auf Kosten der Kumpel. Die Stahlpreise stiegen um 150 Mark pro Tonne. Die Aktionäre machten immer höhere Millionengewinne. Nur eins blieb unten. Der Lohn.

So brachten die Kumpel die Westfalenhütte in der Produktion an die zweite Stelle der Rangliste aller Stahlproduzenten an der Ruhr. In der Tabelle der Durchschnittslöhne aber fielen sie auf den achten Platz.

Sie wissen, daß ihren Frauen in den Läden immer höhere Preise abverlangt wurden. Sie erinnern sich an die Hitzeperiode, da ihnen ein paar Beutel Tee und ein bißchen Zucker angeboten wurden. Sie forderten mehr Lohn. Sofort und für alle. Betriebsräte und Vertrauensleute berieten, trugen der Direktion der Hoesch AG die Forderung vor. 15 Pfennig bot man ihnen an. Die Betriebsräte lehnten ab, und am frühen Morgen des Dienstags ging es wie ein Lauffeuer durch die Westfalenhütte: 'Wir schmeißen die Brocken hin, auf zur Verwaltung!'

In blauen und weißen Arbeitsanzügen, die roten, weißen, grünen oder grauen Schutzhelme aufgesetzt, so strömten sie aus den Werkstoren, formierten sich zu Zügen, kamen sternförmig zum Verwaltungsgebäude der Hoesch AG in der Eberhardstraße. '30 Pfennig' - riefen sie im Sprechchor. '30 Pfennig' - war auf den Rücken der Kumpel zu lesen. '30 Pfennig' stand auf den Verkehrsschildern, an denen die Stahlwerker vorbeigezogen waren. '30 Pfennig' - war auf das Straßenpflaster geschrieben. Ich weiß nicht, ob das Verwaltungsgebäude der Hoesch AG, ein alter, im Jugendstil erbauter Prachtbau mit neuem Seitenflügel, je solchen Besuch erhielt, wie er am Dienstagvormittag erschien. Arbeitsstiefel auf Marmorfliesen, Arbeiter auf den Teppichen, die ansonsten den Direktoren und ihrem Fußvolk vorbehalten bleiben. 'Ausbeuter - Ausbeuter!' - das Haus erbebte in seinen Grundfesten, als weit über 1 000 Kumpel das Verwaltungsgebäude besetzten und in Sprechchören ihrem Zorn Luft machten. Auf der Straße und in den Grünanlagen schwoll inzwischen die Menge auf über 5 000 Arbeiter an. Helm an Helm, Sirenen und immer wieder der rhythmische Sprechchor '30 Pfennig' machten auch dem letzten Beobachter klar: Die Belegschaft der Westfalenhütte hat sich wie ein Mann erhoben, und sie wird nicht eher weichen, bis ihre Forderung erfüllt ist. Vor der Tür des Zimmers im Direktionsgebäude, in dem der Vorsitzende des Vorstandes der Hoesch AG, Dr. Harders, mit seinen Arbeitsdirektoren Hölkeskamp und Siebert auf der einen, die Betriebsräte unter der Leitung ihres Vorsitzenden, Albert Pfeiffer, auf der anderen Seite verhandelten - vor dieser Türe standen die Kumpel und warteten. 30 Pfennig und keinen Pfennig weniger!

Es war 12 Uhr 40 am Dienstag, als vor dem Direktionsgebäude in die wartenden Kumpel ein Lautsprecherwagen der Werksfeuerwehr dirigiert wurde. Albert Pfeiffer, Betriebsratsvorsitzender, gab das Verhandlungsergebnis bekannt. 20 Pfennig wollte die Direktion bewilligen. Der Proteststurm der 5 000 war bis zum Borsigplatz zu hören.

'Wir machen weiter', '30 Pfennig, sofort', 'Wir lassen uns nicht verschaukeln', 'Hoesch-Malocher, erwache', 'Sie können zahlen', 'Wir sind keine Bettler', '30 Pfennig, dabei bleibt es!' - die Erregung der Arbeiter der Westfalenhütte stieg auf den Siedepunkt. Erneut wurde das Verwaltungsgebäude besetzt. 'Ausbeuter' schrei es aus Tausenden von Kehlen.

