Jungarbeiter und Lehrlingspresse - Organ der Frankfurter und Groß Gerauer Jungarbeiter- und Lehrlingsgruppen der Revolutionären Jugend (ML), Jg. 1, Nr. 6, Sept. 1971

02.07.1971:
Von der vermutlich heute stattfindenden Freisprechung der Koch- und Kellnerlehrlinge in Frankfurt berichtet die OG der RJ/ML des KAB/ML:"
KOCH-LEHRLING AM SPRECHEN GEHINDERT

Anfang Juli kam es bei dem Prüfungsessen zur Abschlußprüfung der Koch- und Kellnerlehrlinge in der Bergiusschule zu tumultartigen Szenen, als Prüfling Rainer H. etwas über seine Ausbildung sagen wollte. Mit Gewalt wurde er von rückschrittlichen Berufsschullehrern im Beisein von IHK-Vertretern daran gehindert seine Ansprache zu halten. Stattdessen wurde ein anderer Prüfling beauftragt einige 'Dankesworte' an die Prüfungskommission zu richten. Noch zwei Unverschämtheiten sind dann passiert:
Zuerst erdreistete sich der Direktor der Bergius-Schule in seiner Rede zu behaupten, 'Die Schule erziehe zur Kritik!', und dann erpreßte ein Berufsschullehrer die anwesenden Lehrlinge unter Ausnutzung ihrer rechtlichen Unkenntnis mit der Drohung: 'Wenn Ihr Euch nicht von Rainer H. distanziert, werdet Ihr nicht freigesprochen.'
In Wirklichkeit hat die Freisprechung gar nichts mit der Prüfung zu tun, sondern ist nur ein fauler Zauber mit dem man uns vormachen will: 'Jetzt beginnen die Herrenjahre'.
Später erklärten über 100 Lehrlinge in einer Protestresolution unter anderem: 50 Arbeitsstunden in der Woche und eine tägliche Arbeitszeit von 10 Stunden sind bei uns an der Tagesordnung."
Q: Jungarbeiter und Lehrlingspresse Nr. 6, Frankfurt/Groß Gerau Sept. 1971, S. 5

September 1971:
Die Ortsgruppen Frankfurt und Groß Gerau der RJ/ML des KAB/ML geben die Nr. 6 ihrer Berufsschulzeitung 'Jungarbeiter und Lehrlingspresse' (vgl. 24.5.1971, 4.10.1971) in einem Umfang von 14 Seiten DIN A 4, unter Verantwortung von J. Möcks in Frankfurt, heraus. Der Leitartikel "Ausbildung gleich Ausbeutung" wendet sich an diejenigen, die am 1.9.1971 ihre Lehre begannen. Lehrlings- und Jungarbeiterberichte kommen aus Frankfurt von einer Bauzeichnerlehre bei der Firma Kögel und ohne Ortsangabe von einem KFZ-Schlosser. Berichtet wird auch von den Frankfurter Kochlehrlingen (vgl. 2.7.1971). Aus Leverkusen wird berichtet vom Streik der Bayerlehrlinge, aus Ludwigshafen von der Lehrlingsdemonstration bei BASF, aus Duisburg von der Verschacherung der Lehrlinge der Kupferhütte.

Im Artikel "Für eine starke SV" heißt es:"
An den meisten Berufsschulen hört man nichts über die Arbeit der Schülervertretung. Kein Wunder, denn dort wird auch so gut wie gar nichts getan. Die verschiedenen SV-Gremien sind kaum arbeitsfähig, da wo es den Anschein hat, als ob was getan wird, dort werden großartige Veranstaltungen, Seminare und sonstige 'Großartige' Sachen gemacht.

An der Phillipp Holzmann Schule z.B. erschöpfte sich die SV-Arbeit bisher in einem 'Kunstwettbewerb' und einer 'Trimm-Dich Aktion', statt an den Problemen in der Berufsschule zu arbeiten. Oft setzen Vertrauenslehrer und SV-Funktionäre ihre rein privaten Interessen oder politischen Ansichten durch und gestalten danach die 'Arbeit' der SV. Daran sind natürlich wir anderen Lehrlinge nicht interessiert. Aber es gibt auch eine Menge SV-Vertreter, die bereit sind, unsere Interessen zu vertreten, aber ihnen werden immer wieder von verschiedenen Seiten Steine in den Weg gelegt, z.B. von der Schulbürokratie, unseren Rektoren und Lehrern.

Es ist genauso wie im Betrieb mit der Jugendvertretung. Man hält überhaupt nichts davon, daß wir unsere Interessen selbst vertreten; ja, man geht sogar so weit uns Desinteresse vorzuwerfen. Das ist der alte Trick, man wiegelt fortlaufend ab, um dann zu sagen, wir wollten nicht.

