Bochum: Das Berufsverbot gegen Norbert Osswald

Materialien zur Analyse von Opposition

Von Jürgen Schröder, Berlin, 9.3.2011

Norbert Osswald tritt bereits Ende 1969 in Bochum als presserechtlich Verantwortlicher für linksradikale Publikationen auf (vgl. Nov. 1969) und wird auch im Zuge der Polemik innerhalb der KPD/ML von der konkurrierenden Fraktion KPD/ML-Revolutionärer Weg um Willi Dickhut als Kader der damaligen Betriebsgruppe 1 (B1) öffentlich denunziert (vgl. 1.1.1970, 10.1.1970), später gehört er dann der KPD/ML-Zentralbüro an, übernimmt für diese ab April 1971 die Rolle des zentralen presserechtlich Verantwortlichen der betrieblichen und örtlichen Publikationen (vgl. 12.4.1971, 15.8.1972).

Osswald ist damals als nebenamtlicher Lehrer für Mathematik und Physik an den Städtischen Bildungsanstalten Bochum tätig und wird mit Berufsverbot belegt (vgl. 14.6.1972), was seine Schüler - soweit sie sich dem Bochumer Lehrlings- und Schülerkollektiv (BLSK) verbunden fühlten - als Angriff auch auf sich selbst verstehen, auch die Razzia in ihrem Wohnkollektiv entsprechend einordnend (vgl. 16.6.1972, Juli 1972), die dann auch zur Bildung der Roten Hilfe (RH) Bochum führt.

Die KPD/ML-ZB sieht ihre Kampagne zwar als erfolgreich an (vgl. 10.7.1972), trotzdem aber kommt es im Januar erneut zu Protesten gegen das immer noch akute Berufsverbot (vgl. Jan. 1973, 25.1.1973, 1.2.1973), wobei dies nun auch in Dortmund den Anlass zur Gründung eines Solidaritätskomitee zur Unterstützung aller politisch Verfolgten bietet, aus dem dann später die Rote Hilfe (RH) Dortmund hervorgeht.

Beeindruckend erscheint vor allem die Breite des Bündnisses, die so wohl nur in sehr wenigen Fällen von Berufsverboten erreicht werden konnte (vgl. Apr. 1973).

Auszug aus der Datenbank „Materialien zur Analyse von Opposition“ (MAO)

November 1969:
Die Nr.2/3 der 'Bochumer Arbeiterzeitung' (BAZ) erscheint als Doppelnummer für November/Dezember (vgl. Okt. 1969). Sie wird herausgegeben vom Komitee Sozialistischer Arbeiter und Studenten. Verantwortlich ist Norbert Oßwald, Bochum.
Quelle: Bochumer Arbeiterzeitung Nr.2/3,Bochum Nov./Dez. 1969

01.01.1970:
Laut 'RW' formuliert Peter Weinfurth in einem Brief an den Landesvorsitzenden der KPD/ML-NRW, Willi Dickhut über die B1 Bochum und die Vietnamdemonstration vom 20.12.1969:"
Christoph Ebner, der Zentrist, der aber für die B1 die ganze Demonstration und überhaupt die ganzen Arbeit organisiert hat, nichtsdestoweniger aber ständig Rote Garde Mitglied werden wollte, hat uns nun nach der Demonstration klar zu verstehen gegeben, wes Geistes Kind er ist. Er will jetzt zusammen mit der B1 im Ruhrgebiet ein sogenanntes SALZ gründen, was ich übrigens richtig bereits im Bericht an das ZK über trotzkistische Tendenzen im Ruhrgebiet angekündigt hatte, als Stephan Bock zum Beispiel noch den Norbert Osswald (genannt Paule) und den Christoph Ebner in die Partei rüberziehen wollte."
Q: Revolutionärer Weg Nr.1,Solingen 1971

