KSG/ML-OG Darmstadt:
Dokumentation zur Studienordnung im Fach Geschichte (1973)

Materialien zur Analyse von Opposition

Von Jürgen Schröder, Berlin, 11.11.2014

Die Datenbank MAO ist ein
vollständig selbstfinanziertes Projekt.
Unterstützen Sie uns durch:

Die hier dokumentierte Broschüre der Ortsgruppe Darmstadt der Kommunistischen Studentengruppen / Marxisten-Leninisten (KSG/ML) des KABD schildert detailliert die Entstehung der neuen Studienordnung für das Fach Geschichte an der Technischen Hochschule (TH) Darmstadt.

Auszug aus der Datenbank „Materialien zur Analyse von Opposition“ (MAO)

Dezember 1972:
Die KSG/ML des KABD berichtet von der Studienordnung Geschichte an der TH Darmstadt vermutlich aus dem Dezember (vgl. 9.1.1973):"
Im Fachgebiet Geschichte gibt es keinen gültigen Studienplan; das bedeutet, daß kein Student verbindlich weiß, welche und wieviele Seminare er besuchen muß, um später sein Examen machen zu können.

Im letzten Semester beauftragte die Hochschulspitze drei Geschichte-Dozenten, einen Studienplanentwurf auszuarbeiten; später fanden sich auch noch drei Studenten, die bei diesem Entwurf mitarbeiten wollten, und man machte sich an die Arbeit. Man hatte Großes vor, hatte man doch die Versicherung, sich Zeit lassen zu können, um den sehr dürftigen 'Entwurf', der bereits vier Jahre gilt, abzulösen. Jedoch schon kurz danach hatte es unser Präsident, Herr Böhme, sehr eilig, den Entwurf in die Hand zu bekommen. Ein Anruf an die Kommission genügte, um diese zu überreden, schnell wieder nur 'einen vorläufigen Entwurf' auszuarbeiten."

Inhaltlich wird später (vgl. Mai 1973) kritisiert:"
ORIENTIERUNGSPHASE UND PROJEKTSTUDIUM - REFORMEN?

Im Vorspann zum Studienplanentwurf der Kommission werden 'Veranstaltungen' angekündigt, 'die den Studenten in der Orientierungsphase einen Einblick in die Grundprobleme der Sozialwissenschaften geben und sie mit den Methoden der einzelnen Wissenschaftsbereiche bekanntmachen sollen.' An den Anfang des Studiums soll laut Entwurf ein 'gemeinsames Proseminar der Sozialwissenschaften' gestellt werden, 'weil in ihm die pädagogischen und damit gesellschaftlichen Aufgaben der Sozialwissenschaften dargelegt werden können, die in einer noch zu institutionalisierenden Orientierungsphase allen Lehrerstudenten bewußt gemacht werden sollen.'

Was bedeutet diese so hoch gepriesene Orientierungsphase?

Vor allem von sozialdemokratischen Bildungspolitikern zur Einführung vorgeschlagen, sollen die Studenten in der Orientierungsphase eine 'begründete Berufswahl' sowie die 'eigenständig formulierte Motivation' fürs Studium erarbeiten.

Ausgegangen wird bei der 'begründeten Berufswahl' davon, daß überhaupt in diesem System eine freie Berufswahl möglich ist und daß der, der nicht den richtigen Beruf hat, selbst schuld ist. Aber was heißt hier freie Berufswahl?

- Was heißt freie Berufswahl für den Kommillitonen, der Medizin studieren will und wegen Numerus Clausus vor verschlossenen Türen steht? Gibt es mit der Orientierungsphase automatisch keinen NC mehr?

- Was heißt freie Berufswahl für den Lehrerstudenten, dem nach Studienabschluß aufgrund von Dokumenten des Verfassungsschutzes seine politische Vergangenheit, sein Kampf gegen den Abbau demokratischer Rechte, vorgerechnet wird und der deshalb nicht eingestellt wird? Schafft die Orientierungsphase das Berufsverbot (BV, d.Vf.) ab?

- Was heißt freie Berufswahl, wenn, wie bei der Firma Merck (CPK-Bereich, d.Vf>) in Darmstadt, zehn Lehrlinge aufgrund von aktiver Vertretung der Arbeiterinteressen in den Gewerkschaften nicht weiterbeschäftigt werden?

Was soll hier vorgespiegelt werden? Offensichtlich geht es gar nicht darum, studentische Forderungen (z.B. Weg mit dem Berufsverbot!) zu erfüllen, sondern hier wird mit schönen Worten darüber hinweggetäuscht, daß die Angriffe der Kultus- und Hochschulbürokratie auf die Studenten zur Zeit erheblich verschärft werden (Erhöhung der Mensaessenspreise, der Sozialbeiträge, Angriffe auf die verfaßte Studentenschaft u.a.)

