RGO-Nachrichten, 4. Jg., November 1981, Nr. 11 (mit Beilage: "RGO-Kongress-Extra 1")

November 1981:
Die RGO gibt ihre „RGO-Nachrichten“, Nr. 11/1981, heraus.

Inhalt der Ausgabe ist u. a.:
- Nachrichten aus der Gewerkschaft
- Frankfurt: VDM erneut besetzt
- Vor 25 Jahren: 114 Tage Streik für Lohnfortzahlung
- Ausweitung der Unvereinbarkeitsbeschlüsse
- Still/Hamburg: Misstrauensantrag gegen Betriebsratsspitze
- Berliner Haubesetzungen: DGB-Führung auf Seiten der Spekulanten
- Reaktionäres Konzept zur Rolle der Frau.

Im Artikel „Vor 25 Jahren: 114 Tage Streik für Lohnfortzahlung“ wird ausgeführt:

„25 Jahre ist es jetzt her, dass die Metaller in Schleswig-Holstein für 16 Wochen im Streik standen, dem längsten in der Geschichte der Bundesrepublik. In der Zeit vom 24.10.56 bis zum 14.2.1957 streikten insgesamt 34.000 Kollegen, hauptsächlich Werftarbeiter, für folgende Forderungen: 1. Lohnfortzahlung bei Krankheit. Bei Krankheit und Unfall für die ersten drei Tage vollen Lohn. Danach bis zu sechs Wochen Unterschied zwischen Krankengeld und Nettolohn. 2. Urlaubsgeld. Wir verlangen ein zusätzliches Urlaubsgeld von 7,50 DM pro Urlaubstag. 3. Längerer Urlaub. Allgemeine Erhöhung des Urlaubs auf 18 Tage. Für Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr 24 Tage. Für Gießereiarbeiter zusätzlich 2 Tage Urlaub …“

„Die steigende Ausbeutung zeigte sich darin, dass sich seit 1950 im Schiffbau eine Produktionssteigerung um 100 Prozent ergab. Während dergleichen Zeit wurde der Lohn nur um 50,8 Prozent erhöht. Aufgrund der hohen Ausbeutung und steigenden Arbeitshetze konnten die Werftkapitalisten auf Kosten der Arbeiter günstige Angebote machen und große Aufträge einheimsen (für die Kieler Howaldts-Werke war 1956 ein Jahr der Rekordauftragsbestände). Steigender Profit auf seifen der Kapitalisten, steigendes Elend auf selten der Arbeiter. Die Frühinvalidität stieg von Jahr zu Jahr vor allem aufgrund der für das gestiegene Arbeitstempo typischen Herz-Kreislauf-Krankheiten.

Desgleichen stieg die Zahl der Arbeitsunfälle ständig. Deshalb hatte die IG Metall die obengenannten Forderungen aufgestellt, die sie den Arbeitgeberverbänden bereits am 21. April 1956 zugeleitet hatte. Erst nach vier Monaten kam es zu Verhandlungen, die am 28. September scheiterten. Am 11. und 12. Oktober beschließen die Arbeiter in der Urabstimmung den Streik, der am 24.10. beginnt. Zweimal lehnen die Metaller Schlichtungsergebnisse ab, das dritte erhält nur eine Zustimmung von 39,66 Prozent und 57,66 Prozent lehnten das Ergebnis ab! Am 15. Februar 1957 wird die Arbeit überall in Schleswig-Holstein wieder aufgenommen.

Während dieser 114 Tage des Metallerstreiks gab es aus der gesamten Bundesrepublik großartige Solidaritätsbeweise. Geld und Sachwerte wurden gespendet, die Kinder der Streikenden verschickt usw. … Die FDP und die Kapitalistenverbände wollen ja bekanntlich die Karenztage während der Krankheit wieder einführen. Dagegen und gegen die vielen anderen augenblicklichen Angriffe auf unsere Rechte muss der Kampf geführt werden. Wir wollen Fortschritt und keine Rückschritte! Hände weg von der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall!“

Im Artikel „Ruhrstahl AG Krupp/Hoesch“ heißt es u. a.:

