Hamburg:
Der Prozess gegen die Gefängnisärzte von Seckendorff und Ewe 1972-1974

Materialien zur Analyse von Opposition

Von Jürgen Schröder, Berlin, 4.10.2012

Der Prozess gegen die beiden Ärzte von Seckendorff und Ewe im Hamburger Untersuchungsgefängnis ist eines jener zahlreichen Verfahren mit denen gegen mutmaßliche Sympathisanten der Roten Armee Fraktion (RAF) und anderer militanter Gruppen vorgegangen wurde. Das Komitee 'Solidarität mit Seckendorff und Ewe' scheint sowohl vom KSV der KPD als auch der Roten Hilfe (RH) Hamburg getragen worden zu sein, vermutlich arbeitete auch die Sozialistische Studentengruppe (SSG) darin mit.

Die Urteile sind dann angesichts der zuvor zunächst angeordneten Untersuchungshaft erstaunlich niedrig, offensichtlich konnte der Nachweis schwerer Straftaten nicht erbracht werden.

Auszug aus der Datenbank „Materialien zur Analyse von Opposition“ (MAO)

09.08.1972:
In der Nr. 55 der 'Roten Fahne' der KPD (vgl. 2.8.1972, 16.8.1972) wird aus Hamburg berichtet von der Solidaritätsaktion mit den Ärzten im Untersuchungsgefängniskrankenhaus, Seckendorff, Ewe und Josef Pille.
Quelle: Rote Fahne Nr. 55, Dortmund 9.8.1972

September 1972:
Die Rote Hilfe (RH) Hamburg gibt die 2. erweiterte Auflage ihrer Dokumentation zum Fall Seckendorff Ewe Pille unter dem Titel "Medizin im Dienst des Strafvollzuges gegen Medizin im Dienst der Unterdrückten" heraus. Enthalten sind die Abschnitte:
- "Einleitung";
- "Dienstag 11. Juli: Hausdurchsuchung bei Seckendorff und Ewe. fristlose Entlassung der beiden Ärzte aus dem Gefängniskrankenhaus";
- "Medizin im Dienst des Strafvollzuges gegen Medizin im Dienst der Unterdrückten. Die Situation im Gefängniskrankenhaus und die Arbeit der drei entlassenen Ärzte";
- "Dr. Seckendorff ist den ärztlichen Standesorganisationen schon seit langem ein Dorn im Auge";
- "Mittwoch 19. Juli: Konzertierte Polizeiaktion gegen Medizinerwohnungen in Hamburg";
- "Mittwoch 19. Juli: Säuberung des Gefängniskrankenhauses II. Teil: fristlose Entlassung des Arztes J. Pille";
- "Donnerstag 20. Juli: Verhaftung von Seckendorff und Ewe";
- die beiden Haftbefehle;
- eine Presseerklärung von Rechtsanwältin Leonore Gottschalk-Solger und Rechtsanwalt Hartmut Jacobi;
- "Haftbeschwerde Seckendorff's abgelehnt!" was am 14.8.1972 geschah; sowie
- "Dokumentation der Roten Hilfe zum Fall Seckendorff / Ewe / Pille beschlagnahmt!" was am 21.8.1972 geschah.
Q: Rote Hilfe (RH) Hamburg: Dokumentation zum Fall Seckendorff Ewe Pille. Medizin im Dienst des Strafvollzuges gegen Medizin im Dienst der Unterdrückten, 2. Aufl., Hamburg Sept. 1972

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06.10.1972:
An der Universität Hamburg gibt der KSV der KPD vermutlich Ende dieser Woche das Flugblatt "Weg mit den unmenschlichen Zuständen im UG! Solidarität mit dem Hungerstreik der Ärzte Seckendorff und Ewe!" heraus, das vom seit dem 27.9.1972 dauernden Hungerstreik der beiden Ärzte berichtet und aufruft zur Teilnahme am Komitee "Freiheit für Seckendorff und Ewe" (vgl. 10.10.1972).
Q: KSV: Weg mit den unmenschlichen Zuständen im UG! Solidarität mit dem Hungerstreik der Ärzte Seckendorff und Ewe!, o. O. (Hamburg) o. J. (1972)

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10.10.1972:
In Hamburg will, laut KSV (vgl. 6.10.1972), das Komitee "Freiheit für Seckendorff und Ewe" erstmals mit einer Veranstaltung an die Öffentlichkeit treten.
Q: KSV: Weg mit den unmenschlichen Zuständen im UG! Solidarität mit dem Hungerstreik der Ärzte Seckendorff und Ewe!, o. O. (Hamburg) o. J. (1972), S. 2