'Begründet' sollen die Lehrerstudenten sich darauf vorbereiten, aufgrund von Wehrkundeerlassen (WKE, d.Vf.) Propaganda für die Bundeswehr zu betreiben und die freiheitlich-demokratische Grundordnung (FDGO, d.Vf.) der Ausbeutung und Unterdrückung zu bejahen. Begründet und mit Eigenmotivation sollen dieselben Dinge von uns erreicht werden, gegen die viele Studenten seither gekämpft haben. So wird einerseits an unseren berechtigten Interessen, kein stupides Paukstudium durchzuführen, angesetzt, andererseits werden wir genau dadurch gelockt, dieselben bürgerlichen Lehrinhalte uns anzueignen. Gerade mit der Methode der 'Eigenmotivation' soll bewußte Identifikation mit dem Stoff und mit der geforderten Leistung erreicht werden - ein raffiniertes Mittel in Zeiten, wie wir sie heute haben: Zeiten, in denen Leistungs- und Prüfungsanforderungen beständig hochgeschraubt werden (Dafür ist gerade der Studienplanentwurf deutlicher Beleg!). Durch Eigenmotivation in weniger Zeit mehr leisten! - das ist die Devise gerade der sozialdemokratischen Bildungspolitiker - so sollen uns erhöhte Anforderungen auch noch als Reform verkauft werden!

Nur nebenbei sei noch angemerkt, daß gerade die Orientierungsphase nicht nur den NC nicht abbaut, sondern dazuhin noch als zusätzliches Mittel wirken kann, den hochschulinternen NC zu verschärfen: welcher Student wird nach zwei Semestern Orientierungsphase in der Lage sein, einem 'beratenden Professor' überzeugend entgegenzutreten, wenn ihm dieser langatmig und vor allem 'mit Erfahrung' in weitschweifenden Ausführungen einredet, dieses Studienfach sei wohl nicht das richtige für ihn, und ihm nahelegt, etwas anderes zu wählen, innerhalb oder außerhalb der Hochschule?

Ähnlich wie mit der Orientierungsphase verhält es sich mit dem in letzter mit viel Werberummel von allen möglichen Seiten propagierten Projektstudium: danach soll das Hauptstudium (nach der Orientierungsphase) 'praxisbezogen' (Ausrichtung am Beruf) und 'problemorientiert' gestaltet werden. Auch hier wird also zunächst angesetzt an berechtigten studentischen Interessen. Sehen wir, was daraus gemacht wird.

Eine genauere Durchformulierung dessen, was mit 'Projektstudium' gemeint ist, enthalten die Rahmenrichtlinien (RRL, d.Vf.) des hessischen Kultusministers für den Deutsch- und Geschichteunterricht, die von zwei Autoren im SPIEGEL 13/73 näher erläutert werden. Dort heißt es u.a.: Die Autoren gehen davon aus, 'daß es… einen Geschichtsunterricht, verstanden als chronologischen Marsch durch die Jahrhunderte nicht mehr geben kann. Mann darf sich keine Illusionen darüber machen, was Schüler bei einer solchen Art Unterricht am Ende wissen: Nicht viel mehr als nichts, und das wenige bringen sie noch durcheinander.' (S. 148) So setzen die Rahmenrichtlinien-Autoren an am Unbehagen der meisten Schüler, Lehrer und Studenten mit der sterilen Dreiteilung in Alte, Mittlere und Neuere Geschichte. Sie wissen, daß es auch nicht im Interesse der Herrschenden ist, wenn die Schüler nachher 'nicht viel mehr als nichts wissen' - sie sollen schon wissen, nur eben das 'Richtige' - das Richtige im Sinne der Herrschenden. Deshalb ist der 'neue Ansatz' der Autoren die Orientierung der Lehrer auf Lernziele, die Orientierung der Schüler auf 'Problemkreise' bzw., noch ausgeklügelter formuliert, auf 'Lernfeldzusammenhänge' (S. 150). Wird jetzt aber unseren Bedürfnissen tatsächlich auch Rechnung getragen? Wird die wachsende Erkenntnis der Klassengesellschaft zur genaueren Untersuchung der darin stattfindenden Klassenkämpfe hingeführt, zur Untersuchung, wer da gegen wen steht, welche Klasse das sind, welche Rolle der Staat bei der Aufrechterhaltung der Klassenherrschaft hat? Selbstverständlich nicht! Die Autoren grenzen sich vorsichtig, aber unmißverständlich ab: '… es ist auch kein Zufall, daß in der Tat oft auf Konflikte verwiesen wird, daß aber das Wort Klassenkampf nie gebraucht wird. …das ist Ausdruck der Konzeption unserer Rahmenrichtlinien.' (S. 153) Und: '…ist es natürlich ein Hauptziel der Rahmenrichtlinien, das Augenmerk des Schülers auf seine Pflichten hinzulenken.' (S. 155) Dies ist eine feine Art und Weise, fortschrittliche, systemkritische Studenten zu integrieren: man setzt ein bißchen an an ihrem Bewußtsein, gibt sich etwas verbalradikal, paßt sich dem Soziologen-Kauderwelsch der antiautoritären Studentenbewegung an - und ohne daß man sich's versieht, ist man schon drin im alten Trott, dient man, mit anderer Taktik, denselben Zielen:
'Junge Menschen erkennen ihre Pflichten nicht an, wenn man Appelle an sie richtet. Wir erreichen das durch die Auseinandersetzung mit Konflikten, mit Interessen.' (S. 157). Hier soll das alte Ziel der Bourgeoisie, die Intellektuellen als Bündnispartner auf ihre Seite zu ziehen, mit neuen Mitteln erreicht werden. Wollen wir uns dadurch täuschen lassen?"
Quelle: KSG/ML-OG Darmstadt: Dokumentation zur Studienordnung im Fach Geschichte, Darmstadt o.J. (1973), S. 3 und 9f