Jeder weiß, daß die SV durch ihren Aufbau und ihre Struktur eng an die Schulbürokratie gebunden ist. So heißt es z.B. in der momentan gültigen Verordnung über die SV's in Hessen: 'Der Schulleiter kann nach Anhörung der zuständigen Stufenvertretung und nach Beratung im Vermittlungsausschuß der Durchführung einer Veranstaltung widersprechen, wenn sie mit einer besonderen Gefahr für die Schüler verbunden ist, oder wenn befürchtet werden muß, daß sie geeignet ist, den Erziehungsauftrag der Schule zu gefährden.' Diese Formulierung ist so allgemein gehalten, daß sie der Willkür gewisser Schulleiter Tür und Tor öffnet.

Trotz allem gibt es an allen Berufsschulen noch sehr viele andere Leute die bereit sind etwas zu tun und auch Zeit dafür aufbringen wollen. Doch diese Lehrlinge bekommen kaum Kontakt mit SV-Vertretern, einmal weil die SV's keine öffentlichen Veranstaltungen machen, zum anderen weil die Verbindungsmöglichkeiten an der Berufsschule schlecht herzustellen sind, da wir an verschiedenen Tagen Berufsschule haben und dazu noch viele auswärts wohnen.

Der einzige, der einen Überblick über die Arbeit der einzelnen Tagesgremien hat und auch die meisten von uns kennt, ist der Vertrauenslehrer. Dadurch hat dieser ein gefährliches Monopol. Der bekannteste Fall, wo ein Vertrauenslehrer das ausgenutzt hat ist der des Lehrers Fischborn aus Darmstadt an der Erasmus Kittler Schule. Er hatte einige SV-Vertreter um sich geschart, wie ein Hirte seine Schafe, und sich geweigert, seine Informationen rauszurücken. Als einige Lehrlinge ihn daraufhin ansprachen, drohte er die Veranstaltungen platzen zu lassen.

SOLCHE VERTRAUENSLEHRER HABEN NICHTS IN DER SV ZU SUCHEN!

Die Schul- und Tagessprecher müssen intensiver zusammenarbeiten; den interessierten Lehrlingen Möglichkeiten der Mitarbeit gegeben werden. Die SV kann nicht länger herumhandwerkeln - ohne Kontakt zu anderen Lehrlingen. Im September werden in allen Berufsschulen die Klassensprecher und Schulsprecher gewählt. Wir Jungarbeiter und Lehrlinge in der Revolutionären Jugend (ML) haben dazu folgende Forderungen aufgestellt:
- Regelmäßige Klassensprecherversammlungen
- Verwirklichung der 12-Stunden Berufsschulwoche (Von den 1, 3 Mill. Lehrlingen und Jungarbeitern erhalten viele weniger als 50% des Sollunterrichts.)
- Beseitigung des Raumnotstandes vor allem an der Siemens und Gutenbergschule
- Beseitigung des Lehrermangels
- Ordentliche Eß- und Aufenthaltsräume sowie Kantinen mit Selbstkostenpreisen
- Wahl eines fortschrittlichen Vertrauenslehrers durch die SV
- Bezahlung des Materialgeldes
- Bei der Namensgebung von neu eingerichteten Berufsschulen in Zukunft keine Kapitalisten wie Siemens, Kleyer, Holzmann, Bethmann, sondern Benennung nach führenden Persönlichkeiten der Arbeiterbewegung."

In "Für unsere Forderungen müssen wir kämpfen" wird zu den Metalltarifverhandlungen gefordert:
- Einheitlicher Tarifvertrag für Arbeiter und Lehrlinge!
- 60% vom Ecklohn einheitlich für alle Lehrlinge!
- Für Arbeit in der Produktion - Arbeiter- oder Gesellenlohn!
- Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!
- Wegfall der Lohnstaffelung nach Altersgruppen!
- Weg mit dem arbeiterfeindlichen BVG!.

Mit dem BVG befaßt man sich auch in "Für eine fortschrittliche, demokratische Betriebsverfassung", wo es u.a. heißt:"
Die Herren von der SPD/FDP-Regierung wollen uns Lehrlingen noch immer nicht das Streikrecht zugestehen. Wir sollen als Streikbrecher gegen unsere älteren Kollegen eingesetzt werden (die Lehrlinge des Degussa-Werkes in Hanau haben den Chemiebossen gezeigt, daß sie sich nicht für dumm verkaufen lassen. Sie haben genau wie ihre älteren Kollegen gestreikt). Doch wir werden den Kampf für das Streikrecht aufnehmen."