Der Lautsprecherwagen der Werksfeuerwehr wurde von den Streikenden besetzt, die Feuerwehrleute nach Hause geschickt. Fortan hatten die Streikenden ihren eigenen Leitstand, ihre eigene Radiostation, ihre Rednertribüne für eine Streikversammlung, die in Permanenz bis zum frühen Nachmittag des Mittwochs tagen sollte, bis zum Erfolg.

Die DKP-Betriebsgruppe der Westfalenhütte hatte inzwischen ein Flugblatt vor den Toren der Phoenix und der Union verteilt. Diese Initiative der DKP führte zur raschen Information der anderen Hoesch-Werke. Am Dienstagnachmittag waren mit der Mittagschicht der Westfalenhütte die ersten Kumpel von der Phoenix und der Union vor dem Verwaltungsgebäude erschienen.

Kein Zweifel mehr, die Stahlwerker machten Ernst und widerstanden allen Aufsplitterungsversuchen, die am Dienstagmittag gestartet wurden. So wiesen sie den Versuch eines Werkstudenten zurück, der versuchte, diesen Streik in eine antigewerkschaftliche Aktion 'umzufunktionieren'.

Am späten Nachmittag schloß sich der Betriebsrat einstimmig den Forderungen der Belegschaft an und versuchte ein neues Gespräch mit dem Hoesch-Vorstand aufzunehmen. Doch Dr. Harders und die Direktion ließen sich verleugnen. Man wolle erst später verhandeln, man lasse sich nicht unter Druck setzen.

Die Spekulation der Direktion war leicht zu durchschauen: Zeit gewinnen, die Arbeiter zersplittern, aufweichen, die Erregung abklingen lassen. Die Herren und Dr. Harders bissen auf Granit. Die Belagerung der Direktion ging weiter.

Die Nachtschicht kam nicht ins Werk, sondern vor die Verwaltung. Dort standen noch immer viele Arbeiter der Frühschicht. - 'Wir können 16 Stunden malochen, dann können wir auch 16 Stunden stehen!' 'Kollegen, die Teppiche in der Direktion sind weich, darauf kann man auch schlafen!'

Die Streiknacht begann. Die Frauen der streikenden Arbeiter kamen mit Kaffeeflaschen und Brötchen.

Kameras surrten, Blitzlichter flammten auf, und immer wieder die Stimme des jeweiligen Sprechers: 'Kollegen, wir lassen uns nicht weichmachen, entweder 30 Pfennig, oder wir bleiben wochenlang vor diesem Haus.'

Solidaritätstelegramme trafen ein. Aus Rotterdam (in den Niederlanden,d.Vf.). Aus Hohenlimburg (heute Hagen,d.Vf.), aus dem Federnwerk. Aus dem Profileisenwerk in Schwerte. Das Oxygen-Werk von Hörde schloß sich dem Streik an. Das Selbstbewußtsein der Arbeiter stieg von Stunde zu Stunde. Da gab es Stahlwerker, mit dem Schutzsieb am Helm, Männer vom Ofen, die seit 18 Stunden vor der Direktion standen.

Auf die Frage des Vertreters einer Lokalzeitung, ob sie nicht befürchteten, daß Polizei kommen könne, höre ich die Antwort aus dem Munde eines Zwei-Meter-Kumpel: 'Dann kippen wir hier die Bude um!'"

Laut 'Kursierendem Material an IGM-Schulen zu den Septemberstreiks 1969' (vgl. 1.9.1969, 3.9.1969) beginnt morgens um 9 Uhr eine "Sitzung des Hauptausschusses (Vorsitzende der Betriebsräte und Arbeitsdirektoren).
- Diskussion des Angebots des Vorstandes. Betriebsräte haben die Vertrauensleute informiert; Vertrauensleute machen das Angebot in den Werken publik; in der Frühstückspause ziehen 3 000 Arbeiter der Frühschicht der Westfalenhütte vor die Hauptverwaltung, wo der Hauptausschuß tagt. Die Bewegung ging wahrscheinlich von der Betriebsschlosserei aus. Sie fordern, daß 20 Pfennig ab 1.9.1969 ohne Anrechnung auf die neuen Tarifabschlüsse sofort zugestanden werden.