09.01.1973:
Die KSG/ML des KABD berichtet vom Entwurf der Studienordnung Geschichte an der TH Darmstadt (vgl. Dez. 1972, 12.1.1973):"
Das Ergebnis dieser 'Zusammenarbeit' zwischen Professoren und Studenten flatterte dann am 9. Januar 1973 der Fachgruppe Politik/Geschichte auf den Tisch: der Entwurf sah allein in den ersten vier Semestern 12 Vorlesungs- und 16 Seminarstunden vor. Das bedeutet 2 Seminare pro Semester allein in Geschichte, da aber fast jeder von uns noch ein Zweitfach studiert, noch einmal so viel dazu. Rechnet man jetzt noch das pädagogische Begleitstudium dazu, kommt man auf 5 Seminare pro Semester!
In diesem Entwurf ist überhaupt nicht auf die studentischen Forderungen eingegangen worden, die 'mitarbeitenden' Studenten wurden immer mit dem Argument vertröstet, es handele sich ja nur um einen vorläufigen Entwurf; was wir von diesem Argument zu halten haben, ist daran zu erkennen, daß der jetzige Studienplan auch nur als 'vorläufiger Entwurf' bereits VIER JAHRE gilt! Ein anderes Argument seitens der Professoren für die hohen Anforderungen an die Studenten war, man müsse so viele Seminare fordern, um die Professoren hier an der TH behalten zu können. Auch dieses Argument ist leicht zu widerlegen: Anstatt daß man z.B. ein Proseminar in Neue Geschichte, eines in mittelalterliche UND eines in alte Geschichte fordert, kann man das 'und' in ein 'oder' verwandeln: auf diese Weise sind die Professoren verpflichtet ein Proseminar anzubieten, nicht alle Studenten aber müssen dieses auch besuchen. So kann man von der Erhöhung der Leistungsanforderungen absehen, ohne befürchten zu müssen, Professorenstellen gestrichen zu bekommen. Politisch bedeutet dieses Argument allerdings, daß hier von seiten der Professoren mit den Widersprüchen innerhalb der Hochschulbürokratie jongliert wird: der KuMi ist böse ('das wissen wir ja alle'), und wir Professoren sind ja auch gegen den KuMi, weil er uns unsere Stellen wegnehmen will, deshalb, ihr lieben Studenten, laßt es euch mal ruhig gefallen, daß wir euch mehr aufbrummen! So werden Widersprüche innerhalb der Hochschulbürokratie dazu benutzt, um die Erhöhung der Leistungsanforderungen (die bekanntlich kein Darmstädter Einzelfall ist!) möglichst reibungslos gegen uns durchsetzen zu können."

Die Fachgruppe Politik/Geschichte berichtet:"
Am 9.1.73 bekam die Fachgruppe Politik/Geschichte DEN NEUEN STUDIENPLANENTWURF FÜR DAS FACH GESCHICHTE vorgelegt. Dieser Entwurf bedeutet, daß pro Semester 5 - 6 Seminare geleistet werden müssen, da eigentlich jeder von uns noch ein Zweitfach außer Geschichte studiert. Ein Arbeitsaufwand und Leistungsdruck also, der von keinem bewältigt werden kann. Vor allem bleibt dann keine Zeit für andere Interessen übrig, und damit wird es illusionär, sich für studentische Forderungen einsetzen zu können, die sich z.B. gegen solche Studienreglementierungen wehren."
Q: KSG/ML-OG Darmstadt: Dokumentation zur Studienordnung im Fach Geschichte, Darmstadt o.J. (1973), S. 3f und 7

12.01.1973:
Die KSG/ML des KABD berichtet vom Entwurf der Studienordnung Geschichte an der TH Darmstadt (vgl. 9.1.1973, 15.1.1973):"
Die Fachgruppe Politik/Geschichte stellte Gegenforderungen auf, die aber in keiner Weise berücksichtigt wurden".

Die Fachgruppe berichtet:"
Mit einer glatten Absage und Gegenforderungen beantwortet die Fachgruppe den von den Professoren vorgesetzten Entwurf. Bei dieser Besprechung am 1.12. fiel dann auch die Versicherung Kallenbergs: Man habe noch nie etwas gemacht, ohne es vorher mit den Studenten abgesprochen und sich geeinigt zu haben, und werde es diesmal auch nicht tun!!! Ein Satz, den man sich merken sollte! Man einigte sich darin, solange nichts zu beschließen, bis die Studentenschaft darüber informiert ist und Gegenvorstellungen entwickelt hat."
Q: KSG/ML-OG Darmstadt: Dokumentation zur Studienordnung im Fach Geschichte, Darmstadt o.J. (1973), S. 3

15.01.1973:
Die Fachgruppe Politik/Geschichte an der TH Darmstadt berichtet, laut KSG/ML des KABD, vermutlich aus dieser oder nächsten Woche vom Entwurf der Studienordnung Geschichte an der TH Darmstadt (vgl. 12.1.1973, 1.2.1973):"
Auf der Vollversammlung wurde dann auch die Stundenzahl pro Studienabschnitt auf 10 Vorlesungsstunden und 10 Seminarstunden verringert, mit dem Vorbehalt, daß auf Grund der kurzen Vorbereitungszeit nur diese formale Alternative aufgestellt werden konnte. Es ist erforderlich, eine inhaltlich vollkommen neu gestaltete Studienordnung zu konzipieren, in Anlehnung an schon erarbeitete Vorstellungen über Orientierungsphase und Projektstudium."
Q: KSG/ML-OG Darmstadt: Dokumentation zur Studienordnung im Fach Geschichte, Darmstadt o.J. (1973), S. 7

01.02.1973:
Die KSG/ML des KABD berichtet vom Entwurf der Studienordnung Geschichte an der TH Darmstadt (vgl. 15.1.1973, 5.2.1973), "der Entwurf ging durch den Lehr- und Studienausschuß, wurde dort nur geringfügig geändert".