09.11.1972:
Vom heutigen Teach-In in der Hamburger Universitätsklinik Eppendorf erstellt die Rote Hilfe (RH) Hamburg ihre 'Rote Hilfe Dokumentation' Nr. 3 "Gegen die Unterdrückung im Gefängnis. Beiträge der beiden UG-Ärzte auf dem Teach-in vom 9.11.72 Uniklinik Eppendorf" mit den Beiträgen von Ewe und Seckendorff.
Q: Rote Hilfe Dokumentation Nr. 3 Gegen die Unterdrückung im Gefängnis. Beiträge der beiden UG-Ärzte auf dem Teach-in vom 9.11.72 Uniklinik Eppendorf, Hamburg o. J. (1972)

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09.11.1972:
In Hamburg Eppendorf ziehen, laut SSG Hamburg (vgl. 12.12.1972), im Anschluss an eine Protestversammlung, die das Komitee "Freiheit für Seckendorff und Ewe" einberufen hatte, 200 Studenten und Assistenten zum Klinikrat des Universitätskrankenhauses Eppendorf (UKE) um die Einstellung von Seckendorff zu fordern (vgl. 10.11.1972).
Q: Rote Presse Nr. 11, Hamburg 12.12.1972, S. 3

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10.11.1972:
In Hamburg Eppendorf findet, laut SSG Hamburg (vgl. 12.12.1972), eine weitere Versammlung von 150 Menschen für die Einstellung von Seckendorff am Universitätskrankenhaus Eppendorf (UKE) statt (vgl. 9.11.1972), wobei Seckendorff Hausverbot erhält.
Q: Rote Presse Nr. 11, Hamburg 12.12.1972, S. 3

Januar 1973:
Es erscheint die 'Rote Hilfe' Zeitung Nr.17 (vgl. Dez. 1972, März 1973). Es wird berichtet aus dem UG Hamburg in "Die Auflehnung des Gefangenen Louis Silversmith". Der Artikel "Gegen die Berufsverbote und für eine alternative Medizin" des Komitee Solidarität mit Patienten - Gefangenen gliedert sich in die Abschnitte:
- "1. Erfahrungen in der Kampagne 'Solidarität mit Seckendorff und Ewe'";
- "2. Für eine an den Bedürfnissen der Patienten orientierte Medizin - Beitrag zum Teach-in der Uni-Hamburg am 17.11.72";
- "3. Kapital - Ausbeutung - Entfremdung - Krankheit"; sowie
- "4. Krankheit - Kampf gegen das Kapital - Zum SPK".
Q: Rote Hilfe Nr.17,Hamburg Januar 1973, S. 12ff

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04.10.1974:
Die Rote Hilfe (RH) e.V. der KPD (vgl. Okt. 1974) berichtet aus Hamburg:"
Prozeß gegen Seckendorff und Ewe

Am 4. Oktober beginnt vor dem Landgericht in Hamburg der Prozeß gegen von Seckendorff und Ewe. Diese beiden fortschrittlichen Ärzte waren im Krankenhaus des Untersuchungsgefängnisses beschäftigt. Dieses 'Sicherheitsrisiko' schaffte sich die Justiz im Jahre 1972 dadurch vom Leibe, daß sie in der Werkstatt des Tübinger Fälschers Konieczny - dasselbe von der Polizei gekaufte Subjekt, das Jörg Lang belastet - ihre Dienstausweise 'fand'. Die beiden Ärzte wurden verhaftet, mußten aber aufgrund des massiven öffentlichen Protestes ebenso freigelassen werden wie damals Jörg lang.

Der jetzt gegen sie beginnende Prozeß wird als Schauprozeß groß aufgezogen und gehört zur Strategie der Bourgeoisie bei der Vorbereitung des Stammheimer Prozesses. Auch in Hamburg soll der Bevölkerung das Gericht als Polizeifestung präsentiert werden. Sonderausweise für Gerichtsangestellte werden schon ausgestellt. Angebliche Bombendrohungen sollen vor 'Kriminellen' warnen und die Polizeimanöver in und vor dem Gericht rechtfertigen. Die Bourgeoisie tut alles, damit das zur Verurteilung erforderliche Hetzklima entsteht!