„Der immer wieder offiziell dementierte Plan eine Fusion von Krupp und Hoesch ist nun doch durchgezogen worden. Wie schon beim Zusammenschluss der Ruhrkohle-Zechen zur Ruhrkohle AG, würde das auch für den Stahlbereich weiteren zwanzigtausend bis dreißigtausend Arbeitsplätze bedeuten. Angesichts dieser Lage rief die RGO-Betriebsgruppe Hoesch in einem Flugblatt dazu auf, sich nicht gegen die Krupp-Kollegen ausspielen zu lassen. In dem Flugblatt, das am 23. Oktober anlässlich der Vertrauensleute-Versammlung verteilt wurde, heißt es weiter: … ‘Von uns, von der Gewerkschaftsbasis wird es in den nächsten Wochen und Monaten abhängen, ob es gelingt, den Widerstand gegen die Arbeitsplatzkiller zu organisieren. ( …) Von uns, den Gewerkschaftsmitgliedern wird es auch abhängen, was die IG Metall jetzt eigentlich machen wird. Denn zur Zeit schaut sie dem Treiben der Banken und Stahlbarone untätig zu, unternimmt außer einigen schönen Worten überhaupt nichts und lässt die Kollegen in den Betrieben jämmerlich im Stich. Dies zeigte sich mit aller Deutlichkeit letzte Woche auf der Stahlkonferenz in Mülheim. Jetzt zeigt sich ja auch mit aller Deutlichkeit bei uns in Dortmund, … Der Kampf wird härter, und deshalb muss auch in der Gewerkschaft und in dem Vertrauensleutekörper offen über weitergehende Aktionsformen wie zum Beispiel den Streik bzw. die Betriebsbesetzung als Mittel zur Verteidigung unserer Arbeitsplätze diskutiert werden …‘

Am 15. Oktober führte die IG Metall in Mülheim an der Ruhr eine ‘Stahlkonferenz‘ durch. Dabei handelte es sich allerdings beileibe nicht um die vom Vertrauenskörper der Klöckner-Hütte geforderte Konferenz aller Vertrauensleute aus den Stahlbetrieben, auf der endlich konkrete Kampfmaßnahmen gegen die Pläne der Stahlbarone beraten und beschlossen werden sollen. Hier waren lediglich die Betriebsrats-Spitzen, Arbeitsdirektoren und VK-Leiter geladen. Entsprechend war auch das Ergebnis: Kampfmaßnahmen wurden weder diskutiert noch beschlossen. Ein Konzept zur Verteidigung der Arbeitsplätze ist nicht in Sicht. Dennoch meldete sich die Basis auch ungebeten zu Wort. Rund 70 Vertrauensleute und Kollegen der Gelsenkirchener Thyssen-Betriebe zogen mit Transparenten auf, auf denen es unter anderem hieß: ‘Vermieten und verpachten - der Vorstand will uns schlachten.‘ Ob damit nicht nur der Thyssen- sondern auch der IGM-Vorstand gemeint war,, ließen die Kollegen zunächst noch offen.“

Um über die Lage „in der Stahlindustrie“ zu debattieren, lädt die RGO zu einem „Stahlarbeitertreffen“ ein. „Um über die Lage in der Stahlindustrie, Wege und Möglichkeiten der Gegenwehr und unser Vorgehen dabei zu diskutieren, laden wir alle RGO-Kollegen und andere interessierte Kollegen aus den Stahlbetrieben ein“. Das Treffen soll am 14. November 1981 in Dortmund, stattfinden.

Im Artikel „Hausbesetzungen: DGB-Führer auf Seiten der Spekulanten“ heißt es:

„Die gewerkschaftseigene Wohnungsbaugesellschaft Neue Heimat stellt beim Berliner CDU-Senat Antrag auf Räumung ihrer sechs von Hausbesetzern bewohnten Häuser. Berliner DGB-Vorsitzende Sickert daraufhin zum CDU-Innensenator Lummer: ‘Wenn es Ihnen gelingt zu räumen, dann kann man Sie zu recht als Held bezeichnen; andernfalls können Sie Ihren Hut nehmen.‘

Der Berliner Ortsbevollmächtigte der IGM, Horst Wagner, nennt die Hausbesetzer ein ‘faschistisches Gesindel‘. Einen Tag vor der Räumung tagt der DGB-Landesbezirksvorstand von Berlin. Der von der GEW vorgebrachte Antrag nach Zurücknahme der Strafanträge durch die Neue Heimat wird von den versammelten Berliner Gewerkschaftsvorsitzenden einstimmig abgelehnt. Nur die HBV enthält sich der Stimme. Damit hat der CDU-Senat grünes Licht für seine gewaltsame Räumungsaktion. Der 18jährige Demonstrant Klaus-Jürgen Rattay stirbt in Folge des Polizeieinsatzes. Der Berliner Vorsitzende der IG Bau, Steine, Erden, Werner Koch, dankt zwei Tage später auf einer öffentlichen Kundgebung von Bauarbeiten der Polizei für ihren ‘vorbildlichen und besonnenen‘ Einsatz bei der ‘friedlichen Räumung‘.