Die Fachgruppe Politik/Geschichte berichtet:"
Wie die Professoren diese Forderungen berücksichtigten , kam dan am 1.2. zutage: Der Lehr- und Studienausschuß besprach diesen Entwurf, und leitete ihn dann mit geringfügigen und unwesentlichen Änderungen zur FBK (Fachbereichskonferenz, d.Vf.) weiter, OHNE noch einmal auf die Forderungen des studentischen Vertreters im Ausschuß einzugehen.
WIR KÖNNEN DIESE STUDIENORDNUNG NUR NOCH VERHINDERN, WENN WIR SELBST DAGEGEN KÄMPFEN!!!"
Q: KSG/ML-OG Darmstadt: Dokumentation zur Studienordnung im Fach Geschichte, Darmstadt o.J. (1973), S. 4 und 7

05.02.1973:
Die Fachgruppe Politik/Geschichte an der TH Darmstadt gibt, laut KSG/ML des KABD, vermutlich in dieser Woche ein Flugblatt "'Wir haben noch nie etwas ohne die Studenten gemacht'!!" zum Entwurf der Studienordnung Geschichte (vgl. 1.2.1973, 12.2.1973) heraus, in dem sie zu einer Vollversammlung am 15.2. aufruft.
Q: KSG/ML-OG Darmstadt: Dokumentation zur Studienordnung im Fach Geschichte, Darmstadt o.J. (1973), S. 7

12.02.1973:
Der MSB Spartakus der DKP an der TH Darmstadt gibt, laut KSG/ML des KABD, vermutlich in dieser Woche ein Flugblatt zum Aufruf der Fachgruppe Politik/Geschichte zu einer Vollversammlung zum Entwurf der Studienordnung Geschichte (vgl. 5.2.1973, 15.2.1973) heraus, zu dem die KSG/ML unter Bezug auf Positionen des VDS (vgl. 22.3.1973) schreibt:"
ZUR POLITIK DES SPARTAKUS

Das Flugblatt des MSB Spartakus zur Einberufung der Vollversammlung durch die Fachgruppe Politik/Geschichte (Feb. 73) ähnelt bei oberflächlicher Betrachtung inhaltlich dem der KSG/ML (vgl. 15.2.1973, d.Vf.). Die KSG/ML hält jedoch vier wesentliche Punkte des Spartakus-Flugblattes für illusorisch oder falsch.

1. So bedeutet die vorläufige Studienordnung einer Kommission des Fachgebietes Geschichte für den Spartakus u.a., 'daß kein wissenschaftliches Studium mehr möglich ist.' … Hier müssen wir den MSB Spartakus klar fragen: Wo fängt bei Euch die 'Wissenschaftlichkeit' an? Bei 8 Semestern oder bei 10? Warum macht Ihr aus der Wissenschaftlichkeit überhaupt ein quantitatives Problem? Warum verschweigt Ihr, daß es in unserer kapitalistischen Gesellschaft, so wie es zwei Klassen gibt, auch zwei Arten von Wissenschaft gibt, nämlich bürgerliche und proletarische? Daß es also eine 'Wissenschaft an sich', eine Wissenschaft um der Wissenschaft willen nicht gibt? Warum sagt Ihr nicht, daß die Studenten auch bei 10 oder 20 Semestern bürgerlichen Studiums immer noch dazu ausgebildet werden sollen, im Beruf dem Kapital zu dienen? Warum gebt Ihr den Studenten vor, ein ca. 10-semestriges Studium sei 'wissenschaftlich' und somit für die Studenten eine anzustrebende Perspektive?

2. An anderer Stelle des Spartakus-Flugblattes heißt es: 'Die Vertreter des MSB Spartakus fordern daher eine Studienordnung, die uns in die Lage versetzt, den Gang der gesellschaftlichen Entwicklung zu erkennen, um sie aktiv in unserem Interesse zu verändern.' Hier wird ein Lehrangebot gefordert, das den Interessen der Kultusbürokratie ins Gesicht schlägt und sie bekämpft. Diese Forderung an eine kapitalistische Ausbildungsstätte zu stellen, wie sie sich auch in der Spartakus-Parole 'Marx an die Uni' äußert, kann nur als realitätsfremd und naiv bezeichnet werden.

Diese Forderung enthält allerdings einen gefährlichen Kern, setzt sie doch genau am berechtigten Wunsch vieler Kommillitonen nach Veränderung an. Was wird daraus aber gemacht? Der Wunsch nach Veränderung wird in die bürgerlichen Lehrveranstaltungen hineinintegriert; an die bürgerliche Wissenschaft wird gewissermaßen die Forderung gestellt, sich selbst zu widerlegen. O sancta simplicitas!

3. Weiterhin fordert der Spartakus von der Studienordnung, daß sie 'eine Orientierungsphase mit begleitenden Tutorien vorsieht und am Projektstudium orientiert ist.' Wir haben diese Forderung … kritisiert (vgl. Dez. 1972, d.Vf.).