11 Uhr 05: Bekanntgabe, daß der Betriebsrat mit dem Vorstand in Verhandlungen eingetreten ist. Diskussion der Arbeiter - Unwillen über die Verzögerung. Die Forderung nach 30 Pfennig wurde laut und über Lautsprecher verbreitet.

11 Uhr 45: Der Betriebsratsvorsitzende gibt das Verhandlungsergebnis bekannt: 20 Pfennig ab 1.9.1969, nicht anrechenbar bei den neuen Tarifabschlüssen. Der Betriebsrat wird aufgefordert, 30 Pfennig zu fordern. Über die neue Forderung wird unter den Arbeitern abgestimmt. Die DKP verteilt Flugblätter der Betriebsgruppe (80 Mitglieder), in denen die 30-Pfennig Forderung erhoben und begründet wird.

14 Uhr 45: Nach Beratung stellt sich der Betriebsrat der Westfalenhütte und der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Pfeiffer hinter die 30-Pfennig Forderung.

15 Uhr 30: Betriebsrat und Vorstand treten zu neuen Verhandlungen zusammen. Sie sind beschlußunfähig, weil Harders und andere Vorstandsmitglieder durch einen Hinterausgang entwichen sind.

18 Uhr: Die Betriebsräte der Werke Phoenix und Union treten zu Sondersitzungen zusammen und schließen sich den Forderungen der Westfalenhütte an."

Später berichtet die DKP:"
Zwei Tage waren es im September 1969, zwei Tage, an denen die Stahlwerker von Hoesch einen großen Erfolg errangen, an denen sie für die arbeitenden Menschen im ganzen Land ein Signal setzten. Was lag an? Seit Wochen und Monaten hatte es im Werk Westfalenhütte gegärt, denn die Produktion stieg. Die Belegschaft verringerte sich. Der Stahlpreis stieg um 150 DM die Tonne. Die Gewinne kletterten wie die Preise für Lebensmittel, Wohnung, Industriewaren. Aber die Belegschaft der Westfalenhütte lag in der Lohnskala auf dem 8. Platz in NRW. Tarifverhandlungen standen für den Herbst an, aber die Bosse verschleppten. Der Betriebsrat verhandelte: Voraberhöhung der Stundenlöhne für alle. Dr. Harders bot 15 Pfennige. Da warfen die Kollegen die Brocken hin, 30 Pfennige für alle, keinen Pfennig weniger. Die Schicht verließ die Hallen, marschierte zum Verwaltungsgebäude. 30 Stunden wurde gestreikt, 30 Stunden wurde das Verwaltungsgebäude besetzt, belagert. Die Werke Phoenix und Union streikten. Die Streikenden demonstrierten durch die Stadt, klärten die Bevölkerung über ihre Forderungen auf. 'Alle Räder stehen still, wenn der Arbeiter es will', das war eine Erkenntnis, eine schnell geschriebene Losung auf einem Transparent, das war die eigene Praxis, denn die Räder bei Hoesch standen still. Die Arbeiter zeigten ihre Macht - ohne sie geht nichts, ohne Haders und Co. geht's sehr wohl.

Heiße Eisen erschien mit Sonderausgaben. Die Schlagzeilen: 30 Pfennige für alle sofort! Arbeiter kämpfen nicht ohne Grund! Solidarität ist gewerkschaftliche Pflicht! Die da oben können nicht machen, was sie wollen! Efolg durch Solidarität und einheitliches Handeln!

Die BILD-Zeitung erscheint. Nichts vom Streik, wohl aber die Zeile über ein im Klostergarten verführtes Mädchen. Empörung bei den Kumpels. Die BILD-Zeitung, Springers Verdummungs-Blatt, wird verbrannt.

Solidarität! Aus Rotterdam, aus Hohenlimburg (heute Hagen,d.Vf.), aus Schwerte trafen Solidaritätsbeweise ein. Nein, die kämpfende Hoesch-Belegschaft stand nicht allein.

Nach 30 Stunden war Dr. Harders in die Knie gezwungen: 30 Pfennige ab 1.September für alle, volle Bezahlung der Streikschichten, keine Anrechnung der 30 Pfennige auf das kommende Tarifergebnis."