Die IG Bau, Steine, Erden hat inzwischen gegen diejenigen ihrer Mitglieder Ausschlussverfahren eingeleitet, die sich öffentlich für sogenannte Patenschaften von besetzten Häusern zur Verfügung gestellt hatten. Die berüchtigte Gewerkschaftszeitung ‘Einheit‘ von der IG Bergbau spricht vom ‘Straßenterror in Berlin‘. Dies sind einige Streiflichter zum offiziellen Verhalten führender Gewerkschaftsinstanzen zur Situation der Hausbesetzungen in Westberlin. Wir meinen, dass dies nicht unwidersprochen bleiben darf. Unabhängig von einzelnen Vorbehalten gegen die dortige Hausbesetzerszene ist doch eines klar: Die Hausbesetzungen richten sich gegen die Praktiken der Profiteure, die das Recht der Menschen auf eine menschenwürdige Wohnung durch Spekulationen und Schiebereien skrupellos ausbeuten. Davon sind wir alle betroffen. Die Mieten steigen ins uferlose, das Suchen nach einer Wohnung gestaltet sich für jeden zu einem Alptraum. Das Besetzen leerstehender Wohnungen ist daher keineswegs ein willkürlicher Akt, sondern von der Not der Menschen diktiert. Das belegen besonders die folgenden Zahlen aus Berlin: In Westberlin suchen rund 80. 000 Menschen eine Wohnung. Von Monat zu Monat wird ihre Lage schlimmer. Im ersten Halbjahr 1981wurden lediglich 1.252 Neubauwohnungen fertiggestellt, obwohl der CDU-Senat 7.000 versprochen hatte. 600 Häuser stehen leer, 10. 000 Wohnungen leer.

Angesichts dieser Lage kann es nicht die Aufgabe der Gewerkschaften sein, sich für staatliche Gewaltmaßnahmen stark zu machen, die nur den Spekulanten nützen. Aufgabe der Gewerkschaften wäre es im Gegenteil, dem Spekulantentum Einhalt zu gebieten. Das Verhalten der Westberliner Gewerkschaftsführung in dieser Frage ist ein Skandal, der nicht hingenommen werden kann.. Insbesondere das von ihr gedeckte Vorgehen der gewerkschaftseigenen Neuen Heimat ist alles andere als ‘Gemeinwirtschaftlich‘. Die Verantwortlichen müssen von der gewerkschaftlichen Basis zur Rechenschaft gezogen, der profitwirtschaftliche Kurs des Gewerkschafts-Unternehmens Neue Heimat muss grundlegend geändert werden …“

Berichtet wird über die Demonstration vom 10. Oktober in Bonn (Nato-Doppelbeschluss), über „Tumulte im EGB“ (Europäischer Gewerkschaftsbund), über die Blockade der Belegschaft bei VDM in Heddernheim, über Thyssen: „ 2. 300 Stahlarbeiter vor Verwaltung: Am 23. Oktober zogen rund 2. 000 Stahlarbeiter aus Gelsenkirchen und rund 300 aus Hilden vor das Verwaltungshochhaus des Thyssen-Konzerns in Essen. Sie protestierten damit gegen den Plan des Konzerns, in Gelsenkirchen 1. 800 Arbeitsplätze zu vernichten und die Thyssen-Gießerei in Hilden zu schließen …“

Zur Tarifrunde 1982 wird die „Rente mit 60“ propagiert, was aber keinen „Lohnverzicht“ bedeuten darf. Es sei an der Zeit „klare Forderungen“ aufzustellen. Die RGO-Nachrichten fordern dazu auf, „aktiv die Tarifrunde vorzubereiten“. Die Marschrichtung sei: „Kein Lohnverzicht, keine Verlängerung der Laufzeit“, „Mit 60 auf Rente“, „35-Stundenwoche“, „Weg mit der geplanten Lohnsenkung im öffentlichen Dienst“.

Berichtet wird von Sintermertall/Lübeck. Dort soll der Kollege Törk Hansen aus der IG Metall ausgeschlossen werden. Ihm wird vorgeworfen, die „RGO mit anzuführen“.

Weiter habe der IGM Metall-Beirat auf seiner Sitzung vom 8. September beschlossen, „die schändlichen Unvereinbarkeitsbeschlüsse um zwei weitere Punkte zu erweitern und die antifaschistische Organisation Volksfront gegen Reaktion, Faschismus und Krieg, für Freiheit, Demokratie und Wohlstand, sowie den Bund Westdeutscher Kommunisten (BWK) zu gewerkschaftsfeindlichen Organisationen zu erklären“.

Die „RGO-Frauenkonferenz“ vom 24. Oktober in Paderborn sei „erfolgreich verlaufen“. Auf der „zweitägigen Konferenz“ wurde über die „besondere Aufgaben der gewerkschaftlichen Frauenarbeit diskutiert“.
Q: RGO: RGO-Nachrichten, Nr. 11, Kassel, November 1981.

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