4. Mit dem Absatz 'Die studentische Interessenvertretung in der FBK (Fachbereichskonferenz, d.Vf.) ist aber nur dann sinnvoll, wenn wir gemeinsam gegen diese Studienreglementierung vorgehen' wird die alte Spartakus-Theorie wieder aufgewärmt, man müssen den 'Kampf innerhalb der Institutionen' mit dem 'Kampf außerhalb der Institutionen' verbinden, um studentische Interessen durchsetzen zu können. Das verkennt aber das Wesen der Mitbestimmung in den Hochschulgremien ganz und gar.

WARUM WURDEN DIE GREMIEN EINGERICHTET?

Der Entwurf zum Hochschulrahmengesetz (HRG, d.Vf.) der SPD/FDP-Regierung gibt selbst die Antwort auf diese Frage: das Ziel der Mitbestimmung sei es, so heißt es dort, 'das große Engagement, das in den Ereignissen der vergangenen Jahre zum Ausdruck gekommen ist, auf ein konstruktives Ziel hinzulenken und neue Formen für das hierfür erforderliche, gemeinsame, verantwortliche Handeln zu schaffen.' Hier wird ganz deutlich, worum es geht: die Studenten sollen 'mitarbeiten' an allen Maßnahmen, die von Kultus- und Hochschulbürokratie im Interesse des Monopolkapitals ergriffen werden, an allen Maßnahmen, die sich in Wirklichkeit gegen die Studenten richten: Studien'reform', Verschärfung der Prüfungsordnungen und Studienpläne usw. Gleichzeitig ist es das Ziel der SPD, die zur Zeit die beste Geschäftsführerin des Monopolkapitals ist, genau durch die studentische Beteiligung an den Hochschulgremien den Studenten ihre seitherige selbständige Interessenvertretung, die Fachschaften, gewissermaßen 'überflüssig' zu machen und sie ihnen dann wegzunehmen, sie zu zerschlagen, wie es in Berlin schon durchgeführt und in anderen Bundesländern versucht wurde.

Daß in den Gremien selbst keine Politik gegen die Interessen des Monopolkapitals gemacht werden kann, dafür ist gesorgt: die Kompetenzen sind begrenzt, relevante Entscheidungen können auf höherer Ebene wieder rückgängig gemacht werden. So wird mit der studentischen Mitbestimmung eine Scheinperspektive eröffnet, sollen Illusionen gezüchtet werden, die fortschrittlichen Intentionen der Studenten könnten in Gremien von Gnaden des Staates und der Universitätsbürokratie verwirklicht werden.

WARUM WIRBT DER SPARTAKUS FÜR DIE MITBESTIMMUNG?

Dies wäre alles nicht weiter schlimm, wenn es nicht außer den offenen Lakaien der Bourgeoisie unter den Studenten (RCDS (der CDU, d.Vf.), DA/SLH) auch noch Studentenvertreter gäbe, die unter marxistischem Anspruch die Werbetrommel für die Mitbestimmung rühren. Zu ihnen gehört der MSB Spartakus, der lautstark verkündet, prinzipiell müsse man sich überall beteiligen, müsse alle Positionen einnehmen, die einem angeboten würden, auch wenn es nur Scheinpositionen sind, die uns im Grunde in die Irre leiten sollen - sind doch die Gremien nur dazu da, um die Tatsache zu verschleiern, daß das Monopolkapital die uneingeschränkte Macht auch über die staatliche Institution Hochschule ausübt. Wenn in diesem Zusammenhang der Spartakus die Meinung vertritt, 'die studentische Interessenvertretung in der FBK sei sinnvoll, wenn wir gemeinsam gegen die Studienreglementierung vorgehen', dann orientiert er den Kampf der Studenten um ihre materiellen und politischen Rechte auf die Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Professoren hin und verstärkt damit die unter den Studenten vorhandenen reformistischen Illusionen. Demgegenüber ist es heute vor allem notwendig, die verfaßte Studentenschaft allseitig zu stärken - deshalb ruft die KSG/ML alle Studenten zum Boykott der Hochschulgremien auf."
Q: KSG/ML-OG Darmstadt: Dokumentation zur Studienordnung im Fach Geschichte, Darmstadt o.J. (1973), S. 11ff

15.02.1973:
Die Fachgruppe Politik/Geschichte an der TH Darmstadt rief für heute anläßlich des nur geringfügig geänderten Entwurfs der Studienordnung Geschichte (vgl. 12.2.1973, Mai 1973) auf:"
KOMMT ALLE ZUR VOLLVERSAMMLUNG AM DONNERSTAG DEM 15.2. 15 UHR; um 16 Uhr wird dann die Vollversammlung den Herren in der Fachbereichskonferenz einen Besuch abstatten, um sie an ihre Versicherung, nie etwas ohne die Studenten zu tun, zu erinnern!"

Die KSG/ML Ortsgruppe Darmstadt gibt ein einseitiges Flugblatt heraus:"
In einem Schnellverfahren arbeitete eine Kommission des Fachgebiets Geschichte einen Entwurf für einen Studienplan Geschichte aus (vgl. Dez. 1972, d.Vf.). Wenn dieser Entwurf durchkommt, bedeutet dies für uns einen enormen Leistungsdruck: jeder von uns muß dann einschließlich Zweitfach 5 bis 6 Seminare pro Semester bewältigen. Viele werden diesen enormen Anforderungen nicht standhalten können und sind dann gezwungen, ihr Studium vorzeitig abzubrechen. Jeder von uns will aber einen Studienabschluß und eine spätere Berufsanstellung. An diesem Interesse ansetzend, wird durch solche Maßnahmen wie den Studienplanentwurf Angst vor dem Nichtbestehen der Prüfung erzeugt.
Dadurch soll jeder anfangen, gegen den anderen in Konkurrenz zu treten. Durch diesen inneren NC soll nachgeholt werden, was in anderen Fächern schon durch den Aufnahmestop erreicht wurde: 42 000 Bewerben wurden in diesem Semester 11 890 Plätze zur Verfügung gestellt (FR, 12.8.1972).