10.01.1970:
In Bochum beginnt eine weitere zweitägige Konferenz der Ruhrgebietsgruppen (vgl. 20.12.1969, 12.3.1970). In einem Bericht von Werner Lehrke (1969 Mitglied des Redaktionskollektivs von 'Was Tun?', später Mitglied der KPD/ML-ZK) heißt es, laut 'RW':"
Gerd Genger von der B1 verlas ein selbstkritisches Referat über die bisherige Tätigkeit der B1 und schlußfolgerte die Notwendigkeit des Aufbaus einer marxistisch-leninistischen Partei als Tagesaufgabe. Norbert Osswald (später Mitglied der KPD/ML-ZB) erklärte, die Stellungnahme Gengers sei als Plattform für eine ideologische Diskussion mit der KPD/ML gedacht. Ellen Widmaier (später KPD/ML-ZK) meinte verbittert, nun würde die KPD/ML bald sehr stark, was sie aber nicht abhielt, nach einigen Wochen der Bochumer KPD/ML (Aust-Gruppe) beizutreten. Welche Schlußfolgerungen zog die B1 aus dieser Konferenz? Das geht aus ihrem darauf folgenden Protokoll hervor: 'Auf Grund der am Sonntag stattgefundenen Delegiertenkonferenz, an der Vertreter von 35 Gruppen aus dem Ruhrgebiet teilnahmen, sind wir gezwungen, unsere Arbeit zu forcieren. Auf dieser Konferenz haben unsere Vertreter als einzige eine klare Linie aufgezeigt und deshalb den Führungsanspruch herausgestellt."

Mit knapper Mehrheit von 15 zu 13 Stimmen wurde, laut einem Protokoll, der B1-Antrag auf Besetzung der Redaktion durch einen B1-Vertreter, 3 Vertreter der drei Wuppertaler Gruppen, einen Vertreter der Lüdenscheider Gruppe und einen Vertreter der GUPA Palästina beschlossen, wobei die nicht mehr anwesende GUPA durch die beiden Protokollanten ersetzt wurde. Die von der B1 beantragte Berichtspflicht der Gruppen an die Redaktion war zuvor mit 26 zu 12 Stimmen abgelehnt worden.
Q: Revolutionärer Weg Nr.1,Solingen 1971

12.04.1971:
Die Nr.2 der 'Rutsche' der Betriebsgruppe Zeche Minister Stein Dortmund der KPD/ML-ZB und des KJVD (vgl. 7.4.1971, 21.4.1971) erscheint vermutlich in dieser Woche unter Verantwortung von Norbert Osswald, Bochum.
Q: Die Rutsche Nr.2,Dortmund Apr. 1971

14.06.1972:
In Bochum wird, laut KPD/ML-ZB, ihr Mitglied Norbert Osswald aus dem Schuldienst als nebenamtlicher Lehrer für Mathematik und Physik an einer Städtischen Berufsschule "wegen politischer Tätigkeit" entlassen. Dagegen demonstrieren in Bochum zunächst ca. 100 Berufsschüler und fordern die sofortige Wiedereinstellung.

Der KJVD der KPD/ML-ZB berichtet über das BV:"
Die Entlassung von Norbert Osswald ist ein Versuch, das Berufsverbot für Kommunisten und Demokraten im öffentlichen Dienst durchzusetzen. Gegen dieses Berufsverbot haben Jusos, demokratische Studentenverbände, Gewerkschaftsjugend, Funktionäre des Landesjugendrings in NRW, die Beamtenjugend, SPD-Bezirksparteitage und viele andere, Tausende von fortschrittlichen Menschen, protestiert."
Gegen die Entlassung konstituiert sich in Bochum ein Aktionskomitee. Vor allem schließen sich in Bochum der KJVD und das Bochumer Lehrlings- und Schülerkollektiv zusammen. An einer vermutlich zweiten Demonstration (vgl. 19.6.1972) beteiligen sich Mitte Juni, laut KJVD, über 1 000 Lehrlinge, Jungarbeiter, Studenten und Werktätige.

Berichtet wird vom KJVD auch bei Opel Bochum (IGM-Bereich - vgl. 15.8.1972).
Q: Der Kampf der Arbeiterjugend Nr.6,Bochum,Juli 1972; Rote Fahne Nr.13,Bochum 28.6.1972,S.3;unvollständiges Dokument (vermutlich:Die Presse),Bochum o.J. (15.8.1972),vermutlich S.6

16.06.1972:
Laut KB "stürmten etwa 30 Kriminalbeamte mit MP-Bewaffnung eine Wohnung von Genossen des Sozialistischen Lehrlingskollektivs in Bochum" (BSLK).

Nach einem Bericht der 'Bochumer Studenten Zeitung' tritt die Rote Hilfe (RH) Bochum anläßlich der Verhaftung von Mitgliedern des Wohnkollektivs Bergstraße erstmals in Aktion. U.a. werden einige von ihnen wegen Verdacht der Zugehörigkeit zur RAF festgenommen (vgl. 21.6.1972). Sie veranstaltet eine Demonstration, an der ca. 2 000 Menschen teilnehmen, u.a. auch die Gruppen:
- Projektgruppe Brelohstraße (PGB),
- GOG Opel Bochum (IGM-Bereich),
- Sozialistische Abteilungsgruppen (SAG).