Aber schon jetzt sind Angestellte des Gerichts empört über die eingeleiteten Maßnahmen. Unsere Ortsgruppe ist zum Kampf gegen Schauprozeß und Bürgerkriegsmanöver angetreten!"
Q: Rote Hilfe Nr. 7, Dortmund Okt. 1974, S. 4

08.11.1974:
Die Rote Hilfe (RH) e.V. der KPD (vgl. Nov 1974) berichtet über Seckendorff und Ewe:"
Seckendorf und Ewe verurteilt

Ein Hamburger Gericht hat die beiden Untersuchungsgefängnisärzte Seckendorf und Ewe verurteilt. Ihnen war zuvor vorgeworfen worden, 1972 ihre Dienstausweise zum Betreten des Zentralkrankenhauses des U-Gefängnisses an die RAF weitergegeben zu haben. Für beide wurde 1 Jahr Gefängnis mit Bewährung wegen 'Unterstützung einer kriminellen Vereinigung' verhängt. Bewährungsfrist: Für Ewe 2 Jahre, für Seckendorf 4 Jahre, da sich letzter unnachgiebiger gezeigt habe - so die Richter Ziegler und (unleserlich)."

Für den KBW Ortsgruppe Hamburg (vgl. 28.11.1974) berichtet ein Mitglied der Sektion Strafjustiz der GUV:"
2 Ärzte verurteilt: Sie weigerten sich, politische Gefangene zwangszuernähren

In diesen Tagen sind in Hamburg zwei Ärzte zu je einem Jahr Gefängnis auf Bewährung verurteilt worden. Die schriftliche Begründung der Urteile liegt noch nicht vor. Sicher ist nur, daß den beiden Ärzten, Seckendorff und Ewe keine strafbaren Handlungen zweifelsfrei nachgewiesen werden konnten.

Fest stand nur, daß die beiden Ärzte, die 1972 die Häftlinge im Untersuchungsgefängnis in Hamburg medizinisch betreuten, sich im Juni 1972 weigerten, den Häftlingen, die sich bereits damals im Hungerstreik befanden das Trinkwasser zu entziehen und das Toilettenwasser mit chemischen Zusätzen ungenießbar zu machen. Bei Wasserentzug während eines Hungerstreiks wird nach zwei Tagen Blut mit giftigen Stoffen überschwemmt und nach ca. 10 Tagen tritt der Tod ein. Bereits vor diesem Zeitpunkt sind bleibende Nierenschäden die Folgen des Wasserentzuges. Das konnten die beiden Mediziner trotz der Anweisung durch ihren Vorgesetzten Dr. Friedland nicht verantworten. Sie weigerten sich, den Hungerstreik der Häftlinge durch Wasserentzug zu brechen, denn die Häftlinge hatten den Hungerstreik auf eigenen Beschluß begonnen. Statt dessen hielten sie eine gründliche medizinische Überwachung der Häftlinge für erforderlich, um bei Komplikationen rechtzeitig eingreifen zu können.

Die Folge war eine Kündigungsdrohung und schließlich die Verhaftung und Verurteilung die sich im wesentlichen auf die Gesinnung der Ärzte stützte, nämlich sich den menschenvernichtenden Maßnahmen der Strafvollzugsbehörden entgegenzustellen."
Q: Kommunistische Volkszeitung Ortsbeilage Hamburg Nr. 26, Hamburg 28.11.1974, S. 2; Rote Hilfe Nr. 8, Dortmund Nov. 1974

10.12.1974:
Die Sozialistische Studentengruppe (SSG) Hamburg gibt die Nr. 9 ihrer 'Roten Presse' (vgl. 26.11.1974, 21.1.1975) heraus mit den Artikeln "SFB 115" am UKE, wo die Isolationshaft gegen die RAF erforscht wird, wozu zur Veranstaltung am 12.12.1974 mit Dr. Seckendorff aufgerufen wird und "Weg mit Isolations- und Vernichtungshaft! Interview mit Seckendorff".
Q: Rote Presse Nr. 9, Hamburg 10.12.1974, S. 3

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12.12.1974:
Zur Veranstaltung in Hamburg gegen die Erforschung der Isolationshaft, wie sie die Gefangenen der RAF erfahren, am SFB 115 des UKE mit Dr. Seckendorff im Hörsaal der Frauenklinik des UKE rief auch die SSG des KBW (vgl. 10.12.1974) auf.
Q: Rote Presse Nr. 9, Hamburg 10.12.1974, S. 3

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