Durch solche Konkurrenztreiberei wird also die Solidarität der Studenten untergraben, wir sollen zersplittert werden, da dann jeder individuell vor sich hinschuftet, um die hohen Anforderungen zu erfüllen.

Darüberhinaus wird auf diese Weise auch die politische Arbeit von Studenten, wie z.B. in der Fachgruppe Geschichte/Politik, erheblich erschwert.

Diese Schikanen liegen auf einer Linie mit anderen Angriffen auf die Studenten, die zur Zeit laufen:
- Erhöhung der Mensaessenspreise um 20 Pfennig;
- Erhöhung der Sozialbeiträge um voraussichtlich ca. 30 DM zum kommenden Wintersemester;
- Wegfall der Unterrichtsgeldfreiheit bei Übertreten der BAföG-Richtlinien und damit Einführung einer Regelstudienzeit.

Und solche Angriffe kommen nicht nur in Darmstadt, sondern bundesweit auf die Studenten zu; es gehört zu den Plänen der Kultusministerien, sie auch gegen den Widerstand der Studenten durchzusetzen. So wurde auch bei uns im Fachbereich 2 in der Behandlung des Studienplanentwurfs bislang über die studentischen Forderungen völlig hinweggegangen: die Resolution der letzten studentischen Vollversammlung wurde überhaupt nicht beachtet, der Lehr- und Studienausschuß leitete den Studienplanentwurf ohne Berücksichtigung der studentischen Forderungen an die Fachbereichskonferenz weiter. Wenn so vorgegangen wird, dann kann das Angebot der Professoren zur weiteren inhaltlichen Mitarbeit am Studienplan nur eine Funktion haben: hier soll eine Maßnahme, die sich gegen uns richtet, als Reform im Sinne der Studenten dargestellt werden, indem uns vorgegaukelt wird, wir könnten gemeinsam mit den Professoren und der Kultusbürokratie einen Studienplan in unserem Interesse ausarbeiten. Durch solche Versprechungen soll hauptsächlich eins erreicht werden: daß wir heute nicht gegen diesen Studienplanentwurf kämpfen.

WENN WIR ETWAS ERREICHEN WOLLEN, MÜSSEN WIR ES UNS GEMEINSAM ERKÄMPFEN!
WEG MIT DEM STUDIENPLANENTWURF!
KAMPF DER KONKURRENZTREIBEREI! KAMPF ALLEN FORMEN DES NUMERUS CLAUSUS!"
Eingeladen wird zur eigenen Sympathisantengruppe (vgl. 19.2.1973).

Die KSG/ML des KABD berichtet vom Entwurf, "und dann stand er am 15.2. auf der Tagesordnung der Fachbereichskonferenz. Dort wurde er abgelehnt, obwohl alle Geschichtsprofessoren und -dozenten für diesen Entwurf stimmten. Die anderen Lehrenden stimmten gegen diesen Entwurf - aber nicht etwa deshalb, weil sei die Einwände und Gegenforderungen der Studenten akzeptierten, sondern in der Hauptsache aus formalen Gründen: sie sagten, eine Studienordnung müsse in der Hauptsache zwei Aufgaben erfüllen, sie müsse Grundlage zur Kapazitätenberechnung sein und Minimalanforderungen an die Studenten formulieren, mit Wahlmöglichkeiten und weiteren Angeboten. Beides sei nicht gewährleistet."
Q: KSG/ML-OG Darmstadt: Dokumentation zur Studienordnung im Fach Geschichte, Darmstadt o.J. (1973), S. 3 und 7f

19.02.1973:
An der TH Darmstadt soll sich um 18 Uhr vor dem AStA die Sympathisantengruppe der KSG/ML des KABD treffen.
Q: KSG/ML-OG Darmstadt: Dokumentation zur Studienordnung im Fach Geschichte, Darmstadt o.J. (1973), S. 8

22.03.1973:
Heute beginnt in Bochum die 25. ordentliche Mitgliederversammlung (MV) des Verbandes Deutscher Studentenschaften (VDS), die bis zum 27.3. dauert. Es wird ein Vorstand aus MSB der DKP, SHB sowie Jusos der SPD gebildet.

Im Bericht des vom MSB Spartakus der DKP beherrschten VDS-Vorstandes heißt es, laut KSG/ML Darmstadt des KABD aus Hessen, die Masse der Studenten solle durch die Bildungspolitik der Bundesregierung 'in ein unwissenschaftliches Schmalspurstudium gezwungen werden'."
Q: KSG/ML-OG Darmstadt: Dokumentation zur Studienordnung im Fach Geschichte, Darmstadt o.J. (1973), S. 11

Mai 1973:
Vermutlich im Mai gibt die KSG/ML OG Darmstadt des KABD eine "Dokumentation zur Studienordnung im Fach Geschichte" an der TH mit 16 Seiten DIN A 4 heraus.
Eingegangen wird u.a. auf die Geschichte des Entwurfs (vgl. Dez. 1972, 1.2.1973), den MSB Spartakus der DKP (vgl. 12.2.1973), die Fachgruppe Politik/Geschichte (vgl. 9.1.1973, 12.1.1973) und ein eigenes Flugblatt (vgl. 15.2.1973).