Die KPD/ML-ZK bei BASF Ludwigshafen (CPK-Bereich - vgl. 1.4.1971) berichtet, man müsse sich selbst für die Lohnforderungen einsetzen:"
Die Kollegen vom Hoesch-Konzern in Dortmund haben es uns vorgemacht. Im September 1969 forderten sie außerhalb der Tarifverhandlungen 30 Pfg. mehr Betriebszulage. Der Vorstand bot aber dem Betriebsrat nur 15 Pfg. an. Der Betriebsrat informierte die Vertrauensleute, die Vertrauensleute informierten ihre Kollegen und nach einer Stunde stand die ganze Belegschaft, 5 000 Mann, vorm Vorstandsgebäude. Gleichzeitig traten die Kollegen in den Zweigwerken von Hoesch in den Streik. Alle vereint zogen in einer machtvollen Demonstration durch die Dortmunder Innenstadt. Nach zwei Tagen hatten die Arbeiter gesiegt. Die Direktion mußte der 30 Pfg.-Forderung nachgeben UND NOCH DAZU DIE STREIKTAGE BEZAHLEN.

Die Gewerkschaftsfunktionäre und einige Betriebsräte wehrten sich mit Händen und Füßen gegen den wilden Streik und jammerten über den Betreibsfrieden. Die Arbeiter schoben diese Verräter beiseite und setzten ihre Forderungen aus eigener Kraft durch.

Berichtet wird auch in:
- NRW in Dotmund bei Hoesch durch die KPD (vgl. 9.8.1971).
=Kommunistische Arbeiterpresse Hoesch Nr.1,Dortmund Aug. 1971,S.4;
Der Rote Funken Extra,Ludwigshafen 1.4.1971,S.2;
Kursierendes Material an IGM-Schulen zu den Septemberstreiks 1969,o.O. o.J. (1969),S.2;
Unsere Zeit Nr.24,Essen 11.9.1969,S.3;
Agitation Nr.2,München o.J. (1969),o. Numerierung;
Express International Nr.81,Frankfurt 19.9.1969,S.6;
IMSF:Die Septemberstreiks 1969,Frankfurt Nov. 1969;
Heisse Eisen,Dortmund 2.9.1969;
DKP-Hoesch-Betriebsgruppen Westfalenhütte und Phoenix:Heisse Eisen 1968-1978,Dortmund o.J. (1978),S.6f


03.09.1969: 
Bei Hoesch Dortmund (vgl. 2.9.1969, 10.9.1969) finden morgens, laut IMSF, drei Demonstrationen von Union zur Hauptverwaltung (HV) auf der Westfalenhütte statt, mit 2 000, 1 000 und im letzten Zug 400 Teilnehmern. Diese Demonstrationen wurden von den sozialdemokratischen Vertrauensleuten organisiert, obwohl der Betriebsratsvorsitzende davon abriet. Als vor der HV bekannt wird, daß auch Kollegen vom Werk Phoenix auf dem Marsch sind, kommt die Idee einer Demonstration auf.

Kurz vor 10 Uhr werden die 3 Betriebsratsvorsitzenden der Werke zu einer Besprechung mit der Direktion an unbekanntem Ort abgeholt. Als dies bekanntgegeben wird, führt es zu heftiger Empörung.

Schließlich demonstrieren um 10 Uhr alle bis auf 100 - 200 Mann zur Bewachung des Lautsprecherwagens in die Stadt, wobei alle NPD-Plakate am Wegrand vernichtet werden. In der Innenstadt treffen sich die Züge, so daß fast 10 000 Demonstranten in ihren Blaumännern versammelt gewesen seien. Die Polizei sei offen freundlich gewesen und habe den Verkehr geregelt.

Um 12 Uhr 30 sei die Demonstration vorbei gewesen, um 13 Uhr 30 seien die Betriebsratsvorsitzenden zurückgekehrt und hätten die Verhandlungsergebnisse, Zahlung der 30 Pf. und Bezahlung der Streiktage bekanntgegeben. Daraufhin sei die Arbeit geschlossen wieder aufgenommen worden.

Die Arbeiterbasisgruppen (ABG) der APO München berichten (vgl. 2.9.1969):"
Am MITTWOCH streikte die gesamte Belegschaft der Westfalenhütte, und die Belegschaften der Union- und Phoenix-Hütte hatten sich dem Streik angeschlossen.