Der AStA der PH Dortmund (vgl. 26.6.1972) berichtet:"
Am 16.6. drangen einige mit MP's und durchladenen Pistolen in die Räume des Bochumer Schüler- und Lehrlingskollektivs ein. Ohne einen Hausdurchsuchungsbefehl vorzulegen, stellte man alles auf den Kopf. Unterlagen und Protokolle wurden beschlagnahmt, mehrere Mitglieder des Kollektivs wurden festgenommen, Stundenlange Verhöre, Verhaftung einiger Genossen und Beschlagnahme der Papiere wurden damit begründet, daß man diese Adresse bei Ulrike Meinhof gefunden hätte unter 50 anderen Adressen. Es bestehe der dringende Verdacht, daß die Genossen die BMG aktiv unterstützt hätten (ausführlicher Bericht hierüber in der BSZ (der RUB,d.Vf.) vom 22.6.1972)."

Die Junge Garde (JG der IAK – vgl. Juli 1972) berichtet, dass die Rote Hilfe Bochum und der AStA ein Teach-In "Freiheit für Krombach" organisierten, von dem aus 2 000 zum Polizeipräsidium demonstrierten.
Q: Junge Garde Nr.13,Bochum Juli/Aug. 1972; AStA PH Dortmund:AStA-Information Nr.13,Dortmund o.J. (Juni 1972),S.2;Bochumer Studenten Zeitung Nr.97,Bochum 22.6.1972,S.1;Arbeiterkampf Nr.20,Hamburg Juli 1972,S.4;Sozialistischer Kampf Nr.3,Bochum Juli 1972,S.20ff

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Juli 1972:
In der Bochumer Reihe 'Sozialistischer Kampf' erscheinen als Nr.3 die "Erfahrungen und Grundlagen des Bochumer Lehrlings- und Schülerkollektivs" (BLSK) in einer Auflage von 1 500 Stück. Enthalten ist auch der Artikel "Ein Jahr Schülersprecher an der Städtischen Bildungsanstalt", wobei auch vom Berufsverbot gegen den dortigen Lehrer und Mitglied der KPD/ML-ZB, Norbert Osswald (vgl. 14.6.1972) nur zwei Tage vor der Razzia gegen das BLSK berichtet wird.
Q: Sozialistischer Kampf Nr.3,Bochum Juli 1972

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10.07.1972:
In der Nr.14 ihrer 'Roten Fahne' (vgl. 28.6.1972, 24.7.1972) berichtet die KPD/ML-ZB über den Verlauf ihrer Aktionswoche gegen Notstandskurs und Militarisierung, die vom 19.-24.6. stattfand. Im Artikel "Die Lehren der Aktionswoche" heißt es dazu u.a.:"
Eine breite Mobilisierung der Massen gegen die neuen Notstandsgesetze konnte noch nicht erreicht werden, weil die Zeit zur umfassenden Aufklärung zu kurz war, die KPD/ML bisher den demokratischen Kampf noch nicht kontinuierlich führte und der Kampf gegen die Gesetze noch wenig mit konkreten Kampfaufgaben verbunden war. In Bochum wurde im Kampf gegen das Berufsverbot (BV,d.Vf.) eine klare Kampfaufgabe gestellt: Kampf für die Wiedereinstellung des Lehrers O. (Norbert Osswald,d.Vf.)? und hier wurde der Kampf erfolgreich unter der Führung der Arbeiterjugend geführt."
Q: Rote Fahne Nr.14,Bochum 10.7.1972

15.08.1972:
Von der KPD/ML-ZB wird bei Opel Bochum heute vermutlich eine Ausgabe der 'Presse' herausgegeben, von der uns nur ein Blatt vorlag. Darin ruft auch der KJVD auf zum RAKT (vgl. 2.9.1972):"
AUF ZUM ANTIKRIEGSTAG!

Kurz vor Beginn der Berufsschulferien (vgl. 14.6.1972,d.Vf.) wurde der Lehrer N. Osswald von der Städtischen Bildungsanstalt entlassen. Man brauche ihn nicht mehr, wurde gesagt. Der wahre Grund: N. Osswald ist Mitglied der KPD/ML, sein Name steht unter vielen Betriebszeitungen.