Einleitend heißt es von der KSG/ML:"
WARUM VON DER KSG/ML?

Während des Wintersemester 1972/73 war die Fachgruppe Geschichte/Politik eine aktiv arbeitende Gruppe. Unser Schwerpunkt war der Kampf gegen die Einführung der neuen Studienordnung Geschichte. In der letzten Vollversammlung wurde die Fachgruppe beauftragt, in den Semesterferien eine Dokumentation darüber auszuarbeiten. Die Fachgruppe traf sich aber in den Ferien nur einmal. Den Mitgliedern war es anscheinend nicht möglich, einmal in der Woche zwei Stunden zu opfern. Da es nur die in der Fachgruppe mitarbeitenden Genossen der KSG/ML für nötig hielten, die Arbeit in den Semesterferien fortzusetzen und regelmäßig zu den Terminen zu erscheinen, halten wir es für durchaus richtig, diese Dokumentation unter unserem Namen herauszugeben und nach Schwerpunkten zu gestalten, die wir für richtig halten. …

Im neuen Semester werden wieder einige Lehrbeauftragte einen neuen Studienplan entwerfen. Die zur 'Mitarbeit' aufgeforderten Studenten haben abgelehnt: der erste Entwurf hat klar gezeigt, was eine solche 'Mitarbeit' bringt, und wessen Interessen dabei durchgesetzt werden. Stattdessen wird ein Ausschuß der Fachgruppe Politik/Geschichte unter Mitarbeit der KSG/ML einen eigenen Studienplan entwerfen, in dem wir dann unsere studentischen Forderungen vertreten.

WAS FORDERN WIR?

Wir haben .. aufgezeigt, warum wir Forderungen wie die nach 'Orientierungsphase' oder 'Projektstudium' (vgl. Dez. 1972, d.Vf.) für illusorisch und reformistisch halten, ebenso die Forderung nach 'einer Studienordnung, die uns in die Lage versetzt, den Gang der gesellschaftlichen Entwicklung zu erkennen, um sie in unserem Interesse aktiv zu verändern.' (vgl. 12.2.1973, d.Vf.)

Wenn wir jedoch ausgehen von der jetzt im Fach bestehenden Lage und vom Studienplanentwurf der Professoren, so können wir zur Charakterisierung der Situation (und damit als Ausgangspunkt für studentische Forderungen) folgendes feststellen:

1. Bei der von den Professoren vorgelegten Studienordnung war ein wesentlicher Aspekt die Reglementierung des Studiums durch erhöhte Leistungsforderungen. Bestandteil dieser Leistungsanforderungen - und der reaktionärste dazuhin - ist seit eh und je der Zwang, Latein lernen zu müssen.

Dieser Lateinzwang, vor dem viele Studenten von vornherein kapitulieren, ist inhaltlich durch gar nichts begründet: ein Geschichtelehrer am Gymnasium braucht eben kein Latein, um unterrichten zu können.

2. In den meisten Seminaren war schon letztes Semester keine Gruppenarbeit mehr erlaubt. Zum großen Teil hatten die Professoren gerade so viele Themen zur Bearbeitung anzubieten, daß für jeden eines da war. So soll langsam ein in der Studentenbewegung erkämpftes Recht uns wieder entrissen werden: das Recht auf Gruppenarbeit.

3. Immer mehr von uns haben am Semesteranfang das 'Pech', in ein Seminar nicht mehr reinzukommen, weil man nicht zu den ersten 25 oder gar 20 gehörte. Hier sollen Raum- und Personalnot auf dem Rücken der Studenten ausgetragen werden und das alles soll uns dann auch noch als 'Reform' verkauft werden: wohl jeder von uns hat als Erklärung dieser Seminarbeschränkungen schon das 'Argument' gehört, in kleineren Gruppen lasse sich besser arbeiten, und es sei deshalb nur zum Vorteil von uns Studenten, dichtzumachen.

4. Weiterhin wehren wir uns gegen die im Studienplan vorgeschriebenen Quellen- und Literaturkurse. In solchen Kursen würde man dann in irgendeiner Fremdsprache Quellen übersetzen und Literatur lesen. Wer dann diese Fremdsprache nicht beherrscht, muß sie dann halt noch lernen. Die Professoren gaben dazu die Begründung, man könne nur mit Fremdsprachen 'wissenschaftlich' studieren; aber was heißt hier 'Wissenschaftlichkeit', wenn es doch von lateinischen und anderen Texten Übersetzungen gibt und die Anschauung, der Student werde oder gar wolle sich bei verschiedenen Übersetzungsmöglichkeiten selbst um die beste Lösung kümmern, eine Farce ist?

Interessant ist in diesem Zusammenhang übrigens noch, daß während einer Diskussion über den Lateinzwang im vergangenen Semester der Vertreter des MSB Spartakus (der DKP, d.Vf.) in der Fachgruppe Politik/Geschichte für einen zweisemestrigen Lateinkurs plädierte - mit dem Argument, wir wollten doch ein 'wissenschaftliches' Studium, und da gehöre eben Latein dazu!!