Die 'Süddeutsche Zeitung' (SZ,d.Vf.) schrieb damals am 4.9.: 'Am Dienstag wehten über den Köpfen mehrerer tausend Demonstranten rote Fahnen, und am Mittwoch, als fast alle 23 000 Stahl- und Hüttenwerker vom Streik mitgerissen worden waren, trugen die Transparente nicht nur die sachliche Forderung '30 Pfennig mehr', sondern auch das klassenkämpferische Schlagwort 'AUSBEUTER'. Am Mittwoch wurde wieder das Verwaltungsgebäude besetzt, diesmal auch das Büro des Vorstandsvorsitzenden Dr. Harders. Mit Transparenten, auf denen unsere Kollegen ihre 'Interessenvertreter' beim Namen nannten ('ARBEITERVERRÄTER') und von der Stärke der Arbeiter gegen die Unternehmer und gegen die Gewerkschaften sprachen ('ALLE RÄDER STEHEN STILL, WENN DER ARBEITER ES WILL', 'NICHT DIE BONZEN, DIE ARBEITER BESTIMMEN') zogen die streikenden Kollegen in einer Demonstration durch die Dortmunder Innenstadt. Als sie zum Verwaltungsgebäude zurückkehrten, wurde bekanntgegeben: der Vorstand hat die 30-Pfennig-Forderung und die Bezahlung der Streikschichten akzeptiert."

Für die DKP berichtet Fritz Noll (vgl. 3.9.1969):"
Am Mittwochmorgen wird klar: dieser Streik springt auf immer mehr Werke über. Phoenix liegt still. Union liegt still. Die Frühschicht dieser Werke demonstriert zum Verwaltungsgebäude. Weit über 15 000 Arbeiter versammeln sich um den roten Feuerwehrwagen, der als Leitzentrale des Streiks dient.

Die ersten Zeitungsberichte werden verlesen. Dann eine Szene, die typisch ist für diesen Streik. Tausende 'Bildzeitungen' brennen. Das gewerkschaftsfeindliche Springer-Blatt hatte dem Streik keine Zeile gewidmet, dafür aber auf Seite eins die Zeile gebracht 'Mädchen im Klostergarten verführt'.

Wieder besetzen die Arbeiter das Direktionsgebäude, dringen in das Zimmer von Dr. Harders ein. Der Vorstandsvorsitzende, Aufsichtsrat in zwölf Werken, mehrfacher Millionär, ist nicht aufzufinden. Der Vorstand tagt an einem geheimen Ort, heißt es. Vor dem Eingang eine Puppe, darauf das Schild: Dr. Harders. Daneben ein Schild: 'Hoesch, ein Name für Stahl und billige Löhne!'

Dann ein Sternmarsch der Kumpel durch die Dortmunder Innenstadt. Über 20 000 sind es, die durch die Stadt demonstrieren. 'Ausbeuter - Ausbeuter' rufen sie, '30 Pfennig'. Der Verkehr ruht, die Ampeln stehn auf Rot, und rot sehen alle Arbeiter, wenn sie Wahlplakate der NPD sehen. Kleinholz bleibt zurück, wo vorher Stellschilder der Neofaschisten standen.

Vor der Direktion geht die Streikversammlung weiter. Arbeiter am Mikrophon. Dann werden die Betriebsräte der drei Stahlwerke an den geheimen Ort zum Vorstand der Hoesch AG gefahren. Der Sternmarsch der Streikenden durch die Stadt trifft wieder vor der Direktion ein. Die Spannung steigt.

In den Mittagsstunden erscheint der Betriebsrat. Kollege Pfeiffer tritt ans Mikrophon. Man kann eine Stecknadel zu Boden fallen hören. Dann hört es jeder:

30 Pfennig für alle. Ab 1. September. Keine Anrechnung auf den zu erwartenden Tarif. Bezahlung der Streikschichten.

Die Spannung löst sich: 'So ein Tag, so wunderschön wie heute...' Ich sehe, wie manche schwielige Hand am Auge wischt. Man klopft sich auf die Schulter. Man lacht und umarmt sich.