Auf der einen Seite: Fortschrittliche Lehrer werden entlassen - auf der anderen:
- Jugendoffiziere geben Berufsschulstunden
- Im Landtag soll ein Wehrkundeerlaß (WKE,d.Vf.) durchgebracht werden, verkleidet als Erlaß zum politischen Unterricht und die CDU hat im Landtag (vgl. **.*.1972,d.Vf.) schon klar sein Ziel genannt: 'die MORALISCHE VERPFLICHTUNG, SOLDAT ZU WERDEN, um die freiheitliche Gesellschaftsordnung weiter zu verteidigen, muß in der Jugend wieder fester verankert werden.'
- Die Einrichtung von Bundeswehrhochschulen (BWHS,d.Vf.) ist geplant, hierfür steht jederzeit genügend Geld und Personal bereit! Geld, das dem kleinen Mann aus der Tasche gezogen wird!"
Q: unvollständiges Dokument (vermutlich: Die Presse),Bochum o.J. (15.8.1972)

Januar 1973:
In Bochum arbeiten im Aktionskomitee zur Wiedereinstellung Norbert Osswalds, der wegen seiner Tätigkeit für die KPD/ML-ZB Berufsverbot (BV) erhielt, laut ASS Herne, vermutlich u.a. im Januar auch die Sozialistischen Schülergruppen (SSG) NRW mit.

Für die Marxisten-Leninisten (ML) Dortmund und die ML Castrop/Rauxel (vgl. 16.2.1973) berichtet H. R.:"
BERUFSVERBOT FÜR N. Osswald

Dem Lehrer Norbert Osswald wurde von der Schulverwaltung verboten, weiter an einer Bochumer Schule Mathematik- und Physikunterricht durchzuführen. Sein 'Verbrechen': er hat für zahlreiche Flugblätter und Betriebszeitungen der kommunistischen Gruppe 'KPD/ML' (Rote Fahne) presserechtlich verantwortlich gekennzeichnet.

Fachlich war ihm nichts vorzuwerfen, das bestätigten ihm auch seine Kollegen. Was die Staatsbürokratie nicht dulden will, ist sein konsequentes Eintreten für die Arbeiterklasse, sein Kampf für den Sozialismus. Hier hört die bürgerliche Meinungsfreiheit auf, hier müssen sich alle fortschrittlichen Menschen ihre Freiheit erkämpfen.

GEGEN DAS BERUFSVERBOT!
FÜR FREIE POLITISCHE BETÄTIGUNG IN SCHULE UND BETRIEB!"
Q: Die Rote Front Nr.4,Dortmund o.J. (1973),S.4; Herner Schülerpresse Nr.1,Herne 1973,S.18ff

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25.01.1973:
In Bochum demonstrieren, laut SSG Hamburg (vgl. 13.2.1973), über 500 Schüler und Studenten gegen die Entlassung des Lehrers Norbert Osswald von der KPD/ML-ZB.

Laut KPD/ML-ZK beteiligen sich 800 an der Demonstration des Komitees gegen politische Unterdrückung Bochum gegen das Berufsverbot des Lehrers Norbert Osswald (KPD/ML-ZB) an der Schillerschule. In Dortmund wurde dafür von 30 Anhängern der KPD/ML's ZB und ZK ein Solidaritätskomitee zur Unterstützung aller politisch Verfolgten gegründet. Die Trotzkisten durften diesmal scheinbar unbehelligt mitdemonstrieren. An der Ruhruniversität (RUB) sei gegen solche Disziplinierungsmaßnahmen gestreikt worden.
Q: Roter Morgen Nr.4,Hamburg 3.2.1973,S.7f; Rote Presse Nr.3,Hamburg 13.2.1973,S.6

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01.02.1973:
Laut der 'Bochumer Studenten Zeitung' ruft die Rote Hilfe Bochum zur Solidarität mit Norbert Osswald auf, der als Mathematik- und Physiklehrer aus dem Schuldienst wegen seiner Tätigkeit für die KPD/ML-ZB entlassen wurde.
Q: Bochumer Studenten Zeitung Nr.105,Bochum 1973,S.7

21.03.1973:
Der BKA Freiburg gibt die Nr.31 seines 'Klassenkampfes' (vgl. 21.2.1973, Apr. 1973) heraus. Berufsverbote gab es jüngst u.a. gegen Norbert Osswald in Bochum.
Q: Klassenkampf Nr.31,Freiburg 21.3.1973

April 1973:
Die Nr.17 der 'Jungen Garde' (vgl. Jan. 1973) berichtet aus Bochum über das Berufsverbot für den KPD/ML-ZB Lehrer Norbert Osswald am Schillergymnasium. Es habe sich ein Aktionskomitee aus Jusos, SDAJ, Judos, SK/ML und Junger Garde gebildet, welches eine 500-köpfige Demonstration durchgeführt habe.
Q: Junge Garde Nr.17,Bochum Apr./Mai 1973

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