In "2. Bildungsweg" (ZBW) heißt es:"
An den meisten Frankfurter Berufsschulen gibt es sogenannte Berufsaufbauklassen, dort, so heißt es, können alle fleißigen, willigen und begabten Lehrlinge die Fachschulreife in Abend- oder Tageskursen nachholen. Stimmt das? Nein, das ist eine plumpe Lüge. Diese Schulen sind nämlich in Wirklichkeit für eine Minderheit gemacht. Wollten wir alle auf diese Schulen gehen, sie würden aus den Nähten platzen: Lehrer und Räume würden überhaupt nicht ausreichen. Auch das Geld, mit dem die Schüler des sogenannten zweiten Bildungswegs gefördert werden (Höchstsatz 380 DM) ist nur begrenzt vorhanden. Wenn es also einen Massenansturm auf diese Schulen gäbe, würde man in noch größerem Maße sieben als bisher, man würde ganz einfach die Prüfungen schwerer machen. Dieses Prinzip hat man an der Universität schon lange unter dem Namen Numerus Clausus eingeführt.

Die Taktik ist also klar:
Einerseits die Propaganda, jeder könne es bis zum Ingenieur bringen (Wer sollte dann die Arbeit machen?), - andererseits scharfe Auslese. Denjenigen, denen es trotzdem 'gelingt', redet man ein, sie seien 'was besseres'. Immer wieder heißt es auf diesen Schulen 'Sie als zukünftige Ingenieure', 'Sie, die Sie später in gehobene Positionen kommen' und ähnliche Sprüche. Es ist klar was damit erreicht werden soll: Diese Arbeiterjugendlichen will sich die Bourgeoisie (Kapitalistenklasse) rechtzeitig kaufen. Sie versucht ihnen ein arbeiteraristokratisches Bewußtsein einzureden. Hinter diesem Gerede von der 'Elite', versteckt sich die alte Unternehmerregel: 'Teile und herrsche'. Entsprechend ist auch der Aufbau des Unterrichts: sehr viel Stoff wird in kurzer Zeit durchgenommen, damit wir nicht zuviel Freizeit haben, in der wir über unsere Lage nachdenken können.

Die meisten Fächer sind technische Fächer, dazu ein Schuß Allgemeinbildung, damit man in 'höheren Kreisen' mitreden kann. Im Sozialkundeunterricht wird völlig praxisfern die parlamentarische Demokratie, die Menschenrechte u.ä hochgelobt, aber wie es in den Betrieben aussieht, was Lohnraub ist, was es mit dem BBiG und dem BVG auf sich hat, warum Lehrlinge kein Streikrecht haben und der Betriebsrat mit Gefängnis bestraft wird, wenn er sich für uns einsetzt, von allem kein Wort. Es gibt keinen Zweifel: Der zweite Bildungsweg ist ein weiterer Versuch der Kapitalisten die Arbeiterklasse zu spalten, der zweite Bildungsweg ist Sand in den Augen der Arbeiterjugend. Die Kollegen, die schon auf diesen Schulen sind, dürfen nicht vergessen: Wir sind eine Arbeiterklasse!!!"

In "Hasch an der Berufsschule" wird z.T. der einschlägige Artikel im 'Rebell' Nr. 32 (vgl. Juni 1971) als Vorlage benutzt, aber auch selbst formuliert:"
Seitdem auch hier in Frankfurt Lehrlingsdemonstrationen und Streiks stattfinden und immer mehr von uns ihre beschissene Situation erkennen und bereit sind, etwas dagegen zu unternehmen, ist der Handel mit dem Hasch an den Frankfurter Berufsschulen enorm gestiegen. Dem Hasch ist zum Teil Opium beigemischt, um sich einen festen Kundenkreis zu sichern."
Es folgt der 'Rebell' zur Popkultur, die jugendliche Kaufkraft abschöpft:"
Auch in Frankfurt wird uns in den Diskotheken und Plattenläden der sauer verdiente Lohn aus den Taschen gezogen. Der Trick mit der Schließung der Haschkneipe 'Zoom' wegen Rauschgiftverkaufs ist in der Zwischenzeit allenthalben bekannt. Jeder weiß, daß die Dealer eben in andere Diskotheken umgezogen sind."
Q: Jungarbeiter und Lehrlingspresse Nr. 6, Frankfurt/Groß Gerau Sept. 1971

Frankfurt_RJML085

Frankfurt_RJML086

Frankfurt_RJML087

Frankfurt_RJML088

Frankfurt_RJML089

Frankfurt_RJML090

Frankfurt_RJML091

Frankfurt_RJML092

Frankfurt_RJML093

Frankfurt_RJML094

Frankfurt_RJML095

Frankfurt_RJML096

Frankfurt_RJML097

Frankfurt_RJML098