27 000 Hüttenwerker von Hoesch haben den Konzerngewaltigen gezeigt, daß die da oben nicht machen können, was sie wollen. 27 000 Arbeiter haben gezeigt, was aktive Lohnpolitik heißt. Sie haben bewiesen, daß Arbeiter Berge versetzen können, wenn sie einig und entschlossen handeln. Sie holten sich von Hoesch, was sie zum Leben brauchen. Sie holten sich das Nötigste, mehr nicht.

Sie mußten dafür streiken. Was wäre, wenn sie mitzubestimmen hätten über die Verteilung der Gewinne, über Investitionen, Löhne? Dr. Harders, der sicherlich 30 Mark in ein paar Minuten erhält, aber nicht verdient, ließ sich von einer 20köpfigen Polizeileibgarde schützen. Er war arrogant und spielte den starken Max. Er wurde klein und mußte zahlen, als der Kumpel vor der Direktion erschien.

Am Mittwoch traf ich mitten unter den Streikenden Manfred Kapluck, Bezirksvorsitzender der DKP von Ruhr-Westfalen. Er sagte mir:

''Das hat Dortmund seit Jahren nicht erlebt. Das überraschte gewisse Politiker. Zehntausende Arbeiter in den Straßen der Stadt. Die Arbeiterklasse in Dortmund im aktiven Kampf für ihre Interessen. Da ich mit ihnen demonstrierte, konnte ich mich davon überzeugen. Von ihrem Kraftbewußtsein, von ihrem Wort: Alle Räder stehen still, wenn der Arbeiter es will.

Die Furcht, der Hoescharbeiter-Streik könnte Schule machen, zwang die Unternehmer vorfristig an den Verhandlungstisch in der eisen- und stahlerzeugenden Industrie. In Kürze soll diese Lohnrunde beginnen. Die Ouvertüre dazu wurde in Dortmund von 27 000 Arbeitern gespielt. Wir unterstützen die Gewerkschafter, die 15 Prozent und keinen Pfennig weniger fordern.

Der Streik zeigt uns: Soziale Sicherheit, Sicherung des Arbeitsplatzes, ausreichenden Lohn garantieren nicht die Parteien, die vom Hoeschkonzern ausgehalten werden. Sie sind nur mit der gewerkschaftlichen Kraft im organisierten Kampf um höhere Löhne und qualifizierte Mitbestimmung durchzusetzen.'"

Laut 'Kursierendem Material an IGM-Schulen zu den Septemberstreiks 1969' (vgl. 2.9.1969, 4.9.1969) wird "der Streik fortgesetzt. Die Arbeiter von Union und Phoenix gehen statt zur Frühschicht von ihren Werken zur Hauptverwaltung.

8 Uhr: Betriebsräte und Vorstand treten zu getrennten Sitzungen zusammen. 15 000 Arbeiter sammeln sich vor der Hauptverwaltung, - d.h. nicht nur Arbeiter der Frühschicht. Demonstrationszug von ca. 8 000 Arbeitern durch Dortmund.

11 Uhr 15: Die Betriebsratsvorsitzenden der drei Werke fahren zum Vorstand, der auswärts tagt, zu Verhandlungen.

13 Uhr 25: Verhandlungsergebnis wird bekanntgegeben: 30 Pfennig ab 1.9.1969, nicht anrechenbar auf spätere Tarifabschlüsse, Bezahlung der ausgefallenen Schichten".

Die KPD/ML-ZB berichtet ohne genaues Datum, vermutlich frühestens von heute, daß "die NPD bei Hoesch in Dortmund Flugblätter verteilte, mit der Hauptparole: 'Denkt an Deutschland - streikt nicht für höhere Löhne!'"
=Kommunistischer Nachrichtendienst Nr.53,Bochum 14.7.1971,S.7;
Kursierendes Material an IGM-Schulen zu den Septemberstreiks 1969,o.O. o.J. (1969),S.2f;
Unsere Zeit Nr.24,Essen 11.9.1969,S.3;
Agitation Nr.2,München o.J. (1969),S.22 bzw. o. Numerierung;
IMSF:Die Septemberstreiks 1969,Frankfurt Nov. 1969;
Heisse Eisen,Dortmund 2.9.1969




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