5. Im Juni dieses Jahres wird der Bundestag das neue Hochschulrahmengesetz (HRG, d.Vf.) behandeln, das ein neues Ordnungsrecht an den Hochschulen vorsieht. Dieses Ordnungsrecht wird heute schon geprobt: In Baden-Württemberg sieht ein Hochschulgesetz-Änderungsentwurf vor, daß jeder Professor Hausrecht in seiner Lehrveranstaltung hat und somit jeden Studenten ohne weiteres aus seinem Seminar schmeißen kann, wenn dieser durch kritische Fragen oder Forderungen seine Veranstaltung 'stört'. Das wird dann zur Konsequenz haben, daß es sich ein Student zweimal überlegt, überhaupt eine Kritik zu bringen, oder lieber nur das zu sagen, was der Professor hören will, und dafür dann mit einem Schein 'belohnt' zu werden.

Wer sich heute dazu bringen läßt, zwar zähneknirschend aber widerstandslos Latein zu lernen, der wird auch morgen unbesehen seinen Schülern das einbläuen, was man ihm diktiert. Wer sich heute nicht um den Kommillitonen kümmert, der eben das 'Pech' hatte, nicht zu den ersten 25 zu gehören, der wird auch morgen nicht für einen fortschrittlichen Kollegen eintreten, der vom Berufsverbot (BV, d.Vf.) betroffen wird, weil er sich z.B. weigert, seine Schüler gemäß Wehrkundeerlaß (WKE, d.Vf.) mit Propaganda für die Bundeswehr vollzustopfen.

Warum gibt es Lateinzwang, Verbot von Gruppenarbeit und Gruppenprüfungen, Seminarbeschränkungen, Angriffe auf freie Meinungsäußerungen?

Diese Maßnahmen wirken in ihrer Gesamtheit auf vielfältige Weise auf uns ein: wir werden in jeder Hinsicht unter Druck gesetzt. Zunächst verschärft der Lateinzwang bei so vielen von uns den Leistungsdruck so erheblich, daß viele, die Geschichte studieren wollen, dies von vornherein nicht tun. Darüberhinaus kann man so 'überzählige' Studenten aussieben: wer da nicht kontinuierlich mitbüffelt, gerät hoffnungslos ins Hintertreffen. Dazu muß man sich noch sagen lassen, dies seien 'ganz natürliche Fluktuationserscheinungen' und 'Erfahrungstatsachen, daß von 60 Anfängern später noch 10 die Prüfung machen' (Zitate aus ROTER FPEIL Nr. 8/72, S. 12). Der Lateinzwang wirkt so als hochschulinterner Numerus Clausus. Eine weitere hochschulinterne NC-Maßnahme ist die Zulassungsbeschränkung. Studenten, die nicht in die von ihnen verlangten Proseminare und Seminare reinkommen, müssen diese später nachholen und kommen so unheimlich unter Druck, sind wir doch gleichzeitig bedroht von der Studiengebühr-Verordnung, die uns zur Bezahlung von Studiengebühren verpflichtet, falls wir unser 'Studium unangemessen lange hinauszögern'. So werden wir mit einer Vielfalt von Maßnahmen gegeneinander aufgehetzt: jeder soll gegen jeden um einen Platz im Proseminar kämpfen.

Vor allem durch den Abbau der Gruppenarbeiten soll eins verhindert werden, das viele Studenten als ihre Stärke erkannt haben: Solidarität. Das gemeinsame Arbeiten, die gemeinsame zielgerichtete Diskussion von Problemen wird verhindert: jeder soll für sich büffeln und nebenbei auf den anderen schielen: wie macht der das? Bin ich genauso gut? Studenten werden so gegeneinander in Konkurrenz gesetzt, es soll erreicht werden, daß wir gegeneinander kämpfen, nicht gemeinsam gegen die Mißstände.

Zur Verbesserung der Studienbedingungen und zur Abwehr der politischen Disziplinierungsmaßnahmen richten wir deshalb an eine künftige Studienordnung folgende Forderungen:
WEG MIT DEM LATEINZWANG!
RECHT AUF GRUPPENARBEIT UND GRUPPENRPÜFUNGEN!
KEINE SEMINARBESCHRÄNKUNGEN - KÄMPFEN WIR SOLIDARISCH GEGEN ALLE FORMEN DES NUMERUS CLAUSUS!
RECHT AUF FREIE MEINUNGSÄUSSERUNG IN ALLEN LEHRVERANSTALTUNGEN - FÜR FREIE POLITISCHE BETÄTIGUNG!"

Eingeladen wird zum Termin der KSG/ML im Fach Geschichte - Politik - Gewerbelehrer, immer Donnerstags um 19 Uhr 30 im AStA.
Q: KSG/ML-OG Darmstadt: Dokumentation zur Studienordnung im Fach Geschichte, Darmstadt o.J. (1973)

Darmstadt_KSGML001

Darmstadt_KSGML004

Darmstadt_KSGML005

Darmstadt_KSGML006

Darmstadt_KSGML007

Darmstadt_KSGML008

Darmstadt_KSGML009

Darmstadt_KSGML010

Darmstadt_KSGML011

Darmstadt_KSGML012

Darmstadt_KSGML013

Darmstadt_KSGML014

Darmstadt_KSGML015

Darmstadt_KSGML016

Darmstadt_KSGML017

Darmstadt_KSGML018


   Valid HTML 4.01 Transitional   Valid CSS

[ Zum Seitenanfang ]   [ geographische Zwischenübersicht ]   [ thematische Zwischenübersicht ]   [ Hauptübersicht ]